Читать книгу Emily Brontë: Sturmhöhe. Vollständige deutsche Ausgabe von "Wuthering Heights" - Эмили Бронте, Emily Bronte - Страница 11
Achtes Kapitel
ОглавлениеAn einem schönen Junimorgen wurde mein erster rosiger kleiner Pflegling und der Letzte vom Stamme der Earnshaws geboren. Wir waren in einem abgelegenen Feld mit Heuen beschäftigt, als das Mädchen, das uns gewöhnlich unser Frühstück brachte, eine Stunde zu früh quer über die Wiese und den Weg entlang gelaufen kam und dabei nach mir rief.
„Oh, so ein großes Kind!“ keuchte sie. „Der schönste Junge, der je gelebt hat. Aber der Doktor sagt, die gnädige Frau muß sterben; er sagt, sie hat schon seit Monaten die Schwindsucht. Ich habe gehört, wie er es Mr. Hindley sagte; jetzt hat sie nichts, was sie hier noch hält; sie wird sterben, bevor es Winter wird. Du sollst sofort heimkommen. Du sollst es pflegen, Nelly, es mit Zucker und Milch füttern und es Tag und Nacht warten. Ich wünschte, ich wäre du, weil es ganz dir gehört, wenn keine Frau mehr da ist.“
„Ist sie sehr krank?“ fragte ich, warf meinen Rechen hin und setzte meine Haube auf.
„Ich glaube, ja, obwohl sie frisch aussieht“, erwiderte das Mädchen, „und sie redet so, als ob sie es noch erleben werde, daß aus dem Kinde ein Mann wird. Sie ist außer sich vor Freude; es ist ein so reizendes Kind! Wenn ich sie wäre, würde ich bestimmt nicht sterben; bei seinem bloßen Anblick ginge es mir besser, Doktor Kenneth zum Trotz. Ich war schön wütend auf ihn. Frau Archer brachte das Engelchen hinunter ins ›Haus‹ zum Herrn, und sein Gesicht fing gerade an zu strahlen, da geht der alte Unglücksrabe auf ihn zu und sagt: ›Earnshaw, es ist ein Segen, daß Ihre Frau am Leben blieb, um Ihnen diesen Sohn zu hinterlassen. Als sie herkam, war ich überzeugt, wir behielten sie nicht lange, und nun muß ich Ihnen sagen, daß es im Winter wohl mit ihr zu Ende gehen wird. Nehmen Sie es sich nicht zu Herzen, und kränken Sie sich nicht zu sehr darüber — es ist nicht zu ändern. Und außerdem hätten Sie etwas Besseres tun können, als sich ein so schwächliches Mädchen auszusuchen.‹“
„Und was hat der Herr geantwortet?“ fragte ich.
„Ich glaube, er hat geflucht, aber ich habe mich nicht um ihn gekümmert, ich wollte gern das Kind sehen“, und sie begann wieder, es voller Entzücken zu beschreiben. Ebenso eifrig wie sie eilte ich heimwärts, voll Verlangen, das Kindchen zu bewundern, obwohl mir Hindley sehr leid tat. In seinem Herzen war nur Platz für zwei Götzen: für sich und seine Frau; er schwärmte für beide und betete den einen an; ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie er ihren Verlust ertragen sollte.
Als wir nach Wuthering Heights kamen, stand er an der Eingangstür, und beim Hineingehen fragte ich: „Wie geht’s dem Baby?“
„Das kann schon fast laufen, Nell!“ erwiderte er und verzog sein Gesicht zu einem vergnügten Lächeln.
