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Es war ein warmer Märznachmittag, ohne Sonnenschein, mit zarten, blauen Nebeln über den Bäumen am Landwehrkanal. An der Potsdamer Brücke stand das alte Weiblein, das im Herbst Blutbuchenzweige und getrocknete Disteln an die Künstler verkaufte und das jetzt, in diesen Vorfrühlingstagen, große, gelbe Mimosenbüschel feilbot, deren süßer Duft die Sehnsucht nach südlichen Ländern erweckte.

Theo war auf dem Heimweg aus der Vorlesung. Den langen, grauen Paletot trug er stets offen, vorn im Knopfloch steckte ein Veilchensträußchen, das er sich unterwegs gekauft.

Plötzlich stutzte er und sah scharf hinüber: Dort, bei dem alten Weiblein, stand da nicht seine Schwester Elli? Gewiß – aber mit wem? Wer war dieses feine Mädchen mit dem blonden Haar, das wie bei den Edelknaben auf alten Gemälden offen um den Kopf getragen nur bis zu den Schultern reichte? Sie hatte eben ein Mimosenbüschel erstanden, verabschiedete sich nun mit einem Nicken von Elli und verschwand in der stillen, vornehmen Straße »Am Karlsbad«.

Theo ging hinüber, holte seine Schwester ein, begrüßte sie. Wahrscheinlich hatte sie ihn ebenfalls schon gesehen, denn sein Erscheinen überraschte sie nicht im geringsten.

»Wer war das?«

Sie lächelte. »Nichts für dich!«

»Was heißt das?«

»Nichts für dich – keins von den Geschöpfen, die du zu lieben vorgibst.«

»Rede keinen Zimt – wer war das?«

»Ich kenn’ sie von der Charlottenschule her!«

»Jott, laß dir doch nicht alles so ’rausziehen! Wie heißt sie denn?«

»Bianka!«

»Fein, so sieht sie auch aus! Hat sie vielleicht auch noch einen Vatersnamen?«

»Einen berühmten sogar – ihr Vater ist der bekannte Professor Hans Rieth!«

»Der Maler?«

»Ja – der Maler!«

»Na, der ist wohl berühmter durch seinen Scheidungsprozeß geworden als durch seine Malerei! Hatte er nicht damals einen Meineid geleistet?«

»Nein, nur der Klatsch hat ihm das angehängt! Übrigens wußte ich, daß du das sagen würdest!«

»So, wußtest du das?« fragte er höhnisch, hielt aber an sich. »Siehst du sie denn öfter?« erkundigte er sich dann.

»Ich habe sie heute seit langem wieder zum erstenmal getroffen, sie war bis jetzt in Genf. Nun ist sie vom Gericht dem Vater zugesprochen worden, daraus ersiehst du ja am besten, daß der Vater schuldlos ist.«

»Freut mich!«

»Warum freut dich das?« fragte Elli verächtlich-erstaunt.

»Na – als Schwiegerpapa nachher ist das angenehmer!«

»Um Gottes willen, Theo, bilde dir nicht zuviel ein! Vor der könntest du auf den Knien liegen, dann sähe sie dich gar nicht. Die stammt aus einer Künstlerfamilie, für die sind wir elende Parvenüs – Hottentotten, die reich geworden sind! Wenn die unsere Lebensgewohnheiten oder auch nur unseren Geschmack teilen sollte, würde ihr schlecht! Ich war mal in der Schulzeit zu einem Geburtstag bei ihr eingeladen – als ich dann nach Hause kam, habe ich alles gehaßt – Vätern, Muttern, unsere Einrichtung und am meisten mich selbst – so ordinär kam mir alles vor!«

»So!«

»Ja – das kannst du dir nicht vorstellen, denn du hast ja nie den Drang gehabt, aus unserer Sphäre herauszukommen!«

»Aber du!«

»Gewiß, ich! Von klein auf sogar!«

»Na – dann laß dich mit deiner feinen Bianka sauer kochen«, sagte Theo grob, ging schnurstracks hinüber auf die andere Seite und verschwand in einem Zigarrenladen.

Am Abend, als er in seiner »Bude« saß, eingehüllt in dicke Rauchwolken, hörte er unten im Hof einen Signalpfiff. Überrascht blickte er von seinem Buch auf, öffnete das Fenster, antwortete durch den gleichen Pfiff. Dann ging er hinaus, klinkte die Tür auf und kehrte in die Stube zurück.

Bald darauf trat Fritze Seifert ein. »Morjen!«

»Morjen!« Sie »begrunzten« sich noch immer mit dem alten Gymnasiastengruß, unbekümmert um die Tageszeit.

