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Kapitel 1:
KÖNIG DER WELT
ОглавлениеI was a serious young man, you know?
Bruce Springsteen
Bruce Springsteen war im Sommer 1988 einer der weltweit erfolgreichsten Rockmusiker. Vier Jahre zuvor hatte er sein Album Born in the USA veröffentlicht, jene Platte, die ihn endgültig zum Superstar rund um den Globus gemacht hatte. Mit 38 war er immer noch so schlank wie als 18-Jähriger, fast ein Meter achtzig groß, und dabei, sich vom Künstler zum Aktivisten zu entwickeln, auch auf der Bühne. Springsteen genoss den Erfolg, doch gelegentlich war ihm anzusehen, dass er dem ganzen Starkult nicht besonders viel abgewinnen konnte. Er befand sich damals in einer Phase des Umbruchs, musikalisch wie privat. Drei Jahre zuvor hatte er Julianne Philipps geheiratet, eine Schauspielerin und Model. Aber die Ehe kriselte so sehr, dass die Klatschblätter bereits darüber schrieben. Und kurz nach der „Tunnel of Love Express“-Tournee gaben die beiden auch tatsächlich die Trennung bekannt.
Und auch die ersten Anzeichen für eine Midlife-Krise machten sich bemerkbar. Schon ein Jahrzehnt zuvor, an der Schwelle zu seinem 30. Geburtstag, hatte Springsteen darüber gesprochen, dass der Spruch der 1968er-Generation „Trau keinem über 30“ schwer auf seinen Schultern lag. Nun, kurz vor seinem 40. Geburtstag, war er abermals an einer Wegkreuzung angekommen und versuchte, sich neu zu orientieren. Das spiegelte sich auch auf seinem Album Tunnel of Love wider, das eine musikalische Abkehr von früheren Schallplatten war.
Zur Zeit des DDR-Auftritts waren Springsteen und seine E Street Band bereits seit sechzehn Jahren zusammen. Nach bescheidenen Erfolgen in den frühen 70er-Jahren brachten sie es mit Born to Run 1975 zu amerikaweitem Ruhm. 1978 folgte Darkness on the Edge of Town. Spätestens mit The River etablierten sich Springsteen und seine Band 1980 in der internationalen Top-Klasse. Nebraska (1982) und vor allem Born in the USA (1984) festigten die Position Springsteens als Weltstar. Springsteen und seine Band zählten nun zu den meistbegehrten Künstlern in fast allen Ländern. Wo immer sie wollten, der „Boss“ und die E Street Band konnten nun überall binnen kürzester Zeit jede Halle und jedes Stadion fast nach Belieben füllen. Springsteen nutzte den Ruhm und tourte mit der Band rund um die Welt. Zwischen Juni 1984 und Oktober 1985 absolvierte er mit Born in the USA eine Tournee mit 156 Auftritten auf vier Kontinenten. Springsteen war in dieser Zeit trotz des überwältigenden Erfolges alles andere als selbstzufrieden oder überheblich. Vielmehr befand er sich in einer „Sturm und Drang“-Phase, in der er erstmals jene über Monate andauernde überwältigende Energieleistung zeigte, für die er bis heute berühmt ist: Während dieser 16 Monate sahen fünf Millionen Menschen auf der ganzen Welt Springsteen live. Der Konzertmarathon brachte 100 Million Dollar ein. Alleine Born in the USA wurde mit 20 Millionen verkauften Alben eine der meistverkauften Platten in der Musikgeschichte. Keine andere seiner Platten verkaufte sich vorher oder nachher so gut. Und sieben der zehn Songs schafften es in die US-Top-Ten.
Die musikalische Umorientierung hin zu gefälligerem Pop zahlte sich aus. Plötzlich war Springsteen nicht mehr nur der Star der US-Ostküste und einiger Inseln im Mittleren Westen und vielleicht noch dem Süden der USA – hauptsächlich in Universitätsstädten. Die Musik des US-Rockers begann, eine wichtige Rolle im Leben vieler Menschen in aller Herren Länder zu spielen. In Europa war Springsteen vor Born in the USA zwar bereits einem breiteren Publikum bekannt, und seit seiner ersten Europa-Tournee mit The River war er vom Geheimtipp zum etablierten Star aufgestiegen, doch wie andernorts schaffte er auch hier mit dem Tunnel of Love den Durchbruch zu einem Millionenpublikum.
