Читать книгу Emily Brontë: Sturmhöhe. Vollständige deutsche Ausgabe von "Wuthering Heights" - Эмили Бронте, Emily Bronte - Страница 5
Zweites Kapitel
ОглавлениеGestern Nachmittag setzten Nebel und Kälte ein. Ich hatte halb und halb Lust, in meinem Studierzimmer am Kamin zu bleiben, anstatt durch Heide und Lehmboden nach Wuthering Heights zu waten. Als ich jedoch vom Mittagessen aufstand (nebenbei bemerkt, ich esse zwischen zwölf und ein Uhr; die Haushälterin, eine ältere Frau, die ich laut Vereinbarung zugleich mit dem Hause übernommen hatte, konnte oder wollte meine Bitte, um fünf Uhr zu speisen, nicht begreifen), als ich also mit diesem bequemen Vorsatz die Treppe hinaufging und das Zimmer betrat, kniete dort, inmitten von Bürsten und Kohleneimern, eine Dienstmagd am Boden, die mit Haufen von Asche die Flammen erstickte und dabei einen höllischen Staub aufwirbelte. Dieser Anblick ließ mich augenblicklich entweichen; ich nahm meinen Hut und langte nach einem Marsch von vier Meilen bei Heathcliffs Gartenpforte an, gerade zur rechten Zeit, den ersten wirbelnden Flocken eines Schneegestöbers zu entrinnen.
Auf dieser kahlen Höhe war die Erde hart gefroren, und die kalte Luft ließ mich am ganzen Körper erschauern. Da ich die Kette nicht lösen konnte, sprang ich über den Zaun, lief den von Stachelbeersträuchern gesäumten gepflasterten Damm entlang und klopfte, vergeblich Einlass begehrend, an das Tor, bis meine Knöchel schmerzten und die Hunde heulten.
›Elende Bande!‹ knirschte ich innerlich, ›ihr verdientet, für eure flegelhafte Ungastlichkeit ewig von euresgleichen gemieden zu werden! Zum mindesten würde ich meine Tür während des Tages nicht verriegeln. Mir ganz gleich — ich will hinein!‹ Mit diesem Entschluss fasste ich die Klinke und rüttelte heftig daran. Es dauerte noch eine Weile, bis das essigsaure Gesicht Josephs in einem runden Fenster der Scheune erschien.
„Was wollen Sie?“ schrie er mich an. „Der Herr is drunten aufm Feld. Gehn Sie doch hinten rum, wenn Sie ’n sprechen wollen.“
„Ist denn niemand im Haus, der die Tür öffnen kann?“ schrie ich zurück.
„Nee, nur die Frau, und die macht nich auf, und wenn Sie bis heut nacht weitertoben.“
„Warum nicht? Können Sie ihr nicht sagen, wer ich bin, he, Joseph?“
„Nee, ich nich! Ich will nix mit zu tun ham“, murmelte er, und der Kopf verschwand.
Der Schnee begann dichter zu fallen. Ich ergriff die Klinke, um noch einen Versuch zu machen, als ein junger Mann ohne Rock mit geschulterter Heugabel hinten im Hof erschien. Er rief mir zu, ihm zu folgen, und nachdem wir durch ein Waschhaus und einen gepflasterten Hof, an einem Kohlenschuppen, einer Pumpe und einem Taubenschlag vorbeigegangen waren, landeten wir endlich in dem großen, warmen, schönen Zimmer, in dem ich zuerst empfangen worden war. Es erstrahlte wohltuend im Schein eines gewaltigen Feuers, das von Kohle, Torf und Holz genährt wurde. Am Tisch, der für eine reichliche Abendmahlzeit gedeckt war, bemerkte ich zu meiner Freude die ›Frau‹, ein Wesen, von dessen Vorhandensein ich bis dahin nichts geahnt hatte. Ich verbeugte mich und wartete, in der Meinung, sie würde mir einen Platz anbieten. Sie blickte mich an, lehnte sich im Stuhl zurück und verharrte bewegungslos und stumm.
