Читать книгу Emily Brontë: Sturmhöhe. Vollständige deutsche Ausgabe von "Wuthering Heights" - Эмили Бронте, Emily Bronte - Страница 10

Siebentes Kapitel

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Cathy blieb fünf Wochen, bis Weihnachten, in Thrushcross Grange. Unterdessen war ihr Fußknöchel vollständig geheilt, und sie hatte sich bessere Umgangsformen angeeignet. Die gnädige Frau besuchte sie in der Zwischenzeit öfters und fing ihre Erziehung damit an, daß sie versuchte, ihre Eitelkeit durch hübsche Kleider und Schmeicheleien zu wecken, worauf Cathy bereitwillig einging. So kam es, daß statt einer unbändigen, hutlosen kleinen Wilden, die ins Haus gesprungen wäre, um uns alle halbtot zu drücken, ein sehr zurückhaltendes Geschöpf von einem schönen schwarzen Pony stieg; braune Ringellocken fielen unter dem Aufschlag eines hohen Federhutes herab, und sie trug einen langen Tuchmantel, den sie mit beiden Händen raffen mußte, um hereinrauschen zu können. Hindley half ihr vom Pferde und rief entzückt aus: „Ei, Cathy, du bist ja eine regelrechte Schönheit! Ich hätte dich fast nicht erkannt; du siehst jetzt aus wie ein Dame. Isabella Linton kann sich nicht mit ihr messen, nicht wahr, Frances?“ „Isabella ist nicht so hübsch wie sie“, erwiderte seine Frau, „aber sie muß sich davor hüten, hier wieder zu verwildern. Ellen, hilf Miß Catherine aus ihren Sachen! Halt still. Liebling, du wirst deine Locken in Unordnung bringen; laß mich deinen Hut losbinden!“

Ich nahm ihr den Mantel ab, und darunter kamen zum Vorschein: ein großartiges buntkariertes Seidenkleid, weiße Beinkleider und blank polierte Schuhe. Ihre Augen leuchteten voll Freude auf, als die Hunde zu ihrer Begrüßung angelaufen kamen, doch wagte sie kaum, sie zu berühren, um ihr schönes Kleid vor ihrem Ansprung zu bewahren. Sie küßte mich vorsichtig, denn ich war ganz mit Mehl bestäubt, weil ich Weihnachtskuchen buk, und eine Umarmung wäre nicht ratsam gewesen; und dann blickte sie sich nach Heathcliff um. Mr. und Mrs. Earnshaw sahen diesem Wiedersehen ängstlich entgegen; denn nun mußte es sich ja zeigen, wieweit sie darauf hoffen durften, die beiden Freunde voneinander zu trennen. Heathcliff war zunächst schwer aufzufinden. War er vor Catherines Abwesenheit schon verwahrlost und vernachlässigt gewesen, so war das jetzt zehnmal mehr der Fall. Niemand außer mir erwies ihm soviel Teilnahme, ihn einen schmutzigen Jungen zu nennen und ihn dazu anzuhalten, sich einmal wöchentlich zu waschen; Kinder seines Alters haben von Natur selten eine Vorliebe für Seife und Wasser. Daher waren sein Gesicht und seine Hände schrecklich schmutzig, gar nicht zu reden von seiner Kleidung, die ihm drei Monate lang in Schlamm und Staub gedient hatte, und von seinem dichten, ungekämmten Haar. Er mochte sich wohl hinter einem Sessel verborgen haben, als er ein so schönes, liebreizendes Fräulein in das Haus kommen sah statt des verwahrlosten Gegenstückes seiner selbst, das er erwartet hatte. „Ist Heathcliff nicht hier?“ fragte sie, zog ihre Handschuhe aus und zeigte Hände, die vom Nichtstun und Stubensitzen wundervoll weiß geworden waren.

