Читать книгу Mandura - Die Anfänge I - Enn Bolda - Страница 5

Ankunft

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Die Frauen von Ogarcha, einer Burg im südlichen Wildewald, weilten gemeinsam am Waldrand, scherzten und lachten und pflückten Waldmeisterblätter, bevor die Sonne zu hoch stieg. Die Luft war mild, weich, unzählige kleine Blumen steckten vorwitzig ihre Blütenköpfe aus dem schon kräftigen Grün, es roch wunderbar.

Der Waldmeister war für eine besondere Überraschung am Abend gedacht. Die zerkleinerten jungen Blätter, mit kräftigem Wein angesetzt, würden ein schmackhaftes, erfrischendes und zugleich berauschendes Getränk ergeben.

Die Bewohner der umliegenden Dörfer und Weiler waren eingeladen, mit ihnen auf dem großen Platz vor dem Burgtor den Beginn des Frühlings zu feiern.

Auf der Burg bereiteten derweil die Köchinnen und Mägde die Speisen für das Fest vor.

Die Männer Ogarchas waren nördlich auf der Jagd nach Wachteln und Fasanen. Eine gute Gelegenheit, der muffigen Enge der Burg nach dem langen, trüben Winter zu entfliehen.

Mara wünschte, sie könnte es ihnen gleich tun oder besser noch bei einer richtigen Jagd dabei sein. Wenn die Hunde das Wild im dichten Unterholz aufstöbern und die ganze Meute und Männer und Pferde durch den Wald und über die Hügel hinter einem Rudel Rotwild her hetzen, es langsam einholen und umkreisen, sich auf die Tiere stürzen und ihnen mit langen Messern die Kehle durchschneiden, so dass das warme Blut über ihre Hände fließt und ihre Kleidung besudelt. Und die Leiber der Pferde dampfen in der kühlen Luft des Morgens, das ohrenbetäubende Jaulen und Bellen der Hunde übertönt alles andere, und die Männer lachen und klopfen sich gegenseitig auf den Rücken und umarmen sich, um sich zu ihrem großartigen Fang zu beglückwünschen.


Sie verstand nicht, warum die Frauen lachten, wenn sie von den Fremden redeten. Nordländer. Angeblich waren diese riesengroß und überfielen die Dörfer und Burgen weiter im Norden, so hatte ihr eine Alte aus dem Dorf erzählt. Wie die barbarischen Kerle in ihren Alpträumen.

Mara hatte Anella ein einziges Mal von den Träumen erzählt, aber die hatte sie nur ängstlich angesehen und abwehrend den Kopf geschüttelt. Und Renzo hatte ihr lediglich skeptisch zugehört, damals, zu Beginn des Winters.

Manchmal belauschte sie die Männer, wenn diese zu zweit oder in kleinen Gruppen über die Nordländer redeten. Sie klangen besorgt. Abends in der großen Halle waren sie mutiger, großspurig und zuversichtlich, doch dann konnten ihnen ja auch die Frauen zuhören. Die Männer sprachen nie mit den Frauen über ihre Sorgen, zumindest hörte sie davon nichts. Aber Mara hatte auch keinen Mann, obgleich Anella ihr ständig versicherte, der käme schon noch.

Anella war ihre Freundin und immer nett. Selbst die anderen Frauen waren nicht unfreundlich, sie sprachen nur kaum mit ihr und hielten Abstand. Vielleicht glaubten sie, Mara hätte einen schlechten Einfluss oder ihr Ruf könnte auf sie abfärben, so dass auch sie von den Männern ignoriert werden würden. Dabei ignorierten die Männer sie ja bereits, wenn auch anders, als die Frauen es befürchteten. Das störte die Frauen aber seltsamerweise nicht.

Wenn sie mit Anella darüber sprach, sagte die immer, Mara solle mit diesem Gerede aufhören, sie sei ja verrückt.


