Читать книгу Berlin WW - Erdmann Graeser - Страница 5

Der Hausgeist

Оглавление

Während „Zillmanns“ — welche Kollektivbezeichnung selbst Frau Lemke gebrauchte, wenn sie Schwiegersohn und Tochter meinte — weit draußen, beinahe an der Halenseebrücke wohnten, hatte sich Edwin Lemke mit seiner jungen Frau ganz vorn am Kurfürstendamm niedergelassen.

„Ich muß in der Nähe der Hochbahn sein“, hatte er damals gesagt, „muß jeden Augenblick ins Zentrum flitzen können — für Autos hab’ ich kein Jeld!“

„Die sind sparsam“, pflegte der alte Lemke mit einer gewissen Genugtuung zu sagen: „Edwin hat wat von mir und ooch von Jroßmutta jeerbt!“

„Von mir ooch“ — sagte dann jedesmal Frau Lemke — „det liecht eben d’ran, det ick mit den Jungen zu eene Zeit jejangen bin, wo’t uns noch schlecht jing, wo wir noch in die untairdsche Tante in die Ackerstraße saßen und mit jeden Dreia rechnen mußten“.

„Weeßte — Anna — ob det nich dunnemals scheena war“, seufzte Herr Lemke bei solchen Erinnerungen. „Wenn ick noch mal sonne bequeme Hosen tragen und in Hemdsärmeln jehen könnte …“

Aber seine Frau lehnte diese Verhältnisse ab: „Jott sei Dank, det det hinta uns liecht — manchmal treime ick von: Denn seh ick dir Weißbierpullen uffmachen und mit die blaue Schirze die Bierringe von’n Tisch wischen — nee, danke, ick möchte nich nochmal zurück — wir haben uns redlich abjequält, und wer weeß, in wat for kimmaliche Vahältnisse wir trotzdem leben wirden — wenn uns Jroßvata nich unter die Arme jejriffen hätte!“

„Ja — ja — ja, det war schon ’n Leben, na, ick bin ja ooch froh, dettet allet hinta uns liecht. Aba ick freie mir imma wieda, wenn ick seh, det Edwin sich nu janz aus eijne Kraft wat jeschafft hat und det Jeld nich vapraßt!“ „Wo der Junge doch so’n schwachen Kopp hatte“ — betonte Frau Lemke — „und ihn det Jimnasium so schwer jeworden is …“

„Und wenn er dunnemals nich die Jrete kennen jelernt — wer weeß, wiet denn mit ihn jeworden wär!“ sagte Herr Lemke.

„Ick jlobe ja ooch, er wirde jänzlich vaschludern, uff’n besten Weje war er ja schon, wo er die vielen juten Freinde hatte und imma die Nächte lang wechblieb. Aba det Meechen hat ihn feste an’n Wickel jenommen!“

„Ja — det muß man sie lassen, wer hätte jedacht, wat in det schichtane junge Ding steckt, ’n Mann, der nischt is, will se nich haben, hat se jesacht“ — Herr Lemke lachte vergnügt vor sich hin.

„Na — und nu is er wat“ — sagte Frau Lemke — „und wat Feinet, wattet frieha noch janich jab — Reijongscheff! Ick jeh manchmal hin und seh ihn mir an, wie er in Lackschuhe und mit’n elejanten Rock wie son Jraf dasteht und man bloß mit die Finga winkt oda sich vabeugt!“

„Na dafor kriecht er det Jeld nich — det is bloß Zujabe — die Hauptsache sind doch seene Branschekenntnisse!“ meinte Herr Lemke.

„Wer bestreit’ denn det — will ja keen Mensch deenen Edwin wat rauben“ — sagte Frau Lemke — „eens untaschätzte aba doch, wat von jroße Bedeitung is, denn du wirst dir erinnern, dettet mit Edwin ooch nich so jlatt jejangen is, eh’ er die Stellung kriechte“.

Herr Lemke machte einen Versuch, sich den Zusammenhang zu erklären, gab es aber wieder auf, als er fehl riet: „Du meenst als ihn det kleene Kind starb?“

„Det war der Abschluß“ — sagte Frau Lemke, — „bis dahin jing sie allet vaquer, wat se ooch machten. Aba denn, als Maries Mann jestorben war und sie Tanten bei sich jenommen haben — denn hörtet uff eenmal uff!“

„So?“ sagte Herr Lemke verständnislos.

„Bejreifste noch immer nich? Jott, Willem, et wird ja imma schlimma mit deen’n Kopp. Manchmal denk ick, et liecht bloß dran, dette ’n bißken schwer hörst, aba det is’s nich!“

„Laß doch meenen Kopp zufrieden“, sagte Herr Lemke, „der reicht noch alle Tage forn Hausjebrauch aus. Also — wat meenste denn vorhin?“

„Seh ma’ — Tante Marie hat imma ’n bißken wat Ibasinnlichet jehabt — mit die Traumbiecha und det Kartenlejen …“

„Nu weeß ick schon“, unterbrach Herr Lemke, „du meenst die Selje?“

„Lemkes selje Witwe meene ick“, sagte Frau Lemke nachdrücklich. „Bei uns merken wir nischt mehr von sie — aber bei Edwin jeht sie in und aus!“

„Det is doch janz anners zu verstehen“ — sagte Herr Lemke.

