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Ka­pi­tel 1:
KÖ­NIG DER WELT

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I was a se­rious young man, you know?

Bruce Springs­teen

Bruce Springs­teen war im Som­mer 1988 ei­ner der welt­weit er­folg­reichs­ten Rock­mu­si­ker. Vier Jah­re zu­vor hat­te er sein Al­bum Born in the USA ver­öf­fent­licht, jene Plat­te, die ihn end­gül­tig zum Su­per­star rund um den Glo­bus ge­macht hat­te. Mit 38 war er im­mer noch so schlank wie als 18-Jäh­ri­ger, fast ein Me­ter acht­zig groß, und da­bei, sich vom Künst­ler zum Ak­ti­vis­ten zu ent­wi­ckeln, auch auf der Büh­ne. Springs­teen ge­noss den Er­folg, doch ge­le­gent­lich war ihm an­zu­se­hen, dass er dem gan­zen Star­kult nicht be­son­ders viel ab­ge­win­nen konn­te. Er be­fand sich da­mals in ei­ner Pha­se des Um­bruchs, mu­si­ka­lisch wie pri­vat. Drei Jah­re zu­vor hat­te er Ju­li­an­ne Phil­ipps ge­hei­ra­tet, eine Schau­spie­le­rin und Mo­del. Aber die Ehe kri­sel­te so sehr, dass die Klatsch­blät­ter be­reits dar­über schrie­ben. Und kurz nach der „Tun­nel of Love Ex­press“-Tour­nee ga­ben die bei­den auch tat­säch­lich die Tren­nung be­kannt.

Und auch die ers­ten An­zei­chen für eine Mid­li­fe-Kri­se mach­ten sich be­merk­bar. Schon ein Jahr­zehnt zu­vor, an der Schwel­le zu sei­nem 30. Ge­burts­tag, hat­te Springs­teen dar­über ge­spro­chen, dass der Spruch der 1968er-Ge­ne­ra­ti­on „Trau kei­nem über 30“ schwer auf sei­nen Schul­tern lag. Nun, kurz vor sei­nem 40. Ge­burts­tag, war er aber­mals an ei­ner Weg­kreu­zung an­ge­kom­men und ver­such­te, sich neu zu ori­en­tie­ren. Das spie­gel­te sich auch auf sei­nem Al­bum Tun­nel of Love wi­der, das eine mu­si­ka­li­sche Ab­kehr von frü­he­ren Schall­plat­ten war.

Zur Zeit des DDR-Auf­tritts wa­ren Springs­teen und sei­ne E Street Band be­reits seit sech­zehn Jah­ren zu­sam­men. Nach be­schei­de­n­en Er­fol­gen in den frü­hen 70er-Jah­ren brach­ten sie es mit Born to Run 1975 zu ame­ri­ka­wei­tem Ruhm. 1978 folg­te Dar­kness on the Edge of Town. Spä­tes­tens mit The Ri­ver eta­blier­ten sich Springs­teen und sei­ne Band 1980 in der in­ter­na­ti­o­na­len Top-Klas­se. Ne­bras­ka (1982) und vor al­lem Born in the USA (1984) fes­tig­ten die Po­si­ti­on Springs­teens als Welt­star. Springs­teen und sei­ne Band zähl­ten nun zu den meist­be­gehr­ten Künst­lern in fast al­len Län­dern. Wo im­mer sie woll­ten, der „Boss“ und die E Street Band konn­ten nun über­all bin­nen kür­zes­ter Zeit jede Hal­le und je­des Sta­di­on fast nach Be­lie­ben fül­len. Springs­teen nutz­te den Ruhm und tour­te mit der Band rund um die Welt. Zwi­schen Juni 1984 und Ok­to­ber 1985 ab­sol­vier­te er mit Born in the USA eine Tour­nee mit 156 Auf­trit­ten auf vier Kon­ti­nen­ten. Springs­teen war in die­ser Zeit trotz des über­wäl­ti­gen­den Er­fol­ges al­les an­de­re als selbst­zu­frie­den oder über­heb­lich. Viel­mehr be­fand er sich in ei­ner „Sturm und Drang“-Pha­se, in der er erst­mals jene über Mo­na­te an­dau­ern­de über­wäl­ti­gen­de Ener­gieleis­tung zeig­te, für die er bis heu­te be­rühmt ist: Wäh­rend die­ser 16 Mo­na­te sa­hen fünf Mil­li­o­nen Men­schen auf der gan­zen Welt Springs­teen live. Der Kon­zert­ma­ra­thon brach­te 100 Mil­li­on Dol­lar ein. Al­lei­ne Born in the USA wur­de mit 20 Mil­li­o­nen ver­kauf­ten Al­ben eine der meist­ver­kauf­ten Plat­ten in der Mu­sik­ge­schich­te. Kei­ne an­de­re sei­ner Plat­ten ver­kauf­te sich vor­her oder nach­her so gut. Und sie­ben der zehn Songs schaff­ten es in die US-Top-Ten.