Die Packtaschen ihrer kleinen Pferde, die Pferde der Männer waren wesentlich größer, aber auch schwerer zu reiten, waren bis zum Rand gefüllt mit aromatisch duftenden Waldmeisterblättern, so dass sie nach Ogarcha zurückkehren konnten.

Vor der Burg herrschte reges Treiben. Stände und Buden wurden aufgebaut, Bänke und Tische, Kinder liefen zwischen den arbeitenden Erwachsenen herum und spielten ihre Spiele. Aus den umliegenden Dörfern war noch niemand eingetroffen, doch die Leute würden bald kommen; ein Fest war eine willkommene Abwechslung.

Die Männer waren noch nicht zurück.

Anella war beunruhigt, sie machte sich, wie so oft, Sorgen um ihren zukünftigen Ehemann. Mara zog sie hinter den Frauen her, die sich bereits für das Fest umzogen. Was Anella auf andere Gedanken brachte, sie liebte es, sich ständig andere Kleider anzuziehen und bewundern zu lassen.

Mara fand ihre Freundin wunderschön, klein und üppig, mit langen, dunklen Haaren. Ihr eigenes Haar hingegen sah aus, als ob Vögel darin genistet hätten, es kringelte sich in alle Richtungen und ließ sich selbst von Anellas geduldigem Können nur kurzzeitig in eine ordentliche Frisur verwandeln. Zudem war es rot.

Anella lachte oft über Maras Haar und meinte, es wäre sehr lebhaft und nicht so ernst wie der Rest von ihr. Aber sie war ja auch ihre Freundin, zudem kam Anellas frauliche Figur neben ihr noch viel besser zur Geltung; Mara war fast ebenso groß wie ein Mann. Und knabenhaft schlank, wie Anella es liebenswürdig umschrieb. Die Bemerkungen der anderen Frauen waren weniger nett.


Von draußen drangen lautes Rufen und Schreien herauf. Offensichtlich waren die Männer endlich von der Jagd zurück. Doch als Mara aus der Fensteröffnung sah, entsprach das Durcheinander im Hof so gar nicht dem Bild der fröhlichen Begrüßung einer erfolgreich heimgekehrten Jagdgesellschaft.

Menschen liefen aufgeregt im Innenhof herum oder kamen schreiend vom Vorplatz durch das große Tor gerannt, wobei sie die Kinder hinter sich her zerrten. Gleichzeitig mühten sich die Wachen, das Tor zu schließen, welches nach dem langen, nassen Winter aber verzogen war und klemmte. Die heimkehrenden Männer wirkten verängstigt, gänzlich verwirrt, schrien den Wachen Befehle zu, sich doch mit dem Tor zu beeilen.

Etwas war ganz und gar nicht in Ordnung, und mit einem Mal verspürte Mara Angst, lähmende, eiskalte Angst, dachte an ihre Träume und die fremden Reiter … Nordländer.


* * *


Es war falsch, völlig falsch, so unnötig. Zu spät für erklärende Worte, Janis war tot.

Fluchend trieb Reik den Hengst an, folgte Bro und den Männern, die ihrerseits ihre Angreifer verfolgten. Er raste zwischen den dicht belaubten Bäumen beiderseits des engen Pfades entlang, die sanft geneigte Flanke des Hügels hinunter. Durch Zweige und Blattwerk erhaschte er einen flüchtigen Blick auf eine Handvoll windschiefer Dächer, womöglich ein weiteres, namenloses kleines Dorf. Dicht am Waldsaum.

Vor ihm in der Senke eine Ansammlung größerer Gebäude, ein schlanker Turm, umzäunt. Gestalten bewegten sich hektisch im halb offenen Tor in der doppelt mannshohen Mauer, auf dieser, Menschen rannten schreiend in die vermeintliche Sicherheit.

Er drückte den Helm auf den Kopf, zog blank.

Kaum Leute auf der weiten Wiese, vor der Mauer. Gedränge im Torbereich, der Hengst setzte mit einem weiten Satz über einen am Boden liegenden brüllenden Mann hinweg, landete auf einem teilweise gepflasterten, großen Hof. Die Lage unübersichtlich, Reik wusste nicht, was ihn erwartete. Doch er liebte die Erregung, den Kampf.