„Und die gnädige Frau?“ wagte ich zu fragen; „der Arzt sagt, sie…“
„Ach, der verdammte Doktor!“ unterbrach er mich und wurde rot. „Frances geht es ganz gut; nächste Woche um diese Zeit wird sie wieder ganz gesund sein. Gehst du hinauf? Dann sage ihr, daß ich komme, wenn sie verspricht, nicht zu reden. Ich bin hinausgegangen, weil sie ihren Mund nicht halten wollte, und sie muß — sag ihr, Mr. Kenneth sagt, sie müsse ruhig sein!“
Ich richtete Mrs. Earnshaw diese Botschaft aus. Sie schien zum Scherzen aufgelegt zu sein und erwiderte vergnügt: „Ich habe kaum ein Wort gesprochen, Ellen, da ist er zweimal weinend hinausgegangen. Gut, sage ihm, ich gelobte, nicht zu sprechen; aber das wird mich nicht hindern, ihn auszulachen!“ Arme Seele! Bis eine Woche vor ihrem Tode hat ihr heiteres Gemüt sie nicht im Stich gelassen, und ihr Mann bestand eigensinnig, ja wütend auf der Meinung, ihr Befinden bessere sich von Tag zu Tag. Als Kenneth ihm sagte, seine Arzneien nützten in diesem Stadium nichts mehr, und es sei doch nicht nötig, sich durch die ärztliche Behandlung Unkosten zu verursachen, erwiderte er scharf:
„Ich weiß, es ist nicht nötig. Sie ist gesund, sie braucht Ihre Behandlung nicht länger. Sie hat nie Schwindsucht gehabt. Es war ein Fieber, und jetzt ist es vorüber; ihr Puls schlägt jetzt so langsam wie meiner, und ihre Wangen sind so kühl wie meine.“
Er erzählte seiner Frau das gleiche Märchen, und sie schien ihm zu glauben. Aber eines Abends, als sie sich an seine Schulter lehnte und gerade sagte, sie glaube, morgen aufstehen zu können, bekam sie einen Hustenanfall — einen ganz leichten. Er richtete sie in seinen Armen auf, sie legte ihre Arme um seinen Hals, ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, und sie war tot.
Wie das Mädchen damals vorausgesagt hatte, wurde der kleine Hareton vollständig meiner Pflege übergeben. Solange Mr. Earnshaw ihn gesund sah und nicht schreien hörte, war er in dieser Beziehung zufrieden. Im übrigen aber war er verzweifelt, obwohl sein Kummer sich nicht in Klagen äußerte. Er weinte und betete nicht; er fluchte und verhärtete sich in Trotz, verwünschte Gott und alle Welt und gab sich tollen Ausschweifungen hin. Seine Leute konnten das tyrannische und böse Benehmen nicht lange ertragen; Joseph und ich waren die einzigen, die bei ihm aushielten. Ich brachte es nicht übers Herz, meinen Schützling zu verlassen, außerdem, wissen Sie, war ich Mr. Earnshaws Milchschwester gewesen und war deshalb eher geneigt, sein Benehmen zu entschuldigen, als Fremde. Joseph blieb, um die Pächter und Arbeiter zu tyrannisieren und weil er sich berufen fühlte, dort zu sein, wo er viel Schlechtigkeit rügen konnte.
Der schlechte Lebenswandel und der schlechte Umgang des Herrn waren ein schlimmes Beispiel für Catherine und Heathcliff. Die Behandlung, die er diesem zuteil werden ließ, hätte genügt, aus einem Heiligen einen Teufel zu machen. Und manchmal schien es damals, als wäre der Bursche von einem Teufel besessen. Mit einem unheiligen Frohlocken wurde er Zeuge davon, wie Hindley sich rettungslos entwürdigte und wie er von Tag zu Tag grausamer und wüster wurde. Ich kann Ihnen nicht annähernd beschreiben, was für ein höllisches Leben wir führten. Der Vikar hörte auf, uns zu besuchen, und schließlich kam kein anständiger Mensch mehr in unsere Nähe, nur Edgar Lintons Besuche bei Miß Cathy bildeten eine Ausnahme. Mit fünfzehn Jahren war sie die Königin der Umgegend; sie hatte nicht ihresgleichen, und das machte sie zu einem hochmütigen und eigenwilligen Geschöpf. Ich mochte sie nicht, als sie den Kinderschuhen entwachsen war, und ärgerte sie häufig dadurch, daß ich versuchte, ihren Dünkel zu brechen; trotzdem hat sie mir niemals ihre Zuneigung entzogen. Sie zeigte eine wunderbare Beständigkeit in ihren alten Freundschaften; selbst ihre Liebe zu Heathcliff blieb unverändert, und der junge Linton fand es, bei all seiner Überlegenheit, schwer, ebenso tiefen Eindruck auf sie zu machen. Er war mein verstorbener Herr, das ist sein Bildnis dort über dem Kamin. Früher hing es auf einer Seite und das seiner Frau auf der anderen, aber ihres ist entfernt worden, sonst könnten Sie sich ein Bild davon machen, wie sie war. Können Sie es so erkennen?