„Heathcliff, du kannst herkommen“, rief Mr. Hindley, weidete sich an seiner Verwirrung und freute sich, beobachten zu können, als was für einen abstoßenden Gesellen er sich darstellen mußte. „Du kannst kommen und Miß Catherine willkommen heißen, wie das übrige Gesinde.“

Cathy, die ihren Freund in seinem Versteck erblickt hatte, flog auf ihn zu, um ihn zu umarmen; sie gab ihm im Nu sieben oder acht Küsse auf die Wange, dann hielt sie ein, trat zurück fing an zu lachen und rief: „Ei, wie furchtbar schmutzig und widerwärtig du aussiehst! Und wie… wie drollig und grimmig! Aber das kommt daher, daß ich an Edgar und Isabella Linton gewöhnt bin. Nun, Heathcliff, hast du mich vergessen?“

Sie hatte nicht unrecht, diese Frage zu stellen, denn Scham und Stolz hatten sein Gesicht zwiefach verdüstert und ließen ihn unbeweglich verharren.

„Gib die Hand, Heathcliff“, sagte Mr. Earnshaw herablassend, „für dieses Mal mag es erlaubt sein.“

„Das werde ich nicht“, entgegnete der Junge, endlich Worte findend, „ich will nicht dastehen und mich auslachen lassen. Das kann ich nicht ertragen!“

Er wäre davongelaufen, wenn Miß Cathy ihn nicht wieder gepackt hätte.

„Ich wollte dich nicht auslachen“, sagte sie, „ich konnte nur nicht an mich halten. Heathcliff, gib mir endlich die Hand! Warum bist du so verdrießlich? Du sahst nur so merkwürdig aus. Wenn du dein Gesicht wäschst und deine Haare bürstest, ist alles in Ordnung; aber du bist so schmutzig!“

Sie blickte besorgt auf die schwärzlichen Finger, die sie in ihrer Hand hielt, und auf ihr Kleid, denn sie fürchtete, es werde durch die Berührung mit ihnen keine Verschönerung erfahren.

„Du hättest mich nicht anzufassen brauchen!“ antwortete er, ihrem Blick folgend, und zog seine Hand zurück.

„Ich werde so schmutzig sein, wie es mir paßt; ich bin gern schmutzig, und ich will schmutzig sein!“

Damit stürzte er, mit dem Kopf voran, aus dem Zimmer, unter dem Gelächter des Herrn und der gnädigen Frau. Catherine aber war ernstlich bestürzt. Sie konnte nicht begreifen, warum ihre Bemerkungen einen derartigen Ausbruch hervorgerufen hatten.

Nachdem ich bei Catherine Kammerzofe gespielt, meine Kuchen in den Ofen geschoben und im Haus und in der Küche, wie es sich am Weihnachtsabend geziemt, helle Feuer angefacht hatte, machte ich mich fertig und wollte mich hinsetzen und ganz allein zu meiner Freude Weihnachtslieder singen, unbekümmert um Josephs Behauptung, meine fröhlichen Weisen klängen fast wie Gassenhauer. Er hatte sich zu stillem Gebet in sein Zimmer zurückgezogen, und Mr. und Mrs. Earnshaw fesselten des Fräuleins Aufmerksamkeit mit verschiedenen bunten Kleinigkeiten, die sie den kleinen Lintons in Erwiderung ihrer Freundlichkeit schenken sollte. Sie hatten sie eingeladen, den morgigen Tag in Wuthering Heights zu verbringen, und die Einladung war angenommen worden, unter einer Bedingung: Mrs. Linton hatte gebeten, ihre Lieblinge möchten sorgfältig von dem ›unartigen, fluchenden Jungen‹ ferngehalten werden.

Unter diesen Umständen blieb ich einsam. Ich roch den kräftigen Duft der heiß werdenden Gewürze und freute mich an den blanken Küchengeräten, an der polierten, mit Stechpalmen geschmückten Wanduhr, den silbernen Krügen, die auf ein Tablett gestellt waren, um beim Nachtessen mit gewürztem Bier gefüllt zu werden, und vor allem an der fleckenlosen Sauberkeit meines besonderen Sorgenkindes: des gescheuerten und rein gefegten Fußbodens.