Ein überaus ungleicher Kampf; sie waren diesen Kerlen – um wie viele handelte es sich überhaupt, höchstens zwei Dutzend, kaum mehr – weit überlegen. Das waren keine Soldaten, keine Krieger, ungeübt, schlecht bewaffnet. Ihre Gegner ergaben sich, kaum dass der Händel ernsthaft begonnen hatte. Und anders als jene Kerle im Wald, die sie grundlos angegriffen hatten, bestand die Mehrzahl der Verteidiger aus älteren Männern.

Reik senkte sein Schwert, behielt jedoch die zwei, die ihre Waffen als letzte niedergelegt hatten, im Auge. Beide mittelgroß, recht kräftig gebaut, einer war am Oberschenkel verletzt und musste vom anderen gestützt werden.

Jetzt erst hatte er einen längeren Blick für seine Umgebung, die baufälligen Gebäude um das kastige Haupthaus herum, die bröckelnde Mauer, das schief in den Angeln hängende morsche Tor. Der schlanke Turm wurde offenbar schon lange nicht mehr benutzt, dabei war er das einzig Auffällige, Herausragende an diesem Ort. Zeichen von Verfall und Niedergang überall, Dreck und Unrat, Unkraut wucherte auf dem schlammigen, mit Pfützen übersäten Hof.

Ihm schwante nichts Gutes, als er, nach einer knappen, unwilligen Begrüßung und umständlichen Erklärungen – und natürlich sprach niemand Manduranisch, er musste übersetzen –, Bro und einer Handvoll seiner Männer zum Eingang des Hauptgebäudes folgte. Hier würden sie nicht fündig werden.


* * *


Auf einmal verstummten der Lärm und das Getöse des Kampfes. Nur das Wehklagen eines verletzten Wächters am Tor und das empörte Gezeter einer Schar Elstern auf dem Nordturm hallten noch durch die Stille.

Mara konnte Anella leise schluchzen hören; ihr Verlobter Luca war am Bein von einem Schwerthieb verwundet worden. Er tat Mara nicht allzu Leid, sie konnte ihn nicht ausstehen. Luca war der Ansicht, sie würde Anella gegen ihn aufzubringen versuchen, womit er zweifellos Recht hatte, und überhaupt wäre sie eine durch und durch schlechte Person und hätte ein krankhaftes Interesse an Anella.

Sie hörte die Fremden rufen, verstand die Worte aber nicht. Ihre Sprache klang rau und fremdartig. Einige stiegen von ihren Pferden und gingen mit gezogenen Schwertern auf die Männer zu. Dann nahmen sie die Helme ab.

Doch was auch immer Mara zu sehen erwartet hatte, sie sahen schlicht aus wie Männer. Ein besonders großer Fremder mit einem struppigen, hellen Bart, womöglich ihr Anführer, sagte etwas zu Carlo. Der schien aber nicht zu verstehen, schüttelte nur immer wieder erbost den Kopf. Der Bärtige wies in Richtung des Eingangs zur großen Halle, den Mara von ihrem Platz aus nicht einsehen konnte. Die Männer und jene Fremden, die abgestiegen waren, gingen hinein.

Mara fasste Anella an der Hand und wollte die sich sträubende mit sich ziehen.

„Was tust du, Mara, wo willst du denn hin?“

„Wohin wohl, auf die Empore. Von dort aus kann ich die gesamte Halle überblicken.“

„Aber wieso? Was, wenn sie dich sehen?“

„Und wenn schon“, achselzuckend wandte sie sich um. „Ich will wissen, was sie machen, was sie reden.“

„Du wirst Schwierigkeiten bekommen, Mara!“, unkte Anella.

Fast hätte sie gelacht. „Mit wem, dem Rat? Oder den Fremden?“

Sie verließ den Frauentrakt und ging vorsichtig den Korridor entlang, der zur Empore führte. Anella und noch ein paar Frauen folgten ihr ängstlich.

