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Im Zoo

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Frankys Horoskop: Manchmal ist es gut, fünf gerade sein zu lassen – manchmal aber auch nicht.

Obwohl Franky nur wenig Zeit in seiner Dreizimmereigentumswohnung mit zwei Badezimmern zubrachte, hatte er nicht an der Einrichtung gespart. Die Küche, ein Traum in weiß gebeizter Eiche, diente meist nur als Kulisse für mitgebrachten Imbiss vom Italiener. Hier stand auch ein Fernsehapparat. Das behagliche Wohnzimmer mit den weißgetünchten Wänden schmückten zwei große schwarze Ledersofas und zwei mit Zeitungen vollgestopfte große Weidenkörbe. In mehreren Regalen stapelten sich Bücher und DVDs, denen sich Franky, wenn er einmal Zeit hätte, widmen wollte. Die Wände hingen voll mit gerahmten Karikaturen, Lithographien und Bildern, die ihm bei seinen Reisen ins Auge gesprungen waren. Auf verschiedenen Tischen, von denen manche mit Keilen aus Zeitungspapier am Kippen gehindert wurden, befanden sich weitere Bücher und gerahmte Fotos, mit gezacktem Rand, unter anderem eines von Chantal.

Vom Wohnzimmer aus betrat man eine kleine schmucke Essecke, die mangels Benutzung immer ordentlich blieb.

Franky schlüpfte in seine Sportschuhe, verließ das Haus, trat auf die Straße und lief einfach los. Es war Samstag, irgendein Fußballspiel musste wohl anstehen, denn als Franky am U-Bahnhof eintraf, war es furchtbar voll. Ohne zu wissen, wohin er eigentlich wollte, ließ er sich von der Menschenmenge die Rolltreppe hinabspülen und blieb schließlich an dem Bahnsteig, an dem die Züge in Richtung Innenstadt fuhren, stehen. Es stank nach Schweiß und Ärger. Die Fußballfans waren überall, mit ihrem Bier-Atem und ihren aggressiven Gesängen. Franky wurde von dem Strom der Menschen in eine Bahn gespült. Er stand eingequetscht zwischen zwei Hünen, die Bahn fuhr ruckartig an. Franky hatte den Rucksack eines Mannes vor seinem Gesicht, der Reißverschluss schrammte seine Wange entlang, als die Bahn sich in eine Kurve legte. Die Scheiben waren beschlagen, da waren keine Menschen mehr, da war nur noch eine im selben Rhythmus, dieselbe feuchte, ungesunde Luft atmende Masse. Franky versuchte sich mit Hilfe seines Ellbogens ein wenig Platz zu verschaffen, die Menge um ihn herum wich keinen Millimeter, die Luft war keine Luft mehr, sondern heiß und teigig und fest. Jemand stimmte ein Lied an, die Masse brach in verzücktes Gebrüll aus. Franky biss die Zähne zusammen. Am Hauptbahnhof wurde er dann aus der feuchten Hitze hinausgedrängt. Die Menge spülte ihn in Richtung Ausgang. Franky kämpfte sich durch die Menschenmassen, bestieg die erstbeste Straßenbahn und stieg an der Haltestelle: Zoo, wieder aus.

Er löste eine Eintrittskarte und machte einen Sparziergang.

Welch ein herrlicher Tag dachte Sascha. Genau der Tag, an dem man einen Ausflug in den Zoo machen sollte. Als Sascha Arm in Arm mit seiner Frau durch den Tierpark schlenderte und seiner Tochter nachsah, vernahm er auf einmal eine ihm bekannte rauhe, scharfe Stimme: „Hier entlang, Simon.“

Er hörte sie barsch sagen: „Los doch Simon!“

Dann drehte er sich um. Julia ging nur ein paar Schritte hinter ihm – und bewegte sich energisch auf ihn zu. Jeden Moment konnten ihr giftige Reißzähne wachsen.

Zuerst dachte Sascha, es müsse sich um einen Zufall handeln. Doch als er in ihr Gesicht sah, wusste er Bescheid. Julia plante eine Familienzusammenführung.

Wie ein Wahnsinniger überlegte er scharfsinnig, wie er dem Schicksal entrinnen konnte.

„Kommt, beeilt Euch. Gleich beginnt die Fütterung bei den Seehunden!“

Er jagte seine Familie quer durch den Zoo. An den Affen und Löwen vorbei, drängte andere Besucher zur Seite, warf hektische Blicke über die Schulter nach hinten. Julia und Simon waren dicht auf seinen Fersen. Er wusste, wenn Simon ihn sah, und < Papa > rief, war alles aus.