Ich zollte jedem Gegenstand innerlich meine Anerkennung, und dann dachte ich daran, wie der alte Earnshaw hereinzukommen pflegte, wenn alles rein gemacht war, mich ein scheinheiliges Mädchen nannte und einen Schilling als Weihnachtsgeschenk in meine Hand gleiten ließ. Von da wanderten meine Gedanken zu seiner Vorliebe für Heathcliff und seiner Befürchtung, er werde nach seinem Tode vernachlässigt werden, und das brachte mich dazu, über die jetzige Lage des armen Burschen nachzudenken — und aus dem Singen wurde Weinen. Dann aber fiel mir ein, daß es doch vernünftiger wäre, wenn ich mich bemühte, etwas von dem Unrecht gutzumachen, statt Tränen darüber zu vergießen; darum stand ich auf und ging in den Hof, um ihn zu suchen. Er war nicht weit; ich fand ihn damit beschäftigt, das glänzende Fell des neuen Ponys zu striegeln und die anderen Tiere, wie er es gewohnt war, zu füttern.

„Beeil dich, Heathcliff!“ sagte ich, „in der Küche ist es so gemütlich; Joseph ist oben, mach schnell, damit ich dich hübsch anziehen kann, bevor Miß Cathy herauskommt, und dann könnt ihr den ganzen Herdplatz für euch allein haben und einen langen Schwatz machen bis zum Schlafengehen.“

Er fuhr mit seiner Arbeit fort und wandte nicht einmal den Kopf nach mir um.

„Komm! — Kommst du?“ wiederholte ich. „Für jeden von euch ist ein kleiner Kuchen da, und du brauchst eine halbe Stunde zum Anziehen.“

Ich wartete fünf Minuten, aber als immer noch keine Antwort kam, ging ich weg. Catherine aß mit ihrem Bruder und ihrer Schwägerin zu Abend, Joseph und ich fanden uns zu einem ungeselligen Mahl zusammen, das von der einen Seite mit Vorwürfen, von der anderen mit schnippischen Antworten gewürzt wurde. Heathcliffs Kuchen und Käse blieben die ganze Nacht auf dem Tisch für die Feen. Er brachte es fertig, seine Arbeit bis neun Uhr hinauszuziehen; dann ging er starr und stumm in sein Zimmer. Cathy blieb lange auf, da sie eine Menge Dinge zum Empfang ihrer neuen Freunde vorzubereiten hatte. Einmal kam sie in die Küche, um mit ihrem alten Freund zu sprechen; aber er war hinausgegangen, und sie fragte nur, was mit ihm los sei, und ging dann zurück. Am Morgen stand er früh auf, und da es Feiertag war, trug er seine schlechte Laune ins Moor spazieren und erschien erst wieder, als die Familie zur Kirche gegangen war. Fasten und Nachdenken schien ihn in bessere Stimmung versetzt zu haben. Er lungerte eine Weile bei mir umher, dann nahm er seinen Mut zusammen und rief plötzlich: „Nelly, mach mich anständig, ich will artig sein!“

„Höchste Zeit, Heathcliff“, sagte ich, „du hast Catherine traurig gemacht; ich glaube, es tut ihr leid, daß sie überhaupt nach Hause gekommen ist. Es sieht so aus, als ob du sie beneidest, daß man von ihr soviel mehr Wesen macht als von dir.“ Daß er Catherine beneiden sollte, war ihm unfaßlich, aber daß er sie betrübt hätte, verstand er ganz deutlich.

„Hat sie gesagt, daß sie traurig ist?“ fragte er mit sehr ernstem Gesicht.

