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Im Zoo

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Die junge Frau Lemke saß in einem der großen, weißen Korbstühle vor dem gedeckten Tischchen auf dem Balkon und wartete auf Edwins Heimkehr.

Ab und zu hob sie den Kopf und spähte über die Pelargonien, wenn sie glaubte, den Schritt ihres Mannes draußen vor der Haustür gehört zu haben. Tante Marie, die bereits um sechs Uhr ihr Abendbrot verlangte und jetzt schon zu Bett war, hatte sie mit ihrem schlechten Traum ein bißchen unruhig gemacht. Wie leicht konnte man in dem Wagengewirr der Leipziger Straße verunglücken! Und Edwin war stets so unvorsichtig — ging den Droschkenpferden unter den Köpfen weg und kümmerte sich um keine Automobile, wenn sie ihm nicht die Hacken abrissen.

Nach einer Weile aber fuhr die junge Frau jäh auf: Sie hatte den Signalpfiff gehört, mit dem ihr Mann sich — schon immer ein paar Häuser vorher — anzumelden pflegte. Nun knipste sie rasch das elektrische Licht an — die Drahtspirale erglühte unter dem roten Seidenschirm, und dann — als Grete hinuntergenickt — lief sie in die Küche, um das warme Gericht aufzutragen. Denn das Mädchen war natürlich wieder nicht da.

Edwin aß Rührei so gern, und der Kummer der jungen Frau war nur, daß ihr Mann gerade an den Tagen, wo es Rührei gab, immer zu spät nach Hause kam. Auch heute war das Gericht schon wieder „pampig“ geworden und sah nicht mehr hellgelb, sondern rötlich aus. Edwin legte Farbwerten jedoch keine besondere Bedeutung bei, wenn er hungrig war, und aß wie ein Mensch, der eine große Leere auszufüllen hat. Er tat das unter Beobachtung aller Anstandsregeln und mit der Grandezza, die die Eile zuläßt, trotzdem aber fühlte sich die junge Frau veranlaßt, hin und wieder sanft zu ermahnen: „Stopf doch nicht so — es nimmt dir ja keiner weg!“

„Nee?“

Und wie einer, der im Eilmarsch gelaufen und nun in ein langsames Schrittempo verfallen will, begann er taktmäßig zu kauen, bis die Zähne — wie eine in Gang kommende Nähmaschine — von neuem eilfertig zu arbeiten anfingen.

Als sie dann merkte, daß der erste Hunger gestillt, versuchte sie, Edwin auszufragen. Sie hatte für alles Interesse, was tagsüber im Geschäft vorgekommen war, machte ihre Kombinationen selbst aus Bagatellen und gab ihm kleine Fingerzeige, wie er sich verhalten sollte, um den andern bei den Chefs den Rang abzulaufen.

Der warme Abendwind trug die Töne des Konzerts aus dem Zoologischen Garten herüber — sie lauschten beide.

„Wollen wir noch?“

Eine Viertelstunde später gingen sie dann, Arm in Arm, den Kurfürstendamm entlang und tauchten in dem Gewühl des Gartens unter. In der Nähe der Kapelle kamen sie nur noch langsam vorwärts — hier staute sich die Masse, die in dem breiten Weg promenierte — hier saßen — auf rotgestrichenen Stühlen in weitem Halbkreis — die Musikenthusiasten, losgelöst von allem Irdischen ohne Verlangen nach Speise und Trank, ebenso begierig, die Musik zu sehen wie zu hören.

Weiterhin dann, an den Tischen, die den Mittelgang begrenzten, war die große Kolonie der „Allesmitmacher“ und „Billiggenießer“, die sich wenigstens eine Selter, eine Schinkenstulle, ein paar Gläser Bier leisteten, um die Berechtigung als Dauersitzer zu haben.