— Mrs. Dean hob die Kerze hoch, und ich erkannte ein Gesicht mit sanften Zügen, der jungen Dame in Wuthering Heights außerordentlich ähnlich, aber nachdenklicher und liebenswürdiger im Ausdruck. Es war ein schönes Bild. Die langen blonden Haare waren an den Schläfen leicht gelockt, die Augen groß und ernst blickend, die Gestalt fast zu zierlich. Ich wunderte mich nicht, daß Catherine Earnshaw ihren ersten Freund über einer solchen Erscheinung vergessen konnte. Ich staunte sehr darüber, daß er, wenn sein Charakter mit seinem Äußeren übereinstimmte, die Frau lieben konnte, die meiner Vorstellung von Catherine Earnshaw entsprach.
„Ein sehr reizvolles Bildnis“, bemerkte ich zu der Haushälterin, „ist es ähnlich?“
„Ja“, antwortete sie, „aber er sah besser aus, wenn er angeregt war; dieses war sein Alltagsgesicht; im allgemeinen fehlte es ihm an Feuer.“ — Catherine hatte den Verkehr mit den Lintons nach ihrem fünfwöchigen Aufenthalt bei ihnen weiter fortgesetzt. Da in Thrushcross Grange die Versuchung fehlte, ihre rauhe Seite hervorzukehren, und da sie zu klug war, dort ungezogen zu sein, wo sie stets gleichbleibende Höflichkeit erfuhr, täuschte sie die alten Herrschaften unwissentlich durch ihre offene Herzlichkeit. Sie errang sich Isabellas Bewunderung und Herz und Seele des Bruders, Eroberungen, die ihr anfänglich schmeichelten — denn sie war voller Ehrgeiz — und die sie dahin brachten, ein doppeltes Wesen anzunehmen, ohne daß sie bewußt jemanden betrügen wollte. Dort, wo sie Heathcliff als ›gewöhnlichen jungen Raufbold‹ und ›schlimmer als ein Rohling‹ hatte bezeichnen hören, gab sie sich Mühe, sich besser zu betragen, aber zu Hause spürte sie wenig Neigung, Höflichkeit — über die doch nur gelacht worden wäre — zu üben oder sich zu beherrschen, denn das hätte ihr weder Ehre noch Anerkennung eingetragen.
