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Alltag in Seebergen

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Hansen lehnte sich zurück und holte langsam ein Reservemagazin aus seiner Hosentasche, hob es in Augenhöhe und drückte vor den Augen seines Gegenübers die erste Patrone heraus, welche er provokant zwischen ihnen auf den Tisch stellte.

Wie gebannt starrte der Dicke auf die hässliche, fette Patrone mit dem Loch statt einer Spitze. Er schwitze nun noch mehr. Die beiden Muskelmänner vom Nebentisch hatten sich erhoben, als Franco an der Bar sein Taschenbuch mit einem Knall auf den Boden fallen ließ. Die Köpfe der beiden und des Dicken flogen zu ihm herum.

Mit einem breiten Grinsen deutete Franco eine Verbeugung an und öffnete seine Jacke weit genug, um ihnen einen Blick auf seine Maschinenpistole zu ermöglichen. Die beiden Leibwächter erstarrten und setzten sich wieder nervös hin.

Hansen hatte die kurze Ablenkung genutzt, um sein Baby zu ziehen und zielte nun unter dem Tisch auf den Unterleib von 'van der Mere'.

"Minher, sehen Sie sich bitte diese Patrone genau an. Kaliber fünfundvierzig mit Hohlspitz. Wenn ich jetzt abdrücke, haben Sie keinen Unterkörper mehr, alles klar, verstehen Sie das, können wir nun endlich vernünftig über das Geschäft reden?"

Van der Mere war bleich geworden und schluckte mehrmals, nickte nur und wollte gerade antworten, als durch die Tür von der Straße ein Mann hereinkam, sich kurz umsah und dann provozierend langsam auf ihren Tisch zusteuerte. Seine schleichenden Bewegungen hatten etwas Raubtierhaftes und die beiden Leibwächter zuckten zusammen. Ein weiterer Leopard hatte sich soeben in dieses gefährliche Spiel eingebracht.

"Minher van der Mere? Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ihr Fahrer verhindert ist, seine Migräne bringt ihn fast um."

Mit diesen Worten legte er einen Schlüsselbund und einen südafrikanischen Pass vor Hansen auf den Tisch. Er nickte Hansen zu, "Commander", zog sich einen Stuhl heran und setzte sich unangenehm dicht neben den fetten Südafrikaner, der auf einmal sehr klein wirkte.

Hansen traute seinen Augen nicht, war heute Weihnachten? Was machte denn 'Frenchy' hier? Er blickte zu Franco, der ihn angrinste und einen Daumen hochhielt. Seine Rückversicherung Franco war anscheinend sehr fleißig gewesen. Hansen wusste, nun laufen irgendwo im Untergrund die Räder des Old Boys Netzwerkes an.

Seinen richtigen Namen hatte der Schweizer Sergeant-Chef der Fremdenlegion Rudi Huerli schon fast vergessen. Er hatte fünfzehn lange und blutige Jahre seines früheren Lebens in dem berüchtigten zweiten Fallschirmjägerregiment der Legion gedient. Daher nannten ihn alle nur 'Frenchy'.

Nachdem er im Dienst der Legion die ganze Welt gesehen hatte, konnte Rudi einfach nicht mehr in sein kleines Heimatdorf in den Schweizer Bergen zurück und im zivilen Leben nicht mehr Fuß fassen. Er verdingte sich seither weltweit als Leibwächter. Irgendwann hatte es ihn nach Afrika verschlagen, wo er von Hansen 'entdeckt' wurde. Seitdem waren viele Jahre vergangen und sie hatten viele gemeinsame Abenteuer bestanden. Mit seinen fast sechzig Jahren war er das älteste Mitglied des Old Boys Netzwerks, aber fitter als so mancher Junge zog er jeden Morgen sein gewohntes Legionsritual durch - dreihundert Liegestütze, gefolgt von dreihundert Sit-Ups.

"Können wir nun weitermachen, Minher?", fragte Hansen den Südafrikaner sehr leise und beugte sich über den Tisch. Nur wenige Zentimeter trennten ihre Gesichter noch voneinander.

Eine Woche zuvor in Österreich

Erik Hansen saß wie jeden Tag mit Kaffee und den geliebten Zigaretten am Ecktisch in seinem Lieblingspub, dem 'Café Promenade' und beobachtete die Menschen um ihn herum.

'Flusspferd', dachte er, als ein dicker Mann an der Bar Platz nahm. Es war ein Hobby von ihm, herauszufinden, wer und was sie sein könnten. Mit dem Rücken zur Wand, das gesamte Lokal und den Eingang im Blickfeld, entging ihm nichts und niemand.