Und weiter hetzte Sascha mit Regina und Viktoria durch die Gegend, gab ihnen keine Gelegenheit nach Luft zu schnappen.

„Warum rennen wir eigentlich“, keuchte Regina. „Warum diese Hast?“

„Eine Überraschung“, zwang Sascha seine Stimme zur Fröhlichkeit. „Ihr werdet schon sehen.“

Sascha wagte einen weiteren Blick nach hinten. Momentan waren Julia und Simon außer Sicht. Vor ihnen lag ein Labyrinth. Sie rannten hinein. „Wer zuerst den Ausgang findet, bekommt eine Belohnung!“

„Sascha! Können wir uns nicht einen Augenblick ausruhen? Ich bin völlig fertig“, jammerte Regina.

Er sah sie entgeistert an. „Eine Pause? Das würde doch die ganze Überraschung kaputtmachen. Los, los, Beeilung!“

Regina nahm Viktoria beim Arm und schleppte sie hinter sich her. Sascha rannte voraus. Die Kleine keuchte auch mächtig und rang nach Luft.

„Können wir nicht endlich stehenbleiben?“, bettelte Viktoria. Langsam wurde sie zickig.

„Nein, wir sind ja gleich da!“

Sie hatten den Ausgang erreicht. Sascha blickte hastig in die Runde. Julia und Simon waren nirgends zu sehen.

„Wohin schleppst Du uns eigentlich?“ Reginas wurde energisch.

„Ihr werdet schon sehen“. Saschas Stimme verriet aufsteigende Hysterie. „Mir nach!“ Er drängte sie in Richtung Ausgang.

„Gehen wir schon wieder Papa“, beschwerte sich Viktoria. „Wir sind doch gerade erst gekommen.“

„Wir gehen woandershin, wo es viel besser ist.“

Er sah zurück. Da waren sie wieder! Julia und Simon.

Einen Augenblick später befanden sie sich auf dem Parkplatz und er rannte auf seinen Wagen zu.

„So hab ich Dich noch nie erlebt“, sagte Regina ärgerlich.

„So war ich auch noch nie“, gab Sascha der Wahrheit die Ehre. Er startete den Motor noch bevor alle Türen geschlossen waren. Sascha raste vom Parkplatz, als sei der Teufel hinter ihm her. Sein dunkles, strähniges Haar klebte an seiner Stirn.

„Sascha?!“, sagte Regina bekümmert.

Er tätschelte ihre Hand und sah sie mit seinem berüchtigten Killer-Lächeln an. Mit gespreizten Fingern fuhr er sich durch das zerzauste Haar.

„Jetzt könnt Ihr Euch ausruhen. Und als besondere Überraschung gehen wir jetzt Hamburger essen und Du bekommst eine Kindertüte.“

Es war schwül an diesem Nachmittag. Die Wolken waren vorbeigezogen, ohne ihr Versprechen von Regen und Abkühlung einzulösen aber es hatte den Anschein, als ob sich das Wetter bald ändern würde.

Sascha ließ seinen Blick müßig aus dem Wohnzimmerfenster schweifen, der Fernseher lief und dann glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Ein Wagen kam mit quietschenden Reifen vor seinem Haus zum Stehen. Darin saßen Julia und Simon.

Regina machte im ersten Stock immer noch ihren Mittagsschlaf – dachte er.

Sascha rannte nach draußen. Er musste sie aufhalten. In diesem Moment hätte er zum Mörder werden können. Sie stieg aus dem Fahrzeug, gefolgt von ihrem Sohn. Simon hängte sich an Sascha, seinen Vater, umarmte ihn.

„Ich will zu Deiner Frau!“

„Nein!“ Seine Augen funkelten gefährlich. Sascha tippte sich mit dem Zeigefinger an seine Stirn.

Julia sah ihn grimmig an. „Wie willst Du mich aufhalten? Sehe ich sie nicht heute, sehe ich sie morgen.“

Sascha saß in der Falle. Er hatte schon eine Antwort auf den Lippen, dann senkte er den Kopf.

Der Himmel war jetzt wieder dicht mit dunklen Regenwolken verhangen. Erste Tropfen fielen vom Firmament.

Sodom und Gomorrha

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