Читать книгу Swallow, mein wackerer Mustang - Erich Loest - Страница 7

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May schreibt. »Vor allem Güte«, bittet Kochta. »Eine Geschichte muß Hoffnung geben, Trost. Sie muß den Leser fromm machen. Das Gute muß siegen.«

Das Gute – in den Märchen, die die Großmutter erzählte, wurde das Böse bestraft nach dem Grad seiner Bosheit. Eine Tracht Prügel für den Lügner, ein Monat Karzer für den Dieb, dem Mörder hackten am Galgen die Raben die Augen aus. Aber die schöne Unschuld wurde vom Königssohn auf den Thron gehoben.

Einmal wird May aus dem Arbeitsraum herausgerufen, ein Wärter ordnet an, daß der Züchtling 402 einen sauberen Kittel anzieht, der ohne Taschen ist. »Sie haben Besuch«, sagte der Wärter, »Sie wissen, daß Sie über nichts reden dürfen, was mit dem Zuchthaus zusammenhängt, nicht, mit wem Sie zusammen sind. Nur Persönliches!«

Die Haut über der Stirn brennt. Er wird einen Gang entlanggeführt, in einer Zelle sitzen Kochta und ein magerer, ergrauter Mann. May erschrickt, das ist sein Vater, der im letzten halben Jahr gealtert ist, als wären zehn Winter vergangen. Dieser Vater erschrickt über das Aussehen seines Sohnes; bleich, gedunsen ist Karl, sein Lächeln steht im Widerspruch zu der Furcht in den Augen. Der Katechet sagt: »Sie wissen, worüber Sie sprechen dürfen und worüber nicht. Bitte, machen Sie mir keine Ungelegenheiten.« Er läßt einen Satz folgen, der ihm Unbehagen bereitet, weil er eine Heuchelei enthält, die ihm sein Amt leichter macht: »Sie beide sind doch gebildete Männer.«

»Ich habe geschrieben, Vater!«

»Geschrieben?«

»Eine Erzählung, Vater!«

Freude zuckt im Weber May auf – Karl durfte schreiben, also hat er sich mit der Obrigkeit gut gestellt? Wird er amnestiert?

Vorsichtig schaltet sich Kochta ein und dämpft überschwengliche Hoffnung. Vielleicht gelingt es Herrn May, Fäden zu knüpfen? Kochta hat herumgehorcht, der Verleger Münchmeyer in Dresden ist ihm genannt worden, er gibt Journale und Kalender heraus. Der Vater merkt sich den Namen, Flecke treten auf seine Wangen, denn da breiten sich vor dem Sohn gewaltige Möglichkeiten aus, eröffnet sich ein Weg nach oben und für ihn selbst vielleicht auch: er, der Vater eines Schriftstellers, der mit Druckern verhandelt. Da werden die Leute in Ernstthals Wirtshäusern aufhorchen, an seinen Tisch werden sie rücken und ihm Branntwein spendieren, auf daß er wieder und wieder berichte, was ihm in Dresden im Hause eines Verlegers widerfahren sei. Was ist gezahlt worden, drei, zehn, hundert Taler?

»Nimm alles mit, Vater!«

Von den Geschwistern reden sie noch, vom Haus daheim, das ein neues Dach braucht, über den Preis für Schiefer. Der Katechet wirft ein, die Besuchszeit sei in fünf Minuten verstrichen. Da will Karl noch rasch erläutern, wie das Schreiben die Dämonen verdrängt, aber er findet die Worte nicht, von denen er sicher ist, daß Vater sie versteht. Beim Händedruck glühen wieder Flecke auf den Wangen des Vaters. »Bleib gesund, Karl! Und mach dem Herrn Katecheten keinen Verdruß!«

Am Abend sitzt May wieder in der Zelle. Einen Bogen hat er zweimal geschrieben, die Kopie behalten, den ersten Satz liest er abermals: Swallow, mein wackerer Mustang, spitzte die kleinen Ohren. Das stimmt ihn ein. Helligkeit über der Prärie, ein Punkt taucht am Horizont auf. Das Ich liegt im Gras, Swallow hat den schönen Kopf an seinen Schenkel gedrückt, sanft blähen sich die Nüstern. An den Vater denkt May und versucht, sich den Verleger Münchmeyer vorzustellen als einen Mann, der wie der Direktor gekleidet ist, eine goldene Uhrkette spannt über dem Bauch, die Manschettenknöpfe schimmern, eine Perle ziert die Krawattennadel. Mit sonorer Stimme spricht Münchmeyer. May sinkt ins Halbdämmern, Halbwachen zurück, Münchmeyer verwandelt sich in den Direktor, der Direktor fragt: »Und was dachten Sie, als Sie sich als Doktor ausgaben und sich Anzug und Mantel und Schuhe ergaunerten, in Penig war das wohl?« Da lacht May, Doktor Heilig ist besiegt wie der Polizeileutnant von Wolframsdorf, der Notenstecher Hermin. Denn Swallow, sein wackerer Mustang, spitzte die kleinen Ohren.

