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Der Gang mit den glatten Betonwänden sah unwirklich aus. Starke Neoröhren an der Decke warfen ihr blaugrünliches Licht durch milchige Kunststoffscheiben auf die grauen Wände, die glänzten, als wären sie mit Ölfarbe gestrichen. Der Boden dürfte erst aufgewaschen worden sein, denn an den Rändern standen noch feuchte Pfützen und es roch penetrant nach Desinfektionsmittel. Vorne an den Abzweigungen des Flurs, wo es rechts und links zu den wenigen Zellen ging, verendete gerade eine der Leuchtstoffbalken und flackerte unregelmäßig.

Der Bereich der vorübergehenden Verwahrung von Personen für die Dauer der Befragung war mit einer Gitterwand abgetrennt, auf deren Schiebetür ein Schild mit der Aufschrift detention fascilities prangte. Sobald das FBI mit der Untersuchung fertig war, wurde man freigelassen, wenn sich der Verdacht als unbegründet herausstellte. Konnte man seine Unschuld nicht beweisen, kam man bis zur Verhandlung in ein reguläres Gefängnis.

Senator Prow schlurfte müde hinter zwei FBI-Männern den Gang hinunter. Wieder war er die halbe Nacht verhört worden. Die drei Beamten, die abwechselnd die Verhöre leiteten, und die beiden Psychologen, die seine Antworten auf die Fragen in mehreren Listen protokollierten, wechselten einander ab. Sie arbeiteten mit Schlafentzug, Prow kannte das aus seiner Zeit als Soldat im Krieg. Dort hatten sie die gleiche Methode angewandt, nur das lag lange zurück und damals stand er auf der Seite der Gewinner. Sogar den Silver Star, die Auszeichnung für besondere Tapferkeit hatte man ihm verliehen, aber das interessierte nun niemanden mehr.

Als die Stahltür der Zelle hinter ihm geschlossen wurde, war er froh endlich alleine zu sein. Er setzte sich auf die Pritsche und strich sein schütteres graues Haar nach hinten. Es war unbequem hier, denn bei den Verhören im FBI bekam man keine extra Kleidung und der Straßenanzug war untauglich zum Schlafen. Auch die Hose rutschte fortwährend, denn die Schnürsenkel und den Gürtel nahmen sie dir ab, wegen möglicher Suizidgefahr. Lächerlich, sah er etwa aus wie ein Selbstmörder?

Eigentlich wollte Prow sich waschen und sein Hemd wechseln, aber dafür war er im Moment zu geschafft. Er ließ sich nach hinten sinken, starrte zur Decke und fluchte leise. Ein paar Blocks weiter, im Regierungsviertel am Regents Park, direkt hinter dem Capitol, lag sein wunderbares Büro mit dem dunklen Palisandertisch, von dem aus man die Schaltstellen Amerikas überblickte. Sehr nahe hatte er sich den Mächtigen dieser Welt gefühlt, wenn er mit einem Glas edlen Brandys dort gesessen war und Pläne schmiedete. Der kleine Provinzpolitiker aus Nashville schaffte es mit Bronsteens Geld bis auf einen Senatorensessel, wurde Mitglied des mächtigen Kontrollorgans für Verteidigung – des US Senat Committee for Armed Services – und Lobbyist für Bronsteens Rüstungskonzern.

Was war in diesen letzten Wochen nur mit ihm geschehen? Er fühlte sich stets unantastbar, so lange bis diese verdammte Journalistin in seinen Computer einbrach und die Files seiner Deals stahl. Die sollte man wegen Datendiebstahls und Verletzung der Intimsphäre eines US-Senators einlochen, nicht ihn, für den immer das Wohl Amerikas an oberster Stelle stand. Insgeheim verfluchte er sich, dass er die Unterlagen überhaupt aufgehoben hatte, aber er war eben Südstaatler bis in die Knochen und die gaben nichts her, was sie einmal besaßen. In Tennessee verkaufte man kein Haus, verborgte kein Auto und vernichtete keine Dokumente.

Die Unterlagen hatte er nur deshalb behalten, um für alle Fälle etwas gegen Bronsteen in der Hand zu haben. Doch nun drehte sich der große Boss nach dem Wind und kam fein aus der Sache heraus. Alles blieb am Senator hängen.

Senator, das war er doch in Wahrheit nicht mehr – bestenfalls Ex-Senator. Wie eine heiße Kartoffel ließ man ihn fallen, den Politiker, dessen unsaubere Geschäfte aufgefallen waren.

