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Nairobi

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Der Flug mit Kenya Airways von Frankfurt nach Nairobi war wie immer ein Horrorerlebnis für Hansen: voll ausgebucht, mit zu vielen betrunkenen Pauschaltouristen sowie den üblichen schnatternden Indern und viel zu vielen bunt gekleideten, schwitzenden, dicken afrikanischen Mamis mit ihren kreischenden Kindern, die alle unentwegt in den Gängen herumtollten.

Trotz des reichlich genossenen Gins wollte der Schlaf nicht kommen und so ging Hansen für viele Stunden im Geist immer wieder seine "to-do-Liste" für die nächsten Tage durch.

Wenn Karin ihn jetzt gesehen hätte, wäre sie wieder mal sehr verwirrt gewesen. Sein Haar war nun silbergrau und er trug eine schmale Goldrandbrille.

Sein Anzug war zerknittert und eine Nummer zu groß, um seinen durchtrainierten, muskulösen Körper zu verbergen. Mit einer Extraschicht Watte in seinem Sakko wurde ein müder Rundrücken und hängende Schultern vorgetäuscht. Doch damit nicht genug, er zog nun auch beim Gehen sehr auffällig sein linkes Bein nach.

Tarnung war ein wichtiger Sicherheitsaspekt in seinem Beruf.

Einen unauffälligen Geschäftsreisenden, müde, vom Leben und Beruf gezeichnet, mit gelähmtem Bein und abgenutzten Schuhen sieht niemand als potenzielle Gefahr.

Er war schnell durch die Pass- und Zollkontrolle durchgekommen, da er nur einen kleinen Handkoffer mit seinem Waschzeug und einigen Garnituren Unterwäsche mithatte. Der Aktenkoffer voller Prospekte über Küchenmaschinen und Schankanlagen war Teil seiner Legende.

In seiner wirklichen Branche war es wichtig, schnell und ungehindert zu reisen. Alles, was er sonst noch an Kleidung brauchte, war in Nairobi zu bekommen und würde er alles wieder, wie immer nach dem Auftrag, im Hotelzimmer als Geschenk für den Zimmerservice zurücklassen.

Nach der extrem überteuerten Taxifahrt vom Flughafen erreichte er das Hotel Oakwood im Zentrum von Nairobi. Der Taxifahrer hatte das Fünffache des normalen Tarifs verlangt, aber Hansen wollte nicht mit ihm handeln und es war für ihn der beste Beweis, dass seine Tarnung perfekt war.

Nairobi war mit seinen ca. zwei Millionen Einwohnern die wirtschaftliche Drehscheibe für Ost- und Zentralafrika. Wolkenkratzer, alte britische Kolonialbauten und dazu die wohl größten Slums von ganz Afrika. Wie ein riesiger, unübersichtlicher Ameisenhaufen, es war ein ständiges Kommen und Gehen. Lärm und Verkehrschaos bis in die späte Nacht. Ein guter Platz, um zu planen, unterzutauchen und die idealen Einkaufsmöglichkeiten für jemanden wie Hansen.

Vor dem Hoteleingang blickte er sich noch einmal um und atmete ganz tief diese Afrikaluft ein, diesen Geruch von Holzkohlefeuer und Fäulnis, Dieselabgasen und Kerosin, und das alles überlagert von dem betörenden Duft der vielen Millionen Blüten.

Endlich wieder in Afrika, wieder zu Hause. Niemand, der es nicht selbst erlebt hat, kann dieses tiefe Gefühl, diese Empfindung nachvollziehen.

Das Hotel mit der liebevoll gepflegten Gartenanlage war ein Überbleibsel aus der Kolonialzeit und der jetzige Besitzer Karl setzte viel Mühe, Zeit und Liebe ein, um dieses kleine Juwel zu restaurieren. Karl war Deutscher und war als Hotelmanager auf allen Kontinenten beschäftigt gewesen. Vor fast 20 Jahren hatte er dann mit der unerwarteten Erbschaft eines fernen Großonkels das Hotel hier in Nairobi erworben.

Er war auch der einzige Zivilist, der das Geheimnis um Hansens wirkliche Tätigkeit kannte. Vor vielen Jahren hatte mal eine Gruppe Schläger und Messerstecher in der Hotelbar Terror veranstaltet, um von Karl Schutzgeld zu erpressen. Als Ausländer in Kenia kam man um Schutzgebühren und Schmiergelder nicht herum. Wenn nicht die lokale Polizeistation ihre Kassiere schickte, dann eben irgendwelche kriminellen Banden.

Hansen hatte damals ganz friedlich in der Bar seinen Gin getrunken, als die Bande hereinkam und anfing zu stänkern und die Gäste zu belästigen. Gläser flogen, Barhocker gingen zu Bruch, Frauen kreischten und einige beherztere Touristen endeten mit blutigen Gesichtern auf dem Boden. In nur wenigen Sekunden, scheinbar mühelos, hatte Hansen dann die ganze Situation sehr kurz und sehr schmerzhaft für die Rabauken erledigt.

