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Zwei Tage lang dauerte dieses Idyll.

Theo hatte die Tür, die nach der Wohnung der Frau Siebke führte, verriegelt und Heupferd durch eine Postkarte verständigt, daß er vorläufig unabkömmlich sei. »Große Sache«, hatte er als Grund angegeben.

Auf dem oberen Treppenabsatz befanden sich Wasserleitung und Ausguß, so daß sich Theo ohne fremde Hilfe mit der notwendigen Flüssigkeit versorgen konnte. Als er aber am Morgen des dritten Tages frisches Wasser dort holen wollte, fand er neben dem Ausguß Frau Siebke stehen.

Sie sah sehr würdig aus, hatte eine goldene Brosche unter dem Halse angebracht und trug statt der ausgetretenen Filzlatschen Zeugschuhe mit Lederkappen. Sie sagte nicht wie sonst freundlich »Gu’n Morgen«, redete ihn auch nicht »Herr Doktor« an, sondern sah schweigend zu, was er an der Wasserleitung trieb. Er hatte ihr zugenickt, die Wasserkanne gefüllt, wandte sich gerade zum Gehen, da trat sie ihm in den Weg.

»Ick wollte bloß fragen, Herr Koblank, ob Sie mir mit Jewalt ins Zuchthaus bringen wollen?« fragte sie heiser flüsternd.

»Sie sind ja verrückt«, erklärte ihr Theo, wollte vorüber, kam aber nicht an ihr vorbei.

»Ick bin ’ne anständige Frau, die Witwe von einem königlichen Beamten, mein Mann war zwanzig Jahre bei die Post – ick frage Ihnen noch mal: Wollen Sie mir partuh ins Zuchthaus bringen? Denn dadruff steht Zuchthaus, wenn ick det dulde!«

»Machen Sie doch hier keinen Radau auf der Treppe, und lassen Sie mich endlich vorbei, sonst gieße ich Ihnen die Wasserkanne auf ’n Kopp!«

»Ick mache keenen Radau nich, aber ick sage Sie in’t Jute: Eene Stunde jeb’ ick Sie noch Frist! Is dann die Türe nich uffjeriegelt und det Frauenzimmer for immer weg, denn weeß ick, wat ick tue – verstehen Se, Herr Koblank!« Theo schob sie beiseite und verschwand in seiner Bude.

Eine Stunde später saß er mit Lore auf dem Balkon des Café Bauer. Sie trank eine »Melange«, er einen »Schwarzen« und rauchte Zigaretten dazu. Unten auf dem Fahrdamm glitten auf Gummirädern Hofequipagen vorüber, Fremde, den roten Baedeker in der Hand, spazierten auf der Mittelpromenade, unter großem Zulauf zog die Wache auf, ein Händler mit bunten Gummiballons kam eilig daher, Omnibusse ratterten durch die Friedrichstraße, und die Droschkenkutscher an dem nahen Halteplatz saßen auf dem Bock und aßen Sechserkäse, den sie, in Stücke geschnitten, auf die Klinge des Taschenmessers spießten und so zum Munde führten.

Theo und Lore hatten sich ausgesprochen. Sie wußte nun, daß er zwar kein Universalerbe sei, aber später einmal etwas erben werde, daß seine Mittel jetzt so ziemlich erschöpft seien und daß er – der moralischen Anschauung seiner Wirtin wegen – ihr länger keine Zuflucht bieten könnte.

Lore, die zuerst sehr verdonnert ausgesehen, hatte nun Tränen im Auge. »Ick liebe dir, auch wenn du bloß ein janz armer Student bist«, sagte sie. »Ick habe mir ja jleich jedacht, det det nich so in alle Ewigkeit weiterjehen konnte. Ick werde keen Lamento machen, dafor bin ick dir ville zu dankbar – nee, morgen früh, um halber sechse, jeh’ ick mit meene beeden trockenen Schrippen wieder in die Fabrik. Wenn du mir mal wiedersehen willst, kannst du mir ja schreiben, ick wohne in Schlafstelle bei Frau Lutze am Wedding.«

Theo notierte sich die Adresse, gab Lore das Fahrgeld für den Omnibus und eine Mark Überschuß, küßte sie zärtlich auf der steilen Cafétreppe und wartete, bis sie in den Wagen gestiegen und davongefahren war.

Und dann ging er nach der Pepinière, um seinem Freunde Heupferd die »große Sache« zu erzählen, die er in diesen drei Tagen erlebt hatte. Doch – Heupferd war im Kolleg. Theo hinterließ ihm eine Karte, auf der er um seinen Besuch bat.