„Unfreundliches Wetter!“ bemerkte ich: „Ich fürchte, Mrs. Heathcliff, die Tür wird infolge der lässigen Aufmerksamkeit Ihrer Diener etwas abbekommen haben. Es war ein verteufeltes Stück Arbeit, bis sie mich gehört haben!“
Sie öffnete den Mund nicht. Ich starrte sie und sie starrte mich an. Jedenfalls ließ sie ihre Augen auf eine kühle, unbekümmerte Art auf mir ruhen, die äußerst verwirrend und unangenehm war.
„Setzen Sie sich!“ sagte der junge Mann mürrisch. „Er wird bald hier sein.“
Ich gehorchte, räusperte mich und lockte die böse Juno, die bei diesem zweiten Zusammentreffen geruhte, die äußerste Spitze ihres Schwanzes zu bewegen, als Zeichen, daß sie sich meiner Bekanntschaft erinnerte.
„Ein prachtvolles Tier!“ begann ich von neuem. „Werden Sie die Jungen abgeben, gnädige Frau?“
„Sie gehören nicht mir“, sagte die liebenswürdige Wirtin noch abweisender, als selbst Heathcliff hätte antworten können. „O, dann sind wohl das dort Ihre Lieblinge?“ fuhr ich fort und wies auf ein dunkles Kissen, auf dem anscheinend Katzen lagen.
„Eine sonderbare Auswahl von Lieblingen!“ bemerkte sie verächtlich.
Unglücklicherweise war es ein Haufen toter Kaninchen. Ich räusperte mich noch einmal, rückte näher an den Kamin und wiederholte meine Bemerkung über den stürmischen Abend. „Sie hätten nicht ausgehen sollen“, sagte sie, stand auf und langte nach zwei von den bemalten Blechdosen auf dem Kaminsims.
Vorher war sie dem Licht abgewendet gewesen; jetzt erhielt ich einen klaren Eindruck von ihrer Gestalt und ihrem Gesicht. Sie war schlank und anscheinend kaum dem Kindesalter entwachsen, hatte die wundervollste Figur und das reizendste kleine Gesicht, das ich jemals gesehen habe; feine Züge, sehr schön; flachsblonde, nein, eigentlich goldene Locken, die lose über ihren zarten Nacken fielen; Augen, die unwiderstehlich gewesen wären, wenn sie einen angenehmen Ausdruck gehabt hätten. Zum Glück für mein empfängliches Herz schwankte das einzige Gefühl, das sie ausdrückten, zwischen Verachtung und einer Art Verzweiflung, und diese dort anzutreffen, mutete ganz besonders unnatürlich an.
Die Blechdosen waren für sie kaum zu erreichen; ich machte eine Bewegung, um ihr zu helfen, aber sie fuhr herum wie ein Geizhals, dem jemand beim Geldzählen helfen wollte.
„Ich brauche Ihre Hilfe nicht“, fuhr sie mich an, „ich kann sie allein herunterholen.“
„Verzeihen Sie!“ beeilte ich mich zu entgegnen.
„Sind Sie zum Tee eingeladen?“ fragte sie, während sie sich eine Schürze über ihr elegantes schwarzes Kleid band und einen Löffel voll Teeblätter über den Topf hielt.
„Ich würde gern eine Tasse trinken“, erwiderte ich. „Sind Sie eingeladen?“ wiederholte sie.