Seitdem waren Karl und Erik unter Mithilfe vieler doppelter Gins so was wie Freunde geworden. Und da Karl ja immerzu irgendwas in seinem Hotel zu renovieren hatte, war das die perfekte Tarnung für Eriks Aufenthalte in Afrika.

Die glutäugige, nubische Schönheit hinter der Rezeption war Fatima, ein Traum aus Tausendundeiner Nacht:

"Hi, Mr. Hansen, Sie sind wieder mal bei uns? Wir freuen uns sehr. Ihr Lieblingszimmer hunderteins neben dem

Swimmingpool ist gerade frei. Ich sage auch gleich Mr. Karl, dass sie wieder da sind. Habari ya wewe, na kazi? (Wie geht es Ihnen, was macht die Arbeit?)"

"Si mbaia, Fatima, kazi mingi na pesa kidogo. Na wewe? Mimi naenda Bar mara moja. Wapi Karl?", antwortete Hansen.

(Nicht schlecht, Fatima, viel Arbeit und kein Geld. Und selbst? Ich gehe erst mal sofort an die Bar. Wo ist Karl?)"

Zimmer hunderteins bis hundertneun lagen ebenerdig neben dem Swimmingpool und boten mit den Terrassentüren die ideale Möglichkeit, ungesehen zu kommen oder im Notfall zu verschwinden.

Martin, der gemütliche Barkeeper, hatte gerade eine Großgruppe deutscher Pauschaltouristen, die ihn ziemlich lautstark auf Trab hielten zu bedienen, als ihn der Anruf von Fatima erreichte: "Er ist wieder da, hast du genug Gin?"

Martin wusste sofort, wen sie meinte und sein Herz machte einen Luftsprung. Mr. Hansen, den er heimlich auch „Dr. Gin“ nannte, war sein Lieblingsgast. Immer höflich, nie herablassend wie andere Touristen, immer ruhig und freundlich.

Und wenn er nach einer Flasche Gin friedlich und aufrecht auf sein Zimmer ging, ließ er immer unglaubliche fünfzig Dollar Trinkgeld neben seinem leeren Glas liegen, was in etwa eines halben Monatslohnes von Martin entsprach.

"Jambo Martin, habari ya maisha, na biashara, na watoto? (Hallo Martin, was macht das Leben, wie gehen die Geschäfte, wie geht es den Kindern?)", sagte Hansen, als er sich auf einen Barhocker schob und die laute Touristengruppe musterte. Maier, Schmidt und Müller auf Jahresabenteuer, klar, es war ja August. Sein Missfallen über diese laute Gruppe war ihm anzusehen, noch dazu belegten sie seinen Lieblingstisch neben dem Aquarium.

Kein Wunder, dass die Deutschen nirgends gerne gesehen waren, dachte er.

Martin stellte ein Glas und eine Flasche Bombay Blue Gin vor Hansen auf die Bar.

"Asante sana, Bwana Hansen. Mzuri sana, biashara nusu nusu, na watoto mzuri kabiza! (Danke Herr Hansen, es geht mir gut, die Geschäfte na ja, so so, und den Kindern geht es wie immer prächtig!)"

Karl erschien nach dem 2. Glas in der Bar, schob sich neben Hansen auf einen Barstuhl und sagte mit einem Augenzwinkern.

"Jambo, Erik, long time-no see! Wie geht's Dir so? Musst du wieder mal was "renovieren" in meinem Hotel? Sag Bescheid, wenn du was brauchst."

Hansen hob Karl sein Glas zum Gruß entgegen und erwiderte.

"Könnte sein, aber das erfahre ich erst morgen. Aber bitte, setz doch schon mal zur Sicherheit einen Consultancy Contract zu einer neuen Bar mit heutigem Datum für mich auf. Ich habe übrigens jede Menge Prospekte und Kataloge zu dem Thema für dich mitgebracht. Man weiß ja nie, wer rumschnüffelt und ich will gedeckt sein."

"Kein Problem, Erik. Ich mache mich gleich an die Arbeit. Nehme mal an, du wirst nachher noch ins "Franco's" fahren? Wenn du zurückkommst, findest du dann eine Kopie in deinem Zimmer."

Mit diesen Worten ließ er Hansen alleine und ging in sein Büro zurück, um den Vertrag auszudrucken, der Hansens Legende bestätigen würde.

Es war Mitternacht und Martin fing an, die Bar zu putzen. Hansen hatte die ganze Flasche geleert und bat Martin, ihm ein Taxi zu rufen, er hatte noch was in der Stadt zu erledigen.

Endlich war das Taxi da, aber leider mit einem viel zu gesprächigen Fahrer, der um diese Zeit in Hansen leichte Beute vermutete und gleich versuchte, ihm alle Nuttenbunker Nairobis anzupreisen. Alle Taxifahrer kassierten von den Hotels, Restaurants, Bars und den Prostituierten gute Provisionen.

Als der Redefluss des Fahrers verstummte, sagte Hansen nur: "Franco's!"

"Sorry Sir, natürlich, 'Franco's' Sir, we go!"

Blutgeld

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