Zwei Monate später tritt Kochta in die Zelle, ein Kalfaktor hinter ihm trägt einen Topf mit Quark, ein Stück Rauchfleisch und ein Säckchen Zwiebeln. »Herr Münchmeyer hat Ihnen zwei Taler geschickt. Als Vorschuß.«

May steht starr, er fürchtet, zusammenzubrechen wie damals im Arbeitsraum.

»Ich habe für Sie eingekauft. Das restliche Geld ist beim Herrn Direktor für Sie deponiert.«

»Also wird gedruckt?«

»Eine Option. Sie dürfen Ihre Erzählung niemand anderem anbieten, solange sich Herr Münchmeyer nicht entschieden hat.«

May hat das Wort Option nie gehört, er wendet es hin und her. »Also ist Hoffnung.«

»Immer ist Hoffnung.«

»Und ich soll weiterschreiben!«

»Nicht zuviel. Regen Sie sich nicht auf dabei. Nicht mehr als fünf Seiten am Abend.«

An diesem Abend fabuliert May wieder: Das Ich reitet an der Seite des schönen Häuptlingssohns in ein kahles Gebirge hinein, eine Schlucht verengt sich von Süd nach Nord, steil ragen Felswände himmelwärts. Im Bach reiten die beiden weiter, dringen mühselig vor, warmer Wind weht ihnen entgegen. Unversehens breitet sich die Schlucht zu einem Kessel, ein Weiher blinkt in der Mitte, links davon ragt eine Zypresse, Gras wächst in den Spalten. Da reiten die Freunde Hand in Hand, am Weiher steigen sie von den Pferden und lächeln sich an. »Wir sind im Paradies, Bruder«, verkündet das Ich. May sucht einen Namen für den Talkessel und wählt diesen: das Loch Kulbub.

Neun Seiten schreibt er an diesem Abend, am Ende ist er schweißgebadet. Nachts stellt er sich quälend deutlich den Kessel Kulbub vor, die steilen Wände, die Zypresse. Da springt er auf, steht zitternd neben der Pritsche.

Einmal in jeder Woche besucht Kochta den Züchtling 402, teilt ihm seine Papierration zu und holt immer enger beschriebene Bogen ab. Manchmal überfliegt er die eine oder andere Passage. Konfus erscheint ihm vieles, weitschweifig, die Schrift ist schwach geneigt und pedantisch wie bei einem Kanzlisten. Nach Monaten trifft ein Brief aus Dresden ein, er ist an May gerichtet; der Direktor entscheidet, ihn nicht auszuhändigen, aber der Katechet darf ihn vorlesen: Der Verlag Heinrich Gotthold Münchmeyer stellt den Abdruck der Geschichte »Rache oder Das erwachte Gewissen« in dem Journal »Das Schwarze Buch« in Aussicht. Natürlich werde ein Redakteur ausbessern, Schwächen eines Anfängers seien nicht zu übersehen, aber May treffe in erfreulichem Maße den Publikumsgeschmack. May saugt die Luft ein, hält sie in der Brust so lange wie möglich, stößt sie stöhnend aus. Kochta registriert: So atmet jemand, der über einen Berg ist. Diesen Gedanken wendet der Katechet: Es sind krude Erfindungen, die May auftischt, doch offensichtlich erleichtern sie ihn. Sind selbst Lügen erlaubt, wenn man sich durch sie befreit und niemandem schadet? Oder bleibt Lüge immer und immer ein Teil des Bösen? Nichts ahnt Kochta von dem Abend, an dem May das Loch Kulbub ersann, und nichts von der Nacht danach.

