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Es war nicht nur die Temperatur von fast vierzig Grad, die der Gesellschaft auf der überdachten Terrasse des Nobelhotels Ledger Plaza zu schaffen machte, sondern noch mehr die extreme Luftfeuchtigkeit, die am frühen Nachmittag in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, herrschte.

Den Besuchern der Regierung und den Journalisten klebte die Kleidung am Körper und sogar den anwesenden einheimischen Militärs lief der Schweiß in Bächen in die Krägen der Uniformen. Manche von ihnen fluchten darüber, dass die Pressekonferenz nicht im Theatersaal des Hotels stattfand, der den etwa zweihundert Gästen bequem Platz geboten hätte und klimatisiert war.

Bronsteen stand noch in seiner angenehm kühlen Suite, hatte das Sakko des hellgrauen Leinenanzugs ausgezogen, wischte sich mit einem feuchten Tuch die Stirn und sah durch den schmalen Spalt zwischen Gardinen und Fenster hinunter auf die Gesellschaft. Er schmunzelte ob der Versuche der Damen, sich mit den Einladungskarten kühle Luft zuzufächeln, und über die steinernen Mienen der Generäle, in ihren dunklen Uniformen, den großen rotbraunen Tellerkappen und den billigen Blechorden an der Brust. Auf ihn wirkten sie wie Figuren eines Karnevalsumzugs.

Er zog seine dunkelgrüne Seidenkrawatte zurecht und beschloss, sie noch etwas warten zu lassen. Ein emotionales Machtspiel, das er sich im Laufe seiner Karriere zunutze gemacht hatte – wer auf ihn wartete, war automatisch in einer schwächeren Position, das festigte die eigene Stellung. Das schien ihm gerade für die heutige Pressekonferenz von Bedeutung, denn in den nächsten Minuten ging es für ihn persönlich um viel und bei den rücksichtslosen Kräften, die in dem Land herrschten, war das Eis recht dünn, auf das er sich gerade begab.

Nach dem gewaltsamen Machtwechsel durch die Rebellenallianz rund um den Führer Djotodia, der sich selbst zum Staatschef ausrief, versank das Land für kurze Zeit im totalen Chaos. Aufgrund der internationalen Empörung über den Staatsstreich und dem massiven Druck von außen, setzte sich Djotodia aber bald nach Benin ab, was den Weg für Wahlen freigab. Was blieb, waren die bewaffneten Rebellengruppen, von denen jede versuchte ihre eigene Suppe zu kochen, und die gewaltige Bestechlichkeit von Verwaltung und Militär auf Kosten einer immer weiter verarmenden Bevölkerung.

Aus der Ferne beobachtete Bronsteen die Vorgänge seit dem Zeitpunkt, an dem der blutige Putsch, der achthunderttausend Menschen in die Flucht trieb, seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Er erkannte die ungeahnten Möglichkeiten, die sich hier für einen Rüstungsbetrieb boten, denn zwei Dinge hatten alle rivalisierenden Gruppen gemeinsam: Sie brauchten Unmengen von Waffen und saßen auf bedeutenden Uranlagerstätten, dem begehrten Rohstoff der Nuklearindustrie. Diese Kombination war ideal für ein vielversprechendes Tauschgeschäft.

Die möglichen Partner dafür zu finden war in einem derart korrupten Land eine leichte Übung. Die Schwierigkeit war, unbemerkt im Land agieren zu können, um an die entscheidenden Leute heranzukommen, ohne dass die internationalen Behörden Verdacht schöpften.

Ein erster Schritt in die passende Richtung ergab sich, als die Vereinten Nationen zur Sicherung des erreichten Waffenstillstands in der heiklen Region die Stationierung von UN-Blauhelmen durchsetzten.

Der entscheidende Durchbruch kam dann mit der Meldung, dass in diesem Zusammenhang mehrere Rebellengruppen, darunter acht der führenden Clans, die Freilassung tausender Kindersoldaten zugesagt hätten. Diese mit Gewalt rekrutierten Kinder – eingesetzt als Kämpfer, Spione und Sexsklaven – fand man überall in Afrika und die Menschen in der Zentralafrikanischen Republik litten darunter besonders. Im Weiteren hieß es in dem Artikel, dass es noch keinen konkreten Fahrplan für die Wiedereingliederung der Kinder und für deren Umerziehung gäbe, da an allen Ecken die Mittel dafür fehlten.

Das war der Angelhaken für Bronsteen – Geld. Die nächsten Aktionen waren die Bereitstellung eines Sonderbudgets für humanitäre Hilfe aus seiner privaten Stiftung und ein Anruf bei einem langjährigen Parteifreund, einem Kommissär im Sozialrat der Vereinten Nationen, zuständig für das Kinderhilfswerk.