Hinter einem Pfeiler hervor spähte sie in die Halle hinunter, die plötzlich klein und eng erschien, da sich so viele große Männer in ihr aufhielten. Einige saßen an den langen Tischen und machten sich über das Festessen her, tranken ihren Waldmeister-Wein. Sie führten sich auf, als gehörte die Burg ihnen. In gewisser Weise tat sie das wohl auch, die Männer Ogarchas hatten sich ergeben.

„Es sind achtundzwanzig“, murmelte Mara.

„Was?“ Anella sah sie verwirrt an.

„Achtundzwanzig Männer. Die Fremden. Weißt du, wie viele noch im Hof sind?“

„Nein, ich …“

Sie schaute selbst nach. Auf dem Hof lungerten noch einmal mindestens ebenso viele fremde Männer herum. Alle waren inzwischen von ihren Pferden gestiegen, hatten die Tiere abgesattelt und in eine Ecke des Hofes gebracht. Als planten sie einen längeren Aufenthalt, hatten sogar Posten auf der Mauer aufgestellt. Vermutlich waren sie auch schon überall in den Gebäuden.

Mara sah wieder in die Halle hinunter. Der Bärtige stand mit den Ratsmännern am Kamin und redete auf sie ein, ein hochgewachsener, schlanker Mann übersetzte seine Worte. Er sah erstaunlich jung aus.

Dann setzten sich die beiden Fremden in die Sessel, die dem Rat vorbehalten waren, und der junge streckte seine langen Beine aus. Sie benahmen sich nicht unbedingt so, als ob sie gerade eine Burg erobert hätten, deren Bewohner sie feindselig beobachteten.


Plötzlich hörte Mara Schritte auf der Treppe, die Frauen blickten sie entsetzt an. Jemand kam direkt in ihre Richtung und der Weg zurück zu den Frauengemächern führte am Treppenaufgang vorbei.

Aber es waren nur Renzo und Ludeau, die um die Ecke bogen, so dass die Frauen erleichtert aufatmeten. Mara war nicht ganz so erleichtert, vermutlich steckte sie jetzt tatsächlich in Schwierigkeiten, wie Anella gesagt hatte.

„Was macht ihr hier?“ Renzo sah sie erbost an. „Wer hat euch erlaubt, die Gemächer zu verlassen?“

Demütig blickte Mara zu Boden, nicht sicher, ob er sie angesprochen hatte. „Niemand, hoher Rat, es hat aber auch niemand gesagt, wir sollen in den Gemächern bleiben. Was wollen die Fremden hier?“

Erst als die Frauen von ihr wegrückten, wurde ihr klar, dass sie wieder einmal das Falsche gesagt hatte. Verdammte Neugierde, törichte Besserwisserei, warum konnte sie nicht bedachter handeln?

Zudem war jeder in der Halle auf sie aufmerksam geworden, die Fremden blickten zur Empore.

„Bringt die Frauen runter, in die Halle! Vielleicht sind sie ein wenig gastfreundlicher als Ihr, Rat?“

Verstohlen sah Mara zu dem Sprecher hinunter, der junge Fremde betrachtete sie neugierig. Schnell senkte sie wieder den Blick.

Ludeau packte sie grob am Arm und zerrte sie zur Treppe, zischte ihr durch zusammengepresste Lippen zu. „Ich warne dich, Rotschopf, noch ein Fehler und du lernst mich von meiner unangenehmen Seite kennen!“

Als würde Mara die nicht längst kennen. Mit unbewegter Miene schritt sie die Stufen hinunter und Ludeau ließ sie los.


Mit den anderen Frauen, einige weinten und jammerten noch immer, standen sie ein wenig verloren inmitten der Halle, möglichst weit von den Fremden entfernt.

„Erwarten diese Kerle, dass wir sie bedienen?“, wandte Anella sich verwundert an sie.