Die mu­si­ka­li­sche Um­o­ri­en­tie­rung hin zu ge­fäl­li­ge­rem Pop zahl­te sich aus. Plötz­lich war Springs­teen nicht mehr nur der Star der US-Ost­küs­te und ei­ni­ger In­seln im Mitt­le­ren Wes­ten und viel­leicht noch dem Sü­den der USA – haupt­säch­lich in Uni­ver­si­täts­s­täd­ten. Die Mu­sik des US-Ro­ckers be­gann, eine wich­ti­ge Rol­le im Le­ben vie­ler Men­schen in al­ler Her­ren Län­der zu spie­len. In Eu­r­o­pa war Springs­teen vor Born in the USA zwar be­reits ei­nem brei­te­ren Pu­bli­kum be­kannt, und seit sei­ner ers­ten Eu­r­o­pa-Tour­nee mit The Ri­ver war er vom Ge­heim­tipp zum eta­blier­ten Star auf­ge­stie­gen, doch wie an­dern­orts schaff­te er auch hier mit dem Tun­nel of Love den Durch­bruch zu ei­nem Mil­li­o­nen­pu­bli­kum.

An­ders als bei vie­len an­de­ren Mu­si­kern, hat­te der Er­folg Springs­teen zum Glück nicht sei­ne Freu­de am Ex­pe­ri­men­tie­ren ge­nom­men. Und auch sein per­ma­nen­ter Drang, et­was Neu­es, An­de­res zu ma­chen, litt nicht un­ter dem sen­sa­ti­o­nel­len Kom­merz-Er­folg, wie die fol­gen­den Jahr­zehn­te sei­nes Schaf­fens zei­gen soll­ten. Und, ty­pisch für Springs­teen, mach­te sich nur kurz nach der „Born in the USA“-Tour wie­der sei­ne Ex­pe­ri­men­tier­freu­de be­merk­bar.

„Ir­gend­wann in den 80er-Jah­ren hat­te ich das Ge­fühl, dass ich al­les er­zählt hat­te, was ich aus mei­ner Er­fah­rung schöp­fen konn­te, die Er­fah­rung mei­nes Va­ters, mei­ner Fa­mi­lie, der Stadt, wo ich auf­ge­wach­sen war“, sag­te Springs­teen in ei­nem In­ter­view mit dem Fach­ma­ga­zin Dou­ble Take. „Nun woll­te ich mei­ne Mu­sik lie­ber in et­was Prak­ti­sches ver­wan­deln, so dass sie einen Ein­fluss auf die Men­schen hat und auf die Ge­mein­schaf­ten, de­nen ich be­geg­net bin.“ Schon mit Tun­nel of Love habe er et­was Neu­es ver­sucht, sag­te er ein­mal. Der Ver­such war er­folg­reich, mit Tun­nel of Love, Two Faces und Bril­li­ant Dis­gui­se lan­de­te er gro­ße Hits. „Nach 1985 hat­te ich ge­nug und wand­te mich mehr mir selbst zu. Ich schrieb über Män­ner, Frau­en und Lie­be, The­men, die bei mir bis da­hin eher mar­gi­nal vor­ka­men“, sag­te er. Tun­nel of Love ent­hielt tat­säch­lich kei­ne ein­zi­ge der Rock­hym­nen, für die Springs­teen und sei­ne Band zu­vor mit Born in the USA ge­fei­ert wor­den wa­ren.