„Woso?“ fragte seine Frau, ihn völlig fassungslos anstarrend.

„Seeh’ste, Anna“, sagte Herr Lemke, „du hast mir imma for dumm jehalten, ick bin’t aba nich. Ick hab mir die Sache jrindlich klar jemacht und nu weeß ick’s: Lemkens selje Witwe — meene Urjroßmutter — det is sozusagen der olle jute Jeist, der in uns Lemkes drinne jestochen hat und der in Edwin und seene Frau wieda uffjewacht is. Von uns is er jewichen und von Liesken will die Selje ooch nischt wissen, aba von Edwin. Und Tante Marie, die uns dunnemals uffjenommen, als wir noch nischt hatten und nischt waren — die hat die Selje beschworen!“

„Willem, sei bloß nich so fisjonehr“, sagte Frau Lemke, „ick ängstje mir denn imma so um dir!“

Am Nachmittag, als Herr Lemke wie gewöhnlich schlief, suchte seine Frau Tante Marie auf. Das alte Frauchen, das jetzt ein schwarzes Seidenkleid, einen falschen Scheitel und — statt der verstaubten Taftschleife — ein hübsches Spitzenhäubchen trug, saß wie gewöhnlich am Fenster im Sonnenschein und ließ ihr welkes, runzliches Gesichtchen bestrahlen.

„Ach Jott“ — sagte Frau Lemke — „nu ha’icks doch wieda vajessen, Tante, ick wollte dir ja meen’n Faltenjlätter mitbringen!“

„Häh?“ machte Tante, die zu ihrem alten Rheumatismus noch eine periodisch auftretende Schwerhörigkeit bekommen hatte. „Du mußt lauta sprechen ick hör’ heit wieda schwer!“

„Fal—ten—jlätta!“ schrie ihr Frau Lemke in die Ohren.

„Meen Jott, die is heit wieda janz taub“ — sagte Frau Lemke, laut vor sich hinsprechend. Und ihre Lungenkraft zusammennehmend, schrie sie ihr noch einmal in die Ohren:

„Ick meene meen’n Massierapparat, da knudelt man sich in’t Jesichte mit rum, wie mit son Plätteisen, denn jehen die Falten weg!“

Da Frau Lemke ihre Worte durch entsprechende Handbewegungen unterstützt und deutlicher zu machen versucht hatte, gelangte Tante Marie zu der Annahme, daß sie irgendwo im Gesicht etwas Schwarzes habe, wischte deshalb mit dem Taschentuch eifrig Backen, Nase und Stirn und besah sich dann das Tuch in der Erwartung, das Schwarze darauf wiederzufinden.

„Nee is ja nischt — laß man!“ schrie Frau Lemke.

„Jieb mir mal die Horchtute“ — sagte Tante Marie, auf das Höhrrohr weisend, das auf dem Nachttisch lag.

„Nu nimmt se wieda die vaflixte Trompete, wo se en’n imma mit an die Backen stößt, wenn man sie wat sagen will“, murrte Frau Lemke.

Wenn sich die Konversation nun auch etwas schmerzhaft gestaltete, so machte sie doch jetzt wenigstens Fortschritte. Der Besuch erfuhr, daß „Jrete“ — Edwins Frau — bald wiederkommen müsse, daß man Kalbsfilet mit Rührkartoffeln, gedämpfte Kirschen und Flammeri zu Mittag gehabt und daß das Dienstmädchen in der Nacht heimlich in die Speisekammer gegangen und eine halbe Leberwurst gegessen habe.

„Denn haltet ihr se zu knapp“ — sagte Frau Lemke.

„I — bewahre“, schrie Tante Marie, die — wie alle Schwerhörigen — in dem Glauben lebte, daß der andere auch ein bißchen taub sein müsse, „so jut wie hier hat’s keen Meechen nirjens woan’ners. Se kriegt dasselbichte wie wir!“

„So!“

Und dann glitt die Unterhaltung auf Herrn Lemkes Geisteszustand über. „Ick mach’ mir wirklich Sorje um Willem“, schloß Frau Lemke.

„Broochste nich“, schrie Tante, „mit’s Jehirn kriecht Willem nischt, eha mit die Beene. Wenn die Beene anschwellen, denn is’s jefährlich!“

„Na — habt ihr denn hier wat von die Selje gemorken?“ erkundigte sich Frau Lemke.

„Jestern hatte’s ja ’n bißken gespukt“, schrie Tante, „aba et war nich von Bedeitung!“

Berlin WW

Подняться наверх