„Nein“, sagte ich lächelnd. „Vielleicht haben Sie die Güte, es zu tun.“
Sie schleuderte den Tee, den Löffel und alles übrige zurück, nahm ärgerlich ihren Platz wieder ein, runzelte die Stirn und schob ihre rote Unterlippe vor, wie ein Kind, das weinen will. Unterdessen hatte der junge Mann einen äußerst schäbigen Rock angezogen, stellte sich aufrecht vor das Feuer und blickte aus den Augenwinkeln auf mich herab, als ob eine tödliche Fehde unausgetragen zwischen uns bestünde. Ich schwankte, ob er ein Knecht war oder nicht, sowohl seine Kleidung wie seine Sprache waren primitiv, und es fehlte ihnen gänzlich die Überlegenheit Mr. und Mrs. Heathcliffs. Seine dichten braunen Locken waren widerspenstig und ungepflegt, ein Vollbart bedeckte seine Wangen wie ein Pelz, und seine Hände waren sonnengebräunt wie die eines einfachen Landarbeiters. Und doch war sein Auftreten sicher, fast stolz, und die Art, wie er die Frau des Hauses behandelte, bekundete keine dienerhafte Unterwürfigkeit. In Unkenntnis seiner Stellung hielt ich es für das Beste, sein merkwürdiges Verhalten nicht zu beachten, und fünf Minuten später befreite mich Heathcliffs Eintritt in gewissem Grade aus diesem unbehaglichen Zustand.
„Wie Sie sehen, Mr. Heathcliff, bin ich, meinem Versprechen gemäß, gekommen“, rief ich mit gespielter Munterkeit aus, „und ich fürchte, ich werde für eine halbe Stunde durch das Wetter festgehalten werden, wenn Sie mir während dieser Zeit Obdach gewähren können.“
„Eine halbe Stunde?“ meinte er und schüttelte die weißen Flocken von seinen Kleidern. „Ich möchte wissen, warum Sie sich einen Schneesturm zum Umherstreifen aussuchen. Wissen Sie, daß Sie Gefahr laufen, sich im Moore zu verirren? Selbst Leute, die mit unseren Sümpfen vertraut sind, kommen an solchen Abenden oft vom Wege ab, und ich sage Ihnen, daß im Augenblick keine Aussicht auf eine Änderung besteht.“
„Vielleicht darf ich einen Ihrer Burschen als Führer haben, und er kann bis morgen früh in meinem Gehöft bleiben. Können Sie jemanden entbehren?“
„Nein, das kann ich nicht.“
„Ach, wirklich? Nun, dann muß ich mich eben auf meinen eigenen Scharfsinn verlassen.“
„Hm!“
„Wirst du jetzt den Tee aufgießen?“ fragte der im schäbigen Rock und ließ seine wilden Blicke von mir zu der jungen Dame wandern.
„Soll er welchen haben?“ fragte sie, sich an Heathcliff wendend.
„Mach los!“ war die in einem so wütenden Tone vorgebrachte Antwort, daß ich auffuhr. Der Ton, in dem die Worte gesprochen wurden, offenbarte unverhüllte Bosheit, und ich fühlte mich nicht mehr geneigt, Heathcliff einen famosen Burschen zu nennen.
Als der Tee fertig war, lud er mich mit den Worten ein: „Na, dann rücken Sie Ihren Stuhl heran!“ Wir alle, auch der bäuerliche junge Mann, vereinigten uns um den Tisch, und während wir uns mit der Mahlzeit beschäftigten, herrschte ein unfreundliches Schweigen.