„Sie hat geweint, als ich ihr sagte, daß du heute morgen wieder weggegangen wärst.“

„Nun, ich habe gestern abend geweint“, entgegnete er, „und ich hatte mehr Grund zu weinen als sie.“

„Ja, du hattest Grund, weil du mit stolzem Herzen und leerem Magen zu Bett gingst“, sagte ich. „Stolze Menschen schaffen sich selbst Sorgen. Aber wenn du dich deiner Empfindlichkeit schämst, mußt du um Verzeihung bitten, wenn sie hereinkommt, hörst du? Du mußt auf sie zugehen und ihr einen Kuß anbieten und sagen — du weißt selbst am besten, was; nur mach es herzlich und nicht so, als ob sie sich in deinen Augen durch ihre schönen Kleider in eine Fremde verwandelt hätte. Und nun werde ich mir, obwohl ich das Mittagessen richten muß, die Zeit stehlen und dich so zurechtmachen, daß Edgar Linton wie eine Puppe neben dir aussehen soll, denn das tut er. Du bist jünger, aber ich bin sicher, du bist größer und doppelt so breit in den Schultern; du könntest ihn im Handumdrehen niederschlagen. Glaubst du nicht, daß du das könntest?“

Heathcliffs Gesicht heiterte sich für eine Sekunde auf; dann verdüsterte es sich von neuem, und er seufzte: „Ja, aber Nelly, wenn ich ihn auch zwanzigmal niederschlüge, das machte ihn nicht häßlicher und mich nicht schöner. Ich wollte, ich hätte blondes Haar und helle Haut und wäre so hübsch angezogen und betrüge mich so gut wie er und hätte die Möglichkeit, so reich zu werden, wie er es einmal sein wird!“

„Und würdest bei jeder Gelegenheit nach Mama rufen“, fügte ich hinzu, „und zittern, wenn ein Bauernjunge dich mit erhobener Faust bedroht, und wegen eines Regenschauers den ganzen Tag zu Hause sitzen? O Heathcliff, du hast gar keinen Stolz! Komm vor den Spiegel, ich will dir zeigen, was du wünschen solltest. Siehst du die beiden Linien zwischen deinen Augen und die dichten Brauen, die, statt sich wie Bogen zu wölben, in der Mitte einfallen; und die zwei schwarzen Unholde, tief darunter verborgen, die niemals ihre Fenster keck öffnen, sondern wie Späher des Teufels glitzernd darunter hervorlauern? Wünsche dir und lerne, die mürrischen Falten zu glätten, deine Augenlider frei und offen aufzuschlagen und die Unholde in vertrauende, unschuldige Engel zu verwandeln, die nichts beargwöhnen und bezweifeln und immer Freunde sehen, wo sie nicht sicher sind, Feinden zu begegnen. Laufe nicht wie ein bösartiger Köter umher, der weiß, daß die Schläge, die er erhält, verdient sind, und der doch alle Welt und auch den Schlagenden für das, was er leidet, haßt.“

„Mit anderen Worten, ich soll mir Edgar Lintons blaue Augen und glatte Stirn wünschen“, entgegnete er. „Das tue ich ja, aber es hilft mir nichts.“

„Ein gutes Herz wird dir zu einem hübschen Gesicht verhelfen, mein Junge“, fuhr ich fort, „selbst wenn du ein richtiger Neger wärst; und ein böses Herz wird das hübscheste Gesicht so verwandeln, daß es schlimmer als häßlich erscheint. Und nun, da wir mit Waschen, Kämmen und Schmollen fertig sind: sag mal, hältst du dich nicht für ganz hübsch? Das kann ich dir sagen, ich tue es. Du könntest ein verkappter Prinz sein. Wer weiß denn, ob dein Vater nicht der Kaiser von China und ob deine Mutter nicht eine indische Prinzessin war, und jeder von ihnen so reich, daß sie mit den Einkünften einer Woche Wuthering Heights und Thrushcross Grange zusammen erstehen könnten? Und du bist von Seeräubern geraubt und nach England geschleppt worden. Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich mir einen hohen Begriff von meiner Geburt machen, und das Bewußtsein dessen, was ich bin, würde mir Mut und Stolz genug verleihen, die Tyrannei eines kleinen Gutsherrn zu ertragen!“