Mr. Edgar brachte selten den Mut auf, Wuthering Heights in aller Offenheit zu besuchen. Er fürchtete Earnshaw und seinen Ruf, schrak vor einer Begegnung mit ihm zurück, obwohl wir alle uns bemühten, ihn immer so höflich wie möglich zu empfangen, und der Herr es sorgfältig vermied, ihn zu verletzen. Wenn er es nicht fertigbrachte, ihm freundlich gegenüberzutreten, dann ging er ihm wenigstens aus dem Wege. Ich glaube nicht, daß Catherine sich über diese Besuche freute. Sie war frei von Verstellung und Koketterie, und es war ihr offensichtlich peinlich, daß ihre beiden Freunde sich überhaupt begegneten; denn wenn Heathcliff in Lintons Gegenwart aus seiner Verachtung für den Nebenbuhler kein Hehl machte, dann konnte sie ihm natürlich nicht so beistimmen, wie sie es in seiner Abwesenheit getan hätte, und wenn Linton seinen Widerwillen und Abscheu vor Heathcliff Luft machte, dann wagte sie nicht, so zu tun, als sei ihr diese Behandlung ihres Spielgefährten gleichgültig. Ich habe oft im stillen gelacht über ihre Verwirrung und ihre geheimen Sorgen, die sie vergeblich vor mir zu verbergen trachtete. Vielleicht klingt das boshaft, aber sie war so stolz, daß man ihre Nöte unmöglich bemitleiden konnte, bevor sie nicht ein wenig demütiger geworden war. Schließlich brachte sie es über sich, zu beichten und sich mir anzuvertrauen; ich war ja die einzige Seele, bei der sie sich Rat holen konnte.
Mr. Hindley war eines Nachmittags von zu Hause fortgegangen, und Heathcliff wagte es daraufhin, sich einen Feiertag zu machen. Ich glaube, er war damals sechzehn Jahre alt, und obwohl er nicht häßlich war und es ihm nicht an Verstand fehlte, machte er einen innerlich und äußerlich abstoßenden Eindruck, von dem jetzt gar keine Spuren mehr geblieben sind. Vor allen Dingen war von seiner anfänglichen Erziehung nichts mehr zu merken. Harte körperliche Arbeit von früh bis spät hatte alle seine Wißbegierde und alle Vorliebe für Bücher und für Lernen ausgelöscht. Das Gefühl der Überlegenheit, das die Güte des alten Mr. Earnshaw ihm als Kind eingeflößt hatte, war dahin. Er kämpfte lange, um sich mit Catherine in ihren Studien auf gleicher Höhe zu halten, und gab es mit heftigem, wenn auch stummem Bedauern auf, doch gab er es endgültig auf. Nichts konnte ihn bewegen, einen Schritt weiter auf dem Wege zu tun, der aufwärts führte, als er erkannt hatte, daß er notgedrungen unter seinem früheren Niveau bleiben mußte. Seine äußere Erscheinung paßte sich bald der geistigen Verwahrlosung an. Sein Gang wurde schwerfällig, sein Blick unstet; seine natürliche Veranlagung zur Zurückhaltung steigerte sich zu einer übertriebenen menschenfeindlichen Verdrossenheit, und er schien eine Art von grimmigem Vergnügen darin zu suchen, die Achtung seiner wenigen Bekannten in Abneigung zu verwandeln.
Catherine und er kamen immer noch in seiner freien Zeit zwischen der Arbeit zusammen; aber er hatte aufgehört, seine Liebe zu ihr in Worten auszudrücken, und wich voll ärgerlichen Mißtrauens vor ihren kindlichen Zärtlichkeiten zurück, so, als wäre er sich dessen bewußt, daß es kein Vergnügen sein konnte, Zeichen der Zuneigung an ihn zu verschwenden. An jenem Tage, von dem ich sprach, kam er ins ›Haus‹ und erklärte, er wolle faulenzen, während ich Miß Cathy half, ihr Kleid in Ordnung zu bringen. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß er müßig da umhersitzen werde, sondern geglaubt, sie werde das ganze Haus für sich haben; so hatte sie es durch irgendwelche Mittel zuwege gebracht, Mr. Edgar von ihres Bruders Abwesenheit zu unterrichten, und bereitete sich nun darauf vor, ihn zu empfangen.
„Cathy, hast du heute nachmittag etwas vor?“ fragte Heathcliff. „Gehst du aus?“
„Nein, es regnet“, antwortete sie.