Vie­le Songs in Tun­nel of Love lo­ten die dunk­le­ren Sei­ten von per­sön­li­chen Er­fah­run­gen und Lie­bes­be­zie­hun­gen aus – die Plat­te ist teil­wei­se auch ein Spie­gel sei­ner ei­ge­nen schei­tern­den Be­zie­hung zu Phil­ipps. Das Al­bum ver­kauf­te sich zwar re­spek­ta­ble fünf Mil­li­o­nen Mal, doch von den er­folgs­ver­wöhn­ten Erb­sen­zäh­lern in der Mu­sik­in­dus­trie wur­de dies be­reits als schwach im Ver­gleich zum Me­ga­sel­ler Born in the USA ge­wer­tet.

Springs­teen schien von der­lei Kri­tik aber nicht be­son­ders be­ein­druckt zu sein, als er An­fang 1988 zu ei­ner wei­te­ren Welt­tour­nee auf­brach. Die „Tun­nel of Love“-Tour führ­te ihn zu­nächst in zahl­rei­che ame­ri­ka­ni­sche Städ­te, dar­un­ter Phil­adel­phia, Pitts­bur­gh, At­lan­ta, De­troit, Los An­ge­les und New York, be­vor er dann im Mai nach Eu­r­o­pa kam. Der Zu­satz „Ex­press“ im Ti­tel der Tour­nee soll­te si­gna­li­sie­ren, dass die ein­zel­nen Kon­zer­te mit un­ter drei Stun­den deut­lich kür­zer wa­ren, als die über vier Stun­den dau­ern­den Ma­ra­thon-Shows, die zu sei­nem Mar­ken­zei­chen ge­wor­den wa­ren. Auf dem Al­bum fin­det sich auch eine der bis heu­te po­pu­lärs­ten Bal­la­den Springs­teens, Bril­li­ant Dis­gui­se. Sie han­delt von ei­nem Mann, der an sei­ner ei­ge­nen und der Treue sei­ner Frau zwei­felt und fes­selt mit po­e­ti­schen Zei­len wie:

I walk this world in we­alth, I want to know if it’s you I don’t trust, ’cau­se I damn sure don’t trust my­self.

Auch das Ver­hält­nis zu sei­ner Band voll­zog in die­ser Zeit einen Wan­del. Seit den frü­hen Ta­gen 1972 war die E Street Band mit sei­ner Mu­sik ver­bun­den. Aber bei Tun­nel of Love wa­ren die Mu­si­ker am An­fang erst­mals über­haupt nicht ein­be­zo­gen. Springs­teen ar­bei­te­te weit­ge­hend al­lein an dem Al­bum, un­ter­stützt vor­erst nur von ei­ner Drum Ma­chi­ne und ei­nem Syn­the­si­zer. Er nahm das Al­bum zu­nächst al­lein auf und lud erst da­nach ei­ni­ge der E-Street-Band-Mit­glie­der ein, ihre je­wei­li­gen Parts ein­zu­spie­len – Max Wein­berg am Schlag­zeug, Roy Bit­tan am Kla­vier und Dan­ny Fe­de­ri­ci an der Or­gel. Springs­teen hat­te so­gar er­wo­gen, die „Tun­nel of Love Ex­press“-Tour al­lein zu be­strei­ten, die­se Idee dann aber ver­wor­fen.

