Читать книгу Berlin WW - Erdmann Graeser - Страница 4
Die feine Gegend
ОглавлениеFrau Lemke hatte ihren Schwiegersohn „ein bißchen für verrückt“ gehalten, als er damals darauf bestanden, daß seine Wohnung „draußen am Kurfürstendamm“ liegen müsse.
„Mir brächten keene zehn Ferde dahin“, hatte sie gesagt, „nich bejraben möchte ick da sind, wenn die modernen Häusakins ooch noch so scheen sind, und der sojenannte Komfohr — det is doch man bloß Falle. In een, zwee Jahre, wenn erst noch ’n paar Mieta drinnen sind, steijert eich der Wirt — denn könnt ihr det Zehnfache for det bisken Warmwassa und die Zentralheizung berappen.“
Frau Lemke hatte tauben Ohren gepredigt, weder Hans Zillmann noch Lieschen gaben etwas auf diese Prophezeiungen, ja — die Tochter hatte ihre Mutter sogar für „rückständig“ erklärt.
„Allet, wat ’n bißken wat is, zieht doch jetz da ’raus“, hatte Lieschen gesagt, „Hans versteht das besser — die Jejend, det is die Zukunftsjejend!“
„Keen Bäcka — keen Schlächta — nischt is da!“
„Det schicken eenen doch die Liefranten allet in’t Haus!“
„Na — wie ihr wollt, wenn ihr man jlicklich seid“, hatte Frau Lemke schließlich gesagt. — — —
„Wild-West“, wie damals noch das neue Viertel genannt worden war, hatte sich dann überraschend schnell in „Berlin WW“ verwandelt. Da und dort zwischen den Prachtpalästen des Kurfürstendammes gab es ja noch immer freies Terrain, auf dem die gelben Butterblumen und die „Käsenäppchen“ wucherten, die Haubenlerchen auf Besuch kamen, nachts verzweifelte Hunde heulten — die Nebenstraßen waren noch immer erst zwei, drei Häuser lang, führten auf freies Feld, wo in Laubenkolonien Kürbisse und Petersilie gezogen wurden, aber die Gegend hatte ihr Renommée, daran war nicht mehr zu rütteln.
Und — eines Tages — las man da und dort über den Ladentüren die Namen alter, angesehener Firmen, die hier Filialen eröffnet hatten, auf den Loggien und Balkonen, hinter der grellroten Pracht der Pelargonien wurden Menschen sichtbar, in den Abendstunden flammte elektrisches Licht auf, hörte man — statt der heulenden Hunde — Chopin und Beethoven spielen. Diener in Khakiuniformen und junge Dienstmädchen mit weißen Häubchen lauschten, vor dem „Nebeneingang“ stehend, dem Spiel ihrer Gebieterinnen und beaufsichtigten dabei hämorrhoidalisch gewordene Hunde — Hunde, die ihrer ganzen Beschaffenheit nach lieber Flöhe hätten werden sollen.
Wie seine Schwester mit ihrem Mann, so war — freilich erst ein paar Jahre später — auch Edwin Lemke mit seiner jungen Frau nach Berlin WW gezogen und schließlich siedelten auch die alten Lemkes in das neue Viertel über, nachdem sie ihr Haus in der Potsdamer Straße vermietet hatten. Daß dieses Geschäft rasch und glatt zustande gekommen, war das Verdienst Onkel Karls gewesen. Natürlich hatten ihn Lemkes bei dem Umzuge mitgenommen und man konnte ihn nun täglich auf dem Reitwege des Kurfürstendammes bewundern, wo er — in braunen Lederhosen, Stulpenstiefeln mit Sporen, den Zylinder etwas im Genick — den Apfelschimmel der Lemkeschen Gummiequipage als Reitpferd zu benutzen versuchte.