Heimgekehrt, fand er die Fenster seiner Stube weit geöffnet. Die toten Fliegen waren aus der Gardine geschüttelt worden, der Fußboden war noch feucht und roch nach grüner Seife. Das Bett war frisch überzogen, auf dem Tisch lagen ein Hammer, ein Nagel und ein ganz neuer Pappkarton mit dem Aufdruck: »Möbliertes Zimmer zu vermieten«, und darunter mit Tinte geschrieben: »II. Treppe rechts bei Frau Siebke.«

Also sie wollte ihm, trotzdem er die Miete für den nächsten Monat schon bezahlt, zum Ersten kündigen – heute, am 15. des Monats, war ja Termin dazu.

Theo saß und überlegte. Gut, dann mußte sie aber auch die fünfundzwanzig Mark wieder herausrücken, die ihm jetzt sehr willkommen waren. Er ging hinüber und fand Frau Siebke in der Küche, wo sie Kaffee trank und Zuckerschnecken dazu aß.

»Von Sie kann man sich allens erwarten«, sagte sie, »wenn Sie eene olle Frau die Wasserkanne uff ’n jrauen Kopp zerschlagen wollen – sonne Mieter kann ick nich jebrauchen – je eher, desto lieber! Und von det im voraus jezahlte Jeld werd’ ick abziehen, wat Sie mir Schaden jemacht haben. In die Politur von ’n Tisch haben Sie mit den Ziehjarren ’n Loch jebrannt, die Waschschüssel hat ’n jroßen Sprung, und in den Handtuch sind Tintenflecker, det haben Se als Wischlappen for allet Mögliche benutzt!«

»Es tut mir wahrhaftig leid, daß ich Ihnen die kalte Dusche nicht vorhin gegeben habe«, sagte Theo, »dann würden Sie jetzt klarer im Kopfe sein und sich nicht so ’n Schwindel aushecken.«

»Machen Sie keen Skandal nich in meine Wohnung, sonst zähle ich bis drei, und wenn Se denn nich ’raus sind, verklage ick Se wejen Hausfriedensbruch!«

»Von Ihnen kann man ja erwarten, daß Sie einem morgens in die Zijorienlorke spucken – Sie – Sie, na, Sie wissen’s schon, was Sie sind, Sie olle Morchel!« Und damit verließ Theo die Küche.

Am Nachmittag kam Heupferd. Er war ein bißchen zurückhaltend – Theo merkte, er fühlte sich etwas zurückgesetzt. Und aus dieser gekränkten Stimmung entsprangen seine ersten Antworten. »Nun bist du zu Hause ’rausjeschmissen worden, jetzt setzt dich die Siebke sogar an die Luft, ich glaube, es wird dir überall so jehen, wenn du so weiter übertreibst!«

»Weiter übertreiben – Zimt! Daß du so was sagen kannst, Heupferd, ärgert mich direkt! Wir beide haben uns doch darüber geeinigt, daß das, was die Philister unsittlich nennen, seine eigentliche Ursache in der blödsinnigen Gesellschaftsordnung hat, die man auf Religion und Moral aufgebaut hat! In unserem Alter muß man heiraten können – dann würden wir nicht unsittlich sein; aber wer nimmt einen denn als Schwiegersohn, wenn man immer noch Student ist?! Was du übertreiben nennst, ist nur Idealismus – ich will nischt mehr mit der Sorte von Weibern zu tun haben, die in den Bums-Cafés sitzen oder auf der Straße ’rumrennen. Ich will eine, die mich liebt und die ich liebe – und weil’s jetzt noch nicht mit der richtigen Ehe geht, versuch’ ich’s mit der wilden Ehe!«

»Ich bin ja ganz deiner Ansicht, brauchst also nicht so laut zu brüllen – natürlich hast du recht! Aber bei dir liegt die Sache jünstiger als bei mir. Ich habe kein Vermögen zu erwarten, ich muß aushalten, bis ich soweit bin, um eine Frau ernähren zu können. Du aber mit dem, was dir dein Alter aussetzen wird, kannst übermorgen heiraten, wenn du willst ...«

»So! Aber nicht die, die ich mir ausjesucht! Ich sag’ dir ja – wer wird einem Studenten seine Tochter als Frau jeben wollen ...«

»Och« – machte Heupferd mit einer zuversichtlichen Handbewegung.