»Ja, verdammt«, murmelte er zornig, »es waren auch einige dreckige Dinge dabei, aber wen kümmerts, das macht jeder in so einer Position.«

Alles wäre anders, wenn Lisbeth noch an seiner Seite wäre und sie Bobby, seinen Sohn, noch hätten. Ungeachtet seiner unzähligen Affären war Lisbeth seine einzige Liebe gewesen – von dem Augenblick an, wo er sie in Tennessee kennenlernte. Sie war es, die seinen Aufstieg bis nach Washington begleitet hatte, sie schrieb seine Ansprachen, suchte die Anzüge aus und lud die richtigen Leute zum Abendessen ein. Und dann kam Bobby zur Welt, sie waren eine richtige Familie. Doch das Glück hielt nicht lange, denn als er anfing für Bronsteen zu arbeiten, trennte sich Lisbeth von ihm. Es war die Angst sie könnte in etwas hineingezogen werden oder ihr Sohn könnte durch Bronsteen Schaden nehmen, was dann einige Jahre später auch geschah. Nie würde Prow diesen Tag vergessen, als sie die Nachricht erhielten, dass Bobby gefallen war. Er war eingezogen worden, kämpfte in Afghanistan. Seine Truppe kam in ein Dorf, das die Terroristen vermint hatten; Bobby saß im ersten Jeep der hineinfuhr. Die Minen hatte Bronsteen den Talibans verkauft und Prow selbst war der Vermittler des Deals gewesen. Bobby war sofort tot, sie bekamen ihn nicht einmal zurück.

Es war Krieg, sagte sich Prow tausende Male. Es war weder seine Schuld noch seine Absicht gewesen, schließlich hatte er die Mine nicht hingelegt. Trotzdem verstand er Lisbeth, die seit diesem Tag nicht mehr mit ihm sprach.

Gequält warf er sich herum, warum fiel ihm all das ein? Waren die Verhöre noch nicht genug Belastung?

»Aufwachen!«

Er riss erschreckt die Augen auf und sah in ein Gesicht, das ihn anstarrte. Es war einer der FBI-Männer. Mühsam rappelte sich Prow auf, er musste über seinen Gedanken eingeschlafen sein und hatte keine Ahnung wieviel Zeit vergangen war.

»Es ist halb vier, Besuch ist da.«

»Halb vier, morgens …?«

»Nachmittag. Kommen Sie.«

»Wer ist denn da?«

Wortlos stemmte sich Prow von der Pritsche hoch. Er ging zum Waschbecken und ließ sich rasch Wasser über die Hände laufen und wusch sich das Gesicht. Dann nahm er sein zerknülltes Sakko und folgte dem Mann, der schon vor der Zellentür wartete.

Sie gingen hinauf in die Verhörräume. Im Gehen schlüpfte Prow in sein Sakko und strich es notdürftig glatt. Wahrscheinlich wartete wieder einer von Bronsteens Anwälten, um ihm noch weitere Schweinereien unterzujubeln, für die er den Kopf hinhalten sollte. Aber damit war Schluss, schwor er sich, keine Geständnisse mehr.

Die Zimmer für die Verhöre sahen alle gleich aus – hellgraue, schmucklose Wände, der übliche Spiegel, hinter dem jeder, der wollte, zuhören konnte und der festgeschraubte Tisch in der Mitte, über dem das Mikrophon für die Aufzeichnung von der Decke hing. Prow wurde auf den Stuhl gegenüber der Spiegelwand bugsiert, der ebenfalls verschraubt war, und erhielt Handschellen – eine Vorsichtsmaßnahme wenn Besucher zu Häftlingen kamen. Nur bei der Vernehmung mit den FBI-Spezialisten und bei Gesprächen mit dem eigenen Anwalt durfte man ohne Fesseln sitzen.

Lena war froh darüber, denn als sie den Raum betrat, starrte Prow sie ungläubig an und wäre ihr, nachdem sich sein Schock gelegt hatte, beinahe an die Gurgel gesprungen. Nur die Handschellen, die mit einer Stahlkette im Boden verankert waren, hielten ihn von dem Angriff ab.

»Du … du dreckige, du …«, zischte er dabei hasserfüllt. Seine Lippen wurden weiß, so kniff er den Mund zusammen. Mit den Händen ballte er Fäuste, die er impulsiv gegen sie hob, soweit die Kette dies zuließ.

Lena fuhr zuerst erschrocken zurück, dann richtete sie sich auf und ging zum Tisch.

Du machst mir keine Angst mehr, dachte sie, und beugte sich so nahe zu ihm vor, dass nur ein halber Meter zwischen ihr und seinem wütenden Gesicht waren. Sie würde sich nicht von ihm mitreißen lassen, sondern sachlich und höflich bleiben. Sie stellte ihre Aktentasche ab und setzte sich.