Anders als bei vielen anderen Musikern, hatte der Erfolg Springsteen zum Glück nicht seine Freude am Experimentieren genommen. Und auch sein permanenter Drang, etwas Neues, Anderes zu machen, litt nicht unter dem sensationellen Kommerz-Erfolg, wie die folgenden Jahrzehnte seines Schaffens zeigen sollten. Und, typisch für Springsteen, machte sich nur kurz nach der „Born in the USA“-Tour wieder seine Experimentierfreude bemerkbar.
„Irgendwann in den 80er-Jahren hatte ich das Gefühl, dass ich alles erzählt hatte, was ich aus meiner Erfahrung schöpfen konnte, die Erfahrung meines Vaters, meiner Familie, der Stadt, wo ich aufgewachsen war“, sagte Springsteen in einem Interview mit dem Fachmagazin Double Take. „Nun wollte ich meine Musik lieber in etwas Praktisches verwandeln, so dass sie einen Einfluss auf die Menschen hat und auf die Gemeinschaften, denen ich begegnet bin.“ Schon mit Tunnel of Love habe er etwas Neues versucht, sagte er einmal. Der Versuch war erfolgreich, mit Tunnel of Love, Two Faces und Brilliant Disguise landete er große Hits. „Nach 1985 hatte ich genug und wandte mich mehr mir selbst zu. Ich schrieb über Männer, Frauen und Liebe, Themen, die bei mir bis dahin eher marginal vorkamen“, sagte er. Tunnel of Love enthielt tatsächlich keine einzige der Rockhymnen, für die Springsteen und seine Band zuvor mit Born in the USA gefeiert worden waren.
Viele Songs in Tunnel of Love loten die dunkleren Seiten von persönlichen Erfahrungen und Liebesbeziehungen aus – die Platte ist teilweise auch ein Spiegel seiner eigenen scheiternden Beziehung zu Philipps. Das Album verkaufte sich zwar respektable fünf Millionen Mal, doch von den erfolgsverwöhnten Erbsenzählern in der Musikindustrie wurde dies bereits als schwach im Vergleich zum Megaseller Born in the USA gewertet.
Springsteen schien von derlei Kritik aber nicht besonders beeindruckt zu sein, als er Anfang 1988 zu einer weiteren Welttournee aufbrach. Die „Tunnel of Love“-Tour führte ihn zunächst in zahlreiche amerikanische Städte, darunter Philadelphia, Pittsburgh, Atlanta, Detroit, Los Angeles und New York, bevor er dann im Mai nach Europa kam. Der Zusatz „Express“ im Titel der Tournee sollte signalisieren, dass die einzelnen Konzerte mit unter drei Stunden deutlich kürzer waren, als die über vier Stunden dauernden Marathon-Shows, die zu seinem Markenzeichen geworden waren. Auf dem Album findet sich auch eine der bis heute populärsten Balladen Springsteens, Brilliant Disguise. Sie handelt von einem Mann, der an seiner eigenen und der Treue seiner Frau zweifelt und fesselt mit poetischen Zeilen wie:
I walk this world in wealth, I want to know if it’s you I don’t trust, ’cause I damn sure don’t trust myself.
Auch das Verhältnis zu seiner Band vollzog in dieser Zeit einen Wandel. Seit den frühen Tagen 1972 war die E Street Band mit seiner Musik verbunden. Aber bei Tunnel of Love waren die Musiker am Anfang erstmals überhaupt nicht einbezogen. Springsteen arbeitete weitgehend allein an dem Album, unterstützt vorerst nur von einer Drum Machine und einem Synthesizer. Er nahm das Album zunächst allein auf und lud erst danach einige der E-Street-Band-Mitglieder ein, ihre jeweiligen Parts einzuspielen – Max Weinberg am Schlagzeug, Roy Bittan am Klavier und Danny Federici an der Orgel. Springsteen hatte sogar erwogen, die „Tunnel of Love Express“-Tour allein zu bestreiten, diese Idee dann aber verworfen.
Dennoch sollte die 1988er-Tournee für mehr als ein Jahrzehnt die letzte gemeinsame Konzertreise Springsteens und seiner Band werden. Nur wenige Monate nach dem Ostberliner Konzert und unmittelbar nach der „Tour für die Menschenrechte“, die gemeinsam mit Amnesty International organisiert worden war, löste Springsteen die Band im Oktober 1988 formell auf. Es war eine einsame Entscheidung, die Millionen Fans in aller Welt schockierte, aber auch für einige der Bandmitglieder glich sie einer Katastrophe. Die Band kam erst zu ihrer „Reunion Tour“ 1999–2000 wieder zusammen.
