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VOR­WORT

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Zum ers­ten Mal hör­te ich von der gan­zen Sa­che in ei­nem Taxi in Ber­lin. Nach ei­nem mit­rei­ßen­den Springs­teen-Kon­zert 2002 in der Haupt­stadt ließ ich mich müde, aber zu­frie­den nach Hau­se chauf­fie­ren. Ich hat­te ge­ra­de noch einen Kor­re­spon­den­ten­be­richt für die Nach­rich­ten­agen­tur Reu­ters über das Kon­zert und über Springs­teens har­sche Wor­te über den da­ma­li­gen US-Prä­si­den­ten Ge­or­ge W. Bush ab­ge­setzt. Der hat­te Deut­sch­land ge­schol­ten, weil es nicht beim Irak-Krieg mit­mach­te. Nun woll­te ich ein we­nig ent­span­nen und das Kon­zert in mei­nen Ge­dan­ken nach­wir­ken las­sen.

Aber das ging ein­fach nicht. Denn der Ta­xi­fah­rer re­de­te in ei­nem fort auf mich ein und sprach über ein Kon­zert, das mehr als ein Jahr­zehnt zu­vor statt­ge­fun­den hat­te. Springs­teen, ja, der habe im Juli 1988 das bes­te Kon­zert al­ler Zei­ten ge­ge­ben. In Ost­ber­lin! Der „Boss“ habe nicht nur die DDR in ih­ren Grund­fes­ten er­schüt­tert mit sei­nem Auf­tritt vor 300.000 Men­schen. 300.000! Nein, das gan­ze kom­mu­nis­ti­sche Sys­tem hat er zum Wan­ken ge­bracht, sag­te der lang­haa­ri­ge und voll­bär­ti­ge Fah­rer voll Über­zeu­gung.

„Ja“, ant­wor­te­te ich ihm matt. „Springs­teen-Kon­zer­te sind im­mer Su­per-Er­eig­nis­se, der Mann hat’s drauf, die Mas­sen mit­zu­neh­men. Ich hab‘ auch schon vie­le Springs­teen-Kon­zer­te ge­se­hen.“

„Nein, Nein, Nein“ – der Ta­xi­fah­rer war jetzt nicht nur en­thu­si­as­tisch, son­dern schon leicht auf­ge­bracht. „Du ver­stehst nicht, es war nicht ir­gend­ein gu­tes Kon­zert“, be­harr­te er und wand­te sich mir zu. Dann er­zähl­te er wei­ter: 300.000 Leu­te hät­ten es live ge­se­hen, Mil­li­o­nen im Fern­se­hen, das gan­ze Land sei in Auf­ruhr ge­we­sen. Er dreh­te den Kopf wie­der in mei­ne Rich­tung und mit knob­lauch­ver­setz­tem Atem sag­te er fei­er­lich: „Es war das Un­glaub­lichs­te, was je­mals in der DDR statt­ge­fun­den hat.“

Für Mil­li­o­nen von Men­schen, die in den 60er-Jah­ren auf­wuch­sen, ist die Mu­sik von Springs­teen so et­was wie der So­und­track ih­res Le­bens. Die Tex­te sei­ner Songs aus vier Jahr­zehn­ten sind fest im kol­lek­ti­ven Ge­dächt­nis ei­ner gan­zen Ge­ne­ra­ti­on ver­an­kert, so wie: „It’s a death trap, it’s a sui­ci­de rap, we got­ta get out whi­le we’re young, cuz tramps like us, baby, we were born to run“, aus Born to Run, oder: „It ain’t no sin to be glad you’re ali­ve“, aus Bad­lands. Die gren­zen­lo­se Be­geis­te­rung je­nes Ber­li­ner Ta­xi­fah­rers war an­ste­ckend, und ich be­gann mich zu fra­gen: Spiel­te sich an je­nem Som­mer­abend 1988 im kom­mu­nis­ti­schen Ost­ber­lin wirk­lich et­was ganz Be­son­de­res ab, et­was, das weit über ein gu­tes Springs­teen-Kon­zert hin­aus Be­deu­tung hat­te?

Je mehr ich über je­nes Kon­zert er­fah­ren habe, des­to stär­ker fes­sel­te mich die Ge­schich­te. Etwa, als ich zum ers­ten Mal hör­te, dass Springs­teen den Mut hat­te, eine kur­ze Rede ge­gen die Mau­er zu hal­ten – in Ost­ber­lin! Mich fas­zi­nier­te auch zu er­fah­ren, dass sich 300.000 Men­schen – mehr als je­mals zu­vor und da­nach bei ei­nem Springs­teen-Kon­zert – auf­ge­macht hat­ten, den ame­ri­ka­ni­schen Rock­star live zu er­le­ben, ganz ab­ge­se­hen von den Mil­li­o­nen von Zu­schau­ern am Fern­se­her. Und na­tür­lich war ich er­grif­fen und be­geis­tert, als ich er­fuhr, wie Zehn­tau­sen­de ein­fach die Ab­sper­run­gen ge­stürmt hat­ten, um auf das Ver­an­stal­tungs­ge­län­de zu ge­lan­gen. Das al­les im ab­ge­schot­te­ten, au­to­ri­tär be­herrsch­ten Ost­ber­lin, der „Haupt­stadt der DDR“.