»Sie gestatten, dass ich mich setzte, Senator, wir haben einiges zu besprechen«, sagte sie, nachdem sie ihn ruhig gemustert hatte, ohne jegliche Aufregung in der Stimme und mit ausgesucht höflichem Tonfall.

Prow lehnte sich zurück auf seinen Stuhl. Langsam gewann er die Fassung wieder und sein Nacken entspannte sich.

»Wird nicht zu vermeiden sein, wie ich Sie kenne«, meinte er giftig. »Man müsste euch Journalisten alle aufhängen.«

»Seltsam, irgendwann einmal sagten Sie mir, Sie hätten ein großes Herz für uns. Das wäre auch besser, denn sonst werden Sie sich schwerlich Freunde bei der Presse machen, die Sie aber beim Prozess vielleicht bräuchten«, konterte Lena unverfroren.

»Der Prozess wird eine Farce«, bellte Prow, »das wissen Sie genauso gut wie ich. Alles, was ich gemacht habe, war nur im Auftrag und in Abstimmung mit Bronsteen, der sich herauswindet und an mir abputzt. Er würde hierher in diese Scheiße gehören, nicht ich!«

»Das ist wiederum eine Sache, wo ich Ihnen in dem Teil recht gebe, dass er auch hierher gehören würde«, sagte Lena und überlegte, »aber Sie wissen genug über diesen feinen Herrn, damit er die Scheiße zumindest mit Ihnen teilen müsste. Also bringen Sie es doch einfach ans Tageslicht.«

»Ich weiß gar nichts. Und wenn, würde ich es Ihnen nicht auf die Nase binden.«

»Ah, einer schwärzt den anderen nicht an. Der große Ehrenkodex der Gauner …«

»Sind Sie verrückt, wie reden Sie denn mit mir?« Prow fuhr hitzig auf und schrie sie hemmungslos an. »Was wollen Sie denn gegen einen Bronsteen ausrichten? Glauben Sie vielleicht, den kann man austricksen? Der schnippt einmal mit den Fingern und wir sind Geschichte. Der hat doch alle auf seiner Lohnliste, bis hinauf ins Weiße Haus!«

»Würden Sie das auch vor Gericht aussagen?«, fuhr Lena in Prows Ausbruch hinein.

»Ach hören Sie auf, Sie mit Ihrem Fanatismus alles aufdecken zu wollen.« Prow sank matt zurück. »Ich spiele da nicht mit, ich würde nämlich gerne überleben. Ich war so naiv in seinem Auftrag ein Geschäft abzuschließen. Dafür werde ich wahrscheinlich die nächsten vier Jahre im Gefängnis verbringen, aber danach habe ich meine Ruhe. Übrigens war das alles nicht gegen Amerika gerichtet, kein Mensch wäre hier zu Schaden gekommen.«

»Zählen Menschen woanders denn weniger für Sie?«

Prow versuchte einzulenken, sein unbeherrschter Ausbruch war ein Fehler gewesen. Er durfte sich von ihr nicht zu unbedachten Äußerungen hinreißen lassen.

»Meinen Sie etwa, die Arbeit im Dienste der Sicherheit eines Landes ist einfach?«, versuchte er daher einen staatsmännischen Ton anzuschlagen. »Für einen Senator der Vereinigten Staaten steht nur das Wohl des Vaterlandes im Vordergrund, das ist er den Bürgern schuldig. Sie haben ja keine Ahnung, was das für ein heikles Geschäft ist – man soll für Schutz und Frieden garantieren, aber die Gesetze erlauben nur einen engen Spielraum. Also muss man die Gefahr dort vernichten, wo sie entsteht, bevor das eigene Land betroffen ist. Da ist man ganz schnell im illegalen Bereich, wenn man einmal weiter ausholt!«

»Etwa so weit wie beim World Trade Center?« Lena hatte langsam gesprochen und jedes Wort betont.

Prow zuckte zurück. Was will sie denn damit, dachte er. Ohne Zweifel blufft sie und will mich aufs Glatteis führen, wie damals bei dem verfluchten Interview. Das wird ihr diesmal nicht gelingen.

»Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, was Sie mit dieser Bemerkung meinen«, sagte er deshalb vorsichtig.

»Dann kann ich Ihre Vorstellung gerne auffrischen!« Lena sagte es so unverbindlich, als würde es um eine kleine Gefälligkeit gehen. Sie öffnete ihre Aktentasche und zog die Kopie des Kontoauszugs mit der Überweisung heraus. »Sie haben Geld an einen der Attentäter überwiesen. Ihr Konto, ihre Handschrift, sehen Sie?«

Das hatte er auch noch in seinem Computer gehabt? Prow erschrak zutiefst, denn er wusste genau, was das war und seit Jahren fürchtete er den Moment, wo jemand diese Sache ausgraben würde. Er musste sich mit Gewalt zwingen, nicht vor Zorn aufzuschreien.