Es fehlte nur noch der gelungene Abschluss seiner Bemühungen die Tür in dieses Land aufzustoßen, um die Dinge ins Laufen zu bringen. Das war diese große Pressekonferenz vor der versammelten Führungselite des Landes, die meisten davon gierig auf seine Kontakte und die Chance auf fette Provisionen für die eigene Tasche. Und der Auftritt war makellos für Bronsteens Image: Förderer eines UNICEF-Projekts für Kindersoldaten. Ein perfekter Deckmantel, unter dem man mit den wichtigen Drahtziehern des Landes auch alle anderen Dinge erledigen konnte.

Gemessenen Schritts und mit einem knappen Kopfnicken in Richtung der Wartenden ging Bronsteen zum Rednerpult. Fünfzehn Minuten hatte er sie in der prallen Sonne sitzen lassen. Nun war er der einzige mit guter Laune und ohne dunkle Schweißflecke am Sakko.

Seine langjährige Vertraute Sarah, die Leiterin der Forschungsabteilung des Rüstungskonzerns, saß in der ersten Reihe. Die schlanke, weltgewandte Rotblonde war Bronsteens Protegé, seit er sie nach ihrer Promotion direkt von Yale in den Konzern geholt hatte. Durch rücksichtslosen Einsatz ihrer Intelligenz und ihrer Attraktivität stieg sie binnen kurzem zu seiner engen Vertrauten auf, die in die Winkelzüge eingeweiht war. Sie zog dezent den Applaus an und alle Besucher fielen ein.

»Meine Herrschaften! Liebe Freunde, danke!«, sagte Bronsteen noch während er zum Podium hochstieg und hob die Hand als Dank für den Beifall. »Ich bin nicht hier, um mich feiern zu lassen, sondern stehe in aller Demut vor den Problemen, um einen kleinen Beitrag zu leisten, die Situation für die Jugend dieses Landes zu verbessern. Ich tue das in enger Abstimmung mit dem Kinderhilfswerk UNICEF und danke den Vereinten Nationen, mir die Möglichkeit zu geben, hier helfend mitzuwirken. Meine Stiftung stellt sich ab heute ohne Einschränkung in den Dienst der Sache. Wir haben daher fünf Millionen US-Dollar als Ersthilfe für ihr Land bereitgestellt, um die Wiedereingliederung der Kinder in Gang zu bringen. Es wird gewiss nicht einfach, aber wir haben die Zuversicht auf unserer Seite!«

Allgemeiner Beifall – diesmal spontan. Bronsteens mitreißende Art zu sprechen und die genannte Summe wirkten auf die Gesellschaft auch ohne Unterstützung.

Sarah gefiel fast alles an diesem smarten Einzelgänger mit den perfekten Umgangsformen, vor allem aber bewunderte sie seinen Mut und seinen Weitblick in geschäftlichen Dingen. Auch der heutige Tag war wieder ein Beweis dafür, wie zielsicher und mit welch perfektem Timing er Menschen manipulierte.

Fünf Millionen für Kinder, dachte sie, und dafür Schürfrechte für Uran und Aufträge für Waffenlieferungen an die Herrn in den Uniformen im Publikum. Aber so war Bronsteen, mit einer Hand gab er den Leuten etwas und mit der anderen nahm er ihnen ein Vielfaches davon wieder ab. Eine Eigenschaft, die ihn reich und zu einem der weltweit bedeutendsten Rüstungsproduzenten gemacht hatte.

»Ich stehe hier«, fuhr Bronsteen wie immer ohne Notizen sprechend fort, »als einer der weiß, was Krieg bedeutet, der weiß, was Angst bedeutet, der weiß, was es bedeutet, sich im eigenen Land bedroht zu fühlen. Und ich bin mir meiner Verantwortung für diese Welt sehr wohl bewusst. Denn unser Konzern versteht sich nun schon in der dritten Generation als Beitrag zur Sicherheit, um sich im Falle eines Angriffs verteidigen zu können, und leistet damit seinen Teil für den Erhalt des Friedens, den wir uns alle so sehr wünschen.«

Er lehnte sich vor aufs Pult und senkte seine Stimme. »Nun werden Sie auch verstehen, warum mich gerade die Situation dieser Kinder so betroffen macht. Sie sind die Ärmsten in diesem wunderbaren Land – ahnungslos, getäuscht und schamlos für fremde Zwecke missbraucht. Aber, meine verehrten Freunde, sind unsere Kinder nicht das, worauf wir unsere Zukunft bauen und unser eigentlicher Reichtum? Verdienen sie nicht, dass wir alles tun, damit sie ein geordnetes Leben in Freiheit haben?«

Es war still geworden. Einige Frauen der Politiker zerdrückten eine Träne – zumindest taten sie so.

