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4.

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Michael rümpfte die Nase. Er konnte den scharfen Geruch von Luminol ebenso wenig leiden, wie er die Forensiker der Serologie leiden konnte, die ihn mit wichtiger Miene verbreiteten.

Wie immer, wenn er einen Tatort betrat, stachen ihm die Typen der Spurensicherung als Erstes ins Auge. Grimmig verfolgte Michael ihr reges Treiben. In ihren Tyvek-Strampelanzügen schwirrten sie umher wie große Babys, denen man Hightechspielzeug gekauft und zu viele Folgen CSI gezeigt hatte.

„Passen sie auf, Mann! Hier ist abgesperrt!“

Ein Strampelanzug mit dicker Hornbrille rannte hysterisch auf ihn zu und gestikulierte wild mit beiden Armen. So wild, dass ihm die ALS-Lampe mit dem grünen Lichtfilter fast aus den Händen glitt.

Und wie immer nahmen sie sich viel zu wichtig.

Dabei waren es letztendlich fast immer Typen wie Michael, die Verbrechen aufklärten. Typen, die bereit waren ihren Verstand, ihre Normalität zu riskieren. Typen, denen es nichts ausmachte, bis zum Hals in Scheiße zu versinken. Manchmal auch tiefer.

Denn wenn Technik versagte, bedurfte es anderer Talente. Michael genoss noch einen Augenblick lang den entrüsteten, fast panischen Gesichtsausdruck des dürren Mannes, ehe er sich der vielen Augenpaare bewusst wurde, die sich auf ihn und Kate richteten. Ihr Auftauchen war nicht unbemerkt geblieben.

Während Kate sich demonstrativ näher zu ihm stellte, verfinsterte sich sein Blick noch mehr. Ablehnung und Misstrauen schlugen ihm entgegen wie eine eisige Welle. Die wenigsten hatten seinen neuerlichen Einsatz gut geheißen.

Michael Scotts Miene hellte sich erst ein wenig auf, als er Jo Maryland erblickte.

„Schön Sie wieder an Bord zu haben“, sagte der kleine, durchtrainierte Gerichtsmediziner. Es klang ehrlich.

Michael nickte ihm zu. Seine harten Gesichtszüge wurden für ein paar Momente weicher. Dann aber fragte er ernst: „Ergebnisse?“

Jo Maryland grinste schief: „Sie sollten wissen, dass ich nicht über Ergebnisse spreche, ehe die Untersuchungen abgeschlossen sind. Ich mag keine schlecht recherchierten Vermutungen.“

„Und sie sollten wissen, dass Agent Scott solange nicht mehr von ihrer Seite weichen wird, bis er ein paar Antworten bekommen hat“, warf Kate lächelnd ein.

„Ah, Agent Landers, der einzige Lichtblick in einer kalten, grausamen Welt. Was macht der Fußball?“

Der Arzt erwiderte Kates Lächeln: „Wissen Sie, Kate, Sie sind immer noch die einzige fußballspielende Frau, die ich persönlich kenne.“

„Sie sollten lieber fragen, was ihre Schuhe machen“, feixte Michael.

„Häh?“

„Beim letzten Match hat es keine 10 Minuten gedauert, bis sie das Tor getroffen hat“, erklärte er: „Allerdings nicht mit dem Ball, sondern mit dem Schuh.“

Die beiden Männer grinsten über beide Ohren, wie pubertierende Jugendliche. Für einen kurzen Augenblick lockerte sich die bedrückende Atmosphäre an diesem düsteren Tatort.

„Na ja, wenig Zeit dazu. Ein Mordfall nach dem anderen“, ignorierte Kate die beiden.

Die bittere Realität kam zurück.

Maryland nickte zustimmend: „Ja diese Welt wird nicht besser, ich kann mich noch erinnern als ich vor zehn Jahren ...“

„Ist die Leiche noch hier?“, unterbrach ihn Michael bestimmt. Er kannte die Vergangenheit Marylands mittlerweile besser als die eigene.

Es hatte noch nie ein Zusammentreffen gegeben, bei dem der Gerichtsmediziner nicht mindestens eine Episode aus seinem Leben zum Besten gegeben hatte. Ganz egal, wie unpassend die äußeren Umstände auch zu sein schienen.

„Selbstverständlich ist die Leiche noch hier“, Maryland hob resignierend die Hände, „Da geht wieder mal überhaupt nichts vorwärts. Gibt ja auch keinen Grund zur Eile.“

Michael musste wieder grinsen. Zu gut kannte er den ungeduldigen Ton in Marylands Stimme.

Außerdem wusste Michael, wie eilig es Gerichtsmediziner prinzipiell hatten, die Leichen in ihre stillen Laborräume zu bringen. Das galt besonders für Leichen bei aufsehenerregenden Mordfällen.

Dafür gab es zwei Gründe.

Einerseits die Tatsache, dass jede Minute zählte. Je länger die Zeitspanne zwischen Tat und Obduktion war, desto schwieriger wurde ein exaktes rechtsmedizinisches Gutachten.

Je frischer das Fleisch, desto höher der Preis‘, hatte Maryland einmal wenig poetisch erklärt.

Andererseits konnten Gerichtsmediziner es nicht leiden, dämliche Fragen von ermittelnden Agents und Detectives zu beantworten. Selbst Michael schüttelte manchmal den Kopf über das mangelnde Basiswissen anatomischer Grundvorgänge mancher Ermittler.