Den­noch soll­te die 1988er-Tour­nee für mehr als ein Jahr­zehnt die letz­te ge­mein­sa­me Kon­zert­rei­se Springs­teens und sei­ner Band wer­den. Nur we­ni­ge Mo­na­te nach dem Ost­ber­li­ner Kon­zert und un­mit­tel­bar nach der „Tour für die Men­schen­rech­te“, die ge­mein­sam mit Amnes­ty In­ter­na­ti­o­nal or­ga­ni­siert wor­den war, lös­te Springs­teen die Band im Ok­to­ber 1988 for­mell auf. Es war eine ein­sa­me Ent­schei­dung, die Mil­li­o­nen Fans in al­ler Welt scho­ckier­te, aber auch für ei­ni­ge der Band­mit­glie­der glich sie ei­ner Ka­ta­s­tro­phe. Die Band kam erst zu ih­rer „Re­uni­on Tour“ 1999–2000 wie­der zu­sam­men.

Vor sei­nen gro­ßen Er­fol­gen wie Born in the USA hat­te es Springs­teen ver­mie­den, in gro­ßen Are­nen auf­zu­tre­ten. Zu sehr war er be­sorgt, dass in die­ser Um­ge­bung die In­ti­mi­tät, aber auch die mu­si­ka­li­sche Durch­schlags­kraft ver­lo­ren ge­hen könn­te. Aber bei al­len Schrit­ten die Kar­rie­re­lei­ter hin­auf – von klei­nen Clubs in New Jer­sey über klei­ne­re Kon­zert­sä­le, grö­ße­re Säle und schließ­lich Sta­di­en – stell­te er fest, dass es viel bes­ser lief, als er ver­mu­tet hat­te. Das lag ein­mal an dem tech­ni­schen Fort­s­chritt in der So­und­tech­nik, aber nicht zu­letzt lag es auch dar­an, dass Springs­teen bis ins De­tail dar­an ar­bei­te­te, dass je­der Zu­schau­er auf je­dem Platz im Sta­di­on oder der Hal­le für sein Geld eine gute Qua­li­tät ge­bo­ten be­kam. Da­bei war Geld of­fen­bar nie die trei­ben­de Kraft hin­ter dem be­stän­di­gen Wachs­tum, Springs­teen woll­te und will in al­le­r­ers­ter Li­nie Mu­sik ma­chen und Men­schen da­mit be­we­gen.

In der Mit­te der 80er-Jah­re wirk­te es, als ob sich Springs­teen nach den ru­hi­ge­ren Ta­gen sei­ner An­fangs­zeit zu­rück­sehn­te. Auch der zu­neh­men­de Reich­tum schien ihn zu be­las­ten. 1988, vier Jah­re nach Born in the USA und kurz vor sei­nem 40. Ge­burts­tag war auch Bruce Springs­teen, wie sein ost­deut­sches Pu­bli­kum, reif für Ver­än­de­run­gen. Die Pro­ble­me zu­hau­se soll­ten nur ein paar Mo­na­te spä­ter in ei­ner Schei­dung en­den. Die recht öf­fent­li­che Zeit der aus­ein­an­der­bre­chen­den Ehe mar­kier­te eine der we­ni­gen Ab­schnit­te in der Kar­rie­re des Su­per­stars, in de­nen Pa­pa­raz­zi-Fo­tos und Ge­rüch­te­kü­che-Ge­schich­ten über ihn in Klatsch-Ma­ga­zi­nen er­schie­nen. Und über das Ver­hält­nis zwi­schen Springs­teen und sei­ner Be­gleit­chor-Sän­ge­rin Pat­ti Sci­a­l­fa er­reg­ten sich in die­sem Som­mer nicht nur Me­di­en, son­dern auch die Fans. Bis da­hin war be­mer­kens­wert we­nig über das Pri­vat­le­ben Springs­teens be­kannt. Das lag dar­an, dass er Wert auf Pri­vat­sphä­re leg­te, aber es gab ein­fach auch nicht viel Auf­re­gen­des zu be­rich­ten. An­ders als an­de­ren Mu­si­kern ist Springs­teen sei­ne Kar­rie­re nicht zu Kopf ge­stie­gen und er schaff­te es, ein ei­ni­ger­ma­ßen nor­ma­les und skan­da­l­frei­es Le­ben zu füh­ren, ohne Dro­gen und ohne Al­ko­hol. Und er tat al­les da­für, dass ihm sein wach­sen­der Ruhm nicht zu Kopf stieg. Springs­teen schirm­te auch sein Pri­vat­le­ben ab und gab nur we­ni­ge In­ter­views. Soll­ten doch die Songs spre­chen, die er auf der Büh­ne für alle sang.

