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Kaufangst
ОглавлениеIch habe offen gestanden noch nie darüber nachgedacht, was mich zum Kaufen motiviert. Ich hielt es bisher mit dem Spruch: Einer muß es schließlich machen.
Dabei befolgte ich die Anweisungen: Ich nahm bei Erdnußbutter immer nur die beste, bekämpfte Zahnverfall, verzweifelte über Kratzer in der Wanne und vergrub mein Gesicht in duftender Wäsche, als sei mir Gott im flammenden Dornbusch erschienen.
Ich kenne einige Frauen, die eine Großpackung Abführmittel, drei Pfund rrröstfrischen Kaffee und eine komplette Serie weiblicher Hygieneartikel in ihrer Handtasche bei sich tragen. Das habe ich nie getan.
Aber in einem waren wir uns doch ähnlich. Wir glaubten. Wir glaubten, wenn wir zu den angepriesenen Erzeugnissen überwechselten, würden wir die besten, charmantesten, frischesten, saubersten, schlanksten und schlauesten Frauen in unserem Wohnblock (und die ersten, die ihren Darm zur Pünktlichkeit erzogen hatten.)
Das Einkaufen für die Familie war meine dringlichste Aufgabe.
Im Jahre 1969 ist ein Mann auf dem Mond spazierengegangen. Was bedeutet das schon! Im gleichen Jahre habe ich ein paar Turnschuh gefunden, mit denen mein Sohn hätte höher springen können als bis zum Handballkorb. Eine Anti-Baby-Pille wurde entwickelt, die die ganze Weltbevölkerung verändern würde. Hosianna!
Unsere Regierung war in einen Vertuschungs-Skandal verwickelt. Na, wenn schon. Mir genügte das Wissen, daß mein Bratrohr sich selber reinigte, während ich im Bett lag und las.
Meine Kinder herrschten über meine Einkaufsgewohnheiten, das wußte ich selber. Sie konnten die Reklamestrophen für gewisse Biersorten schon singen, als sie noch keinen Gegenstand mit den Augen fixieren konnten.
Ich erinnere mich, wie ich eines Tages vor der geöffneten Schranktür stand, vor mir elf angebrauchte Packungen Frühstücksflocken, vom Honigsüßen Hopserchen über Knisterkorn bis zum Muntermachenden Mus. Die knisterten und knallten nicht mehr.
Ich sagte zu den Kindern, jetzt hätte ich genug, und es würden keine Frühstücksflocken mehr ins Haus geschleppt, ehe wir nicht die vorhandenen aufgegessen hätten. Außerdem rechnete ich rasch im Kopf und kam zu dem Ergebnis, daß eine Packung ›Lustiger Löffel‹ mich insgesamt ungefähr 116,53 $ gekostet hatte. Darin enthalten waren die Kosten für den Zahn, den ich mir an einem Plastikunterseeboot auf dem Boden der Packung ausgebissen hatte, die Antibiotika, die nötig gewesen waren, als ich einen Teil der Flocken dem Hund gegeben hatte, und die Kosten des Verpackens und Transportierens bei drei Umzügen.
Schließlich leerten wir alle Schachteln, sahen uns aber anschließend einer beklemmenden Familienentscheidung gegenüber: Welche Marke sollten wir ab jetzt wählen? Ich persönlich war für Knisterkorn, weil es die Verdauung förderte und man als Prämie ein Usambara-Veilchen bekam.
Eines der Kinder wollte Soggies, weil man davon rote Zähne bekam.
Ein anderes wollte Dschungel Dschollies, weil sie überhaupt keinen Nährwert hatten.
Wir müssen zwanzig Minuten neben dem Regal für Frühstücksflocken verbracht haben, ehe wir uns endlich für Weizen-Wippchen entschieden, weil sie »als Imbiß nach der Schule Röntgenaugen verliehen«.
Auch seit die Kinder groß sind, stehen wir noch unter der Diktatur harter Verkaufsmethoden. Ich hatte mich daran gewöhnt, ihnen Weihnachtsgeschenke zu kaufen, die
a) ich nicht aussprechen konnte,
b) von denen ich nicht wußte, wozu man sie braucht, und
c) die Maschinenöl ausschwitzen.
Seit sie größer sind, schreiben meine Kinder nicht mehr: Lieber Weihnachtsmann! Bitte bring mir eine neue Puppe und ein Fahrrad.
Weit davon entfernt! Marktkennerisch bringen sie mir eine Liste, die ihren Wunsch bis auf die Katalognummer genau beschreibt.