Da und dort war noch ein Stuhl frei — aber er wurde ängstlich gegen alle Angriffe verteidigt, denn er gehörte gewöhnlich der Tochter, die — unter den Augen der Eltern — auf dem breiten Wege promenierte und ihr Glück zu machen versuchte — unterstützt von dem keck aufgesetzten unechten Panama, der ausgeschnittenen Batistbluse und dem fuß— oder knöchelfreien Rock. Ganze Generationen — von der steinalten Urgroßmutter bis zum gerade entwöhnten Kinde — hielten mutig den grimmigen Blicken der Kellner stand, die sich die zehn Pfennige Trinkgeld längst verdient und nun von neuen Gästen weitere Einnahmen erhofft hatten.

Oben auf der Terrasse saßen die Leute, die sich’s leisten konnten — die Entrecôtes für zwei bis drei Personen oder eine Hummermayonnaise für sich allein aßen und dazu eine Flasche Rotwein mit dem nötigen Selterwasser tranken. Wo man wirklich die Sektpfropfen knallen hörte, war das Ereignis durch den vorher gebrachten Eiskühler längst angekündigt worden, und man freute sich an diesen Tischen der allgemeinen Aufmerksamkeit als eines teuer erkauften Tributs — ohne zu ahnen, wie sie — diese verlebten jungen Männer, die sich so mitleidserregend neben den üppigen, federgeschmückten, seidenrauschenden Damen ausnahmen — eigentlich eingeschätzt wurden, und wie man ihr Monokel-Grafentum belächelte, das sich in devotes Kommisgebaren verwandelte, falls der Zufall den Chef des Geschäfts vorüberführte.

Ab und zu — wenn die Kapelle verstummte — erhoben die Flamingos ein Wehgeschrei, verärgert darüber, daß ihnen die Menschen, die sich hier um ihre Gewässer niedergelassen, selbst die Nachtruhe störten, während die Raubtiere, die Wiederkäuer und Affen längst schlafen konnten. Denn die Liebespärchen, die aus dem grellen Hell der elektrischen Lampen in das schützende Dunkel der Nebengänge entwichen und an den Käfigen der schlafenden Tiere vorüberstrichen — flüsterten nur all den Unsinn, den Löwe und Tiger hier schon seit Jahrzehnten gehört, den zu erlauschen selbst die Hyäne zu fade fand.

Frau Grete Lemke stieß ihren Mann warnend an und machte eine Kopfbewegung nach der Terrasse: „Da oben sitzen Zillmanns!“

Edwin wollte den Hut ziehen und sich Schwester und Schwager bemerkbar machen, aber Grete faßte seinen Arm und suchte ihn fortzudrängen: „Komm’, die essen jetzt erst — und wir haben ja schon zu Hause gegessen — wir müssen sonst wieder mitmachen, und du weißt, was das kostet! Laß sie nur — die haben ja ihre Bekannten, die wollen uns gar nicht!“

„Ich möcht wahrhaftig wissen, wie der“ — ein Kopfschwenken wies nach dem Schwager —, „wie der das anstellt? Der lebt ja fast nur noch von Karlshorst — paß auf, dem klopfen sie auch noch mal auf die Finger!“

„Mama gibt ja immer noch —“ sagte Grete seufzend. „Und hast du das Kleid gesehen — das war Libertyseide, ein ganz neues Kostüm — da hätten sie sich wieder geniert gefühlt, wenn ich mich mit meiner Waschbluse zu ihnen gesetzt — nee, wozu soll ich mich denn den ganzen Abend sticheln lassen!“

„Er versteht es ja“ — sagte Edwin — ohne die Kostümfrage zu beachten — „er hat ein paar gute Vertretungen, und die Terrainspekulationen bringen ja auch genug — aber trotzdem, irgend was ist faul, das ist nu mal sicher!“

Die Kapelle begann wieder zu spielen, neues Leben kam in die Menschenmenge, und das Stimmengewirr wurde lauter und lebhafter.

„Werri well“ — sagte da jemand plötzlich hinter dem jungen Ehepaar.