Vor seinen großen Erfolgen wie Born in the USA hatte es Springsteen vermieden, in großen Arenen aufzutreten. Zu sehr war er besorgt, dass in dieser Umgebung die Intimität, aber auch die musikalische Durchschlagskraft verloren gehen könnte. Aber bei allen Schritten die Karriereleiter hinauf – von kleinen Clubs in New Jersey über kleinere Konzertsäle, größere Säle und schließlich Stadien – stellte er fest, dass es viel besser lief, als er vermutet hatte. Das lag einmal an dem technischen Fortschritt in der Soundtechnik, aber nicht zuletzt lag es auch daran, dass Springsteen bis ins Detail daran arbeitete, dass jeder Zuschauer auf jedem Platz im Stadion oder der Halle für sein Geld eine gute Qualität geboten bekam. Dabei war Geld offenbar nie die treibende Kraft hinter dem beständigen Wachstum, Springsteen wollte und will in allererster Linie Musik machen und Menschen damit bewegen.
In der Mitte der 80er-Jahre wirkte es, als ob sich Springsteen nach den ruhigeren Tagen seiner Anfangszeit zurücksehnte. Auch der zunehmende Reichtum schien ihn zu belasten. 1988, vier Jahre nach Born in the USA und kurz vor seinem 40. Geburtstag war auch Bruce Springsteen, wie sein ostdeutsches Publikum, reif für Veränderungen. Die Probleme zuhause sollten nur ein paar Monate später in einer Scheidung enden. Die recht öffentliche Zeit der auseinanderbrechenden Ehe markierte eine der wenigen Abschnitte in der Karriere des Superstars, in denen Paparazzi-Fotos und Gerüchteküche-Geschichten über ihn in Klatsch-Magazinen erschienen. Und über das Verhältnis zwischen Springsteen und seiner Begleitchor-Sängerin Patti Scialfa erregten sich in diesem Sommer nicht nur Medien, sondern auch die Fans. Bis dahin war bemerkenswert wenig über das Privatleben Springsteens bekannt. Das lag daran, dass er Wert auf Privatsphäre legte, aber es gab einfach auch nicht viel Aufregendes zu berichten. Anders als anderen Musikern ist Springsteen seine Karriere nicht zu Kopf gestiegen und er schaffte es, ein einigermaßen normales und skandalfreies Leben zu führen, ohne Drogen und ohne Alkohol. Und er tat alles dafür, dass ihm sein wachsender Ruhm nicht zu Kopf stieg. Springsteen schirmte auch sein Privatleben ab und gab nur wenige Interviews. Sollten doch die Songs sprechen, die er auf der Bühne für alle sang.
Auch in anderen Bereichen unterschied sich Springsteen von vielen Kollegen. Zwar war er keine Leuchte in der Schule und verließ das Ocean County Community College in New Jersey ohne Abschluss. Sehr wohl aber schrieb er schon als Schüler Gedichte, verschlang Literatur und hatte ein unstillbares Bedürfnis, zu lernen. In den zwei Jahrzehnten nach seinem abrupten College-Abgang reifte Springsteen zu einem gebildeten, belesenen, weitgereisten und kenntnisreichen Mann, der auch in vielen Spezialbereichen profunde Kenntnisse besaß, besonders in Sozialgeschichte.
„Ich war nie gut in der Schule und sie sagen dir immer, wenn du nicht schlau bist in der Schule, bist du dumm“, sagte er einmal bei einem Konzert in Tempe, Arizona, 1980 – in der Nacht, nachdem Ronald Reagans zum amerikanischen Präsidenten gewählt worden war. „Aber ich hatte nie das Gefühl, etwas zu lernen, oder wenigstens etwas zu lernen, was mir wichtig war, bis ich anfing Radio zu hören, in den frühen 60ern.“ Er habe durch die Musik viel mehr gelernt als in der Schule, sagte er. „Sie haben immer auf deinen Kopf eingeredet, aber sie haben es nie herausgefunden, wie sie zu deinem Herzen sprechen können.“ Kurz darauf im selben Konzert in Tempe gab Springsteen sein erstes politisches Statement auf der Bühne ab. Er sagte, die Wahl von Reagan sei „erschreckend“.