So schwatzte ich fort, und Heathcliff sah weniger finster drein und fing an, ganz vergnügt zu werden, da wurde unsere Unterhaltung durch ein polterndes Geräusch unterbrochen, das, von der Straße herkommend, im Hof endete. Er lief ans Fenster, und ich kam gerade zur rechten Zeit zur Tär, daß ich sehen konnte, wie die beiden Lintons, in Mäntel und Pelze gehüllt, aus der Familienkalesche kletterten und die Earnshaws von ihren Pferden stiegen (im Winter pflegten sie oft zur Kirche zu reiten). Catherine faßte die Kinder bei der Hand, geleitete sie ins Haus und ans Feuer, das ihre weißen Gesichter bald rosig färbte.

Ich drängte meinen Gefährten, jetzt hinzueilen und sich von seiner liebenswürdigen Seite zu zeigen. Er gehorchte bereitwillig; aber das Unglück wollte es, daß Hindley von der anderen Seite hereintrat, als Heathcliff die Tür zur Küche öffnete. Sie trafen zusammen, und der Herr, ärgerlich, ihn sauber und fröhlich zu sehen, oder vielleicht, um sein Mrs. Linton gegebenes Versprechen zu halten, drängte ihn mit einem derben Stoß zurück und befahl Joseph:

„Laß den Burschen nicht ins Zimmer; schick ihn in die Bodenkammer, bis das Mittagessen vorüber ist! Er wird seine Finger in die Torten stecken und das Obst stehlen, wenn er eine Minute damit allein gelassen wird.“

„Nein, Herr“ — ich konnte die Antwort nicht unterdrücken —, „der faßt nichts an, ganz gewiß nicht, und ich meine, er sollte geradesogut sein Teil an den Leckereien haben wie wir.“

„Er wird sein Teil von meiner Hand abbekommen, wenn ich ihn vor Dunkelwerden noch einmal unten antreffe!“ schrie Hindley. „Fort, du Landstreicher! Was, willst du hier den Stutzer spielen, he? Warte, ich werde dich an deinen eleganten Locken zupfen, mal sehen, ob ich sie nicht etwas länger ziehen kann!“

„Sie sind schon lang genug“, bemerkte Master Linton, verstohlen durch die Tür blickend. „Ich wundere mich, daß sie ihm keine Kopfschmerzen verursachen. Sie fallen wie eine Ponymähne über seine Augen!“

Er machte diese Bemerkung ohne kränkende Absicht, aber Heathcliff mit seiner Veranlagung zum Jähzorn war nicht geneigt, auch nur den Schein von Frechheit von einem zu erdulden, den er gerade in diesem Augenblick als Nebenbuhler haßte. Er ergriff eine Terrine mit heißer Apfeltunke das erste beste, was er zu fassen kriegte — und warf sie dem Sprecher ins Gesicht. Der fing augenblicklich an zu jammern, so daß Isabella und Catherine herbeigeeilt kamen. Mr. Earnshaw faßte den Übeltäter sofort und führte ihn in sein Zimmer, wo er zweifellos ein nachdrückliches Mittel anwandte, um den Wutanfall zu ersticken; denn er kehrte mit gerötetem Gesicht und atemlos wieder. Ich nahm das Geschirrtuch und rieb voller Groll Edgars Nase und Mund ab und sagte, ihm sei ganz recht geschehen, weil er sich eingemischt habe. Seine Schwester fing an zu weinen, sie wollte nach Hause, und Cathy stand bestürzt dabei und errötete für die anderen. „Du hättest nicht mit ihm sprechen sollen“, warf sie dem jungen Linton vor. „Er hatte schlechte Laune, und nun hast du mir die Freude an eurem Besuch verdorben, und er wird Prügel kriegen. Ich kann das nicht ertragen, daß er verprügelt wird. Ich kann zu Mittag nichts essen. Warum hast du mit ihm gesprochen, Edgar?“