Unwillkürlich schwenkte Edwin ein wenig ab, um den Sprecher vorzulassen, war aber starr vor Verwunderung, als er in ihm Onkel Karl erkannte, der — an der Seite einer pompösen, ganz in Schwarz gekleideten Dame — eilig vorüberschritt, ohne seine Verwandten zu bemerken.

„Ick sein serr erstaunt über Ihre Lebensanschauungen“ — hörte man die Dame sagen.

„Da is janischt zu astaunen“, sagte Onkel Karl, „det is nu mal so und nich anners!“

„I beg your pardon! …“

„Det verflixte Jespieke“ — sagte Onkel — „wenn Se bloß erst Deitsch könnten!“

Was die Dame darauf erwiderte, war nicht mehr zu verstehen, da Onkel mit ihr nach der Terrasse abschwenkte.

„Was war denn das?“ fragte Edwin.

Frau Grete war ebenso verblüfft: „Mama hat zwar neulich schon zu Tante Marie was fallen lassen, daß Onkel Karl sich jetzt mit Heiratsabsichten trage, aber sie glaubte selbst nicht daran — nu wissen wir wenigstens Bescheid!“

„Wo hat er die denn bloß aufgegabelt? — Ich hätte ihm gar nicht so viel Geschmack zugetraut, komisch bloß, daß die mit ihm zufrieden ist, die könnte doch ganz andere Ansprüche stellen!“ sagte Edwin.

„Wer weiß, wie das nu wieder zusammenhängt! Mit Onkel Karl ist das ja immer so ’ne Sache —“ meinte Frau Grete — „der fängt doch stets furchtbar großartig an und nimmt dann jedesmal ein schreckliches Ende. Ich denke bloß noch an die arme Joldelse — wie die zugrunde gegangen ist!“

„Na ja — das war ’n Hund“ — sagte Edwin — „aber die da sieht doch gar nicht so aus, als wenn sie sich von Onkel unterkriegen ließe — wo er doch überhaupt keine Ahnung hat, wie man mit Damen umgeht. Schade, daß wir die Weiterentwicklung nicht gesehen haben, ich bin doch gespannt, was Zillmanns sagen werden!“

„Da wird ja ein Tisch frei“ — sagte Frau Grete — „wenn du noch ein Glas Bier trinken willst — setzen wir uns doch da hin, da können wir ja alles sehen, ohne daß sie uns bemerken!“

Edwin gelang es auch noch, den Tisch zu erobern, bevor eine andere Gesellschaft, die ebenfalls darauf losstürmte, herangekommen war.

Und als dann der Kellner das Bier und die Selter gebracht und sich — der Sicherheit wegen und um bei weiteren Bestellungen ein neues Trinkgeld zu bekommen — sofort hatte bezahlen lassen, beobachteten sie — aus dem Halbdunkel der Baumschatten — die Sensation, die Onkel Karls und seiner Begleiterin Erscheinen noch immer auf der Terrasse machte.

„Dabei sieht er gar nicht so schlecht aus“, meinte Edwin, „man könnte ihn wer weiß für was halten mit dem grauen Zylinder und den karierten Hosen — noch dazu, wo er das Haar jetzt so amerikanisch trägt!“

„Ja — wenn er bloß nicht so berlinerte“, sagte Frau Grete, „hör’ bloß, wie er schreit! Die Leute lachen ja schon alle über ihn!“

Und wirklich, Onkel Karls Stimme war bis hier unten vernehmbar — er schien aufs äußerste durch die spöttischen Blicke ringsum und die Langsamkeit des Kellners gereizt zu sein: „Wenn Se mir nich jetz jleich meen Filet à la Wellingtong und die Schleiforellen mit den jefrornen Meerrettich bringen, denn hau’ ick uff den Tisch, det die Pulle hochspringt — vastehen Se! Ick bin doch keena von die Fatzkens hier, die Sie so behandeln können!“

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