Auch in an­de­ren Be­rei­chen un­ter­schied sich Springs­teen von vie­len Kol­le­gen. Zwar war er kei­ne Leuch­te in der Schu­le und ver­ließ das Ocean Coun­ty Com­mu­ni­ty Col­lege in New Jer­sey ohne Ab­schluss. Sehr wohl aber schrieb er schon als Schü­ler Ge­dich­te, ver­schlang Li­te­ra­tur und hat­te ein un­still­ba­res Be­dürf­nis, zu ler­nen. In den zwei Jahr­zehn­ten nach sei­nem ab­rup­ten Col­lege-Ab­gang reif­te Springs­teen zu ei­nem ge­bil­de­ten, be­le­se­nen, weit­ge­reis­ten und kennt­nis­rei­chen Mann, der auch in vie­len Spe­zi­al­be­rei­chen pro­fun­de Kennt­nis­se be­saß, be­son­ders in So­zi­al­ge­schich­te.

„Ich war nie gut in der Schu­le und sie sa­gen dir im­mer, wenn du nicht schlau bist in der Schu­le, bist du dumm“, sag­te er ein­mal bei ei­nem Kon­zert in Tem­pe, Ari­zo­na, 1980 – in der Nacht, nach­dem Ro­nald Re­a­gans zum ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten ge­wählt wor­den war. „Aber ich hat­te nie das Ge­fühl, et­was zu ler­nen, oder we­nigs­tens et­was zu ler­nen, was mir wich­tig war, bis ich an­fing Ra­dio zu hö­ren, in den frü­hen 60ern.“ Er habe durch die Mu­sik viel mehr ge­lernt als in der Schu­le, sag­te er. „Sie ha­ben im­mer auf dei­nen Kopf ein­ge­re­det, aber sie ha­ben es nie her­aus­ge­fun­den, wie sie zu dei­nem Her­zen spre­chen kön­nen.“ Kurz dar­auf im sel­ben Kon­zert in Tem­pe gab Springs­teen sein ers­tes po­li­ti­sches State­ment auf der Büh­ne ab. Er sag­te, die Wahl von Re­a­gan sei „er­schre­ckend“.

Springs­teen äu­ßer­te sich da­mals – und auch noch zu Zei­ten des Ost­ber­li­ner Kon­zerts – we­ni­ger zu un­mit­tel­bar po­li­ti­schen Din­gen als heu­te. Doch an sei­ner po­li­ti­schen Ver­or­tung als Lin­ker lässt schon der In­halt sei­ner Songs kei­nen Zwei­fel. Auf der gan­zen Welt wird er als An­walt des „Klei­nen Man­nes“, der um ihre Hoff­nun­gen be­tro­ge­nen Ar­bei­ter­klas­se und der­je­ni­gen Men­schen wahr­ge­nom­men, die in ei­ner ka­pi­ta­lis­ti­schen Ge­sell­schaft trotz har­ter Ar­beit aus ei­ge­ner Kraft nicht den Auf­stieg schaf­fen. Wahr­schein­lich war es ge­nau die­ses Image, das Springs­teen auch bei den Obe­ren der DDR an­haf­te­te, und das ihm half, sei­nen Traum zu ver­wirk­li­chen und vor ei­nem gro­ßen Pu­bli­kum in Ost­ber­lin auf­tre­ten zu kön­nen. Auch Men­schen­rech­te sind Springs­teen seit je­her ein An­lie­gen. So be­tei­lig­te er sich 1988, we­ni­ge Mo­na­te nach dem Wei­ßen­see-Kon­zert, an der be­reits er­wähn­ten Men­schen­rechts-Tour­nee von Amnes­ty In­ter­na­ti­o­nal, die den 40. Jah­res­tag der Aus­ru­fung der All­ge­mei­nen Er­klä­rung der Men­schen­rech­te fei­ern soll­te. Von Springs­teens in­ten­si­ver Aus­ein­an­der­set­zung mit den The­men Flucht, Asyl und Aus­gren­zung von Ein­wan­de­rern und Flücht­lin­gen legt auch sein Al­bum The Ghost of Tom Joad ein­drucks­voll Zeug­nis ab.

