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Die 29 Matrosen

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Inhaltsverzeichnis

Die amtliche Nachricht lautete (»Berl. Tageblatt«, 12. März 1919.): »In der Französischen Str. 32 wurde gestern die Kassenverwaltung der Volksmarinedivision von Regierungstruppen besetzt. Frühere Angehörige der jetzt aufgelösten Volksmarinedivision, die von dort noch Gelder holen wollten, sind festgenommen worden. Die Gefangenen trugen teilweise noch Waffen. Infolgedessen kam es bei der Verhaftung zu tätlichem Widerstand. Die Mannschaften der Regierungstruppen ließen sich von ihren Führern kaum vor Uebergriffen zurückhalten, da die Erbitterung durch die Vorgänge der letzten Tage natürlich sehr angewachsen war. Es wurde Munition, darunter auch Dumdumgeschosse, beschlagnahmt. Von den rund 250 Gefangenen mußten 24 auf der Stelle erschossen werden. Die übrigen sind unter starker Bedeckung in das Moabiter Zellengefängnis eingeliefert worden und sehen dort einer Aburteilung durch das außerordentliche Kriegsgericht entgegen.«

Der wirkliche Vorgang war (vgl. Prozeßbericht, »Deutsche Zeitung« vom 5. bis 10. Dezember 1919): Am 11. März 1919 war ein Löhnungsappell der Volksmarinedivision angesetzt. General Lüttwitz gab dem Leutnant Marloh Auftrag, dort möglichst viele Mitglieder zu verhaften. Die 250 Matrosen, die völlig ordnungsliebende Elemente waren, — ein Teil hatte bei den Unruhen die Reichsbank bewacht, — kamen einzeln, beinahe alle unbewaffnet, um sich die ihnen zustehende Löhnung zu holen. Sie wurden einzeln überwältigt und gefangengesetzt.

Marloh fühlte sich durch die vielen Gefangenen bedroht und telephonierte an Oberst Reinhardt um Hilfe. Oberst Reinhardt sagte zu Leutnant Schröter: »Gehen Sie zu Marloh und sagen Sie ihm, er müsse durchgreifen. Denken Sie an Lichtenberg, wo 60 Polizeibeamte erschossen wurden«. Schröter meldete Marloh, er solle energisch durchgreifen. Marloh telephonierte gleich darauf nochmals um Hilfe. Darauf ließ Oberleutnant v. Kessel dem Marloh durch Leutnant Wehmeyer ausrichten (zweiter Verhandlungstag): »Bestellen Sie dem Oberleutnant Marloh, daß Oberst Reinhardt sehr wütend sei, weil er gegen die 300 Matrosen zu schlapp vorgehe. Er solle in ausgiebigstem Maße von der Waffe Gebrauch machen, und wenn er 150 Mann erschösse. Alles, was er erschießen könne, solle er erschießen. Die Verstärkung würde noch ein bis eineinhalb Stunden auf sich warten lassen. Oberst Reinhardt wisse auch gar nicht, wo er mit den 300 Leuten bleiben solle.«

Marloh gehorchte, sortierte die Leute, indem er diejenigen, die besonders intelligent erschienen, gute Anzüge oder Schmucksachen hatten, besonders stellte (erster Verhandlungstag, 4. Dezember 1919). Dann ließ er durch den Offizierstellvertreter Penther 29 Leute mit dem Maschinengewehr erschießen. »Die Schußwirkung war furchtbar. Vielen Leuten wurde die Schädeldecke völlig abgerissen. Die Gehirnmasse spritzte umher, Leichen und Verwundete fielen übereinander.« (Erster Verhandlungstag, 4. Dezember 1919.) Die Namen der Ermordeten sind nach der »Zukunft« (29. November 1919): Jakob Bonczyk, Paul Brandt, Theodor Biertümpel, Ernst Bursian, Kurt Dehn, Otto Deubert, Willy Ferbitz, Robert Göppe, Baruch Handwohl, Walter Harder, Alfred Hintze, Anton Hintze, Hermann Hinze, Walter Jacobowsky, Otto Kanneberg, Willy Kuhle, Max Kutzner, Martin Lewitz, Herbert Lietzau, Max Maszterlerz, Ernst Mörbe, Karl Pobantz, Paul Rösner, Siegfried Schulz, Paul Ulbrich, Werner Weber, Karl Zieske, Gustav Zühlsdorf. Die anderen Matrosen wurden ins Gefängnis geschafft und bald darauf als unschuldig entlassen.

Marloh erstattete einen wahrheitsgetreuen Bericht an Oberleutnant v. Kessel. Auf Anraten Kessels ersetzte er ihn Mitte Mai durch einen anderen, wonach er die Erschießung durch eigenen Entschluß auf Grund des Noske-Erlasses vorgenommen habe. Zuletzt wurde in Gegenwart des Obersten Reinhardt noch ein dritter Bericht geschrieben. Marloh blieb monatelang unbehelligt. Erst als ein Haftbefehl am 2. Juni vorlag, riet ihm Kessel zu flüchten, und stellte ihm zu diesem Zwecke falsche Papiere aus, die Leutnant Wehmeyer dem Marloh übergab. Leutnant Hoffmann brachte ihm Geld. (Zweiter Verhandlungstag.) Am 9. Dezember wurde Marloh von der Anklage des Totschlags und des Mißbrauches der Dienstgewalt freigesprochen, wegen unerlaubter Entfernung zu drei Monaten Festung und wegen Benutzung gefälschter Urkunden zu 30 Mk. Geldstrafe verurteilt. In der Urteilsbegründung wurde festgestellt, »daß die Erschießungen objektiv unberechtigt waren, daß die Matrosen, die mit Waffen kamen, gültige Waffenscheine besaßen, daß keine Plünderer dabei waren, daß die Lage Marlohs nicht so bedrohlich war, daß er zum Waffengebrauch berechtigt war, daß er jedoch glaubte, einen Dienstbefehl vor sich zu haben« (Vorsitzender: Kriegsgerichtsrat Welt).

Der Ausschuß II für Feststellung von Entschädigung für Aufruhrschäden verneinte den Anspruch der Hinterbliebenen auf eine Rente, da die Erschießungen in Ausübung der Staatsgewalt als ein Akt der Strafvollstreckung erfolgt seien. Den meisten Hinterbliebenen wurden jedoch vom Fiskus im Vergleichswege nach einem Zivilprozesse größere Abfindungssummen ausbezahlt.

Kessel wurde Hauptmann, Hoffmann Oberleutnant bei der Sicherheitswehr (»Freiheit«, 7. Dezember.). Gegen Reinhardt und Kessel wurde wegen der Befehle, die sie Marloh gegeben hatten, kein Verfahren eingeleitet; gegen Kessel wurde nur ein Verfahren wegen eines im Verlauf des Prozesses geleisteten Meineids eingeleitet. (14. März 1921.) Am 23. März 1921 wurde er auch von der Anklage des Meineids freigesprochen. (Eingehende Prozeßberichte in der »Deutschen Zeitung«.) Zuletzt wurden Wehmeyer und Hoffmann wegen Beihilfe zur Flucht vom Schöffengericht freigesprochen. (»Deutsche Tageszeitung«, 27. 9. 21.)

Vier Jahre Politischer Mord

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