Noch mehr als blöde Fragen aber hassten es Gerichtsmediziner, wenn übereifrige Agents die Leichen befummelten. Wenn sie damit begannen, die leblosen Körper zu verrenken, zu verschieben oder an ihnen herumzuzerren, weil sie glaubten, etwas Bahnbrechendes entdeckt zu haben. So mancher Agent hatte dann schon Blicke geerntet, als hätte er der Ehefrau des Gerichtsmediziners in den Busen gekniffen.

Auf jeden Fall wusste Michael, wie viel Mühe sich gerade Jo Maryland stets gab, um die äußere Leichenbeschau möglichst schnell hinter sich zu bringen.

Ein paar schnelle Fotos – mit diversen Belichtungen, in allen erdenklichen Winkeln; hastiges Entkleiden der Leiche und das visuelle Abtasten nach besonders auffälligen Blessuren oder Hämatomen; unter Umständen noch das Messen der Körperkerntemperatur. Damit war das Prozedere auch schon beendet und das Kommando zum Abtransport wurde gegeben.

„Also gut“, murmelte Jo Maryland, „aber solange mein Bericht nicht vorliegt, gibt es für nichts was ich sage eine Garantie.“

Kate und Michael tauschten einen schnellen Blick, während sie dem Gerichtsmediziner zu der aufgebahrten Leiche folgten. Dort verharrten sie kurz, ehe Maryland entschlossen das weiße Laken zurückschlug.

„Außerdem bin ich mir in diesem Falle ziemlich sicher, dass es derselbe Täter war. Genau dieselbe Vorgehensweise und genau dieselbe Präzision wie bei den ersten beiden Morden. Sehen sie diese winzigen Schnitte am Kopf?“

Kate schluckte und auch Michael musste sich fast dazu zwingen, die grässlich entstellte Leiche anzusehen.

Außenstehende glaubten immer dieser Anblick machte den erfahrenen Ermittlern nichts mehr aus. Das stimmte so aber nicht immer. Für Michael war es wie beim Thaiboxen. Man gewöhnte sich mit der Zeit an die harten Schläge und konnte sie einstecken, aber sie taten trotzdem weh.

Jo Maryland fuhr fort: „Er hat ihr mit einem scharfen Messer die Haare abgeschnitten und den Kopf geschoren. Danach hat er ihr den Mund zugenäht und die Augen entfernt. Die Art und Weise, wie er die Enucleatio bulbi durchgeführt hat, lassen für mich keine Zweifel zu. Derselbe Täter.“

„Enucli…was?“, fragte Michael.

„Habe ich das nicht bereits letztes Mal erklärt?“, Maryland schürzte die Lippen.

„Doch“, erklärte Kate sanft, „Aber da war Michael nicht dabei.“

„Ach ja, genau. Es bedeutet soviel wie das Entfernen des Auges.“ Der Mediziner machte eine kurze Pause, um Atem zu holen: „Jedenfalls hat er auch diesmal perfekt gearbeitet. Sauber von innen nach außen. Keine unnötigen Kratzer. Weder Lider noch Wimpern beschädigt. Fast schon kunstvoll.“

Jo Marylands Stimme hatte einen seltsamen Klang bekommen. War da so etwas wie verborgene Anerkennung? Bewunderung?

„Hat sie dabei auch gelebt wie die anderen?“, unterbrach ihn Michael grob.

Der Gesichtsausdruck des Mediziners verdüsterte sich: „Das kann ich wirklich noch nicht sagen. Dazu muss ich noch weitere Untersuchungen anstellen.“

Aber es war auch nicht nötig, dass er dazu was sagte. Zu deutlich konnte man es in seinen Augen lesen.

„Das heißt, der Täter hat sie im stillen Kämmerchen gefoltert, ermordet und dann die Leiche präpariert?“, fragte Kate übertrieben sachlich.

„Ich bin mir da ziemlich sicher“, war die knappe Antwort.

„Und in der kurzen Pause hat er sie gegen das andere Mädchen am Andreaskreuz ausgetauscht?“,

„Wo ist dieses andere Mädchen?“, wollte Michael wissen.

„Gesund und munter. Sie gab zu Protokoll, jemand habe sie losgemacht, sie hinter die Bühne geführt und ihr befohlen, sich dort hinzuknien. Sie hielt das alles wohl für Teil der Show. Erst als der Tumult losging, hat sie sich die Maske vom Kopf gerissen. Ihre Aussagen klangen absolut glaubwürdig, aber das zu beurteilen fällt nicht in meine Kompetenz.“

Maryland verstummte und runzelte die Stirn. Er ärgerte sich ein wenig darüber, schon wieder viel zu viel gesagt zu haben. Das war unprofessionell und nicht seine Art. Oder doch irgendwie? Eine bedrückende Stille folgte dem kurzen Gespräch. Endlich ergriff Kate erneut das Wort. An Michael gewandt sagte sie leise: „Ich werde mir jetzt noch den Bühneneingang und den Hinterhof ansehen. Dann reicht es für heute!“

Michael nickte zustimmend: „In dem Fall werde ich noch ein paar Fragen an die Chefin dieses Clubs stellen. Dann treffen wir uns beim Auto. Mehr können wir hier ohnehin nicht mehr machen.“


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