Mara hob nur die Schultern.

„Hast du Luca gesehen?“ Sie klang besorgt. „Er ist doch verletzt!“

„Kann nicht so schlimm sein, er steht da drüben. Reiß dich zusammen, Anella, oder willst du, dass einer von denen auf dich aufmerksam wird?“

Sie wurden aufgefordert, noch mehr Essen und Wein zu holen, und gingen hinunter in die große Küche. Eine der wenigen anwesenden Köchinnen berichtete, viele Mägde und Diener wären aus lauter Angst von der Burg geflohen und hielten sich im Wald versteckt.

„Wohl nur verständlich. Und wo ist Kora?“, fragte Mara nach.

„Ich weiß es nicht, Herrin.“

„Das ist … schlecht.“ Beschwörend blickte sie ihre Freundin an. „Anella, du solltest mit Luca reden, jemand muss nach Kora suchen, und zwar schnell. Sie kennt sich mit der Versorgung Verwundeter aus.“

„Aber Mara …“

Natürlich kannte sie Anellas Bedenken, es war nicht üblich, einen Mann unaufgefordert anzusprechen. Aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. „Bitte, Anella, dich hört er wenigstens an.“

„Gut, ich werde es versuchen. Nimmst du die Weinkrüge? So, wie ich zittere, werde ich alles verschütten.“

„Dir zuliebe.“ Sie packte die schweren Krüge. „Lass uns gehen, die anderen sind schon längst wieder in der Halle.“

Anella folgte ihr, stellte eine Platte mit Speisen auf den langen Holztisch und setzte sich respektvoll neben Luca, redete flüsternd auf ihn ein.

Mara füllte einen Becher nach dem anderen, bezwang ihre Ungeduld und wartete auf eine Reaktion, irgendein Zeichen Anellas. Wieder ging sie in die Küche, füllte die Krüge mit Wein und erfuhr von der Köchin, dass sich die verwundeten Männer in den hinteren Räumlichkeiten neben dem Zimmer des Rates befanden, die verletzten Wachen jedoch bei den Ställen.

„Dorthin solltet Ihr aber besser nicht gehen, Herrin, da sind überall die Nordländer.“


Zurück in der Halle schüttelte Anella bloß verzagt den Kopf. Und während Mara Wein nachschenkte, zermarterte sie sich den Kopf; nur zu deutlich erinnerte sie sich an Ludeaus Warnung.

Sie beugte sich zu Luca, füllte ihm nach, obwohl sein Becher noch nicht leer war. „Luca, Ihr müsst etwas tun!“

Ärgerlich musterte Luca sie. „Dieses eine Mal sehe ich über dein schlechtes Benehmen hinweg, weil du besorgt bist. Es hat keinen Sinn, diese Kerle lassen nicht mit sich reden. Die Verwundeten wurden so gut es eben ging versorgt, mehr können wir nicht tun, sie werden …“

„Ich werde es tun“, fiel sie Luca ins Wort.

„Was?“

„Ich werde den Mann bitten, dass er nach Kora suchen lässt. Er wird mir ja wohl nicht verbieten, mich um die Verwundeten zu kümmern. Oder verbietet Ihr es mir, Luca? Jemand sollte sich möglichst bald auch Euer Bein ansehen.“

„Mara, du weißt nicht …“

„Doch, ich weiß.“ Sie würde großen Ärger bekommen. Schlimmer noch, auch Kora würde Ärger bekommen und bestraft werden, weil diese sie heimlich die Pflege und Versorgung von Kranken gelehrt hatte.

Ihre Freundin blickte sie niedergeschlagen an, Luca völlig überrascht. Und die ganze Zeit über war Mara bewusst, dass der junge Fremde sie beobachtete; er schien der einzige unter den Fremden, der ihre Sprache konnte.

Ihr Blick fiel auf den Krug in ihren Händen. „Möchtet Ihr noch etwas Wein?“

„Ihr wollt mich wohl betrunken machen, Mädchen, damit mich Eure Männer überwältigen können?“, entgegnete der Mann spöttisch.