„Frieha, als ick noch bei die Injaners uff die nordamerikanischen Prärien war, bin ick uff die wildesten Mustangs ohne Sattel und Zaumzeich jeritten und hab’ se mit eenen Schenkeldruck rejiert — aba man is ja heite ooch nick mehr der Jingste und sonne Luders, wie det Biest hier, waren die Mustangs ooch nich.“
Und dann pflegte er das Pferd persönlich anzureden: „Willste oder willste nich?“ Aber der Apfelschimmel, der Demonstrationen liebte, blieb unbeweglich quer in der Mitte des Reitwegs stehen, wie ein Pferd, das ein für allemal sagen will: „Ich bin zum Ziehen da und nicht zum Reiten und gehe keinen Schritt weiter — basta!“
„Denn akläre ick mir sollidarisch — steh dir meenswegen die Beene in’n Bauch — wollen mal sehen, wer’t am längsten aushält!“
Und zu den Kindern, die sich ansammelten, sagte er: „Macht, det ihr wechkommt — der schlächt hinten aus — und wenn denn eier Kopp ab is, kann ick ihn nich ankitten!“
Gewöhnlich pflegte dann irgendein Kutscher helfend einzugreifen: „Der will wohl nich?“ lautete die Anfrage, während die Peitsche auf den Schimmel wies.
„Wat will er nich — stehen bleiben will er hier“, erklärte Onkel Karl.
Der eine hinten, der andere vorn, suchten sie dann mit vereinten Kräften dem Schimmel erst einmal die richtige Stellung zu geben.
„Nu steich ma’ uff“, hieß es dann zu Onkel Karl, der nach solch gemeinsamen Bemühungen von den Kutschern stets geduzt wurde. Und wenn er dann im Sattel saß und das Pferd noch immer nicht weiter wollte, wurde es mit der Peitsche „gekitzelt“.
So unterhaltsam das auch für alle Zuschauer sein mochte — Onkel Karl hatte nur wenig Freude an diesem plötzlichen Aufbocken des Tieres.
„Laß det Jestekere — mit Jüte areiche ick mehr“, lehnte er deswegen alle weiteren Dienste ab, und wenn dann der Schimmel auf freundliches Zureden und Beklopfen des Halses weiterging, war er ihm dankbar: „Wat, det können wir alle beede nich vatrajen, wenn sich fremde Leute mangmischen — denn jehen wir lieberst wo anders hin, wo uns keener zuseht!“
Hatte dann der Schimmel ein solches ungestörtes Plätzchen gefunden, begann er auch sofort von neuem mit seinen Demonstrationen, manchmal aber erwachte auch der Ehrgeiz in ihm und er ging willig bis zum Hippodrom im Tiergarten.
Dort, wo sich die Reiter unter Führung von Stallmeistern einzufinden pflegten, schloß er sich dann wohl den anderen Gäulen an. Und es war erfreulich zu sehen, wie er nun den Kopf hochwarf und feurig wurde. Willig trabte er wie ein Karusselpferd in der Runde, seufzte zwar ab und zu ein bißchen ironisch, schwenkte aber, wenn es weiterging, mit der Gesellschaft geduldig ab — kurzum, bewies, daß sich Onkel Karl keineswegs getäuscht, wenn er ihm edle Eigenschaften zugetraut hatte.
Hochbeglückt — völlig einig — kehrten sie beide an solchen Tagen zurück und die Ankunft vor dem Hause am Kurfürstendamm wurde stets ein Ereignis, weil der Schimmel — gewohnt, den Wagen hineinzuziehen — nicht eher ins Haus zu bringen war, als bis der Portier beide Türflügel geöffnet hatte.
„Ick weeß nich, Karrel“, pflegte dann, wenn Onkel nachher beim Essen seine Erlebnisse berichtete, Herr Lemke zu sagen — „ick weeß nich, det du dir noch imma so abrakkerst. Ick könnte det janich mehr!“
„Na“, meinte Onkel Karl, „’n bißken Bewegung muß man sich doch machen — ihr seid cchon wieda alle beede for Karlsbad reif, ick treib mir meen ibaflissijet Fett billja ab“.
„Sei nich so kommune, Karrel“, ermahnte Frau Lemke — „du weeßt doch, ick nehm’ rejelmäßig meene Troppen!“ — — —
Heute saß man nach dem Mittagessen in einem der Vorderzimmer und wartete, daß der Kaffee serviert werde.
„Wo bleebt denn nu wieda der Mokka“, sagte Herr Lemke.
„Die Schlachsahne wird noch jedroschen“, tröstete Onkel Karl.
„Jott, dauert det aba lange“, meinte nun auch Frau Lemke, stand auf und besah sich verdrießlich ihren Stuhl.