»Nanu? Noch nicht fertig?«

Theo befühlte prüfend das Kinn. »Eigentlich hätte ich mich noch rasch rasieren lassen können ...«

»Unsinn, mach man! Ich dachte, du sitzt hier und lauerst auf mich, weil ich zu spät komme! Oder hast du keine Lust?«

»Doch!«

»Aber kein Geld?«

»Doch – ich hatte nur ganz vergessen, daß heute Mittwoch ist!«

»Das vergesse ich nie!«

Eine Viertelstunde später polterten sie die Treppe hinunter, gingen bis zum Nollendorfplatz und fuhren mit der Dampfbahn nach Wilmersdorf zu Schramm.

Schon draußen in dem kahlen, dunklen Garten vernahmen sie die Tanzmusik und summten vergnügt mit:

»Hört ihr das Klavier?

Für’n Jroschen tanzt man hier:

Polka, Walzer und Mazurka –

Träderäderäh!«

Die Scheiben waren beschlagen, man sah nur die Schatten der vorüberwirbelnden Paare; sie rissen die Saaltür auf und gingen ihrem Stammplatz in der Nähe des Klavierspielers zu.

Das bekannte und für sie so vertraute Bild: An allen Tischen ringsum junge Männer mit jungen Mädchen, davor ein dichtes Spalier Tanzlustiger, jeden Augenblick bereit, sich unter die umherwirbelnden Paare zu mischen. Am hochgeklappten Flügel der hübsche, junge Spieler, in der Mitte des Saales der dicke, gnomähnliche Tanzmeister, seinen Bulldoggenkopf fortwährend nach allen Richtungen wendend, um etwaige »Nassauer«, die den Tanzgroschen nicht bezahlen wollten, rechtzeitig am Verschwinden zu hindern.

Theo und Seifert nahmen sofort ein Abonnement, bekamen das Bändchen ins Knopfloch und ein wohlwollendes Begrüßungsnicken der Bulldogge. Der Kellner brachte ihnen auf ihren Wink zwei Deckelgläser mit »Echtem« und begrüßte sie vertraulich: »’n abend’s, Herren!« und zu Theo, der stets ein nobles Trinkgeld gab: »Na, Herr Doktor, heite so spät? Fräulein hat schon nach Ihnen jefragt!«

»Welche – die mit dem Scheitel?«

»Nee, die Schlanke, Jroße, Hibsche!«

Theo spähte im Saal umher, sah aber Mieze nicht. Er hatte einen Schluck Bier genommen, eine Zigarre angezündet und sah Seifert zu, der sofort auf eines der Mädchen zugegangen war, es mit einem Kopfnicken »engagierte« und nun im Polka durch den Saal raste. »Wenn er sie bloß nicht an den Tisch bringt – dann hat sie wieder ’ne Freundin, von der sie sich nicht trennen will und die ich dann wieder nehmen soll – fällt mir aber heute gar nicht ein ...«

Ja – diese Gefahr bestand immer bei Seifert –, er war stets sofort verliebt und brachte es nicht über das Herz, das Mädchen, mit dem er ein-, zweimal getanzt, in irgendeiner Ecke stehen zu lassen.

Die Blumenverkäuferin ging mit ihrem Korb umher und bot Sträußchen an. Es war Ehrensache, daß jeder Herr, der schon mit einer Dame zusammen saß, ein Veilchenbukett oder ein paar Maiglöckchen für seine Erwählte kaufte. Den »Ledigen« steckte sie als ganz selbstverständlich eine Tuberose ins Knopfloch.

»Jott sei Dank, Heupferd«, sagte Theo, Seifert seinen Kosenamen gebend, »daß du die nicht gleich geheiratet hast – schrecklich, ein Mädel mit so ’n Kaffeekinn und ’n Mund wie ’ner Sparbüchse.«

Seifert lachte: »Prost, Kognak!«

Das war nun wieder Theos Kosename, eine der Benennungen, die sie hier draußen gern gebrauchten. Er setzte sich, immer noch hastig atmend, und sagte: »Ich hab’ angetippt, wo sie wohnt – Gesundbrunnen, danke schön – bis dahin nach Hause begleiten und dann den Weg wieder zurück, die halbe Nacht um die Ohren schlagen für ’n paar Küsse! Einmal und nicht wieder in die Gegend! Was nicht im Zentrum wohnt, begleite ich nicht – und wenn man mich auch für ’n Stoffel hält!«

»Tanzt du schon wieder?«

Heupferd nickte, wirbelte sein schwarzes Schnurrbärtchen hoch. »Ich kann keine schmachten lassen – die kleine Dicke mit dem Sphinxgesicht brennt ja schon drauf, daß ich sie hole – ist das Walzer oder Polka?«