„Nein!“ Überrascht sah sie auf, sah direkt in sein Gesicht, seine Augen. Blau, tiefblau, strahlend, wunderschön. „Ich …“

„Ja? Ihr seid doch nicht gekommen, um mir Wein anzubieten. Was wollt Ihr von mir?“

„Von Euch gar nichts, von Eurem … Anführer, er muss … Er muss nach Kora suchen lassen, damit sie die Verwundeten versorgen kann. Ich schaffe das nicht allein.“

„So, muss er das?“ Der Mann klang fast belustigt. „Kann Euch denn keine der anderen Frauen helfen, es sind doch genügend hier?“

„Nein, sie … können es nicht. Und Kora hilft nicht mir, sondern ich ihr, sie ist die Heilerin“, versuchte Mara zu erklären.

„Und wer seid Ihr?“

„Niemand.“ Sie schlug hastig die Augen nieder, blickte zu Boden.

„Aber Ihr werdet doch wohl einen Namen haben?“

Was ging diesen dreisten Kerl ihr Name an? „Mara I’Gènaija.“

„Schön. Ich werde nach dieser … Kora schicken lassen, in Ordnung?“

„Ja, danke. Ich muss aber auch zu den verletzten Wachmännern, sie sind neben den Pferdeställen untergebracht.“

„Selbstverständlich, einer meiner Männer wird Euch begleiten. Er kann Euch helfen.“

Mara nickte, wandte sich um und wollte gehen, doch er hielt sie am Arm zurück. „Kann ich sonst noch etwas für Euch tun, Mädchen?“

Mit zusammengebissenen Zähnen blickte sie auf seine Hand, starrte ihn ablehnend an. „Verschwindet von hier. Kehrt dorthin zurück, woher Ihr gekommen seid, das wäre das Beste für alle!“

Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, sie sah die Verwunderung, dann die Wut in seinen Augen, ehe er sie losließ.


Maras Kopf schmerzte, ihr war schwindelig und übel, womöglich vom allgegenwärtigen Geruch nach Blut in den Räumen der verletzten Männer. Die jetzt richtig versorgt waren, nicht nur notdürftig verbunden. Sie hatte ihnen noch einen schmerzlindernden Heiltee bereitet, als Kora endlich zurückkehrte.

In der Halle, es lungerten immer noch etliche Nordländer herum, kam ihr Anella mit entsetzter Miene entgegen. „Mara, dein Kleid ist ja voller Blut! Was ist denn, setz dich, du bist ganz bleich!“

„Ich bin nur müde“, beruhigte sie Anella. „Hat Kora sich schon um Luca gekümmert?“

„Sie haben ihn gerade ins Ratszimmer gebracht, du möchtest bitte auch kommen. Ich habe auf dich gewartet, Mara, ich werde dir helfen.“

„Du?“ Verwundert sah sie ihre Freundin an. „Du kannst doch kein Blut sehen, wie willst du mir da helfen?“

Anella zog eine klägliche Grimasse. „Du sagst doch selbst immer zu mir: ‚Dann sieh halt nicht hin.’ Nun, genau das habe ich vor. Ich kann Luca doch nicht allein lassen, Mara.“

Trotzdem ächzte Anella, als sie das Gemach betraten. Kora hatte Lucas Beinkleider bereits bis zum Oberschenkel aufgeschnitten; die Wunde war tief und lang, blutete aber nicht mehr stark.

Mara fasste nach Anellas Arm. „Willst du wirklich bleiben? Die Wunde muss genäht werden.“

Diese nickte stumm, sah zu Luca, der Mara grimmig musterte. „Kora sagte mir, du wirst nähen, da du die ruhigere Hand hast. Ich hoffe, du weißt, was du tust?“

„Nur, wenn Ihr das wollt, Luca.“

Er nickte knapp. „Fang endlich an!“


Es war viel zu warm für die Jahreszeit, die Luft drückend. Mit geschlossenen Augen lehnte Mara einen Moment an der wohltuend kühlen Wand des Korridors, ihre Hände alles andere als ruhig. In ihrem Kopf pochte und dröhnte es, er tat scheußlich weh.