Theo verdroß diese Hoffnungsseligkeit. »Ich weiß«, sagte er, »wenn ich heute da anklopfe, wo ich gern möchte, bekäme ich glatt einen Korb!«

»So – du hast also schon eine ganz Bestimmte auf ’n Kieker?«

»Ja!«

»Ich bin gespannt wie ’n Flitzbogen!«

Theo holte die Zigarrenkiste aus dem Schrank, gab Feuer, die Stimmung wurde sofort gemütlicher. Und da rückte Theo mit seinem Geheimnis heraus, erzählte von jenem Vorfrühlingstage, als er seine Schwester mit der feinen, zierlichen Bianka Rieth getroffen hatte.

»Die ...«, sagte Heupferd gedehnt. »Na, das wäre nun jerade nicht mein Jeschmack!«

»Warum?« fragte Theo beleidigt. »Kennst du sie denn überhaupt?«

»Nee, die wäre nicht mein Ideal!« bekräftigte Heupferd nochmals und sah ganz erleichtert aus. »Kennen – natürlich kenn’ ich sie, war ja in der Tanzstunde mit ihr zusammen! Von meinem medizinischen Standpunkt aus – zu bleichsüchtig und zu mager!«

»Jrade so ’ne Blasse, Schlanke reizt mich!«

»Weil du so robust und kräftig bist! Das hat die Natur wohlweislich so eingerichtet, daß solche Gegensätzlichkeit sich anzieht. Von meinem medizinischen Standpunkt –«

»Hör doch damit auf! Ich bin ooch Mediziner – Spezialarzt!«

»Für verfaulte Zähne!«lachte Heupferd. »Jott, nun nimmste das schon wieder krumm, war doch bloß ’n Witz!«

»Und was hast du sonst an ihr auszusetzen?«

»Sie ist ’ne Zierpuppe! Hatte ein Jemache und Jetue in der Tanzstunde, daß man sich trotz der Lackschuhe und Glacés immer dreckig vorkam. Am empfindlichsten war sie mit ihrer Nase. Alle Augenblicke sagte sie: ›Hier riecht’s ja so unangenehm!‹ Das kam immer auf jeden, der in der Nähe stand. Und dann das Dicketun mit der Künstlerschaft – weil ihr Vater mit Öl malt – nee, danke! Da ist mir ’ne Kleine, Dicke, Schmuddlige mit roten Backen lieber.«

»Jeschmacksache!«

»Natürlich Jeschmacksache – alles ist Jeschmacksache! Aber das kann ich dir im voraus sagen: Du wirst nicht ihr Jeschmack sein!«

»Warum?« Theo kniff die Augen zusammen.

»Ich bin dein Freund, Kognak, mir darfst du also nischt übelnehmen, wenn ich dir als der Jüngere auch mal was sage.«

»Im Jejenteil, ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir sagtest, was du an mir auszusetzen hast!«

»Ich nicht – Jott bewahre! Du bist mir so, wie du bist, am liebsten – möchte dich jar nicht anders haben! Bei den Leuten aber, in deren Gesellschaft du eindringen willst, würde man auf Schritt und Tritt an dir Anstoß nehmen!«

»So!«

»Ja – weil du zu natürlich geblieben bist, das, was man savoir vivre nennt, bis jetzt immer verachtet hast!«

»Du nicht?«

»Nee! Du kannst dir ja denken, bei uns zu Hause jing’s immer ein bißchen knapp zu – was hat denn ein pensionierter Major, der sich nicht ’ne reiche Frau genommen! Und mein Vater, der den Krieg Siebzig mitgemacht, hatte sich als Hauptmann in eine Französin verliebt und sie geheiratet. Mama war aus adliger Familie, aber unbemittelt. Sie hat sich in das glänzende Elend eines um die Ecke gegangenen Majors hineingefunden – aber darunter jelitten. Und jetzt leide ich! Auf dem Gymnasium hab’ ich mir nischt daraus jemacht, mit einem Jummikragen ’rumzurennen, seit ich aber in der Pepinière bin, ist mir das unmöglich, da bind’ ich, wie die andern, jeden zweiten Tag einen frischen Leinenkragen um. Und dann hab’ ich auf mich achten jelernt – zujute ist mir auch gekommen, was die Mama tagein, tagaus gepredigt. Trotzdem ahnst du nicht, was es mich doch noch gekostet hat, um in einer feinen Tischgesellschaft keinen Verstoß zu machen, bloß das eine will ich als Beispiel anführen!«

»Ich esse also wie ’n Schwein?« fragte Theo.