Springsteen äußerte sich damals – und auch noch zu Zeiten des Ostberliner Konzerts – weniger zu unmittelbar politischen Dingen als heute. Doch an seiner politischen Verortung als Linker lässt schon der Inhalt seiner Songs keinen Zweifel. Auf der ganzen Welt wird er als Anwalt des „Kleinen Mannes“, der um ihre Hoffnungen betrogenen Arbeiterklasse und derjenigen Menschen wahrgenommen, die in einer kapitalistischen Gesellschaft trotz harter Arbeit aus eigener Kraft nicht den Aufstieg schaffen. Wahrscheinlich war es genau dieses Image, das Springsteen auch bei den Oberen der DDR anhaftete, und das ihm half, seinen Traum zu verwirklichen und vor einem großen Publikum in Ostberlin auftreten zu können. Auch Menschenrechte sind Springsteen seit jeher ein Anliegen. So beteiligte er sich 1988, wenige Monate nach dem Weißensee-Konzert, an der bereits erwähnten Menschenrechts-Tournee von Amnesty International, die den 40. Jahrestag der Ausrufung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte feiern sollte. Von Springsteens intensiver Auseinandersetzung mit den Themen Flucht, Asyl und Ausgrenzung von Einwanderern und Flüchtlingen legt auch sein Album The Ghost of Tom Joad eindrucksvoll Zeugnis ab.
Born in the USA
In den späten 80er-Jahren bewegte Springsteen mit seiner Musik Menschen in aller Welt, in Metropolen oder Dörfern – von Tallahassee bis Tokio, von East Rutherford bis Ostberlin. Aber auch wenn er sich selbst weiter gern als der Junge aus einfachen Verhältnissen mit der Gitarre in der Hand und Arbeiterthemen im Kopf sah – er war längst in einer anderen Realität angekommen: Er war Multimillionär und reiste um den Globus.
Dabei blieb er ein Getriebener. Auch wenn er selten explizit politisch wurde, wollte er doch mehr, als nur Musik machen. Er arbeitete hart daran, seinen Songtexten Bedeutung und Tiefe zu geben. Jahre später reflektierte er 1996 in einem Interview mit dem Schwulen- und Lesbenmagazin The Advocate das Musikverständnis, das er in den 80er-Jahren hatte. „Ich war ein ernsthafter junger Mann … ich war überzeugt, dass man mit Rockmusik ernsthafte Dinge anstellen kann, sie hatte eine Macht, sie hatte eine Stimme. Ich glaube das verdammt noch mal noch immer.“
Auch auf Reisen war Springsteen ein eifriger Beobachter seiner Gastländer, stets erpicht, einen oder zwei Sätze der Landessprache zu lernen und allzeit bereit, die Kultur des jeweiligen Landes in sich aufzusaugen. Auch auf der Bühne streute er fast immer ein paar Bemerkungen in der Landessprache ein. Sein Credo hat er mehrfach ausgesprochen: Rockmusik relevant zu machen für die Leute, die sie hören, ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Einkommens, ihres Alters, ihrer Religion oder Nationalität. In dem Interview von 1998 mit Double Take sagt Springsteen: „Ich hatte immer ein paar hochfliegende Vorstellungen, um die Leute mit meiner Musik zum Nachdenken darüber zu bringen, was richtig und was falsch ist.“ In einem seiner seltenen, ausführlicheren TV-Interviews gab er 2002 im US-Sender ABC ebenfalls einen Einblick in seine Philosophie. „Ich wollte eine Arbeit abliefern, die relevant für die Menschen ist und Einfluss auf die Themen hat, die ich wichtig finde.“
Wie Springsteen in der Phase seines großen Erfolgs mit Born in the USA in Amerika wahrgenommen wurde, fasste ein grandioser Beitrag von Bernhard Goldberg im Sender CBS im September 1984 zusammen. „Springsteen singt über Amerikaner der Arbeiterschicht, Amerikaner, die gefangen und erstickt sind in vergammelten, abgewrackten Kleinstädten. In seinen Liedern geht es um Arbeiter, verzweifelte Menschen, die am amerikanischen Traum hängen, wie an einem Faden. Seine Lieder mögen von Desillusionierung handeln, aber ihre Essenz erzählt dir, dass die Botschaft Hoffnung ist. Bruce Springsteen ist der amerikanische Traum – seine Wurzeln sind die eines Arbeiters aus New Jersey. Sein Vater war ein Busfahrer, oft weg von zuhause bei der Arbeit. Die Botschaft ist: Arbeite hart und du wirst es schaffen.“
Goldberg hat das Wesen der Musik Springsteens verstanden. „Er singt über den Widerspruch zwischen Freiheit und Machtlosigkeit in Amerika, über Jugendliche, die noch träumen und Erwachsene, die wissen, wie es wirklich zugeht. Er berührt seine Fans und sie berühren ihn.“ In einem Interview des Senders MTV wurde Springsteen einmal unverblümt gefragt, was er mit seiner Musik erreichen wolle. „Die einzige Botschaft ist: Verkauf dich nicht unter Wert, mach was aus deinem Leben“, war seine ebenso einfache wie klare Antwort. Es war genau diese Botschaft, die er im Juli 1988 seinem ruhelosen und lebenshungrigen Publikum in der DDR überbringen sollte.