Der Brodem der Zigarrenwicklerei drückt auf die Lungen, Tabak weicht auf der Diele, unter dem Tisch, um den Ofen herum, auf den Fensterbrettern. May nimmt Wickel von seinem Nebenmann, rollt sie in den Decker, dreht die Spitze an, klebt mit Kleister zu, der schwarz ist wie Teichschlamm, spuckt darauf und streicht glatt. Die nächste Zigarre, weiter. Wenn sie alle wüßten, wer ich bin, sinnt er, was in mir brennt, was sich Bahn brechen wird! Die Bösen zuckten zurück, Schweiß würde auf ihrer Stirn perlen, das Kinn töricht herunterklappen. Den Guten träte Glanz in die Augen, ein glückseliges Strahlen dränge von Innen heraus: Karl May ist da, der Starke, Gerechte, alles wird gut. Aber Prott schreit: »Nicht so viel Kleister, du Spinnkopp!«

Von Weibern reden sie wieder und wieder, die Kerle an den braungebeizten Tischen. May kann nicht mithalten, seine Erfahrungen sind beschämend gering. Ein Webermädchen aus Lugau für ein paar Abende, eine Bauerndirne in Böhmen, diese blamable Affäre im Grunde: Er hatte ihr Gedichte vorlesen wollen, sie hatte verdutzt, fahrig zugehört und war davongerannt. Mit ihren Freundinnen hatte sie in der Ferne gekreischt. Er stellt sich vor: Ein Zimmer mit Bordüren und schwellenden Teppichen, eine Frau liegt halb, lehnt halb auf einem Diwan, ihre vollen, weichen, weißen Arme sind bloß bis zur Schulter hinauf. Keineswegs blutjung ist sie, vielmehr reif, erfahren – verheiratet mit einem Rechtsanwalt? Ist Gräfin, die einen jungen Dichter zu sich geladen hat, der ihr seine Verse vorliest? Aber er wagt nicht, zu offenbaren, daß es eigene Gedichte sind, er gibt vor, er habe sie aus dem Orientalischen übersetzt. May nimmt sich vor: Wenn ich rauskomme …

»He, May, hau ran!«

Jaja, Prott. In acht Monaten und sieben Tagen. Eines Tages, wenn ich berühmt bin, werden mich elegante, kluge Frauen in ihre Salons laden, ich werde eine Mappe mit meinen Werken unter dem Arm tragen.

Klappern vieler Holzschuhpaare auf Korridoren und Treppen, Schlösser knallen, Riegel werden zurückgeworfen. Station drei – ablaufen! Station vier – ablaufen! Auf lehnenlosen Bänken drängen sich Züchtlinge in der Kirche, Tabak wird gegen Zucker getauscht, Feuerstein gegen Speck. Sensation auf Station fünf: Drei Häftlinge haben Brot in Wasser aufgesetzt, sie wollten Brotwein gären lassen. Die drei schmoren im Karzer. May hat die Arme an den Körper gepreßt, er tauscht nicht und hält sich heraus aus dem Gerüchtemarkt.

Ein Pult ist neben den Altar gestellt worden, der Direktor legt Manuskriptseiten darauf. Vor drei Jahren siegten Soldaten aller deutschen Stämme bei Sedan über das neidische Frankreich; Sachsen und Preußen, Badenser und Bayern fochten Schulter an Schulter. Der Aar warf den Hahn in den Staub, ein welscher Kaiser kapitulierte. Wieder ein Kaiser über Deutschland, ein Heldenkaiser nach Jahrhunderten der Ohnmacht! Zwickergläser blitzen, Worte blitzen. Blut und Eisen. Die Zuchtrute der Vergeltung fiel auf Frankreich, geboren war der eherne Held an Wollen und Können, gefunden hatte er den edlen Fürsten, der ihn walten ließ, erwählt hatten beide das zum Äußersten entschlossene Volk als Gefolge. Deutschland wurde in den Sattel gesetzt, reiten wird es schon können! Eine Pause im Vortrag, ein neues Blatt: Tüchtig, was ist das? Tüchtig ist auch ehrenhaft, redlich. Der Direktor läßt seinen Blick über die Reihen der ihm Anvertrauten streifen, der Diebe, Betrüger, Räuber, Schänder und Totschläger. Tüchtig in diesem neuen deutschen Leben, das heißt arbeitsam, ordentlich. Heißt kaisertreu, soldatisch. Schande über die, die im Einigungskrieg fochten und dennoch in diesem Haus Strafe verbüßen müssen – der Geist von Sedan wurde schmählich vertan. Aber immer bleibt Hoffnung, wo Reue ist – der Direktor gleitet in die Niederungen der Routine hinab, das kennen seine Züchtlinge nicht anders an ihm, der Alte kann beginnen, wo immer er will, er endet doch in händeringender Mahnung. May hat Pathos in sich aufgesogen, am stärksten hat ihn dieses Bild beeindruckt: Ein gefangener Kaiser auf einem Schloß, Posten wachen vor den Portalen, einsam schreitet der Besiegte durch hallende Säle. Ein Kammerdiener meldet: Wieder eine Stadt durch den Feind erobert, wieder eine Festung gefallen. Reue, tätige Reue, diese Rede kennt er. Prott hat ihn wieder wegen mangelnder Arbeitsleistung angeschwärzt.