„Warum hast du dann das seidene Kleid an?“ sagte er. „Es kommt doch hoffentlich niemand her?“
„Nicht daß ich wüßte“, stotterte das Fräulein, „aber du solltest jetzt auf dem Felde sein, Heathcliff, es ist eine Stunde nach Mittag; ich dachte, du wärst draußen.“
„Wir haben ja selten das Glück, den verwünschten Hindley los zu sein“, bemerkte der Junge. „Ich werde heute nicht mehr arbeiten; ich werde bei dir bleiben.“
„Und wenn Joseph es verrät?“ meinte sie; „du solltest lieber gehen.“
„Joseph muß am anderen Ende von Pennistow Crag Kalk einladen; er hat bis zum Dunkelwerden zu tun und wird es gar nicht merken.“
Mit diesen Worten schlenderte er zum Kamin und setzte sich hin. Catherine dachte einen Augenblick mit gerunzelter Stirn nach. Sie hielt es für gut, dem Besuch den Weg zu ebnen. „Isabella und Edgar Linton sprachen davon, heute nachmittag herzukommen“, sagte sie nach einem minutenlangen Schweigen. „Da es regnet, erwarte ich sie kaum; aber sie könnten doch kommen, und wenn sie es tun, dann läufst du Gefahr, ganz unnütz gescholten zu werden.“
„Laß Ellen ihnen ausrichten, du wärst nicht zu sprechen, Cathy“, beharrte er; „wirf mich nicht hinaus wegen deiner erbärmlichen, albernen Freunde! Ich bin manchmal drauf und dran, mich zu beklagen, daß sie…, aber ich will nicht!“
„Daß sie was?“ rief Catherine mit ängstlichem Gesicht. „Oh, Nelly“, fügte sie verdrießlich hinzu und entwand ihren Kopf meinen Händen, „du hast mir alle Locken ausgekämmt. Es ist genug, laß mich in Ruh! Worüber bist du drauf und dran, dich zu beklagen, Heathcliff?“
„Nichts — nur, sieh dir mal den Kalender an der Wand an“; er deutete auf einen eingerahmten Bogen, der in der Nähe des Fensters hing, und führ fort: „Die Kreuze bezeichnen die Abende, die du mit den Lintons verbracht hast, und die Punkte die, an denen du mit mir zusammen warst. Kannst du sehen? Ich habe jeden Tag eingezeichnet.“
„Ja, sehr albern; als ob ich darauf achtete!“ erwiderte Catherine verdrossen. „Und was soll das alles?“
„Dir zeigen, daß ich darauf achte“, sagte Heathcliff.
„Soll ich denn immer bei dir sitzen?“ fragte sie, ärgerlich werdend. „Was hätte ich davon? Worüber sprichst du? Du könntest geradesogut stumm oder ein kleines Kind sein, nach dem, womit du mich unterhältst oder was du sonst tust.“
„Du hast mir bisher noch nie gesagt, daß ich zuwenig spreche oder daß du meine Gesellschaft nicht magst, Cathy“, stieß Heathcliff in großer Erregung hervor.
„Das ist überhaupt keine Gesellschaft, wenn einer nichts weiß und nichts sagt“, murmelte sie.
Heathcliff stand auf, doch hatte er keine Zeit, seinen Gefühlen weiter Ausdruck zu geben; der Hufschlag eines Pferdes war auf dem Pflaster zu hören, es wurde leise angeklopft, und dann trat der junge Linton ein, strahlend vor Freude über die unerwartete Aufforderung, die er erhalten hatte. Ohne Zweifel bemerkte Catherine den Unterschied zwischen ihren Freunden, als der eine eintrat und der andere hinausging. Es war ein Gegensatz, wie wenn man ein ödes, hügeliges Kohlenrevier mit einem wundervoll fruchtbaren Tal vertauscht. Und das galt für Edgars Stimme und Begrüßung in gleicher Weise wie für seine Erscheinung. Er hatte eine angenehme leise Art zu reden und sprach die Worte so aus, wie Sie es tun, das heißt, weniger hart, als man hier spricht, und leiser.