»Das Leben dieser Kinder wird sich zum Besseren ändern, denn wir werden in ihre Zukunft investieren«, kam Bronsteen nun zur Botschaft für die versammelte Presse, damit sie morgen darüber auch in seinem Sinne berichten würden. »In wenigen Tagen reist die erste Gruppe nach Frankreich, wo die gleiche Sprache eine Integration erleichtert, in ein eigens dafür errichtetes Camp. Hier, betreut von den weltweit besten Pädagogen, wo sie ein neues Selbstverständnis erlernen und menschliche Wärme spüren dürfen. Ich mache das nicht als humanitäre Marotte, sondern weil wir alle, wir Erwachsenen, die wir nicht in Frieden miteinander auskommen können, das Leben dieser Kinder in eine Hölle verwandelt haben. Und es ist unsere verdammte – verzeihen Sie mir das emotionale Wort – unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, diesen jungen Menschen ihr Leben zurückzugeben. Wir lassen sie in dieser schweren Zeit nicht alleine!«

Die Besucher erhoben sich von den Sitzen und applaudierten – die Militärs, um zu zeigen, dass auch sie gegen Kinder als Soldaten waren, die Politiker, weil die Presse anwesend war und die Journalisten, weil sie eine tolle Headline für die morgige Ausgabe hatte.

Sogar General Ndogar, der neben Sarah saß und der Rede mit steinernem Gesicht gefolgt war, stand auf und nickte beifällig.

Sarah war begeistert, wie jedes Mal wenn sie Bronsteen reden hörte. Niemand sonst konnte Dinge auf eine derart überzeugende Art sagen. Sie ging rasch voraus in den gemieteten Sitzungssaal des Hotels, um nochmals zu kontrollieren, ob alles für das folgende Gespräch mit Ndogar vorbereitet war. Sie hoffte, dass auch Ducca rechtzeitig zur Sitzung eintreffen würde, die nach dem kurzen Presse-Cocktail auf der Terrasse stattfand. Zum Unterschied von anderen Geschäftsleuten liebte Bronsteen Gespräche mit Journalisten. Er spielte eloquent mit ihnen und nutzte die Möglichkeit Informationen in die richtigen Kanäle zu verteilen.

Die Maschine aus Rom landete planmäßig in Bangui am M’Poko International Airport. Cesare Ducca sah auf die Uhr – es war kurz nach halb drei, Bronsteen würde gerade seine Rede halten. Als er ins Freie trat, legte sich die Hitze wie ein feuchtwarmes Tuch über alles. Sie nahm den Passagieren aus dem klimatisierten Airbus A321 beinahe die Luft zum Atmen.

Ducca ging direkt in die Halle, er hatte für die zwei Tage Aufenthalt nur Handgepäck, und schaute suchend in die Runde. Hinten, in der letzten Reihe der Wartenden, entdeckte er einen jungen baumlangen Schwarzen in einer grauen Hoteluniform, der ein Schild mit der Aufschrift Dussa hochhielt. Damit war wohl er gemeint.

Am Parkplatz deutete der Hotelboy auf einen alten, verbeulten Peugeot 504. Ducca, der es gewohnt war in standesgemäßen Fahrzeugen chauffiert zu werden, blieb beinahe entsetzt vor dem Fahrzeug stehen. Sein Fahrer hob beide Arme mit einer hilflosen Geste und entschuldigte sich mehrmals. Wegen der vielen hohen Gäste bei der Pressekonferenz waren weder Limousinen noch Fahrer frei gewesen, so wurde er, der Rezeptionist des Hotels, mit seinem Privatauto geschickt, um den Bankier abzuholen. Er sagte das nicht gerade freundlich, wahrscheinlich war sein Dienst lange zu Ende und die Abholung störte die Pläne für den weiteren Tag.

Das Hotel lag nur sechs Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, trotzdem wurde die Fahrt im dichten Verkehr auf den heißen Kunstledersitzen des alten 504er zur Qual. Wegen des schwülen Klimas kurbelten sie alle Fenster hinunter, um durch den Fahrtwind etwas Abkühlung zu schaffen. Das zog aber auch den Gestank der unzähligen Mopeds ins Innere, die sich, bläulich qualmenden Rauch verbreitend, von allen Seiten an der Autokolonne vorbeiquetschten. Überhaupt schien hier jegliche Verkehrsregelung außer Kraft genommen und von einem anhaltenden Hupkonzert ersetzt zu sein.