Ich hielt mich zu einem Versuch verpflichtet, die Wolke, deren Ursache ich gewesen war, zu verscheuchen. Sie konnten doch nicht alle Tage so düster und schweigsam dasitzen; es war unmöglich, wie schlecht gelaunt sie auch sein mochten, daß der gemeinsame finstere Ausdruck ihr alltägliches Gesicht war! „Es ist seltsam“, begann ich in der Pause zwischen zwei Tassen Tee, „Es ist seltsam, wie stark Gewohnheit unsere Neigungen und Vorstellungen formt. Manch einer könnte sich kein Glück denken in einem Leben völliger Abgeschiedenheit von der Welt, wie Sie es führen, Mr. Heathcliff. Und doch wage ich zu behaupten, daß, umgeben von Ihrer Familie und mit Ihrer liebenswürdigen Hausfrau, die in Ihrem Heim und Herzen regiert…“
„Meine liebenswürdige Hausfrau?“ unterbrach er mich mit einem geradezu teuflischen Hohnlachen im Gesicht. „Wo ist sie, meine liebenswürdige Hausfrau?“
„Ich meine Mrs. Heathcliff, Ihre Frau.“
„Ach so! Also Sie wollten andeuten, daß ihr Geist die Obliegenheiten eines Schutzengels übernommen hat und die Schätze von Wuthering Heights bewacht, obwohl ihr Leib dahin ist. War es so?“
Ich merkte, daß ich einen Fehler begangen hatte, und versuchte, ihn wiedergutzumachen. Ich hätte sehen müssen, daß der Altersunterschied zwischen den beiden zu groß war, als daß man sie für Mann und Frau hätte halten können. Er war etwa vierzig, ein Alter geistiger Kraft, in dem Männer sich selten der Täuschung hingeben, daß ein Mädchen sie aus Liebe heiraten könnte; dieser Traum ist uns als Trost für unseren Lebensabend vorbehalten. Sie sah aus wie höchstens siebzehn. Da blitzte es in mir auf: Der Tölpel an meiner Seite, der seinen Tee aus einem Napf trinkt und sein Brot mit ungewaschenen Händen isst, ist vielleicht ihr Mann. Natürlich, Heathcliff junior. Das ist die Folge des Lebendigbegrabenseins: sie hat sich an diesen Bauernlümmel weggeworfen aus lauter Unkenntnis, daß es noch bessere Männer gibt! Wie schade! — Ich muß vorsichtig sein und ihr keine Ursache geben, ihre Wahl zu bereuen. — Diese letzte Überlegung mag eingebildet klingen, sie war es nicht. Mein Nachbar erfüllte mich fast mit Abscheu; aus Erfahrung wusste ich, daß ich leidlich anziehend wirkte. „Mrs. Heathcliff ist meine Schwiegertochter“, sagte Heathcliff, meine Vermutung bestätigend. Während er sprach, warf er einen eigentümlichen Blick in ihre Richtung, einen hasserfüllten Blick, es wäre denn, daß er über höchst eigenwillige Gesichtsmuskeln verfügte, die nicht, wie die anderer Leute, die Sprache der Seele erkennen lassen.
„O natürlich — ich verstehe: Sie sind der glückliche Gefährte der guten Fee“, bemerkte ich, mich an meinen Nachbar wendend.
Das war schlimmer als alles Vorhergehende! Der junge Mann wurde puterrot und ballte die Fäuste mit allen Anzeichen eines beabsichtigten Angriffs. Aber schließlich schien er sich zu fassen und unterdrückte den Sturm mit einem auf mich gemünzten Fluch, den ich zu überhören suchte.
„Sie haben Pech mit Ihren Vermutungen“, bemerkte mein Wirt; „keiner von uns hat den Vorzug, der Gefährte Ihrer guten Fee zu sein; ihr Mann ist tot. Ich sagte, daß sie meine Schwiegertochter sei, daher muß sie meinen Sohn geheiratet haben.“
„Und dieser junge Mann ist…“
„Ganz gewiß nicht mein Sohn!“ Heathcliff lächelte wieder, als ob es ein allzu kühner Scherz sei, ihm die Vaterschaft an diesem Bären zuzuschreiben.
„Mein Name ist Hareton Earnshaw“, knurrte der andere, „und ich rate Ihnen, Achtung davor zu haben!“
„Ich habe es nicht daran fehlen lassen“, entgegnete ich, innerlich über die Würde lachend, mit der er sich vorstellte.
