Читать книгу Swallow, mein wackerer Mustang - Erich Loest - Страница 10
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ОглавлениеEinen Monat später fährt er wieder nach Dresden und übernachtet in einem engen, halbdunklen Zimmer, das Minna Ey für ihn gefunden hat, es ist bestückt mit Bett, Tisch und Stuhl. Am nächsten Morgen legt er vor, was er den Beginn einer Novelle nennt: »Wanda, das Polenkind.« Der Verleger überfliegt: In einem Städtchen nahe Chemnitz hat sich eine polnische Adlige mit ihrer schönen Tochter niedergelassen, Wanda von Chlowicki heißt das heißblütige Geschöpf. Verspielt ist sie, von den Männern verwöhnt. »Die Sonne des Lebens hatte ihr stets nur kaltes winterliches Licht gegeben und nur selten einen freundlich erwärmenden Strahl zugesandt. Die Quelle eines tiefen, reinen Gemüts war von einer falschen, auf wankenden Grundsätzen fußenden Erziehung zurückgedrängt und mit steinernem Riegelwerk verschlossen, der Reichtum ihres Geistes brachgelegt und ihr Wollen und Handeln von den rechten Bahnen seitwärts gelenkt worden.« Na schön, denkt Münchmeyer, besser schreiben meine anderen Autoren auch nicht. Weiter: Ein Ball findet statt, auf dem die Ballkönigin ersteigert werden soll, natürlich ist Wanda die Favoritin. Ihr Verlobter, Baron Säumen, bietet am meisten, da bricht im Nachbardorf ein Brand aus, beherzte Männer stürzen fort, darunter Schornsteinfegermeister Winter. Drei Menschen rettet er, rußgeschwärzt kehrt er zurück und steigert mit um Wanda: Fünfzig Taler setzt er ein, Säumen zögert.
Wieder ein Brand, mäkelt Münchmeyer, brannte es nicht schon in Mays erster Geschichte? »Schreiben Sie immerhin weiter. Ob wir’s diesmal unter Ihrem Namen bringen?«
May schießt das Blut ins Gesicht.
Jetzt bleibt er öfter einmal über Nacht in Dresden, Doßt drückt beide Augen zu. Das Seitengebäude, in dem er nächtigt, ist vor erst einem Jahr fertig geworden, er erreicht es über den Hof. Die Familie, bei der er untergekommen ist, zog vor zwei Jahren aus Böhmen zu, der Mann war Maschinist in einem Schacht, jetzt steht er an der Stanze in einer Nähmaschinenfabrik. Wenigstens hat May ein Zimmer für sich, ein Schlafbursche logiert außer ihm in der Wohnung auf einer Pritsche in der Küche. Einmal schlägt ihm der Wirt vor, er möge sein Zimmer mit einem jungen Arbeiter teilen, der aus Schlesien zugewandert sei und seit Wochen im Asyl kampiere. Matratze auf den Fußboden, natürlich geringere Miete, na? May lehnt ab. Er muß abends schreiben! Achselzucken. Morgens, wenn er sich in der Küche wäscht, sitzen oder liegen vier, sechs Menschen hinter ihm. Abends werden auf dem Herd Rüben zu Sirup zerkocht wie daheim auch.
Der Verleger drängt: Ist die Novelle nicht bald fertig? Er schimpft auf die Konkurrenz, auf Papierpreise und Lohnforderungen der Drucker. Spärlich sind seine Vorschüsse, er ringt die Hände: Die Auflage des »Beobachters an der Elbe« gehe zurück!
Am Abend steht May vor der Oper, Kutschen fahren vor, Diener öffnen den Schlag, halten Schirm und Laterne. Ein Frauenlächeln, das könnte Wanda von Chlowicki sein. Federbusch auf einem Hut, Schleier, ein offener Mantel. May dreht sich zu einer anderen Kutsche, da prallt sein Blick auf einen Polizisten, der ein paar Meter entfernt steht, Stiefelspitzen wippen über der Bordkante, Augenpaare begegnen sich. Stiefel trägt Doßt, Stiefel können auf dem Zuchthauskorridor knallen, Stiefel können auf ihn zu knallen, eine Stimme kann fragen: Was haben Sie hier verloren? Ihre Papiere? Vorbestraft, so, unter Polizeiaufsicht, und was treiben Sie sich in Dresden herum? May wendet sich ab und geht auf die Elbbrücke zu, sein Nacken versteift sich, als fürchte er einen Schlag. Aufs Brückengeländer gestützt, krümmt er sich zusammen.