Born in the USA

In den spä­ten 80er-Jah­ren be­weg­te Springs­teen mit sei­ner Mu­sik Men­schen in al­ler Welt, in Me­tro­po­len oder Dör­fern – von Tal­la­has­see bis To­kio, von East Ru­ther­ford bis Ost­ber­lin. Aber auch wenn er sich selbst wei­ter gern als der Jun­ge aus ein­fa­chen Ver­hält­nis­sen mit der Gi­tar­re in der Hand und Ar­bei­tert­he­men im Kopf sah – er war längst in ei­ner an­de­ren Re­a­li­tät an­ge­kom­men: Er war Mul­ti­mil­li­o­när und reis­te um den Glo­bus.

Da­bei blieb er ein Ge­trie­be­ner. Auch wenn er sel­ten ex­pli­zit po­li­tisch wur­de, woll­te er doch mehr, als nur Mu­sik ma­chen. Er ar­bei­te­te hart dar­an, sei­nen Song­tex­ten Be­deu­tung und Tie­fe zu ge­ben. Jah­re spä­ter re­flek­tier­te er 1996 in ei­nem In­ter­view mit dem Schwu­len- und Les­ben­ma­ga­zin The Ad­vo­ca­te das Mu­sik­ver­ständ­nis, das er in den 80er-Jah­ren hat­te. „Ich war ein ernst­haf­ter jun­ger Mann … ich war über­zeugt, dass man mit Rock­mu­sik ernst­haf­te Din­ge an­stel­len kann, sie hat­te eine Macht, sie hat­te eine Stim­me. Ich glau­be das ver­dammt noch mal noch im­mer.“

Auch auf Rei­sen war Springs­teen ein eif­ri­ger Be­ob­ach­ter sei­ner Gast­län­der, stets er­picht, einen oder zwei Sät­ze der Lan­des­s­pra­che zu ler­nen und all­zeit be­reit, die Kul­tur des je­wei­li­gen Lan­des in sich auf­zusau­gen. Auch auf der Büh­ne streu­te er fast im­mer ein paar Be­mer­kun­gen in der Lan­des­s­pra­che ein. Sein Cre­do hat er mehr­fach aus­ge­spro­chen: Rock­mu­sik re­le­vant zu ma­chen für die Leu­te, die sie hö­ren, un­ge­ach­tet ih­rer Her­kunft, ih­res Ein­kom­mens, ih­res Al­ters, ih­rer Re­li­gi­on oder Na­ti­o­na­li­tät. In dem In­ter­view von 1998 mit Dou­ble Take sagt Springs­teen: „Ich hat­te im­mer ein paar hoch­flie­gen­de Vor­stel­lun­gen, um die Leu­te mit mei­ner Mu­sik zum Nach­den­ken dar­über zu brin­gen, was rich­tig und was falsch ist.“ In ei­nem sei­ner sel­te­nen, aus­führ­li­che­ren TV-In­ter­views gab er 2002 im US-Sen­der ABC eben­falls einen Ein­blick in sei­ne Phi­lo­so­phie. „Ich woll­te eine Ar­beit ab­lie­fern, die re­le­vant für die Men­schen ist und Ein­fluss auf die The­men hat, die ich wich­tig fin­de.“