Mittags schwimmt Speck auf der Suppe. Abends schreibt May an einer neuen Geschichte: Ein Mann taucht im Gebirge auf mit geheimnisvollen Kenntnissen über vergangene und gegenwärtige Schurkereien. Beim Förster mietet er sich ein und führt ihm vor, wie er in Windeseile sein Aussehen verändern kann: Er reißt eine Perücke herunter, färbt sich in Sekundenschnelle das Gesicht, klebt einen Bart an, läßt ihn in der Tasche verschwinden. Er trägt einen Rock mit vier Ärmeln, den man wenden kann, rot ist er auf einer Seite, blau auf der anderen. Gebückt schleicht dieser Mann durchs Zimmer und schreitet gleich darauf kerzengerade. Dukaten streut er unter die Armen, Fleißigen, die so friedfertig sind. Allen Haß häuft May auf die, die seine Kindheit vergällt haben, die Mieteintreiber, Hausbesitzer, Fabrikanten, Zwischenhändler. Salz wird gebräunt, damit es den fauligen Geschmack der Kartoffeln überdecke. Vor Jahren hat er im Zuchthaus Zwickau über das Sonnenland Dschinnistan gelesen, der Gegenpol hieß Ardistan, die Hölle, das Schwarze. In jedem Menschen liegen Dschinnistan und Ardistan nebeneinander, man muß Dschinnistan wecken, ihm aufhelfen durch edle Schriften. Ein anderer Gedanke aus Zwickau wird lebendig: Da ein Häftling für eine Woche nur ein Buch bekommt, das dann für viele Stunden ausreichen muß, sollte es lediglich vielseitenstarke Bücher geben. Und am Ende weiß der Leser: Da liegt Dschinnistan, ich muß es erringen, am anderen Pol dämmert Ardistan, ich muß es bekämpfen in mir und außerhalb von mir. Ein heiliges Lebensziel, sinnt er am nächsten Morgen, während seine Hände wie von selbst Wickel heranziehen und in die Decker schlagen, den Kleisterpinsel fassen. Ein Schwindelgefühl packt ihn, er zwingt sich hoch und drückt das Gesicht an die Luftklappe. Über dem Steilhang der Zschopau wölben sich Baumwipfel. In acht Monaten, weiß May, am zweiten Mai 1874 bin ich frei!

Nachts quälen ihn Erinnerungen. Als Kind war er linkischer, schwächer als seine Alterskameraden. Sie nahmen ihn nicht mit, wenn sie in den Wald zogen, um Gendarm und Räuber zu spielen; wenn er ihnen nachlief, bewarfen sie ihn mit Holz und Dreck. Prügel in der Schule, Prügel vom Vater, ein Bauer prügelte ihn vom Kartoffelfeld. Diese bittere Stunde: Ein fast siebzigjähriger Bauer packte ihn, den Zwanzigjährigen, in einer böhmischen Wirtsstube an der Jacke und schob ihn, trug ihn vor die Tür, unter Gejohle schmiß er ihn zwischen Kuhfladen. Die geschwollenen Adern am Hals des Bauern sieht May vor sich und riecht den säuerlichen Atem. Hat er sich gewehrt? Ist er davongerannt, Gespött für Kinder und Weiber? Ein geradezu kleiner Mann ist er nicht mit seinen hundertsechsundsechzig Zentimetern, aber seine Schultern sind schmal, seine Hände schlank und weich. Dennoch träumt er in dieser Nacht, wie er den Bauern mit drei Hieben fällt: Der erste trifft das Auge, das danach kein Auge mehr ist, der zweite zertrümmert die Zähne, der dritte, ein furchtbarer Schlag der eisenharten Rechten in die Herzgrube, läßt den Wüterich zusammenbrechen. Totenstill ist es in der Gaststube, bewundernd pflanzt es sich fort von Mund zu Mund: Karl May!

