Читать книгу Mandura - Die Anfänge I - Enn Bolda - Страница 3
Im Winter
ОглавлениеIn meinen Träumen suchen hünenhafte Kerle die Dörfer im Norden des Wildewaldes heim, brennen die Hütten nieder und erschlagen jene Bewohner, die dem Feuer entkommen. Die Barbaren tragen Hosen und Hemden aus Leder, darüber Kettenhemden. Ihre Pferde sind kolossal, mächtig, viel größer noch als die Pferde der Männer Ogarchas. Sie reiten die Menschen, die zu fliehen versuchen, einfach nieder, grölen, brüllen und schreien.
Sie tragen Helme, so dass ich ihre Gesichter nicht erkennen kann, hetzen mich durch den Wald. Doch so schnell ich auch laufe, ich kann ihnen nicht entrinnen. Die Kerle holen mich jedes Mal ein.
Das war zu Anfang des Winters und dem ersten Alptraum sollten noch viele weitere folgen. Seltsam, Mara erinnerte sich nicht, wie der Traum endete. Meist erwachte sie schreiend, mit wild klopfendem Herzen, schweißnass und zitternd. Doch sie durfte nicht schreien, egal, wie furchtbar, wie entsetzlich es war, wie weh es auch tat, sie durfte ni…
Tat es dennoch, schrie und schrie und konnte nicht aufhören, selbst wenn ihre Freundin Anella sie beruhigend im Arm hielt und zu trösten versuchte, die anderen Frauen sich erschrocken und neugierig in der Tür ihrer Schlafkammer drängten.
Der Winter auf Ogarcha war trübe, grau und nass, war erstickende Enge, muffig-modriger Geruch. Kein Raum, keine Möglichkeit, einmal einen Moment für sich zu sein. Mara sehnte sich nach dem Frühling, der Licht und Luft versprach, auch wenn dann … auch wenn es nichts gab, worauf sie sich freuen konnte. Anella würde Luca heiraten, und … Sie wollte den Gedanken nicht zu Ende verfolgen. Der Frühling, gar der Sommer waren noch so fern.
An einem besonders düsteren Tag – es dämmerte bereits, regnete ohne Unterlass – ertappte sie sich dabei, wie sie abwesend auf die Ruine des Nordturms starrte. Rasch blickte sie sich um, niemand beobachtete sie, und eilte über den von Pfützen und altem Laub übersäten Hof zum Eingang des verfallenen Gemäuers. Einst, vor vielen, vielen Jahren, Jahrzehnten, war Ogarcha tatsächlich eine Burg gewesen. Nicht nur eine Ansammlung heruntergekommener Gebäude um den wuchtigen Wohnturm herum, eingefasst von Holzpalisaden und, im Norden, der bröckelnden Tormauer. Lange, bevor eine Gruppe befreundeter, nah verwandter Händlerfamilien beschlossen hatte, hier ein neues Leben zu beginnen. Ihr Vater hatte ihr nie erklärt, warum diese Leute Ténégre und die Küste verlassen hatten.
Um sie herum nur Schutt und zerbrochene Möbel. Vorsichtig, denn das hölzerne Geländer schien morsch und brüchig, stieg sie die ausgetretenen Steinstufen zur Plattform hinauf. Schaute über den Wildewald. Graubraune, winterlich kahle Baumkronen bedeckten die Hügel, so weit sie blicken konnte, dicht an dicht die Stämme, endlos Gehölz in jede Richtung, schier undurchdringlich, da überreich an Unterholz. Bis hin zur Tameran-Kette weit im Norden, deren ferne Gipfel sie nicht einmal erahnen konnte.
Sie fröstelte, als eine Böe ihr den Regen in den Nacken trieb. Direkt vor ihr, unter ihr, lag der große, freie Platz zwischen Burg und Dorf. Ein kleines Dorf, vielleicht drei Dutzend Hütten und Häuschen, daran angelehnt windschiefe Schuppen, Werkstätten, niedrige Ställe, untereinander verbunden durch schlammige, von Buschwerk und Kraut überwucherte Wege, die zu den nahebei liegenden kleinen Feldern führten, auf denen die Dörfler Gemüse anbauten. Mara sah fünf Schweine auf einer feuchten Wiese linker Hand, eine Gruppe Kinder, die kreischend hinter einigen Hunden her jagten, eine gebeugte Gestalt, offenbar eine alte Frau, auf dem Weg am Waldsaum. Rechts von ihr verlor sich eine Schneise im Dunst zwischen den Stämmen, die Ahnung eines breiteren Pfades. Auf dem die Reiter herankommen würden.
Mara presste die Lippen zusammen, es war nur ein dummer Traum, ein Alptraum. Doch sie machte sich selbst etwas vor, sie wusste ganz genau, dass es passieren würde. Die fremden Reiter würden kommen, dessen war sie sich sicher.
Und auch wenn die ihr nicht glauben würden, sie musste zumindest Renzo oder Carlo, einem der Männer vom Rat – so nannten sie sich selbst –, von ihren Befürchtungen erzählen.
* * *
Vor ihnen erhoben sich die schneebedeckten Gipfel der Tameran-Kette. Üblicherweise übernahm Bro die Führung des Zuges, doch der hatte sich zurückfallen lassen und ritt nun schon eine Weile neben ihm. „Hast du dich gelangweilt? Oder traust du mir nicht zu, diese Sache allein durchzuziehen?“
Verhalten schüttelte Reik den Kopf. „Das sicher nicht. Ich halte es allerdings für eine gute Gelegenheit, mir einige deiner Männer genauer anzusehen.“
„Ah …“ Die Miene seines Onkels hellte sich, anders als der wolkenverhangene Himmel, auf. „Nachschub für die Garde.“
„Womöglich.“ Er nickte. „Zudem wollte ich dieses Unternehmen nicht allein dem Tempel überlassen.“
„Kein bloßer Unsinn für dich, nicht nur ein Haufen Hirngespinste?“
Sinnend schaute Reik über den ansteigenden Pfad, die Lider zum Schutz vor dem Schneeregen zusammengekniffen. „Ich nehme die Hohe Frau ernst. Und ihr ist die Sache offenbar wichtig.“
„Jup.“
„Nach was genau suchen wir überhaupt?“
„Ein Weib, bewandert in der Kunst der Magie und der Hexerei.“ Bros Lachen klang wie ein Bellen. „Soll sich mit einem Rudel Wölfe auf ’nem Turm vergnügen.“
Reik verzog das Gesicht. „Dafür brauchst du bald eine halbe Einheit?“
„Eh, Junge, die Wälder im Süden sind Grenzland, es ist nicht ganz ungefährlich dort.“
„Verstehe. Darum auch keine Uniformen.“
Bro grinste grimmig. „Wie gesagt, is’ Grenzland. Fühlst du dich ohne den blauen Fetzen etwa schutzlos und nackt?“
Reik lachte und trieb seinen Hengst an.