Eine Erzählung von drei Seiten druckt Münchmeyer, eine von sechs, die mißratene Skizze eines anderen Schreibers läßt er von May auffrisieren. »Ist Ihre ›Wanda‹ nicht bald fertig?«
Bei einem Krämer in der Neustadt kauft er Brot, billige Wurst und Zigarren. »Zwei Dutzend ›Hansastolz‹. Ich begleich’s nächste Woche.«
»Da muß ich Vater fragen.« Das Mädchen wendet sich ab, Zöpfe schwingen, ein überlanger Fünfziger mit spärlichem Haar und dünner grauer Haut bückt sich aus dem Comptoir heraus, hüstelnd hinter vorgehaltener Hand. May sagt abermals sein Sprüchlein auf, sein Blick huscht über die Schuppen auf dem Kragen des Händlers. Ein beherztes, ehrfurchtgebietendes Auftreten wünscht er sich. Daß dieser da zusammenzucke, erstarre, staunend ausriefe: Das sind Sie, der Schriftsteller May?
»Tut mir leid, Herr«, krächzt der Dünne und hustet, daß die Schultern zucken, »wo denken Sie hin, Ladenmiete, Steuern, und dann immerzu kreditieren? Ich hab Sie bevorzugt! Aber jetzt vor Monatsende …«
»Ich erwarte Honorare.«
»Das behaupten Sie jedesmal.«
»Aber wenn ich …«
»Bezahlen Sie erst mal!«
Das Mädchen lauert mit giftigem Blick. May fürchtet schrill aufbrechendes Gekreisch wie damals in Böhmen, als er einer Gans seine Gedichte vorlas. Die Rechte hat er ins Jackett gesteckt, dort liegt sie fest, die Linke hängt herab, die Handfläche streicht über die Hose. Nach einem heftigen Wort des Abgangs sucht er, das die beiden da zusammenfahren ließe. In Büchern findet man: Ich werde Ihnen meine Sekundanten schicken! Mein Anwalt wird das weitere regeln! »Wenn Ihnen an meiner Kundschaft nichts gelegen ist …«
»Bezahlen möchten Sie.«
May versucht, mokant die Brauen hochzuziehen, wendet sich zur Tür, fühlt Blicke im Rücken und kommt an der Schwelle mit seinen Schritten nicht zurecht. Halb dreht er sich, als er die Ladentür schließt; tölpelhaft muß das aussehen, fürchtet er, zwei Augenpaare starren ihm durch die Scheibe nach. Drei Straßen weiter lehnt er sich auf ein Geländer; als er die Arme aufstützt, riecht er den Schweiß in den Achselhöhlen.
Drei Zigarren bleiben für die Nacht. Und wenn er borgte – vielleicht bei Fräulein Ey: Ich bin in Not! Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie streckte die Arme vor, es wären nicht die vollen, weißen Arme, wie er sie ersehnt und beschreibt. Bräunlich sind ihre Arme, mager, er hat sie gemustert, als Fräulein Ey die Dielen des Verlagsbüros wischte, über ihrem Nacken war das Haar hochgesteckt zu einem unordentlichen Dutt, die Hemdträger unter dem Kittel waren angeschmutzt. Immerhin gelingt diese Vorstellung: Fräulein Ey streckte ihm Geldscheine hin: Nehmen Sie, soviel Sie wollen, mein Herr, was mir gehört, sei das Ihre!
Er verscheucht den Wunschtraum und flüchtet in sein Zimmer. Während er die Arbeit des Vortags überfliegt, schneidet er die Spitze einer Zigarre ab, stimmt sich ein, zündet an, schmeckt den Rauch, schreibt. Die Handlung beginnt zu strömen, neue Figuren werden geboren mit raschem Strich. Treuherzig, bieder, redlich ist dieser Meister Winter, ein Stegreifdichter obendrein:
»Drum schließe deine Augen zu,
worin die Tränen glühn,
Ja, meine wilde Rose, du
sollst nicht im Wald verblühn!«
Seinem warmherzigen Drängen kann Wanda nicht widerstehen, sie entlobt sich vom Baron, der sinnt auf Rache. In einem Hotel in Chemnitz erlauscht Winter, daß ein Testament vorliegt, wonach Wandas Vater im Falle von Wandas Tod dem schurkischen Baron ihr gesamtes Vermögen vermacht, nun droht höchste Gefahr! Da taucht ein Ballonführer auf, der seine Kunststücke über ebendieser Stadt zeigen will …
»Wissen Sie was, wir drucken Ihre Geschichte immer mal an. Unter Ihrem Namen. Solange sie läuft, werden Sie schon fertig werden, was?«
»Ja, danke. Vielen Dank, Herr Münchmeyer!«
Eine Woche später liest er hundertmal den Titel: »Wanda, das Polenkind.« Und hundertmal darunter: »von Karl May.« Diese Nummer hält er Doßt hin, der Vater trägt sie in alle Kneipen. Münchmeyer drängt: Jetzt nicht lockerlassen! Und May schreibt, schreibt in Ernstthal, in Dresden. Ein Redakteur kommt mit einer Erzählung nicht zu Rande, May entwirft zwischendurch dafür einen neuen Schluß. Der Verleger lobt: Jetzt sind Sie richtig drin, das flutscht, was?