„Ich habe es ja gar nicht getan“, schluchzte der Junge, entwand sich meinen Händen und säuberte sich weiter mit seinem Batisttaschentuch. „Ich habe Mama versprochen, kein Wort mit ihm zu reden, und ich habe es auch nicht getan.“

„Nun, dann heule nicht!“ entgegnete Catherine verächtlich. „Du lebst ja noch. Mach jetzt keine Dummheiten; mein Bruder kommt, sei ruhig! Hör auf, Isabella! Hat dir jemand weh getan?“

„Also los, Kinder, auf die Plätze!“ rief Hindley, der geräuschvoll hereinkam. „Dieses Scheusal von Junge hat mir gehörig warm gemacht. Das nächste Mal, Master Edgar, hol dir dein Recht mit deinen eigenen Fäusten; das wird dir Hunger machen.“

Die kleine Gesellschaft gewann beim Anblick des duftenden Mahles ihren Gleichmut wieder. Sie waren hungrig nach dem Ritt und trösteten sich schnell, da ihnen tatsächlich ja auch nichts zugestoßen war. Mr. Earnshaw teilte ihnen von allem reichlich zu, und die gnädige Frau erheiterte sie mit lebhaftem Geplauder. Ich wartete hinter ihrem Stuhl auf und war schmerzlich berührt, zu sehen, wie Catherine mit trockenen Augen und gleichgültigem Gesichtsausdruck begann, einen Gänseflügel zu zerlegen. ›Ein herzloses Kind‹, dachte ich, ›wie leicht sie über den Kummer ihres alten Spielgefährten hinweggeht. Ich hätte sie nicht für so selbstsüchtig gehalten.‹ Sie führte einen Bissen zum Mund, ließ ihn aber sogleich wieder fallen; ihre Wangen bedeckten sich mit tiefer Röte, und die Tränen strömten darüber hin. Sie ließ ihre Gabel auf den Boden fallen und bückte sich hastig unter das Tischtuch, um ihre Bewegung zu verbergen. Ich nannte sie nicht mehr gefühllos, denn ich beobachtete, daß sie sich den ganzen Tag wie im Fegefeuer vorkam und sich bemühte, allein zu sein oder nach Heathcliff zu sehen, den der Herr eingeschlossen hatte; ich entdeckte dies, als ich versuchte, ihm heimlich etwas Essen zuzustecken.

Am Abend wurde getanzt. Cathy bat, daß er nun freigelassen werde, da Isabella Linton keinen Partner hatte; ihr Flehen war vergebens, und ich mußte den Fehlenden ersetzen. Unsere Trübsal verflog im Eifer des Tanzens, und unser Vergnügen steigerte sich, als die fünfzehn Mann starke Musikkapelle aus Gimmerton eintraf: eine Trompete, eine Posaune, Klarinetten, Fagotte, Waldhörner, eine Baßgeige und außerdem noch Sänger. Sie machen die Runde in allen größeren Gehöften und erhalten zu Weihnachten Geldspenden, und uns war es ein Hochgenuß ersten Ranges, sie zu hören. Nachdem die üblichen Weihnachtslieder vorgetragen worden waren, baten wir sie um weltliche Lieder und Rundgesänge. Mrs. Earnshaw gefiel die Musik, darum gaben sie uns viel zum besten.