Wie Springs­teen in der Pha­se sei­nes gro­ßen Er­folgs mit Born in the USA in Ame­ri­ka wahr­ge­nom­men wur­de, fass­te ein gran­dio­ser Bei­trag von Bern­hard Gold­berg im Sen­der CBS im Sep­tem­ber 1984 zu­sam­men. „Springs­teen singt über Ame­ri­ka­ner der Ar­beiter­schicht, Ame­ri­ka­ner, die ge­fan­gen und er­stickt sind in ver­gam­mel­ten, ab­ge­wrack­ten Klein­städ­ten. In sei­nen Lie­dern geht es um Ar­bei­ter, ver­zwei­fel­te Men­schen, die am ame­ri­ka­ni­schen Traum hän­gen, wie an ei­nem Fa­den. Sei­ne Lie­der mö­gen von Des­il­lu­sio­nie­rung han­deln, aber ihre Es­senz er­zählt dir, dass die Bot­schaft Hoff­nung ist. Bruce Springs­teen ist der ame­ri­ka­ni­sche Traum – sei­ne Wur­zeln sind die ei­nes Ar­bei­ters aus New Jer­sey. Sein Va­ter war ein Bus­fah­rer, oft weg von zu­hau­se bei der Ar­beit. Die Bot­schaft ist: Ar­bei­te hart und du wirst es schaf­fen.“

Gold­berg hat das We­sen der Mu­sik Springs­teens ver­stan­den. „Er singt über den Wi­der­spruch zwi­schen Frei­heit und Macht­lo­sig­keit in Ame­ri­ka, über Ju­gend­li­che, die noch träu­men und Er­wach­se­ne, die wis­sen, wie es wirk­lich zu­geht. Er be­rührt sei­ne Fans und sie be­rüh­ren ihn.“ In ei­nem In­ter­view des Sen­ders MTV wur­de Springs­teen ein­mal un­ver­blümt ge­fragt, was er mit sei­ner Mu­sik er­rei­chen wol­le. „Die ein­zi­ge Bot­schaft ist: Ver­kauf dich nicht un­ter Wert, mach was aus dei­nem Le­ben“, war sei­ne eben­so ein­fa­che wie kla­re Ant­wort. Es war ge­nau die­se Bot­schaft, die er im Juli 1988 sei­nem ru­he­lo­sen und le­bens­hung­ri­gen Pu­bli­kum in der DDR über­brin­gen soll­te.

Un­ge­ach­tet sei­ner per­sön­li­chen Schwie­rig­kei­ten in die­ser Zeit gab Springs­teen bei sei­ner Tour­nee von 1988 wie üb­lich al­les, um dem Pu­bli­kum das zu bie­ten, wor­auf es auch nach sei­ner ei­ge­nen Mei­nung für sein „hart ver­dien­tes Geld“ einen An­spruch hat­te. Er schien aber die Ab­kehr von den ganz gro­ßen Mas­sen­ver­an­stal­tun­gen, die die „Born in the USA“-Tour ge­kenn­zeich­net hat­ten, zu schät­zen. Im ers­ten Teil der „Tun­nel of Love Ex­press“-Tour spiel­te er von Fe­bru­ar bis Mai 1988 in den USA wie­der in klei­ne­ren Hal­len. Sei­nem Bio­gra­fen Dave Marsh zu­fol­ge hat Springs­teen in die­ser Zeit einen „kre­a­ti­ven Wech­sel zwi­schen Mas­sen­ver­an­stal­tun­gen und klei­ne­ren, kunst­vol­le­ren Auf­trit­ten eta­bliert, wie es kein an­de­rer Su­per­star ver­mocht hat.“ Dies sei zwar wich­tig für sein Image und für ihn selbst, habe sich aber in rei­nen Ver­kaufs­zah­len nicht aus­ge­wirkt, schrieb Marsh in sei­nem Buch Two He­arts: Bruce Springs­teen, the De­fi­ni­ti­ve Bio­gra­phy, 1975–2003.