„Ich bin hoffentlich nicht zu früh gekommen“, sagte er mit einem Blick auf mich. Ich hatte angefangen, das Geschirr abzuwischen und ein paar Schubfächer am anderen Ende der Anrichte aufzuräumen.
„Nein“, antwortete Catherine. „Was tust du da, Nelly?“
„Meine Arbeit, Miß“, erwiderte ich. (Mr. Hindley hatte mir befohlen, immer zugegen zu sein, wenn Linton seine heimlichen Besuche abstattete.)
Sie trat hinter mich und flüsterte verstimmt: „Scher dich weg mit deinen Staubtüchern; wenn Besuch im Haus ist, haben Dienstboten nicht im Zimmer, in dem er sich aufhält, zu wischen und reinzumachen!“
„Es ist eine gute Gelegenheit, jetzt, solange der Herr fort ist“, antwortete ich laut. „Er kann es nicht leiden, wenn ich in seiner Gegenwart mit diesen Dingen herumhantiere. Ich bin sicher, Mr. Edgar wird es entschuldigen.“
„Ich kann es nicht leiden, wenn du in meiner Gegenwart herumhantierst“, rief die junge Dame gebieterisch und ließ ihrem Gast nicht Zeit, zu sprechen. Sie hatte seit dem kleinen Streit mit Heathcliff ihren Gleichmut noch nicht wiedergewonnen. „Das tut mir leid, Miß Catherine“, war meine Erwiderung, während ich unverdrossen in meiner Beschäftigung fortfuhr. Sie dachte, Edgar könne sie nicht sehen, riß mir das Tuch aus der Hand und kniff mich voller Bosheit mit einer Drehung der Hand in den Arm. Ich sagte schon, daß ich sie nicht mochte und daß ich manchmal Gefallen daran fand, sie in ihrer Eitelkeit ein wenig zu demütigen; überdies hatte sie mir weh getan, darum erhob ich mich von den Knien und kreischte laut auf: „Oh, Miß, das ist ein böser Streich! Sie haben kein Recht, mich zu kneifen; das lasse ich mir nicht gefallen!“
„Ich hab dich gar nicht angefaßt, du, du verlogenes Geschöpf!“ schrie sie, und ihre Finger zuckten, um den Griff zu wiederholen, und ihre Ohren waren rot vor Zorn. Sie war nie imstande, ihre Leidenschaft zu verbergen, die ihr immer das Blut ins Gesicht trieb.
„Und was ist dieses dann?“ erwiderte ich scharf und zeigte, um sie zu widerlegen, auf einen unverkennbaren roten Fleck. Sie stampfte mit dem Fuß auf, schwankte einen Augenblick, und dann, unwiderstehlich getrieben von dem bösen Geist in ihr, versetzte sie mir einen schmerzenden Schlag auf die Wange, der mir das Wasser in die Augen trieb. — „Catherine, Liebling! Catherine!“ legte sich Linton ins Mittel, ganz entsetzt über das doppelte Vergehen der Lüge und der Heftigkeit, das sein Abgott begangen hatte.
„Mach, daß du hinauskommst, Ellen!“ wiederholte sie, am ganzen Körper zitternd.