Es machte ihm Spaß, andere Menschen zu beobachten. Ihre Kleidung, Sprache, Benehmen, Gewohnheiten und Körpersprache, und sie dann in Kategorien einzuteilen, wie etwa das scheue Reh, den wilden Büffel, die gackernden Hühner, den Platzhirsch, Salonlöwen und all die vielen mitlaufenden Kühe und Schafe. Er sah sich selber als Leopard, versteckt und von seiner Baumkrone aus beobachtend, ganz anders als die Herde, lauernd und tödlich.

In einem anderen Leben war dieses Hobby eine Notwendigkeit gewesen, hatte ihm oft das Leben gerettet und ihn vor Unheil bewahrt.

Ende August war das Lokal drinnen leer. Alle Gäste saßen draußen in der Sonne, auf der herrlichen Terrasse, und genossen den traumhaften Blick über den See. Erst abends, wenn die Badegäste vom See kamen, würde sich auch die Bar wieder füllen. Hansen war das nur recht, so konnte er ungestört seinen Gedanken nachhängen.

Schon seit Längerem hatte er natürlich bemerkt, dass die kleine, attraktive Kellnerin Karin mit ihren ersten Kummerfalten ein Auge auf ihn geworfen hatte. Sie bediente ihn besonders freundlich, verweilte immer etwas zu lange an seinem Tisch und leerte den Aschenbecher alle 10 Minuten. Er ahnte, was sie dachte.

„Wer ist dieser Erik Hansen? Wo kommt er her? Eines Tages taucht er plötzlich auf, kein Mensch kennt ihn, niemand weiß etwas über ihn.

Seitdem sitzt er Tag für Tag stumm an dem kleinen Ecktisch. Warum reagiert er nicht auf mein Lächeln? Er sitzt immer nur alleine dort, spricht mit niemandem. Was ist er für ein Mensch?

Warum starrt er immer durch das große Fenster auf den See hinaus in die Ferne und scheint an nichts und niemandem interessiert zu sein? Er wäre genau mein Fall: Schlank, durchtrainiert, attraktiv, die Silberfäden in seinem Haar, das markante Kinn mit dem Grübchen und diese samtig braunen Augen.

Und doch fröstelt es mich, wenn ich ihn verstohlen beobachte, er plötzlich seinen Kopf in Zeitlupe zu mir dreht und mich ausdruckslos anstarrt. Es scheint, als ob er auch hinten Augen hat.“

Hansen fand Karin ebenfalls äußerst attraktiv und ihr Anblick löste immer wieder ein gutes, warmes Gefühl in ihm aus. Doch in seinem Leben war bisher kein Platz für eine Frau gewesen, denn er war nicht, wer und was er vorgab zu sein. Sein echter Name war nicht Erik Hansen. Hier in diesem kleinen Dorf kannte diesen niemand.

Der Name, den er sich zugelegt hatte, war nur ein Teil der äußerst sorgfältig erstellten Legende eines mehr als erfolgreichen Geschäftsmannes. Offiziell war er Berater für Hoteleröffnungen und Renovierungen in Ländern der Dritten Welt. Nur so konnte er die oft monatelange Abwesenheit und die hohen Eingänge auf seinem Bankkonto erklären.

Er hatte bereits vor Jahren den kleinen Ort Seebergen als seine "Hansen-Heimat" gewählt, weil diese Kleinstadt mit nur fünftausend Einwohnern sowohl Ruhe als auch Anonymität garantierte.

Er war anderenorts bekannt als 'Commander', der Mann für "nasse Jobs", der Mann für grobe Lösungen, Troubleshooter im wahrsten Sinne des Wortes. Er war Söldner und seit über fünfundzwanzig Jahren in unzähligen Konflikten auf dem afrikanischen Kontinent bekannt und berüchtigt geworden. Er nahm nur Jobs an, die er auch vor seinem Gewissen verantworten konnte. Es war gegen seine Ehre und sein Bauchgefühl, für Drogen- oder Menschenhändler zu arbeiten, oder gar für kommunistische Auftraggeber.

Nach einem erfolgreich abgebrochenen Kunststudium hatte er sich einige Zeit erfolglos und ohne Plan in einigen Berufen versucht und landete schließlich in der Armee. Und plötzlich war sein Leben erfüllt.

Er war der geborene Anführer und entdeckte völlig neue, ihm bisher unbekannte Fähigkeiten in sich. Das Soldatenleben machte ihm Spaß, er hatte seine Bestimmung gefunden und wurde auch noch dafür bezahlt.

Die Lehrgänge und das harte Training in einer Spezialeinheit meisterte er ohne Probleme. Einige UNO - Einsätze in fernen Ländern nährten sein Fernweh und er begann in Zeitungen gezielt nach Anzeigen für Securityjobs im Ausland zu suchen. So war er schließlich in Afrika als Söldner gelandet.

Blutgeld

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