Catherine gefiel die Musik auch, aber sie sagte, es höre sich am schönsten an, wenn man oben auf der Treppe stünde, und ging im Dunkeln hinauf; ich folgte ihr. Unten wurde die Haustür geschlossen; niemandem fiel unsere Abwesenheit auf, es waren zu viele Leute da. Sie blieb oben auf der Treppe nicht stehen, sondern stieg weiter hinauf zur Dachkammer, in die Heathcliff eingesperrt war, und rief nach ihm. Eine Zeitlang verweigerte er hartnäckig jede Antwort; sie beharrte jedoch und überredete ihn schließlich, sich durch die Holzlatten mit ihr zu unterhalten. Ich ließ die armen Dinger ungestört miteinander plaudern, bis der Gesang seinem Ende zuging und die Sänger eine Erfrischung bekamen; da kletterte ich die Leiter hinauf, um Cathy zu warnen. Anstatt sie draußen anzutreffen, hörte ich ihre Stimme drinnen. Der kleine Schlingel war am Dach entlang aus der Luke der einen Bodenkammer in die der anderen hinübergeklettert, und nur mit größter Schwierigkeit konnte ich sie überreden, wieder herauszukommen. Als sie herunterkam, begleitete sie Heathcliff, und sie bestand darauf, daß ich ihn mit in die Küche nahm, da mein Küchengefährte zu einem Nachbarn gegangen war, um unserem ›höllischen Psalmensingen‹, wie er es zu nennen beliebte, zu entgehen. Ich sagte, ich hätte keine Lust, ihre Streiche zu unterstützen; aber weil der Häftling seit gestern mittag nichts gegessen habe, wollte ich diesmal ein Auge zudrücken, wenn Mr. Hindley hintergangen würde. Heathcliff ging hinunter, ich setzte ihm einen Stuhl ans Feuer und bot ihm allerlei gute Dinge an; aber er konnte wenig essen vor Schwäche, und meine Versuche, ihn zu unterhalten, schlugen fehl. Er stützte seine Ellenbogen auf die Knie, nahm das Kinn in die Hände und verharrte so in stumpfem Brüten. Als ich ihn fragte, woran er dächte, sagte er ernst: „Ich versuche mir auszudenken, wie ich es Hindley einmal heimzahlen kann. Es ist mir gleichgültig, wie lange ich warte, wenn ich es nur einmal tun kann. Ich hoffe, er stirbt nicht vorher.“

„Schäme dich, Heathcliff“, sagte ich, „es ist Gottes Sache, schlechte Menschen zu bestrafen; wir sollten lernen, zu verzeihen.“

„Nein, Gott wird nicht die Genugtuung haben, daß ich das lerne“, entgegnete er. „Ich möchte nur wissen, wie ich es am besten anfange. Laß mich allein, dann kann ich einen Plan machen; wenn ich daran denke, fühle ich keine Schmerzen.“ — „Aber, Mr. Lockwood, ich vergesse, daß diese Geschichten Sie nicht interessieren können. Wie ärgerlich, daß ich Ihnen so lange davon vorgeschwatzt habe. Und Ihre Hafersuppe ist kalt geworden, und Sie sind müde. Ich hätte das, was Sie von Heathcliffs Geschichte wissen müssen, in einem halben Dutzend Sätzen erzählen können.“

Während sich die Haushälterin in dieser Weise unterbrach, stand sie auf und legte ihr Nähzeug beiseite; aber ich war nicht imstande, mich vom Kamin zu rühren, und war durchaus nicht müde. „Bitte, bleiben Sie sitzen, Mrs. Dean“, rief ich, „bleiben Sie noch eine halbe Stunde sitzen! Sie haben ganz recht daran getan, die Geschichte ausführlich zu erzählen! Das habe ich gerade gern, und Sie müssen sie auf die gleiche Art zu Ende bringen. Ich bin mehr oder weniger an jeder Person interessiert, über die Sie sprachen.“

„Es ist schon elf Uhr, Mr. Lockwood!“

„Das schadet nichts; ich bin gar nicht gewöhnt, vor Mitternacht schlafen zu gehen. Ein Uhr oder zwei ist früh genug für einen, der bis zehn Uhr liegenbleibt.“

„Sie sollten nicht bis zehn liegenbleiben. Die schönste Zeit des Morgens ist dann vorbei. Ein Mensch, der bis zehn Uhr noch nicht die Hälfte seines Tagewerks getan hat, läuft Gefahr, daß die andere Hälfte ungetan bleibt.“

„Und trotzdem, Mrs. Dean, bitte, setzen Sie sich wieder; ich werde sowieso morgen bis zum Nachmittag liegenbleiben; ich prophezeie mir eine hartnäckige Erkältung.“