»Rheinländer!« sagte Theo. »Na, die verlierst du dabei, wenn du sie nicht feste hältst – viel Vergnügen!«

Als Seifert dann zurückkam, sagte er verwundert: »Nanu – immer noch solo? Mieze hat dich wohl versetzt?«

»Wer weiß, was mit der wieder los ist – da muß man ja immer auf was gefaßt sein! Übrigens – da kommt sie ja, bringt auch noch eine mit, gratuliere, Heupferd, nu biste versorgt!«

Die beiden Mädchen waren an den Tisch getreten, »’n Abend«, sagte Mieze, ein hübsches, blasses Mädchen mit blondem Wuschelhaar. »Ich war vorhin schon hier, hab’ dann nur meine Schwester vom Bahnhof abjeholt – kommt direkt aus dem Jeschäft, kann nicht vor Ladenschluß fort. Hier, setz dich, Jrete – so, bei Herrn Seifert, von dem ich dir schon erzählt hab’. So – und ich hier! Na ...?« Und sie sah alle und dann Theo, an dessen Seite sie sich gesetzt, ganz besonders prüfend an.

»Kellner, zwei Bier, dunkel!« sagte sie.

Seine Beziehungen zu Mieze bestanden bereits seit vier Wochen, und die Liebe war daher völlig abgeklärt. Seifert dagegen stand mit Grete vor einem völlig neuen Problem, und da sie ihm, wie übrigens jedes Mädchen, ausnehmend gut gefiel, war er glücklich, vor ihr Parade reiten zu können, indem er von dem Leichenpräparat erzählte, an dem er heute gearbeitet hatte.

Aber Grete sagte schaudernd: »Wenn Sie dann mittags Biefstück essen – sehen Sie dann das andere nicht immer vor sich?«

»Dann könnte ich nicht Arzt sein, wenn mich das störte!«

»Nee – da ist ein Fotograf besser d’ran«, sagte Grete, »Fotograf ist was Schönes!«

»Na – Sie sollen mich ja auch nicht heiraten!«

»Jrete – du bist doof!« sagte die ältere Schwester verweisend. Und sich zu Seifert wendend, entschuldigte sie Grete: »Die hat noch keine Herrenbekanntschaft jehabt – darum red’ sie so, wie sie der Schnabel jewachsen ist ...!«

»Kommen Sie, Fräulein, tanzen! Kreuzpolka – oder haben Sie Angst, wenn ich die Hand um Ihre schlanke Taille lege?« Und dann wippte er ein paar Augenblicke mit ihr hin und her, ehe er vom Platz loskam, und summte gleich allen übrigen den Text mit:

»Siehste woll, da kimmt er,

Lange Schritte nimmt er,

Siehste woll – da kimmt er schon –

Der verflixte Schwiegersohn.«

Theo und Mieze waren am Tisch sitzen geblieben. »Ich hab’ meine Schwester nur deshalb mitjebracht, damit dein Freund auch jemanden hat, der in derselben Jegend wohnt wie ich. Ich kann euch ja nicht verdenken, daß ihr euch ärgert, wenn er ’ne andre in die entjejenjesetzte Richtung bringen soll und ihr deshalb auseinanderkommt!«

»Du opferst also deine Schwester auf dem Altar unserer Freundschaft?«

»Die läßt sich nicht opfern, wir müssen uns vor ihr überhaupt ’n bißken vorsehen, sie verquatscht sich dann zu leicht zu Hause!«

»Warum hast du denn so lebensmüde getan – in deinem Brief?«

»Ich bin auch lebensmüde, lange mach’ ich das nicht mehr!«

»Warum denn aber bloß?« fragte er mißmutig.

»Das kannst du nicht verstehen, Theo – das könnt ihr Männer alle nicht verstehen! Wie lange noch, und dann hast du mir auch über – dann sitze ich da! Na, schließlich kommt ja wieder einer, und dann jehe ich mit dem wieder ’n Vierteljahr, und dann ist es auch wieder aus! Und dann wieder einer – und wieder einer, aber keiner bleibt kleben, alle wollen sie nur ihr Verjnügen. Und ziert man sich, is’s jleich aus – es jibt ja jenuch andere Mädchen! Heiraten tut uns nur einer aus unseren Kreisen, aber man wollte doch ’raus aus dem Kamuff, wat Besseres werden! Mit so ’n Mann wird das dann bloß ’ne unjlickliche Ehe, wie Muttern ihre – danke, Herr Franke! Dann lieber in die Spree!«

»Aber ich habe dir ja gleich gesagt: Heiraten is nicht!«

»Du sollst ja auch jarnich, Theo! Ich meine man bloß, so is’s! Immer denkt man ja nich dran, aber manchmal über kommt’s einem doch, und dann schreibt man sonne dämlichen Briefe!«

»Mit meiner Gitarre

Steh’ ich und harre!