Ungeachtet seiner persönlichen Schwierigkeiten in dieser Zeit gab Springsteen bei seiner Tournee von 1988 wie üblich alles, um dem Publikum das zu bieten, worauf es auch nach seiner eigenen Meinung für sein „hart verdientes Geld“ einen Anspruch hatte. Er schien aber die Abkehr von den ganz großen Massenveranstaltungen, die die „Born in the USA“-Tour gekennzeichnet hatten, zu schätzen. Im ersten Teil der „Tunnel of Love Express“-Tour spielte er von Februar bis Mai 1988 in den USA wieder in kleineren Hallen. Seinem Biografen Dave Marsh zufolge hat Springsteen in dieser Zeit einen „kreativen Wechsel zwischen Massenveranstaltungen und kleineren, kunstvolleren Auftritten etabliert, wie es kein anderer Superstar vermocht hat.“ Dies sei zwar wichtig für sein Image und für ihn selbst, habe sich aber in reinen Verkaufszahlen nicht ausgewirkt, schrieb Marsh in seinem Buch Two Hearts: Bruce Springsteen, the Definitive Biography, 1975–2003.
Springsteen selbst schien das aber nicht weiter zu stören. Statt wieder häufiger in riesigen Stadien aufzutreten, tourte er weiter in kleineren Hallen, die ihn in den Anfangsjahren über Wasser gehalten haben. Aber auch seinen Fans mutete der Rockstar Neuerungen zu. „Zumindest am Anfang der Tournee verzichtete er auf all die bekannten E-Street-Band-Extravaganzen. Die Konzerte waren kürzer und viele der vermeintlich unentbehrlichen Megahits wie Badlands, Thunder Road und The Promised Land wurden aus dem Programm genommen. Das war eine Herausforderung an das Publikum und seine Erwartungen an Springsteen“, konstatiert Marsh. Auf dem europäischen Teil der Tournee im Sommer 1988 aber spielte Springsteen wieder in den großen Stadien, und die Konzerte waren wieder Spektakel in gewohnter Länge, die bei hellem Tageslicht begannen und Stunden später, mitten in der Dunkelheit der Nacht, endeten. Auf Turin am 11. Juni folgten Rom, Paris, Birmingham, London, Rotterdam, Stockholm, Dublin, Sheffield, Frankfurt, Basel und München, bevor er Ostberlin auf den Tourplan setzte. Das Programm bestand aus Songs des aktuellen Albums, aber auch wieder aus den Hits der Zeit davor.
Es gelang Springsteen aber nicht, das private Zerwürfnis mit seiner Frau während seiner Europatour vollständig aus der Öffentlichkeit zu halten. Denn Julianne Philipps hatte selbst im Juni ihre Trennung bekannt geben lassen. Damals äußerte er sich nicht, aber in einem Interview mit dem New York Times Magazine von 1997 sprach er über seine Beziehung zu seiner Frau. Das Paar habe sich einfach auseinandergelebt. „Wir waren sehr verschieden, und mir wurde klar, dass ich nicht wusste, wie es funktioniert, verheiratet zu sein.“
Während der Europa-Tour im Juli und August 1988 druckten zahlreiche Boulevard-Blätter Fotos von Springsteen und Scialfa. Scialfa war 1984 auf Bitten von Springsteen als Background-Sängerin zur E Street Band gestoßen, nachdem er das Gefühl hatte, die Truppe habe sich zu sehr zu einem „Jungens-Club“ entwickelt. Aufgewachsen ist sie wie Springsteen in New Jersey, nur ein paar Kilometer entfernt von seiner Heimatstadt Freehold. Als die Tournee Station in Ostberlin machte, war ihre Romanze in vollem Gang, auf und auch neben der Bühne. Nur sechs Wochen nach dem Konzert in Weißensee reichten Springsteen und Philipps die Scheidung ein, und Bruce war bereit, ein neues Kapitel in seinem Leben aufzuschlagen.