„Das will ich nicht hoffen, Mr. Lockwood. — Erlauben Sie mir, etwa drei Jahre zu überschlagen. Während dieser Zeit war Mrs. Earnshaw…“

„Nein, so etwas wird nicht erlaubt! Sie kennen gewiß den Zustand, in den wir geraten, wenn wir allein dasitzen und die Katze vor uns leckt auf dem Teppich ihre Jungen ab; wir sehen dann dem Vorgang so gespannt zu, daß es uns ernstlich verdrießen würde, wenn Mieze auch nur ein Öhrchen vernachlässigte.“

„Ist das nicht schrecklich langweilig?“

„Im Gegenteil, furchtbar spannend! Und genauso geht es mir jetzt, und darum fahren Sie nur mit allen Einzelheiten fort. Ich merke, daß die Menschen dieser Gegend gegenüber den Städtern an Wert gewinnen, genauso wie die Spinne im Kerker für den Gefangenen gegenüber der Spinne in einem Hause für seine Bewohner; und doch sind es nicht die äußeren Umstände des Zuschauers, die das tiefere Interesse bedingen. Sie leben wirklich hier mit mehr Ernst, innerlicher und ohne oberflächliche Abwechslung in leichtfertig äußerlichen Dingen. Hier kann ich eine Liebe fürs Leben fast für möglich halten, während ich früher nicht einmal an die Liebe für die Dauer eines Jahres geglaubt habe. Der eine Zustand ist mit dem eines hungrigen Mannes zu vergleichen, der vor ein einziges Gericht gesetzt wird, auf das er seinen ganzen Appetit richten und ihn stillen kann, der andere mit einem, der an einen von französischen Köchen bestellten Tisch geführt wird: er wird dem Ganzen vielleicht ebensoviel Genuß abgewinnen; aber jeder Gang wird nach seiner Auffassung und in seiner Erinnerung nur einen flüchtigen Eindruck machen.“

„Oh, wir sind genau dieselben Menschen wie anderswo auch, wenn Sie uns erst kennengelernt haben“, bemerkte Mrs. Dean, durch meine Worte etwas in Verlegenheit gebracht.

„Verzeihen Sie“, antwortete ich, „Sie, meine Liebe, sind der sprechende Beweis gegen diese Behauptung. Außer einigen belanglosen sprachlichen Eigentümlichkeiten finde ich bei Ihnen nichts von dem, was sonst als Eigenart Ihrer Klasse zu gelten pflegt. Ich bin überzeugt, Sie haben ein gut Teil mehr gedacht als die Menschen in Ihrer Stellung im allgemeinen. Sie haben Ihre Fähigkeit zu denken gepflegt, da Ihnen die Gelegenheit fehlte, Ihr Leben mit nichtigen Kleinigkeiten zu vertrödeln.“

Mrs. Dean lachte. „Ich halte mich allerdings für eine solide, vernünftige Person“, sagte sie, „wenn auch nicht gerade deshalb, weil ich in den Bergen gelebt und dieselben Gesichter und Ereignisse vom einen Jahresende zum anderen gesehen habe; ich habe eine strenge Zucht durchgemacht, und die hat mich Vernunft gelehrt; und dann habe ich mehr gelesen, als Sie glauben, Mr. Lockwood. Sie können kein Buch in dieser Bibliothek aufschlagen, in das ich nicht hineingeblickt und aus dem ich mir nicht auch etwas herausgeholt hätte, außer den griechischen, lateinischen und französischen, aber auch diese kann ich wenigstens auseinanderhalten; mehr kann man von der Tochter eines armen Mannes nicht erwarten. Wenn ich jedoch meine Geschichte im richtigen Ton weiterspinnen soll, so will ich lieber der Reihe nach weitererzählen. Anstatt drei Jahre auszulassen, werde ich nur auf den nächsten Sommer übergehen, den Sommer 1778, das ist fast dreiundzwanzig Jahre her.“

Emily Brontë: Sturmhöhe. Vollständige deutsche Ausgabe von

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