Ducca schnaufte, riss sich die Krawatte herunter und öffnete sein Hemd. In Rom war es am Morgen sehr kühl gewesen, so trug er zum Sakko ein Hemd mit langen Ärmeln und darunter noch ein Rippshirt. Er war zum ersten Mal in Zentralafrika und er hasste es bereits. Er legte die Hand aus dem Fenster. Das blanke Metall außen am Fahrzeug war jedoch so heiß, dass er sich den Unterarm verbrannte.

»Cazzo!«, zischte er zornig. »Verdammte Scheiße! Ich wäre besser zu Hause geblieben.«

Der blasse, untersetzte Mitfünfziger mit sorgsam gepflegter, grauer Fönfrisur und den dunklen buschigen Augenbrauen, schwitzte auch bei geringer Anstrengung stark und hasste jegliche Hitze. Am wohlsten fühlte er sich in luftigen Armani-Anzügen hinter seinem Schreibtisch im klimatisierten Büro. Er war Mitbesitzer der römischen Banco Merini, eine kleine Privatbank, die er, gemeinsam mit einer Villa am Stadtrand Roms und einem Penthouse im Zentrum mit Blick auf die Engelsburg, von seinem Vater geerbt hatte. Schon Sergio, Duccas Vater, spezialisierte sich auf die exklusive Betreuung von nur wenigen betuchten Kunden aus der Industrie. Als die Bank dann nach der Übernahme durch Cesare kurzfristig in die roten Zahlen rutschte, griff ihm Bronsteen unter die Arme. Seitdem hatte die Bank einen neuen Mehrheitseigentümer und nur noch einen einzigen Kunden. Für viele Geschäfte, die Bronsteen neben dem Konzern laufen ließ, war die kleine römische Familienbank eine exzellente Lösung. Ducca störte zwar die Abhängigkeit, doch durch die heiklen Aufträge konnte er jetzt ohne Risiko am ganz großen Kuchen mitnaschen.

Immer wieder sah er zwischendurch auf die Uhr und trieb den Fahrer an, der den quälend langsamen Verkehr scheinbar stoisch zur Kenntnis nahm.

»Ankommen gleich«, sagte er dazu mit schwerem französischem Akzent und zuckte mit den Achseln.

»Madonna«, zerquetschte Ducca zwischen den Zähnen, »wie lange kann man für sechs Kilometer brauchen.« Obwohl er selbst in dieser Verkehrshölle keinen Meter mit seinem Maserati fahren würde.

Verglichen mit den edlen Megahotels in Dubai, Hongkong oder der Schweiz, gehört das Ledger Plaza sicher nicht zu den Besten der Welt, aber für die Verhältnisse in Bangui ist es einsamer Luxus. Marmorhallen, Swimmingpool und eine überdachte Auffahrt für die Anreisenden sucht man bei anderen Hotels hier vergebens. Es wirkt nur ein wenig deplatziert in einer – gemessen an den Weltmetropolen – unterentwickelten Stadt und in einem Land, das durch den jahrelangen Konflikt zum Großteil zerstört ist. Ein wenig erinnerte Ducca der weiße Kasten mit den hohen Glasfenstern im Erdgeschoss an Las Vegas. Ein Eindruck, den die vielen Limousinen von Bronsteens Gästen in der Auffahrt noch verstärkten. Der Zorn stieg in Ducca hoch – ausgerechnet er als Bankier musste mit einem alten zerbeulten Peugeot vor so einem Haus ankommen.

Zu seiner Beruhigung nahm niemand Notiz von ihm und das große Entrée war fast leer. Gebaut als Atrium hielten hohe Steinsäulen eine halbrunde Glaskuppel, durch die Licht in die Halle flutete. Darunter standen weiße Amphoren mit bunten Blumengestecken. Ducca ging vorsichtig über den spiegelglatten Marmorboden im grau-weißen Schachbrettmuster zur Rezeption, deren Theke aus dunklem Holz fast die ganze gegenüberliegende Wand einnahm.

Nach dem Check-in blieben noch genau zehn Minuten bis zum vereinbarten Meeting, sehr knapp für eine Dusche und frische Kleidung. Deshalb winkte er Sarah, die ihm in der Lobby entgegenkam, nur kurz zu, nahm sich aber keine Zeit für eine Begrüßung, sondern lief hinter dem Boy her zum Zimmer.

LENA HALBERG - NEW YORK '01

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