Springs­teen selbst schien das aber nicht wei­ter zu stö­ren. Statt wie­der häu­fi­ger in rie­si­gen Sta­di­en auf­zu­tre­ten, tour­te er wei­ter in klei­ne­ren Hal­len, die ihn in den An­fangs­jah­ren über Was­ser ge­hal­ten ha­ben. Aber auch sei­nen Fans mu­te­te der Rock­star Neu­e­run­gen zu. „Zu­min­dest am An­fang der Tour­nee ver­zich­te­te er auf all die be­kann­ten E-Street-Band-Ex­tra­va­gan­zen. Die Kon­zer­te wa­ren kür­zer und vie­le der ver­meint­lich un­ent­behr­li­chen Me­ga­hits wie Bad­lands, Thun­der Road und The Pro­mi­sed Land wur­den aus dem Pro­gramm ge­nom­men. Das war eine Her­aus­for­de­rung an das Pu­bli­kum und sei­ne Er­war­tun­gen an Springs­teen“, kon­sta­tiert Marsh. Auf dem eu­ro­pä­i­schen Teil der Tour­nee im Som­mer 1988 aber spiel­te Springs­teen wie­der in den gro­ßen Sta­di­en, und die Kon­zer­te wa­ren wie­der Spek­ta­kel in ge­wohn­ter Län­ge, die bei hel­lem Ta­ges­licht be­gan­nen und Stun­den spä­ter, mit­ten in der Dun­kel­heit der Nacht, en­de­ten. Auf Tu­rin am 11. Juni folg­ten Rom, Pa­ris, Bir­ming­ham, Lon­don, Rot­ter­dam, Stock­holm, Du­blin, Shef­field, Frank­furt, Ba­sel und Mün­chen, be­vor er Ost­ber­lin auf den Tour­plan setz­te. Das Pro­gramm be­stand aus Songs des ak­tu­el­len Al­bums, aber auch wie­der aus den Hits der Zeit da­vor.

Es ge­lang Springs­teen aber nicht, das pri­va­te Zer­würf­nis mit sei­ner Frau wäh­rend sei­ner Eu­r­o­pa­tour voll­stän­dig aus der Öf­fent­lich­keit zu hal­ten. Denn Ju­li­an­ne Phil­ipps hat­te selbst im Juni ihre Tren­nung be­kannt ge­ben las­sen. Da­mals äu­ßer­te er sich nicht, aber in ei­nem In­ter­view mit dem New York Ti­mes Ma­ga­zi­ne von 1997 sprach er über sei­ne Be­zie­hung zu sei­ner Frau. Das Paar habe sich ein­fach aus­ein­an­der­ge­lebt. „Wir wa­ren sehr ver­schie­den, und mir wur­de klar, dass ich nicht wuss­te, wie es funk­tio­niert, ver­hei­ra­tet zu sein.“

Wäh­rend der Eu­r­o­pa-Tour im Juli und Au­gust 1988 druck­ten zahl­rei­che Bou­le­vard-Blät­ter Fo­tos von Springs­teen und Sci­a­l­fa. Sci­a­l­fa war 1984 auf Bit­ten von Springs­teen als Back­ground-Sän­ge­rin zur E Street Band ge­sto­ßen, nach­dem er das Ge­fühl hat­te, die Trup­pe habe sich zu sehr zu ei­nem „Jun­gens-Club“ ent­wi­ckelt. Auf­ge­wach­sen ist sie wie Springs­teen in New Jer­sey, nur ein paar Ki­lo­me­ter ent­fernt von sei­ner Hei­mat­stadt Free­hold. Als die Tour­nee Sta­ti­on in Ost­ber­lin mach­te, war ihre Ro­man­ze in vol­lem Gang, auf und auch ne­ben der Büh­ne. Nur sechs Wo­chen nach dem Kon­zert in Wei­ßen­see reich­ten Springs­teen und Phil­ipps die Schei­dung ein, und Bruce war be­reit, ein neu­es Ka­pi­tel in sei­nem Le­ben auf­zu­schla­gen.

Rocking The Wall. Bruce Springsteen

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