„Wat is denn?“
„Ick kann nich länga uff den Jugendstilstuhl sitzen, mir schläft allet in — mach dir nitzlich, Karrel, hol’ mir eenen Klubsessel rin!“
„Wat kooft ihr eich ooch son Zeich —“ sagte Onkel, „det is doch man bloß for die Hautewolleh!“
„Det sind wir —“ sagte Frau Lemke.
„So — na, denn derfste dir ooch nich beklajen, die echte Hautewolleh sitzt sojar uff Sehzeßjonsstilstühle.“
„Wie sind denn die?“ erkundigte sich Herr Lemke neugierig.
„Die —“ sagte Onkel, den Klubsessel hereinschleppend — „sind noch kleena und jrien lackiert“.
„Also man bloß een Stitzpunkt —“ meinte Herr Lemke.
„Janz recht“, sagte Onkel, „man piekt ihn sich hinten in und denn blangsiert man!“
„Nu vasteh ick ooch, wa’m det imma Stiehl heeßt —“ sagte Frau Lemke.
„Sehste, man muß sich det nur allens mal klar machen —“ bedeutete ihr Onkel mit einer eleganten Handbewegung — „und nu zähl’ ick bis drei, und wenn denn der Kaffee nich hier uff’n Tisch steht, läute ick den Jong!“
In diesem Augenblick schrillte draußen die elektrische Klingel.
„Jott — wer kann denn det jetz sind“, sagte Frau Lemke.
„Wahrscheinlich wieda eene von deene neie Freindinnen“, sagte Herr Lemke.
„Nee —“ rief Onkel Karl, der auf den Balkon getreten war und hinuntergesehen hatte — „vor die Türe hält ja Zillmann seen Automoppel — et wird Liesken sind!“
Gleich darauf trat sie ein — in schickem Tenniskostüm, das in einer eleganten Schutzhülle steckende Racket unter den Arm geklemmt.
„Tach —“, sagte sie.
„Tach —“ sagten alle, und Onkel setzte freundlich hinzu: „Wo is’n deen Jatterich?“
Die junge Frau beantwortete diese teilnahmsvolle Frage nur durch einen verächtlichen Blick.
„Ich jeh jleich wieder“, sagte sie, sich in den Klubsessel werfend, „ich wollte bloß fragen, Mama, ob du heute abend mit in die Kammerspiele kommst?“
„Nee — die Sticke sind mir da zu jemein —“ sagte Frau Lemke.
„Denn muß ick se mir ooch mal ansehen“, mischte sich Onkel Karl ein, „welchet is det jemeinste?“
„Wa’m jehsten nich mit deen’n Mann?“ warf Herr Lemke dazwischen.
„Hans kann heute nich — er muß in’n Klub“, sagte die junge Frau — „aber ich versteh dich nicht, Mama, mit solchen Ansichten kannste dich doch gräßlich blamieren. Na — adje“ — setzte sie hinzu, während sie aufstand und sich den Rock glatt klopfte.
„Wo wi’sten nu schon wieda hin — bleeb doch noch und trink ’ne Tasse Kaffee mit!“
„Ich muß zu’n five o’clock tea, muß mich doch noch umziehen!“
„Ach so — na denn adje, amüsier dir scheen!“
Und als sie hinaus war, sagte Frau Lemke mit einem nachdenklichen Kopfschütteln: „Sehr jlicklich scheinen die beeden och nich zu sind — da zieht jeda seen’n eijenen Strang!“
„Det konnt’ ick dir vorhersajen“ — bemerkte Onkel Karl, der am Fenster stehend die Abfahrt des Automobils beobachtet hatte. „Det wußte ick schon an’n Hochzeitsabend. Wenn sich eene Braut an ihr Kleid ooch nur een’n Stich selber näht, is se schon varratzt!“
„Se konnte doch nich mit de abjejangene Rüsche loofen, wat hätten der Superndente zu jesagt —“ verteidigte Frau Lemke ihre Tochter.
„Und denn hat se sich ooch keen Jeld in die Schleppe jemacht!“
„Na ja, det is in den Trara dunnemal vajessen worden“ — sagte Frau Lemke.
„Det Schlimmste aba war, det die Kutsche mit det Brautpaar umschwenken mußte, als et nach die Kirche jing —“ sagte Onkel Karl.