Eine RF-60 FM Stereo Box. Frag nach Frank. Wenn du bar zahlst, gibt es 5% Rabatt.«
oder: »Einen 273 Thyristoren-geregelten Mecablitz 9-90 mit Schwenkfuß als großes Geschenk und in den Nikolaus-Strumpf kannst du noch ein paar Rollen EX 135 und Ektachrome ASA 64—19 stecken.«
Über das Phänomen der Kaufangst hatte ich noch nicht viel nachgedacht. Bis ich eines Abends 12 große Plastiktüten mit Einkäufen aus der Garage hereinschleppte. Mein Mann stöberte darin herum und fragte: »Und was kriegen wir nun zum Abendessen? Den Luftverbesserer? Die Tüte Grillkohle, das Töpfchen Handcreme oder das Lexikon?«
Da platzte mir schließlich der Kragen. Ich knallte die letzte Tüte auf den Tisch und rief: »Das ist also der Dank dafür, daß ich mich für die Bedürfnisse dieser Familie auseinandernehme. Im Supermarkt herrschen die Gesetze der Wildnis, und trotzdem muß ich jede Woche hin. Unerfahrene Anfänger stoßen Einkaufswagen vor sich her, fremde Kinder werfen Gegenstände in meinen Korb, Rabattmarken muß man zusammenhalten, mit Listen jonglieren, Etiketten entziffern, Obst betasten, und das mit dem Lexikon hättest du erleben müssen: 5000 Stück zu 59 Cent, die einem entgegenrufen: ›Nimm mich, nimm mich.‹ Der Band S war in beschränkter Auflage da, deswegen mußte ich sofort zugreifen. Alle wichtigen Wörter sind unter S.«
»Nun mal langsam«, sagte mein Mann. »So wichtig ist das S nun auch nicht.«
»Nicht so wichtig? Willst du, daß die Kinder durchs Leben gehen, ohne etwas von der Bedeutung von Sex, Sabbath, Satire, Skrupel und Status zu wissen? Ganz zu schweigen von Schlußverkauf?«
»Du fällst aber auch auf jeden Reklametrick herein, dem du irgendwo begegnest.«
Er hatte gut reden. Männer kamen nie so unter Druck durch die Werbung wie Frauen. Ich sah es beim Fernsehen. Da saßen alle Männer nur herum, genossen, was geboten wurde, aßen irgendwelche Getreidepräparate, um ein Sport-As zu werden. Wenn sie mit ihrem Bankberater redeten, hörten alle zu. Sogar die Etiketten in ihren Shorts waren lustig und tanzten. Zugegeben, sie fuhren auch manchmal im Wagen eine steile Bergstraße hinauf, klatschten sich Rasierwasser ins Gesicht oder liefen in einen Hafen ein, doch im großen und ganzen waren es die Frauen, auf denen die Verantwortung für die ganze Familie lastete.
Und jeder fand es selbstverständlich.
Falls die Werbeeinschaltungen dazu dienten, mich selbstzufriedener zu machen, hatten sie kläglich versagt. In meinen Händen verwandelten sich die stabilen Papierhandtücher in Filterpapier. Meine Hustenmedizin war früh um 2 Uhr aufgebraucht. Meine Mülltüten platzten, wenn sie mit Müll in Berührung kamen.
Sonderbar, daß mir das früher nie so aufgefallen war: Ich war verantwortlich dafür, daß ein Shampoo meinem Mann auch tatsächlich gegen Haarausfall schützte. Dafür, daß meine Kinder ein gut ausgewogenes Frühstück bekamen. Ich war schuld, wenn das Fell meines Hundes nicht vorschriftsmäßig glänzte, und ich war es, die genau die richtige Menge Zitronen in alles spritzen mußte, damit es den Meinen nicht den Mund zusammenzog. Gab es im Liebesleben meiner Tochter eine Panne, so war es meine Aufgabe, sie daran zu mahnen, daß strahlend weiße Zähne ihn zurückgewinnen würden. Als ich eben über das Ausmaß meiner Verantwortung grübelte, kam im Fernsehen die Werbeeinschaltung: Ein Mann kommt nach zwölfstündigem Arbeitstag zerschlagen, deprimiert und erschossen nach Hause, öffnet die Tür, und 75 Personen springen auf und brüllen: »Happy birthday«. Der Mann umfaßt seine Frau, küßt sie und sagt: »Liebling, was für eine nette Überraschung!«
Sie weicht vor ihm zurück wie vor dem Kadaver eines vor drei Tagen krepierten Hundes und sagt: »Oh, oh, Mundgeruch. Dagegen müssen wir etwas tun. Sofort.«
Man möchte meinen, daß dies dem rauschenden Fest einen gehörigen Dämpfer aufsetzt. Statt dessen sehen wir die beiden im Badezimmer, wo er so lange heftig gurgelt, bis der Mundgeruch nachläßt. In der letzten Szene herrscht ungetrübte Fröhlichkeit. Er darf endlich bei der eigenen Party mitmachen und sie strahlt in dem Bewußtsein, ihren Mann wieder einmal vor sich selbst beschützt zu haben.