Als der kleine Hareton, der mir überallhin folgte und neben mir auf dem Fußboden saß, meine Tränen sah, fing er auch an zu weinen und klagte schluchzend ›die böse Tante Cathy‹ an. Das lenkte ihre Wut auf sein unglückliches Haupt. Sie packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn, bis der arme Junge leichenblaß wurde und Edgar unwillkürlich ihre Hände ergriff, um ihn zu befreien. Im Augenblick hatte sie ihm eine Hand entwunden, und der erstaunte junge Mann fühlte sie auf seiner eigenen Wange so heftig, daß er es nicht als Scherz gelten lassen konnte. Er wich bestürzt zurück. Ich nahm Hareton in meine Arme und ging mit ihm in die Küche, doch ließ ich die Verbindungstür offen, denn ich war neugierig, wie das enden würde. Der beleidigte Gast wandte sich blaß und mit zitternden Lippen der Stelle zu, wo er seinen Hut hinterlegt hatte. ›So ist es recht‹, sagte ich bei mir. ›Laß dich warnen und mach, daß du fortkommst! Es ist ein Glück, daß du sie kennenlernst, wie sie wirklich ist.‹
„Wo gehst du hin?“ fragte Catherine und schritt zur Tür. Er machte eine Bewegung zur Seite und versuchte vorbeizugehen.
„Du darfst nicht gehen!“ rief sie energisch.
„Ich muß und ich will gehen!“ entgegnete er mit gedämpfter Stimme.
„Nein“, beharrte sie und ergriff die Türklinke, „noch nicht, Edgar Linton! Setz dich hin; du wirst mich nicht in dieser Stimmung allein lassen. Ich wäre die ganze Nacht unglücklich, und ich will um deinetwillen nicht unglücklich sein!“
„Kann ich bleiben, nachdem du mich geschlagen hast?“ fragte Linton.
Catherine blieb stumm.
„Du hast mich erschreckt, und ich schäme mich für dich“, fuhr er fort. „Ich werde nicht wieder herkommen!“
Ihre Augen fingen an zu glitzern, und ihre Lider zuckten.
„Und du hast vorsätzlich die Unwahrheit gesagt!“ meinte er.
„Das habe ich nicht getan!“ schrie sie, ihre Sprache zurückgewinnend; „ich habe nichts vorsätzlich getan. Gut, geh, wenn du willst — geh weg! Aber dann werde ich weinen, krank weinen werde ich mich!“
Sie ließ sich an einem Stuhl auf die Knie niedergleiten und fing ganz im Ernst an zu weinen. Edgar beharrte in seinem Entschluß — bis zum Hof, dort zögerte er. Ich beschloß, ihn zu ermutigen.
„Das Fräulein ist schrecklich launisch, Herr“, rief ich hinaus.
„Sie ist wie ein verwöhntes Kind; reiten Sie lieber nach Hause, sonst wird sie krank, nur um uns zu ärgern.“
Der weichherzige Junge blickte mißtrauisch durch das Fenster. Er konnte ebensowenig weggehen, wie die Katze eine Maus halb tot oder einen Vogel halb aufgefressen liegenläßt. ›Na‹, dachte ich, ›dem ist nicht mehr zu helfen; er entgeht seinem Schicksal nicht.‹ Und so war es: er drehte sich plötzlich um, eilte wieder ins Haus und schloß die Tür hinter sich. Als ich nach einer Weile hereinkam, um ihnen zu sagen, daß Earnshaw, sinnlos betrunken, nach Hause gekommen wäre, bereit, alles kurz und klein zu schlagen (seine übliche Stimmung in dieser Verfassung), sah ich, daß der Streit nur die Vertraulichkeit vergrößert, die Schranken jugendlicher Schüchternheit durchbrochen und sie dahin geführt hatte, den Deckmantel der Freundschaft fallen zu lassen und sich als Liebende zu bekennen.
Die Nachricht von Mr. Hindleys Ankunft trieb Linton schleunigst aufs Pferd und Catherine in ihr Zimmer. Ich ging, um den kleinen Hareton zu verstecken und die Kugel aus der Flinte des Herrn zu entfernen; denn er spielte in seiner Unzurechnungsfähigkeit und Erregung oft damit und brachte dadurch jeden, der ihn reizte, ja der nur seine Aufmerksamkeit zu sehr auf sich lenkte, in Lebensgefahr. Ich war darauf verfallen, sie herauszunehmen, damit er kein Unheil anrichtete, falls er einmal dahin kommen sollte, die Flinte abzufeuern.