Er starrte mich an, länger, als ich den Blick aushalten konnte, aus Furcht vor der Versuchung, ihm entweder eine Ohrfeige zu versetzen oder meine Heiterkeit zu verraten. Ich fühlte mich in diesem angenehmen Familienkreise durchaus fehl am Platze. Die düstere seelische Atmosphäre überwog die warme äußere Behaglichkeit um mich her, und ich beschloss, mich auf keinen Fall ein drittes Mal unter dieses Dach zu begeben. Die Mahlzeit war beendet, und da niemand zu geselliger Unterhaltung Neigung zeigte, ging ich ans Fenster, um nach dem Wetter zu sehen. Es war ein trostloser Anblick: die Nacht war vorzeitig hereingebrochen, der Himmel und die Berge schwammen in dem heftigen Wirbel des Windes und des alles begrabenden Schnees.
„Jetzt glaube ich selbst, daß ich ohne Führer nicht nach Hause zurückfände“, entfuhr es mir unwillkürlich, „die Straßen werden bereits verschneit sein, und selbst wenn sie es nicht wären, könnte ich sie kaum einen Schritt weit erkennen.“
„Hareton, treibe die zwölf Schafe in die Scheune! Sie werden einschneien, wenn sie die ganze Nacht in der Hürde bleiben. Lege auch eine Planke vor!“ sagte Heathcliff.
„Was soll ich nur tun?“ fragte ich mit aufsteigendem Ärger. Es kam keine Antwort auf meine Frage. Als ich mich umblickte, sah ich nur Joseph, der einen Eimer mit Grütze für die Hunde hereinbrachte, und Mrs. Heathcliff, die sich über das Feuer beugte und sich die Zeit damit vertrieb, ein Bündel Schwefelhölzer zu verbrennen, das vom Kaminsims heruntergefallen war, als sie die Teedosen an ihren Platz zurückgestellt hatte.
Als er seine Last abgesetzt hatte, unterzog Joseph das Zimmer einer kritischen Prüfung und stieß in krächzendem Tone hervor: „Möcht wissen, was das für ’ne Mode is, müßig dazustehen und zu gucken, wie alle auslöschen! Aber Sie sind zu nix nutze, und ’s hat kein Zweck, drüber zu reden. Sie wem Ihre schlechten Gewohnheiten nie lassen. Gehn Sie zum Teufel wie Ihre Mutter!“
Ich glaubte einen Augenblick lang, daß diese Rede an mich gerichtet sei, und ging, zur Genüge erbost, auf den alten Kerl zu mit der Absicht, ihn zur Tür hinauszuwerfen. Mrs. Heathcliff jedoch hinderte mich daran durch ihre Antwort.
„Du schändlicher alter Heuchler!“ schrie sie. „Hast du nicht jedesmal Angst, daß dich der Teufel bei lebendigem Leibe holt, wenn du seinen Namen aussprichst? Ich warne dich davor, mich zu reizen, sonst werde ich als ganz besondere Gunst darum bitten, daß er dich holt. Halt! Sieh her, Joseph“, fuhr sie fort und nahm ein großes, dunkles Buch von einem Brett, „ich werde dir zeigen, wie weit ich in der Schwarzen Kunst fortgeschritten bin: ich bin bald so weit, daß ich das Haus säubern kann. Die rote Kuh ist nicht durch Zufall eingegangen, und dein Rheumatismus kann auch nicht gerade zu den glücklichen Heimsuchungen gerechnet werden!“
„Du schlechtes, schlechtes…!“ keuchte der Alte. „Der Herr erlöse uns von dem Übel!“
„Nein, Verworfener! Du bist ein Auswurf! Scher dich weg, oder ich tu dir etwas Schlimmes an! Ich werde euch alle in Wachs und Ton modellieren lassen, und der erste, der die Grenze überschreitet, die ich setze, wird… ich werde nicht sagen, was mit ihm geschehen wird, aber du wirst schon sehen! Geh, ich habe ein Auge auf dich!“