Wieso kommt dieser Blödmann nicht selber drauf, daß er einen Atem hat wie ein Kamel? Muß denn die Frau alles machen? Da unterbrach mich mein Mann, der mit einem Sporthemd in der Hand aus dem Schlafzimmer kam. »Liebling«, sagte er und grinste gutmütig, »ich sag’ das nicht gern, aber mein Kragen hat einen Schmutzrand.«
Ich blickte auf und keifte: »Wie sich das trifft. Dann paßt er genau zu deinem Hals.«
Ich weiß nicht, warum ich damit herausplatzte, wahrscheinlich ärgerte mich, für das Wohl aller verantwortlich zu sein.
Wie naiv ich doch gewesen war! Ich hätte was merken sollen an dem Abend, an dem ich duschte, mir Parfum in beide Kniekehlen tupfte und dann meinen Mann im Dunklen schnarchen hörte. (Der Fall war in der Geschichte der Kosmetikwerbung nicht vorgesehen.)
Ich verschaffte mir KAUFANGST, um darin nachzulesen, wie wir sonst noch ausgebeutet wurden. Gelinde gesagt – es war eine Offenbarung! Das Einkaufen, hieß es da, sei einer der am wenigsten bekannten Wissenschaftszweige. Fachleute wissen, daß es sehr anstrengend ist, äußerste Konzentration und blitzschnelle Entscheidungen erfordert.
Seit Jahren versuchen Forscher dahinterzukommen, warum Frauen so einkaufen, wie sie es tun. Dabei haben sie herausgefunden, daß sich bei Frauen, die einen Supermarkt betreten, in dem Augenblick etwas verändert, in dem sich ihre Hände um den Griff eines Einkaufswägelchens krümmen.
Ihre Blinzelfrequenz verringert sich auf vierzehnmal pro Minute, das versetzt sie in eine Art Trance, die Vorstufe der Hypnose. Einige erkennen ihre Freundinnen nicht mehr, wenn sie von ihnen angesprochen werden. Sie fahren in weniger als zwanzig Sekunden durch eine Verkaufsreihe und geben dabei durchschnittlich pro Minute 93 Cent aus. Alles in so einem Geschäft ist getestet und in Form und Farbe so abgestimmt, daß es zum Kauf reizt. Dem Käufer bleibt kaum eine Chance. Die wahre Streßsituation kommt dann an der Kasse. Immer angenommen, Sie waren imstande, Kaufimpulse zu unterdrücken und sich strikt an Ihre Liste zu halten: Alles steht in Frage in dem Moment, in dem Sie die Waren aufs Fließband stellen und sie registriert werden. Denn an der Kasse befinden sich: Candy, Kaugummi, Zeitschriften, Sonderposten, Waren zum halben Preis, Luftballons, Pfefferminz, Zigaretten und Kugelschreiber. Jetzt heißt es sich zügeln. Wenn Sie durchhalten, bis das Kassenglöckchen erklingt, wird ihre Blinzelgeschwindigkeit wieder auf fünfundvierzig pro Minute ansteigen, und der Bann ist gebrochen. Sie funktionieren wieder als normaler Mensch.
Als ich das nächste Mal im Supermarkt einkaufte, schaffte ich es in der gleichen brillanten Zeit wie der sagenhafte Nurmi. Beim Ausgang jedoch befiel mich Unbehagen. Dort stand eine Schlange. Eine Frau wühlte in ihrer Handtasche und suchte ihren Ausweis, weil sie mit einem Scheck zahlen wollte.
Ich warf ein Päckchen Rasierklingen in mein Körbchen. Die nächste Frau entdeckte ein Loch in ihrer Zuckertüte, und wir mußten warten, bis ihr der Laufjunge eine andere geholt hatte.
Ich tat noch einen Papierdrachen in mein Körbchen. Noch zwei Kunden vor mir.
Der Mann hatte seinen Karren voller Leerflaschen, die er seit der Erfindung des Glases gehortet haben mußte. Es war seine Schuld, daß ich noch die Lakritzstangen dazulegte.
Die Dame vor mir hatte nur wenige Artikel, aber der Kassenstreifen lief aus und mußte ersetzt werden. Die Gartenleuchte und das Vogelfutter gehen auf ihr Konto.
Endlich war ich dran. Die Kassiererin fing an zu tippen und fragte: »Wollen Sie das Buch mitnehmen oder hier lesen?«
»Mitnehmen«, sagte ich.
Die Kasse klingelte, die Endsumme erschien, und ich tauchte aus meiner Trance auf. Doch da war es zu spät. Unter dem Arm trug ich eine Taschenbuchausgabe von ABENTEUER DES LEBENS.