»Nein – sei doch nicht immerfort beleidigt«, sagte Heupferd, »ich will damit nur sagen: Es gibt eine solche Masse jeheimer Jesetze für jewisse Kreise, daß man sich sofort unmöglich machen kann, wenn man sie nicht beachtet oder am Ende jar nicht kennt!«

»So?«

»Ja – ich fühlte mich zuerst stets verlegen und verfluchte meine Hilflosigkeit, wenn ich irgendwo bei einem von meinen Kommilitonen eingeladen war. Aber allmählich hab’ ich’s jelernt – jetzt bin ich sicher – ich kann sagen, in jeder Situation – bei Tische, im Theater, wenn ich sitze oder stehe!«

»Dann freut’s mich bloß, daß du mit mir Stoffel noch umjehst!«

Heupferd paffte nach der Decke hinauf.

»Diese Empfindlichkeit, die du fortwährend zeigst, ist ein Fehler, lieber Kognak! Da heißt es, die Ohren aufsperren. Du bist mein Freund und so, wie du bist, mir am liebsten – das hab’ ich vorhin schon jesagt! Aber da dieses Thema nu mal aufs Tapet jekommen ist, halte ich es für meine Freundespflicht, janz offen und ehrlich zu dir zu sein. Deine Schwester Elli würde mir recht jeben, die hat eher jemerkt, wie der Hase läuft, und hat sich danach jerichtet – sie kennt ja auch diese Bianka; frage also mal, ob ich nicht recht habe!«

»Leider Jottes«, sagte Theo bekümmert. »Nu kann ich also, wie früher mein Oller das Konversationslexikon, den ›Guten Ton in allen Lebenslagen‹ auswendig lernen.«

Heupferd verkniff sich ein Lächeln. »Dann würdest du so fein sein, wie dein Alter jebildet worden ist. Nee, Kognak, aus Büchern lernt man so was nicht – das macht die Umgebung! Wir müssen öfter zusammen ausgehen – ins Theater, in Gesellschaft sein – die Tingeltangel hier und der ›Stramme Hund‹ sind aber nicht die jeeigneten Örtlichkeiten.«

»Aber weswegen bin ich hier in diese Gegend jezogen – weil ich meine Freiheit haben und mich ausleben wollte!«

»Ja, aber da wolltest du auch noch nicht eine aus juter Familie heiraten«, sagte Heupferd spöttisch, »noch dazu so eine, wie du dir da ausjesucht hast!«

»Bitte, keine Beleidigung!«

»Nee – aber ’ne Prinzessin auf der Erbse ist diese Bianka Rieth! Schon wie sie das Haar trägt – ein Weib muß lange Haare haben, kurze hab’ ich alleine! Wir haben sie in der Tanzstunde immer den unechten Tituskopf jenannt!«

»Ihr Banausen!«

Sie saßen, rauchten die Zigarren zu Ende, dann stand Heupferd auf und dehnte sich: »Heute ist Donnerstag, Tanzabend in Halensee!«

»Wo der jute Ton herrscht«, sagte Theo kühl.

»Komm man«, ermunterte Heupferd, »die Tanzsäle hier in der Jejend sind unjenießbar für mich, mir jefällt es weder bei Emberg noch bei Lestmann! Die Blasmusike da – der Staub – und diese Jarnitur von verdorbenen Mädchen! Komm, fahren wir nach Halensee und üben uns dort im Walzertanzen! Wer jut Walzer tanzen kann, hat schon ’ne Chance im Leben mehr! Und die Damen von der Konfektion haben den richtigen Dreh ’raus!«

Theo zog sein Portemonnaie und zählte das Geld.

»Reicht’s – ich meine für uns beide, denn du müßtest mir heute mal pumpen!«

Das Ergebnis schien befriedigend zu sein. Theo – der nun fühlte, daß er jetzt wieder Oberwasser bekam – machte sich zum Ausgehen fertig. – Eine Stunde später waren sie draußen in Halensee.

Der Wind schaukelte das ausgehängte Blechschild mit der verheißungsvollen Aufschrift: »Heute Grand Bai«; die Treppe zum Saal war von Gruppen dicht umlagert. Theo zahlte das Eintrittsgeld und suchte sich mit seinem Freunde einen Platz, von dem aus sie den Saal überblicken konnten. Sie spürten sofort, daß es hier anders zuging als in dem gemütlichen Wilmersdorf, und beobachteten daher vorläufig nur.

Die Mädchen rauchten Zigaretten, behielten beim Tanzen zumeist die großen Hüte mit den Pleureusen auf dem Kopfe, trugen rauschende Unterröcke und sagten bei jeder Gelegenheit: »Pardonk!« Aus den Gesprächen mit den Herren an den Nebentischen hörten Theo und Heupferd, daß die Damen gewohnt waren, »warm Abendbrot« zu essen und zum Schluß selbstverständlich in ein Café geführt werden wollten.