Die kleine Hexe legte einen Ausdruck gespielter Bosheit in ihre schönen Augen, und Joseph, in ehrlichem Entsetzen zitternd, eilte hinaus und betete dabei und stieß das Wort ›schlecht‹ hervor. Ich glaubte, ihr Benehmen sei nur der Ausdruck einer derben Spottlust, und als wir wieder allein waren, bemühte ich mich, sie für meinen Kummer zu interessieren. „Mrs. Heathcliff“, sagte ich ernst, „Sie müssen entschuldigen, daß ich Sie belästige. Ich wage es, weil ich sicher bin, daß Sie, mit solchem Gesicht, gar nicht anders als gütig sein können. Geben Sie mir einen Wink, wie ich den Weg nach Hause finden kann. Ich weiß ebenso wenig, wie ich heimkommen soll, wie Sie den Weg nach London fänden!“
„Gehen Sie denselben Weg, den Sie gekommen sind!“ erwiderte sie und machte es sich in einem Stuhl bequem, eine Kerze und ein großes, aufgeschlagenes Buch vor sich. „Es ist ein kurzer Rat, aber der vernünftigste, den ich Ihnen geben kann.“
„Wenn Sie morgen hören, daß man mich im Sumpf oder in einer Grube voll Schnee tot aufgefunden hat, wird dann Ihr Gewissen Ihnen nicht zuraunen, daß Sie einen Teil Schuld daran tragen?“
„Wieso? Ich kann Sie nicht begleiten. Die würden mich nicht einmal bis zur Gartenmauer gehen lassen.“
„Sie? Wie könnte ich es wagen, Sie zu bitten, meinetwegen in einer solchen Nacht den Fuß über die Schwelle zu setzen!“ rief ich. „Ich bitte, daß Sie mir den Weg beschreiben, nicht zeigen, oder daß Sie Mr. Heathcliff veranlassen, mir einen Führer zu stellen.“
„Wen? Hier wohnen er selbst, Earnshaw, Zillah, Joseph und ich. Wen wollen Sie haben?“
„Gibt es keine Burschen auf dem Gut?“
„Nein, das sind alle.“
„Das bedeutet also, daß ich gezwungen bin hierzubleiben.“
„Das müssen Sie mit Ihrem Wirt abmachen. Ich habe nichts damit zu tun.“
„Ich hoffe, es wird Ihnen eine Lehre sein, keine übereilten Ausflüge mehr auf diese Höhe zu machen“, rief Heathcliffs scharfe Stimme vom Kücheneingang her. „Was Ihr Hierbleiben betrifft — ich bin nicht auf das Unterbringen von Gästen eingerichtet. Sie müssen das Bett mit Hareton teilen oder mit Joseph, wenn Sie das wollen.“
„Ich kann auf einem Stuhl in diesem Zimmer schlafen“, entgegnete ich.
„Nein, nein! Ein Fremder ist ein Fremder, sei er reich oder arm; es passt mir nicht, daß irgendjemand sich hier aufhält, solange ich ihn nicht bewachen kann“, sagte dieser unverschämte Kerl.
Bei dieser Beleidigung war meine Geduld zu Ende. Ich stieß einen Laut der Wut hervor, drängte mich an ihm vorbei zum Hof und rannte in meiner Hast gegen Earnshaw. Es war so dunkel, daß ich den Ausgang nicht erkennen konnte, und als ich rundherum ging, erhielt ich eine neue Probe der höflichen Formen, mit denen sie untereinander verkehrten. Zuerst erschien der junge Mann, um mir behilflich zu sein.
„Ich werde mit ihm bis ans Ende des Parkes gehen“, sagte er.
„Du wirst den Teufel tun!“ rief sein Herr oder was er sonst für ihn sein mochte. „Wer soll nach den Pferden sehen, he?“
„Ein Menschenleben ist wichtiger, als einmal die Pferde nicht zu versorgen; jemand muß doch gehen“, sagte Mrs. Heathcliff freundlicher, als ich erwartete.