„Wieder besser?“ Kora berührte sacht ihre Schulter. „Ich kann auch allein die verletzten Wachmänner versorgen, wenn Ihr Euch lieber ausruhen möchtet.“

„Nein, das ist nicht notwendig, es ist nur … Lasst uns gehen.“

Kora begleitete sie zurück in die Halle. Mara trat an den Nordländer mit den blauen Augen heran. „Wir wollen jetzt zu den verletzten Wachen, wenn Euer … Euer Mann uns noch helfen möchte? Oder habt Ihr es Euch anders überlegt?“

Er musterte sie sinnend, schüttelte den Kopf. „Nein, habe ich nicht, Kjelben wird Euch helfen. Es wäre nicht richtig, die verletzten Männer für Eure Grobheit leiden zu lassen.“

Sie ballte die Fäuste. „Es war auch nicht richtig, die Wachen einfach niederzureiten, denn dann wären sie jetzt nicht verletzt und müssten auch keine Schmerzen erleiden! Nennt Ihr Euer Verhalten vielleicht höflich?! Ich nicht! Ihr seid …“

Bevor Mara in ihrer Wut noch mehr Unüberlegtes sagen konnte, hatte Kora schon ihren Arm gepackt. „Mara, nicht, damit helft Ihr den Wachen auch nicht. Kommt. Verzeiht, Herr, sie hat es nicht so gemeint.“

Kora zog Mara hinter sich her, raus aus der Halle. Den langen, immer ein wenig feuchten dunklen Gang entlang, der zu den Pferdeställen führte.

„Und ich habe es so gemeint. Für wen hält er sich?“, machte Mara ihrer Empörung Luft.

„Ich weiß nicht, für wen er sich hält. Aber er ist eindeutig in der stärkeren Position, also solltet Ihr vielleicht ein wenig bedachter sein, Mara.“

Unwillig schwieg sie, schaute sich kurz zu dem fremden, schon etwas älteren Mann um, der ihnen folgte. „Wie will der Mann uns helfen, wenn er unsere Sprache nicht versteht?“

„Wahrscheinlich ist er so etwas wie ein Feldscher oder auch ein Heiler. Jedenfalls sieht es aus, als wüsste er, was er zu tun hat.“

Das wusste der Mann sogar sehr genau, und bald waren mit seiner Unterstützung die diversen Knochenbrüche geschient, die Blutungen gestillt, die Wunden gesäubert, genäht und verbunden.


Still hatte Mara sich zu einem jungen Wachmann, wie alle Bediensteten und Wächter Ogarchas stammte er aus dem Dorf, gesetzt, der allein in einer Kammer lag. Er war bewusstlos, sein Herz schlug unregelmäßig, sein Atem ging flach.

Er würde sterben, trotz all ihrer Bemühungen, sie … Mara war erschüttert, fühlte sich erschreckend hilflos. Einmal mehr, sie konnte nichts tun. Und Kora, die sie so viel gelehrt hatte, eine der wenigen, der sie vertrauen konnte, wollte Ogarcha in Bälde verlassen. „Kora?“

Die Frau trat zu ihr. „Ihr könnt nichts mehr für ihn tun, Mara, niemand kann das.“

„Aber …“

„Er wird nicht wieder aufwachen, Liebe. Geht doch bitte und holt den Tee für die anderen Männer, sie sollten jetzt ruhen.“

„Nein, ich bleibe bei ihm.“ Sie schüttelte den Kopf. „Geht Ihr.“

„Wie Ihr wünscht“, gab Kora zurück.

Traurig betrachtete Mara sein Gesicht. Er war so jung, kaum im Mannesalter, viel zu jung zum Sterben. Doch er starb, ohne noch einmal aufzuwachen.


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Mandura - Die Anfänge I

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