Zum Tanzen schienen sie nur gelegentlich aufgelegt. Geschah es, daß sie sich dazu entschlossen, so mußten die beiden Freunde die Routine anerkennen, mit der die Mädchen dahinschwebten. Polka vermieden sie, weil ihnen dieses »Jehüpfe« nur die künstliche Frisur lockerte, sie auch nur »unnütz anstrengte«, und Walzer tanzten sie am liebsten mit ihren Freundinnen, zeigten, wie geschickt sie dabei »changieren« konnten, worunter sie ein merkwürdiges Vorwärts- und Rückwärtsgleiten verstanden, was hier offenbar als höchste Kunst galt.

Theo und Heupferd verständigten sich zumeist durch Blicke, durch ein abfälliges Kopfschütteln – sie erkannten: Halensee war eine Enttäuschung, sie konnten sich zum Tanzen nicht entschließen, weil sie fühlten, daß ihnen an der Bekanntschaft mit solch einem anspruchsvollen Mädchen nichts gelegen war, daß hier »Liebe auf den ersten Blick« nicht mehr vorkam, daß man ein »Zavalier« sein mußte, um in den Augen dieser Damen etwas zu gelten.

Und plötzlich sagte Theo: »Da drüben – an dem dritten Tische links – sitzt Mieze!«

»Die mit dem großen roten Hut – das soll sie sein?« fragte Heupferd ungläubig. Doch nun erkannte auch er sie, beobachtete sie ein Weilchen in ihrem Benehmen mit den Herren, an deren Tisch sie saß, und sagte dann mitleidig: »Schade – was ist in der kurzen Zeit aus dem reizenden Mädel jeworden!«

»Ob sie uns jesehen hat?« – »Sicher!«

Die beiden Freunde saßen ein Weilchen betreten da, dann sagte Heupferd: »Ich möchte doch mal mit ihr sprechen ...«

»In deinen Au–gen

Steht es ge–schrieben ...«

begann jetzt der Klavierspieler wieder. Ein paar Sekunden blieb die glänzende Parkettfläche noch frei, dann drehten sich einige wenige Paare im Walzertakt.

Heupferd erhob sich, ging schräg durch den Saal, blieb vor Mieze stehen, verbeugte sich. Sie sah auf, fremd, kalt, schüttelte abweisend den Kopf. Einer der Herren am Tische sagte: »Die Dame tanzt nicht mit jedem!«

Heupferd sah den Herrn scharf an, trat seitwärts – überlegte. Ein junges Mädchen in seiner Nähe machte ihm freundliche Augen. »Darf ich bitten, mein Fräulein?« fragte er etwas ungewiß.

Sie hob sofort die Arme, bereit, mit ihm zu tanzen. Gleich darauf tanzte auch Mieze mit ihrem Kavalier. War es Zufall, war es Absicht – während des Walzers waren diese beiden Paare nebeneinander geraten, tanzten sich auf den Hacken. Und plötzlich stolperte Miezes Herr, fiel auf die Knie, erhob sich jedoch gleich wieder.

Heupferd, der weitergetanzt hatte, kam jetzt an der Stelle vorüber, an der der verunglückte Tänzer wartete – gleich darauf sah Theo, wie er Heupferd in den Weg trat, ein kurzer, erregter Wortwechsel begann, wie beide Herren den Saal verließen.

Theo eilte ihnen nach – aber da traten die beiden schon wieder in den Saal. Heupferd, der sehr blaß war, machte seinem Freunde eine Handbewegung, die andeutete, daß alles erledigt sei, kehrte mit ihm an den Platz zurück, schnitt eine Grimasse, die sorglose Heiterkeit verraten sollte, trank sein Bier aus und sagte: »Kognak – wir wollen jehen – Kontrahage! Ich hatte den elejanten Burschen für einen Kommis jehalten – ist aber Viehmuse – Tierarzt!«

»Das durfte nicht kommen.«

»Nee – aber er war unverschämt jeworden, und nachher rempelte er auch noch beim Tanzen – da hab’ ich ihn überrannt!«

Auch Theo trank sein Bier aus. »Weißt du – ich hab’ Lust, ’rüberzujehen – zu provozieren!« Er reckte sich in seiner ganzen Staatlichkeit auf.

Aber Heupferd sagte unwillig: »Nein, komm, mach keine Dummheiten!«

So verließen sie den Tanzsaal, fuhren nach Berlin zurück, versuchten voreinander Komödie zu spielen, sich den Anschein zu geben, als ob die bevorstehende Mensur nichts weiter als eine interessante Unterbrechung ihres täglichen Einerleis sei.

Nur beim Abschied sagte Heupferd: »Daß mir die Mieze noch solche Geschichten einbrocken würde, hätte ich auch nicht jeahnt!«

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