Wochen darauf schellt ein schnell und sehr sächsisch sprechender Vierziger an der Zuchthauspforte, ein Mann mit flinken, eng beieinanderstehenden Haselnußaugen und schadhaften Zähnen, in einem neuen Anzug und knarrenden Schuhen; er trägt den Mantel über dem Arm und eine blitzende Kette über dem Bauch: Doublé. Er stellt sich vor als Verleger Heinrich Gotthold Münchmeyer aus Dresden, der den Herrn Direktor sprechen möchte und, wenn möglich, den Züchtling May. Beim Schließer wartet Münchmeyer eine Viertelstunde, dabei verliert er einiges von der Forsche, zu der er sich bei Eintritt gezwungen hat; er wird zu Kochta geführt, der den Herrn Direktor entschuldigt, der weile zu amtlichem Behufe in Leipzig. Kochta und Münchmeyer messen sich mit den Augen, sie sind sich nicht sympathisch. Münchmeyer mag diese Holzschnittköpfe nicht, die das Bäuerliche nicht abgelegt haben und noch stolz sind auf ihre Unbeweglichkeit. Kochta findet Münchmeyer aufdringlich in seiner zur Schau gestellten Fürsorge, als breche ihm das Herz, wenn er hören müßte, May fühle sich unwohl. Kochta registriert rasche Handbewegungen, ein Reiben an der Nase, ein unmotiviertes Lachen, den Versuch zu einem Witzchen: Wer nichts wagt, kommt nicht nach Waldheim! »Bin nur mal so reingeschneit«, redet Münchmeyer, »hatte privat in Döbeln zu tun, meine Frau wartet im Gasthof. Ob ich meinen Autor sprechen darf?«

Das sei unmöglich, falls Herr Münchmeyer nicht eine Genehmigung des Justizministeriums vorweisen könne, May sei Zuchthäusler im Rückfall, nicht etwa Festungsgefangener. Kochta läßt nichts folgen, das weiterleitet, überleitet. So sinkt das Gespräch auf Sachliches ab, auf die Möglichkeit, May weiterhin bescheidenste Summen zukommen zu lassen, um ihm das Dasein zu erleichtern, auch, ihn anzuspornen. Damit ist das Thema erschöpft, Münchmeyer erhebt sich, nicht einmal zehn Minuten hat er hier zugebracht. Erst beim Hinausgehen sieht er, daß auch in diesem Raum die Fensterhöhlen tief und Gitter eingelassen sind.

Frau Münchmeyer ist überrascht, daß ihr Mann schon zurück ist. »Kein Erfolg?«

Münchmeyer lästert über den bäuerlichen Seelsorger, bestellt Bier und Sülze, Frau Münchmeyer rührt im Tee. »Du kennst doch Rechtsanwalt Meister. Womöglich kann er sich einsetzen, daß May eher entlassen wird?«

»Rückfalltäter schmoren bis zum letzten Tag.« Münchmeyers Stimme klingt versöhnlich, als er hinzufügt: »Laß ihn seine Strafe abbrummen, das nimmt ihm den Rest von Aufsässigkeit. Ich kann keinen halsstarrigen Autor gebrauchen. Ein junger Verlag – und er soll ja etwas abwerfen!«

Da lächelt Pauline Münchmeyer, sie hat unbedingtes Vertrauen, daß ihr Mann das schaffen wird. Man braucht eine größere Wohnung, wenn man Einladungen geben will, sie muß repräsentabel eingerichtet werden, Frau Münchmeyer weiß schon wie: Vorhänge aus Samt und Atlas, die das Licht schummrig machen, ein Öllämpchen, ewig brennend in einer Ecke, und das wäre der Glanzpunkt: ein arabisches Segel, das an einer Stange in den Raum hineinragt.

Münchmeyer redet jetzt weniger zu seiner Frau; einen Gedanken will er ausbreiten, als Zuhörerin ist Pauline immer nützlich. Eine Lücke klaffe im Angebot, und Mays Zeug passe hinein. Gespensterromane seien passé, May könne auch sie schreiben, keine Frage: schottisches Schloß im Nebel und Moor und Falltür, ein Gemälde mit lebendigen Augen. Echter Bedarf bestehe da nicht mehr. »Wenn ich ihn auf den richtigen Stoff hinlenke, schreibt er mir die gefragtesten Sachen. Phantasie hat der für hundert. Dorfgeschichten, arm und reich und gerecht und ungerecht sauber verteilt – hoffentlich merken die Leser nicht zu deutlich, daß sie sich ein verkrachter Schulmeister ausdenkt!«

Pauline Münchmeyer läßt ihre Hand auf den Unterarm ihres Mannes fallen. »Wir sollten auf deine Entdeckung eine Flasche Champagner trinken!«

»Ich bin nicht sicher, ob sie in diesem Gasthof so was haben. Aber wenn: Pauline, trinken wir auf unser neues Pferd!«

Swallow, mein wackerer Mustang

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