»Was … was wollen Sie damit?«, stotterte er. »Das waren Zahlungen für die Bauern in Kolumbien, wirklich ein rein soziales Projekt.«

»Eigenartig, ich wusste gar nicht, dass man über Kolumbien nach Hamburg kommt, denn dorthin sind die Zahlungen offensichtlich weitergelaufen.«

»Die Überweisung sagt gar nichts«, wand sich Prow hilflos und Schweiß begann über seine Stirn zu laufen. »Die ging an eine Bank in Bogotá, die die Gelder verwaltet hat. Das ist viele Jahre her. Wer weiß schon, was die damit bezahlt haben.«

»Sie wissen es«, entfuhr es Lena hart. Jeden Sicherheitsabstand außer Acht lassen, sprang sie auf, beugte sich über den Tisch und funkelte ihn direkt an. »Sie selbst haben den Vermerk auf den Beleg geschrieben: Überweisung für Eißendorf! Das ist der Vorort von Hamburg, wo einer der Attentäter des Anschlags wohnte! Und Sie wissen auch, Herr Ex-Senator, dass so etwas nicht verjährt. Wenn das an Ihnen hängen bleibt, werden Sie nicht mit gemütlichen vier Jahren durchkommen. Dafür geht es auf den Elektrischen Stuhl!«

Prow spürte, dass er in einer Sackgasse gefangen war. Seine Hände begannen zu zittern und es war schwer sich zurückzuhalten, nicht verzweifelt loszuheulen. Irgendwie musste er diese Halberg umstimmen, auf seine Seite ziehen.

»Ich habe davon nichts gewusst«, sagte er tonlos und seine Stimme war fast nicht zu hören. »Ich habe nur die Überweisungen gemacht und erst später erfahren, wohin das Geld ging. Ich habe es nur auf die Überweisungsbelege geschrieben, um zu wissen, welche Beträge umgeleitet wurden.«

Lena hatte ihn, Prow begann zu reden. Scheiße, dachte sie, ich habe keinen Zeugen und mein Aufnahmegerät liegt draußen, das durfte ich zum Gespräch nicht mitnehmen.

»Haben Sie sich nie gefragt, wofür das Geld war?« Lena bemühte sich ruhig und objektiv zu klingen, um Prows Redefluss keinesfalls zu stören.

»Nein, ich habe mich gezwungen, nicht darüber nachdenken. Es ging aber, soviel ich mitbekam, nur um ein mögliches Datum, falls es einen Anschlag geben sollte. Es sind auch keine weiteren Informationen über mich gelaufen. Ich betone ausdrücklich: Ich hatte keine Kenntnis, um welches Vorhaben es ging und wo es stattfinden sollte!«

»Vorher vielleicht … Aber nach den Anschlägen?«

»Was sollte ich denn machen, ich hatte nichts in der Hand und weiß auch nicht, ob Bronsteen überhaupt etwas darüber erfuhr.«

»Wozu glauben Sie denn, wollte er es wissen?«

»Ich glaube gar nichts! Ich habe mit ihm nie darüber gesprochen und auch vermieden, dass jemand anderer das Thema anschneidet. Ich kann mir nur vorstellen, dass er Gerüchte aufgeschnappt hatte und sich in Sicherheit bringen wollte.«

»Das waren aber sehr konkrete Gerüchte, wenn er sogar die Bankverbindung der Attentäter kannte.«

»Ja, was könnte Bronsteen denn sonst damit zu tun haben?«

»Die Frage wäre eher, was Bronsteen nicht damit zu tun haben könnte.«

»Sie glauben, dass er …?« Prow schluckte hörbar.

»Zumindest sieht es für mich so aus.«

»Nein, nein! Das kann nicht sein … Schließlich sind wir Patrioten!« Prow brach förmlich zusammen. »Was werden Sie jetzt tun?«

»Ich werde die Staatsanwaltschaft darüber informieren, denn ich mache mich nicht mitschuldig, egal was da gelaufen ist«, sagte Lena trocken und packte ihre Tasche, »und Sie werden das, was Sie mir gerade erzählt haben, auch in der Verhandlung sagen müssen.«

Lena ging mit einem knappen Gruß hinaus, auf den Prow nicht reagierte. Er saß nur da und starrte vor sich hin.

»Ich weiß«, murmelte Prow erst als Lena weg war. Er wollte nicht auf den Elektrischen Stuhl, er würde dem Untersuchungsrichter vorschlagen, gegen Bronsteen auszupacken. Wenn er es schaffte Kronzeuge zu werden, konnte er Zeugenschutz beantragen.

LENA HALBERG - NEW YORK '01

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