Liebchen, laß mich ein –

Will ganz artig sein ...«

Der Klavierspieler brach jäh ab, und der Tanzmeister schrie: »Damenwahl!«

Mieze stand auf, verbeugte sich vor Theo, und nun schwebten sie beide leicht und zierlich durch den Saal. »Liebst du mir denn überhaupt noch, Theo?«

Er drückte sie fester an sich: »Dummes Mädel, warum fragst du so?«

Ihre Augen standen voll Tränen. Und mit zuckenden Lippen flüsterte sie: »Is ja aus – ich weiß es, bloß du weißt es noch nich!«

»Mieze – mach doch keine Jeschichten!«

Sie nahm sich auch sofort zusammen. Als der Klavierspieler jetzt mitten im Walzer jäh abbrach, die kurze Pause machte, um die Groschen einzusammeln, stand sie lächelnd zwischen den anderen Paaren; niemand hätte ihr eine Gemütsbewegung angemerkt. Und dann griff der Spieler wieder in die Tasten, man tanzte den »Schwanz« – den Rest des Walzers.

»Ich schlage vor, wir fahren jetzt ’rein und essen was«, sagte Theo einige Zeit später.

»Die Henkersmahlzeit«, bemerkte Mieze halblaut.

Heupferd sah von einem zum anderen, begriff sofort, daß zwischen den beiden etwas vorgefallen war.

»Einverstanden – wenn Fräulein Jrete will!«

»Mir ist alles janz egal!«

»Na, dann los – Ober, zahlen!«

In der mondhellen Nacht wanderte man, zu zwei und zwei untergefaßt, die aufsteigende Chaussee hinauf zur Station Schmargendorf, um nach Bahnhof Friedrichstraße zu fahren. Bis Halensee hatte man das Abteil allein für sich, und Heupferd, der in der entgegengesetzten Ecke mit Grete Platz genommen, sagte von Zeit zu Zeit befriedigt aufatmend: »O knutsch, solang’ du knutschen kannst!«

Wenn die Küsse zu laut knallten, rief Theo jedesmal »Prost!«

Er saß mit Mieze in würdiger Ruhe da – ein glückliches Elternpaar, das die Tollheiten der Jugend nachsichtig aufnahm. »Ach – könnt’ ich noch einmal so lieben ...«, summte Mieze.

»Werd bloß nich elegisch«, warnte er.

In Halensee, aus dem dortigen Tanzlokal kommend, stiegen ausgelassene Pärchen ein – eine andere Mädchenart und ein anderer Schlag junger Männer.

Endlich war man am Ziel, kam in das Getriebe der nächtlichen Friedrichstadt, suchte eine von Aschingers »Bierquellen« auf, die jetzt überall neu entstanden waren. Und dann saß man in dem mit Spiegelglas ausgelegten Raum, aß Bockwurst mit Kartoffel- und Schusterjungen mit italienischem Salat, spendierte den Damen Kaviarbrötchen, Tartar-Beefsteak und echte Kulmbacher.

»Jehen wir dann noch in ’n Café?« erkundigte sich Theo.

»Nein, Jrete muß früh zu Hause sein, sonst schimpft Mutter« erklärte die ältere Schwester.

»Ich will aber noch ...«, maulte die jüngere, die allmählich Geschmack an diesem Dasein bekam; doch Miezes Widerstand gab den Ausschlag. Es ging nach der Luisenstraße. Die Händler boten den Pärchen auf Schritt und Tritt Wachsstreichhölzer an, Apfelsinen- und Blumenverkäufer drängelten sich ihnen auf, fanden aber keine Beachtung.

»Is es ex?« fragte Mieze. Und als Theo nicht gleich antwortete, sagte sie: »Ja – es ist ex! Immer, wenn mir einer zuredet, daß ich noch Liptauer Käse jarniert essen soll, dann ist es aus. Ich weiß nicht, wie das kommt, aber Liptauer ist mein Verhängnis!«

Als er noch immer schwieg, sagte sie: »Theo, quäl dir nicht, mir was vorzuspinnen! Ich weiß, was ich tue: Ich jeh’ von jetzt ab nach Halensee tanzen!«

»Das tust du nicht, Mieze!«

»Doch – und wenn du mir dann später mal im Café National wiedersiehst, brauchst du mir ja nich zu beachten. Aber einmal will ich dir doch noch als Mieze küssen, die du kennenjelernt hast – komm, hier in das dunkle Haustor, da sieht’s Jrete nich!«

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