„Nicht, wenn du es befiehlst“, versetzte Hareton. „Wenn dir an ihm liegt, hieltest du besser den Mund.“
„Dann hoffe ich, daß sein Geist dich verfolgt und daß Mr. Heathcliff nie wieder einen Pächter findet, bis das Gehöft zerfallen ist!“ erwiderte sie scharf.
„Hört, hört! Sie flucht ihnen!“ murmelte Joseph, auf den ich zugesteuert war.
Er saß so, daß er uns hören konnte, und molk die Kühe beim Licht einer Laterne, die ich ohne Umstände ergriff. Ich rief ihm zu, daß ich sie am nächsten Morgen zurückschicken würde, und stürzte der nächsten Hintertür zu.
„Herr, Herr, er stiehlt die Laterne!“ schrie der Alte und verfolgte mich auf meiner Flucht. „He, Gnasher, he, Hunde, he, Wolf, faß, faß!“
Als ich die kleine Tür öffnete, sprangen mir zwei zottige Ungeheuer an die Kehle, warfen mich zu Boden und löschten das Licht aus, während ein schallendes Gelächter von Heathcliff und Hareton meiner Wut und meiner Demütigung die Krone aufsetzte. Glücklicherweise schienen die Bestien mehr dazu geneigt zu sein, ihre Pfoten zu spreizen, zu gähnen und mit den Schweifen zu wedeln, als mich bei lebendigem Leibe zu zerreißen. Aber daß ich mich aufrichtete, duldeten sie nicht, und ich mußte still liegen bleiben, bis es ihren boshaften Herren beliebte, mich zu befreien. Ohne Hut, zitternd vor Wut, verlangte ich dann von den Übeltätern, mich hinauszulassen; wenn sie mich noch eine Minute länger zurückhielten, würden sie es zu bereuen haben. Dieses bekräftigte ich mit unzusammenhängenden Drohungen von Wiedervergeltung, die in ihrer abgrundtiefen Bosheit an König Lear gemahnten.
Vor Aufregung bekam ich starkes Nasenbluten, und immer noch lachte Heathcliff, und ich schimpfte. Ich weiß nicht, wie dieser Auftritt geendet hätte, wäre nicht eine Person zur Hand gewesen, die vernünftiger als ich und wohlmeinender als meine Gastgeber war. Es war Zillah, die dicke Haushälterin, die erschien, um sich nach dem Grund des Aufruhrs zu erkundigen. Sie glaubte, jemand hätte Hand an mich gelegt, und da sie nicht wagte, ihren Herrn anzugreifen, richtete sie ihr Wortgeschütz gegen den jüngeren Flegel.
„Na, Mr. Earnshaw“, schrie sie, „ich bin gespannt, was Sie nächstens noch anstellen werden! Sollen hier auf diesem Hofe Leute ermordet werden? Nein, in diese Wirtschaft passe ich nicht! Sehen Sie doch den armen Menschen an, der ist ja fast erwürgt worden! Kommen Sie, ich will Ihnen helfen. Nun halten Sie mal still!“
Mit diesen Worten goß sie mir plötzlich eiskaltes Wasser in den Nacken und zog mich in die Küche. Mr. Heathcliff folgte, und seine jäh ausgebrochene Heiterkeit machte ebenso schnell seinem gewöhnlichen mürrischen Wesen Platz.
Ich fühlte mich sehr schwach, schwindlig und einer Ohnmacht nahe, und es blieb mir nichts anderes übrig, als Beherbergung unter seinem Dach anzunehmen. Er wies Zillah an, mir ein Glas Branntwein zu geben, und ging in das innere Zimmer zurück. Während sie mir ihre Teilnahme an meiner bedauernswerten Lage ausdrückte, kam sie seiner Anweisung nach, und als ich mich durch den Branntwein etwas belebt fühlte, geleitete sie mich zu Bett.