Ir­gend­wann däm­mer­te mir, dass der Springs­teen-Auf­tritt am 19. Juli 1988 mehr als nur ein mu­si­ka­li­sches High­light ge­we­sen sein könn­te. Er spiel­te im Som­mer 1988, und kei­ne 16 Mo­na­te spä­ter soll­te die Mau­er fal­len. Gab es einen Zu­sam­men­hang zwi­schen dem Kon­zert, der fried­li­chen Re­bel­li­on, die sich nur Mo­na­te spä­ter Bahn bre­chen soll­te und dem Fall der Mau­er am 9. No­vem­ber 1989? Die­se Fra­ge be­schäf­tigt mich seit­dem. Für mich steht fest, dass es eine enge Ver­bin­dung gibt zwi­schen der Be­geis­te­rung, die Springs­teens Auf­tritt in Ost­ber­lin aus­lös­te, zwi­schen der Er­mu­ti­gung an die Ju­gend der DDR durch sei­nem Ap­pell, alle Bar­rie­ren zu über­win­den und der Auf­bruch- und Wech­sel­stim­mung, die das Land in den Mo­na­ten da­nach er­griff und an des­sen Ende der Mau­e­r­fall stand.

Ich woll­te mehr über die Er­eig­nis­se im Juli 1988 in Ost­ber­lin her­aus­fin­den, als Springs­teen auf die an­de­re Sei­te des Ei­ser­nen Vor­hangs reis­te. Aber wür­de ich ein Vier­tel­jahr­hun­dert spä­ter noch je­man­den fin­den, der mir aus ers­ter Hand be­rich­ten konn­te? Die­se Sor­ge er­wies sich als völ­lig un­be­rech­tigt, es war viel ein­fa­cher, als ich dach­te und das hat­te einen gu­ten Grund: Das Kon­zert hin­ter­ließ einen so blei­ben­den Ein­druck, dass es bei mei­nen Re­cher­chen schien, als könn­ten sich wirk­lich alle an das er­in­nern, was sie da­mals er­lebt hat­ten. Es schien, als sei die gan­ze DDR ent­we­der live beim Kon­zert da­bei ge­we­sen oder habe es zu­min­dest am Fern­se­her ver­folgt. Es war wie ei­ner je­ner his­to­ri­schen Mo­men­te, bei de­nen man auch nach Jahr­zehn­ten noch ge­nau weiß, was man da­mals ge­macht hat.

Ich habe für die­ses Buch mit zahl­lo­sen Au­gen­zeu­gen ge­spro­chen – mit Fans und pro­fes­si­o­nel­len Be­ob­ach­tern, His­to­ri­kern und So­zio­lo­gen –, im­mer auf der Su­che nach der Ant­wort auf die eine Fra­ge: Hat­te die Vier-Stun­den-Vor­stel­lung Springs­teens, hat­te sein furcht­lo­ser Ruf nach ei­nem Ende der Mau­er et­was mit der fried­li­chen Re­vo­lu­ti­on zu tun, die bald da­nach folg­te?

Ob man Springs­teen einen Bei­trag zur Wen­de in der DDR und ih­rem Ende zu­bil­ligt oder nicht, hat auch da­mit zu tun, wie viel re­vo­lu­ti­o­näre Spreng­kraft man der Rock­mu­sik ge­ne­rell zu­ge­steht, ob man an die Macht von Rock ’n’ Roll glaubt oder nicht.

Zu de­nen, die an die po­li­ti­sche Kraft der Rock­mu­sik glau­ben, ge­hört Phi­lip Mur­phy, lang­jäh­ri­ger US-Bot­schaf­ter in Deut­sch­land und be­geis­ter­ter Springs­teen-Fan. Auch wenn er selbst da­mals nicht in Ost­ber­lin war, be­schei­nigt Mur­phy sei­nem Lands­mann aus New Jer­sey be­acht­li­chen Ein­fluss auf die Stim­mung in der da­ma­li­gen DDR. „Ich ken­ne und lie­be die Mu­sik Springs­teens und kann mir vor­stel­len, wel­che Wir­kung das Live-Kon­zert auf ein ost­deut­sches Pu­bli­kum ge­habt ha­ben muss, auf Men­schen, die un­ter ei­nem au­to­ri­tä­ren Re­gime leb­ten und lit­ten und sich so sehr nach Wan­del sehn­ten.“ Noch deut­li­cher for­mu­liert es Jörg Be­ne­ke, der als Zu­schau­er da­bei war: Das Kon­zert sei „der Sar­g­na­gel“ für die DDR ge­we­sen, der An­fang vom Ende der kom­mu­nis­ti­schen Herr­schaft, des­sen ist er sich noch heu­te si­cher.

Ohne je­den Zwei­fel ist das Springs­teen-Kon­zert in Ost­ber­lin ein her­aus­ra­gen­des Bei­spiel für den Ein­fluss, den Rock­mu­sik auf ge­sell­schaft­li­chen Wan­del ha­ben kann, wenn sie auf ein Pu­bli­kum trifft, das hung­rig auf und be­reit zu Ver­än­de­run­gen ist. Dies ist die bis­lang un­er­zähl­te Ge­schich­te ei­nes ein­zig­ar­ti­gen Kon­zerts in Ost­ber­lin und die Rol­le, die Bruce Springs­teen – viel­leicht un­wis­sent­lich – ge­spielt hat, als er eine Re­bel­li­on, die sich be­reits warm­lief, wei­ter an­heiz­te und einen Auf­stand be­feu­er­te, der schließ­lich die Mau­er weg­fe­gen soll­te.

Erik Kirsch­baum

Rocking The Wall. Bruce Springsteen

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