Читать книгу Vor dem großen Knall - Emma Vall - Страница 10
Ein dunkler Schatten
ОглавлениеNach diesem Zwischenfall hielt es Svala nicht mehr aus in der Schule. Ziellos lief sie hin und her, bis sie sich plötzlich im Margaretapark wiederfand. Ausnahmsweise war es bei den Zirkuswagen völlig leer und im Zelt herrschte Ruhe. Im Wagen mit der Ticketkasse sah Svala nur Lea, die Katjas Regieassistentin war. Sie hatte gehofft, Katja selbst zu treffen oder vielleicht Petter, aber ansonsten wollte sie in Frieden gelassen werden.
Im Zirkuszelt war es kalt und ungemütlich. Überall stapelte sich das Baumaterial für die Kulissen. Svala kletterte auf die Tribüne, setzte sich dicht unter das Zeltdach und ließ sich von der bleichen Frühlingssonne wärmen, die außen auf die Zeltplane schien. Ein leeres Zirkuszelt war beinahe gruselig. Und voller Melancholie. Als ob die Manege sich nach dem Gelächter, dem Spiel und dem Gesang sehnte.
Aber irgendwie passte das alles gut zu Svalas Gemütsverfassung. Am liebsten hätte sie sich in Aisas Armen verkrochen und ihren Kopf an Aisas Hals geschmiegt, wo die Haut ganz weich war, und wäre noch einmal eingetaucht in die Geborgenheit der Kindertage.
Wenn sie aber diesem Impuls nachgab, würde das Aisa in ihrer Annahme bestätigen, alles sei noch genauso wie vor ihrer Abreise nach Island und Svala wäre immer noch ein Kind. Das wäre ein schlimmer Rückschritt. Svala wollte erwachsen sein, wollte, dass man ihr zuhörte und vertraute. Sie wollte jemand sein, der Nein sagen kann. Jemand, der sich nicht mehr fiesen Lehrern beugen muss.
In der Ferne rauschte der Verkehrslärm. Doch Svala lauschte dem Wind, der in den Bäumen spielte. Sie wurde ruhiger. Um sie herum war es friedlich.
Plötzlich hörte sie direkt vor dem Zelt einen dumpfen Aufprall. Svala versuchte, durch die Zeltplane Umrisse zu erkennen, konnte aber nichts sehen. Von bösen Ahnungen gepackt sauste sie die Tribüne herunter. Einen kurzen Augenblick überlegte sie, ob sie sich anschleichen sollte, aber sie wollte lieber Krach machen und die Gefahr vertreiben.
Schnell schlüpfte sie durch die Zeltöffnung und lief um das Zelt herum, während sie aufpasste, nicht über die aufgespannten Seile zu stolpern. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie jemand schnell zwischen den Bäumen in Richtung Schule verschwand. Der dunkle Schatten war unmöglich zu identifizieren. Svala verlangsamte ihr Schritttempo und versuchte, durch die dünne Bepflanzung zu spähen.
Als sie kehrtmachte, fiel ihr Blick auf eine Plastiktüte im Gras. Sie enthielt Spraydosen. Jemand hatte versucht, mit schwarzer Farbe etwas auf die Zeltplane zu sprayen.
Svala nahm die Tüte und klopfte an Katjas Wagen. Niemand öffnete. Zögernd ging sie zum Kassenwagen. Als Svala den Wagen betrat, guckte Lea, die Regieassistentin, hoch.
»Jemand wollte hier wieder sprayen.« Svala zeigte ihr die Dosen.
»Oh! Wo hast du sie gefunden?«
»Hinter dem Zelt. Ich hätte den Sprayer fast erwischt.«
»Tja, ich fürchte, die Sache muss warten, bis Katja wieder da ist. Ich rede mit ihr. Das kommt schon wieder in Ordnung. Jetzt, wo wir die Hip-Hopper dabeihaben, kommen bestimmt noch mehr Leute aus Dalen, und dann heißt es endlich nicht mehr wir gegen die. Vielleicht können wir die Sprayer sogar mit in unsere Bühnenbaugruppe aufnehmen?«
Svala ärgerte sich, dass Lea die Sache so herunterspielte. Warum glaubte nur jeder, dass sich alles von allein lösen würde? Nach Hause konnte sie nicht, weil Aisa sie geradewegs zurück in die Schule schicken würde. Wenn ihr keiner zuhören wollte, musste sie den Dingen eben selbst auf den Grund gehen. Kurz entschlossen machte sie sich auf den Weg nach Dalen. Dort waren die meisten Wände mit Graffiti bemalt. Vielleicht entdeckte sie ein Tag vom selben Sprayer.
Der Marktplatz im Zentrum von Dalen war beinahe menschenleer. Vor der Post unterhielten sich ein paar Rentner. Svala kam sich dämlich vor. Was nützte es ihr, wenn sie das Tag fand, das auf die Wagen gesprayt war? Wenn sie sich nicht erkundigte, würde sie trotzdem nicht wissen, wer dahintersteckte.
Als sie im letzten Frühjahr zur Nerzfarm auf der Insel Tynningö herausgefahren war, hatte sie Oskar, einen von Péturs besten Freunden, gebeten, sie zu begleiten. Vielleicht war diesmal Ervin an der Reihe? Auch Ervin war sehr gut mit Pétur befreundet, aber es kam ihr nicht so selbstverständlich vor, ihn aufzusuchen. Sie hatte früher fast nie mit ihm geredet, weil er meistens nur schweigend dasaß, und seit sie nicht mehr mit ihrem Bruder zusammenwohnte, hatte sie Ervin gar nicht mehr gesehen. Aber er wohnte in Dalen und war bestimmt gut informiert. Anders als Pétur war er nicht vom Gymnasium abgegangen. Doch plötzlich kam Svala ein Gedanke, der sie einen Rückzieher machen ließ. War es wirklich so klar, dass der Graffitisprayer aus Dalen kam? War es nicht einfach nur peinlich, Ervin mit dieser Unterstellung zu kommen?
Svala drehte sich um und spazierte langsam zurück. An der U-Bahn-Station begegnete sie Hasim. Sie wusste nicht, in welche Richtung sie gucken sollte. Wenn er etwas Gemeines sagte, würde sie anfangen zu heulen. Heute war so ein Tag. Aber er lächelte und grüßte sie mit einem Nicken, bevor er schnell weiterging.