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Bundeswehr (Bw) und Neuausrichtung der Bundeswehr
ОглавлениеAls Bundeswehr wird die Gesamtheit des der militärischen Landesverteidigung der Bundesrepublik Deutschland (DEU) dienenden Personals und Materials einschließlich aller Einrichtungen, Anlagen und Organisationselemente bezeichnet.
Der verfassungsrechtliche Auftrag der Streitkräfte ergibt sich aus Grundgesetz (GG):
Art. 87a Abs. 1, 3 Landes- und Bündnisverteidigung;
Art. 24 Abs. 2 Einsatz im Rahmen und nach den Regeln kollektiver Sicherheitssysteme;
Art. 87a Abs. 4 Einsatz im Rahmen eines Inneren Notstandes;
Art. 35 Abs. 1 Amtshilfe;
Art. 35 Abs. 2, 3 Katastrophennotstand.
Das GG verbietet zudem mit Art. 26 Abs. 1 explizit alle »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzunehmen«.
Die Streitkräfte dürfen zu anderen als diesen im GG ausdrücklich zugelassenen Aufgaben nicht eingesetzt werden. Damit wird die Verfügungsgewalt der Bundesregierung über die ~ deutlich eingeschränkt und diese zugleich vor Missbrauch geschützt. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 12. Juli 1994 den Einsatz deutscher Soldaten aufgrund eines Mandats der Vereinten Nationen ausdrücklich anerkannt, jeden Einsatz aber von der Zustimmung des Deutschen Bundestages abhängig gemacht.
Die Bundeswehr erfüllt unverändert ihren Zweck als wirksames Instrument deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Ihr Auftrag ergibt sich aus dem Grundgesetz und den daraus abgeleiteten Zielen deutscher Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Am 18. Mai 2011 hat Minister de Maizière die verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) und die Eckpunkte für die Neuausrichtung entschieden. Die VPR machen deutlich, dass es heute und in Zukunft neben der klassischen Landes- und Bündnisverteidigung darauf ankommt, Auswirkungen von Krisen und Konflikten auf Distanz zu halten, indem ihnen aktiv vorgebeugt wird oder sie zumindest eingegrenzt werden. Die Vereinten Nationen, die NATO und die Europäische Union sind der internationale Rahmen, in dem sich unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik vollzieht.
Angesichts der Bandbreite potenzieller Konflikte muss die Bundeswehr daher auch künftig ein breites Fähigkeitsspektrum vorhalten. Die Eckpunkte machen Vorgaben für die Neuausrichtung der Bundeswehr u. a. zum Umfang, zum Personalmanagement, zur Organisation des Ministeriums, zur Beschaffung von Ausrüstung sowie zur Finanzierung der Bundeswehr.
Das Ziel, die Bundeswehr so aufzustellen, zu finanzieren und auszustatten, dass Deutschland nachhaltig befähigt wird, gemeinsam mit seinen Partnern einen gewichtigen militärischen Beitrag zur Sicherheit des Landes und des Bündnisses sowie zur Sicherung von Frieden und Stabilität in der Welt zu leisten, ist weiterhin valide. Mit dem Weißbuch der Bundesregierung von 2016, welches strategische Vorgaben zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundesregierung enthält, wurden diese verteidigungspolitischen Richtlinien weiter geschärft. Aus dem Weißbuch der Bundesregierung von 2016 folgte im Frühjahr 2018 die Konzeption der Bundeswehr, welches als Dachdokument die Grundlinien der militärischen Verteidigung Deutschlands bestimmt. Daraus abgeleitet wurde im September 2018 das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr vom GenInspBw unterzeichnet. Darin sind der Bedarf der Bundeswehr sowie die wesentlichen Modernisierungsschritte bis zum Jahr 2031 beschrieben.
Sicherheitspolitische Ziele
Diese sind:
•Sicherheit und Schutz der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands;
•territoriale Integrität und Souveränität Deutschlands und seiner Verbündeten;
•Wahrnehmung internationaler Verantwortung.
Sicherheitsinteressen
Dazu gehören:
•Krisen und Konflikte zu verhindern, vorbeugend einzudämmen und zu bewältigen, die die Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten beeinträchtigen;
•außen- und sicherheitspolitische Positionen nachhaltig und glaubwürdig zu vertreten und einzulösen;
•die transatlantische und europäische Sicherheit und Partnerschaft zu stärken;
•für die internationale Geltung der Menschenrechte und der demokratischen Grundsätze einzutreten, das weltweite Respektieren des Völkerrechts zu fördern und die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen zu reduzieren;
•einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.
Auftrag
Die Bundeswehr
•schützt Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger,
•sichert die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands,
•trägt zur Verteidigung der Verbündeten bei,
•leistet einen Beitrag zu Stabilität und Partnerschaft im internationalen Rahmen und
•fördert die multinationale Zusammenarbeit und europäische Integration.
Aufgaben
Vor diesem Hintergrund nimmt die Bundeswehr folgende ineinandergreifende Aufgaben wahr:
•Landesverteidigung als Bündnisverteidigung im Rahmen der Nordatlantischen Allianz;
•internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung – einschließlich des Kampfs gegen den internationalen Terrorismus;
•Beteiligung an militärischen Aufgaben im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU;
•Beiträge zum Heimatschutz, d. h. Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet sowie Amtshilfe in Fällen von Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand;
•Rettung und Evakuierung sowie Geiselbefreiung im Ausland;
•Partnerschaft und Kooperation als Teil einer multinationalen Integration und globalen Sicherheitszusammenarbeit im Verständnis moderner Verteidigungsdiplomatie;
•humanitäre Hilfe im Ausland.
Nationale Zielvorgabe
Die ~ ist ein wesentlicher fähigkeits- und strukturbestimmender Leitfaktor für die Bundeswehr.
Sie verlangt:
•die Möglichkeit der Übernahme von Führungsverantwortung als Rahmennation und
•die Bereitstellung benötigter Fähigkeiten für das gesamte Aufgabenspektrum, in die Beiträge anderer Nationen flexibel und synergetisch integriert werden können.
Nicht durch einen Einsatz gebundene Kräfte der Bundeswehr stellen die Einsatzbereitschaft im gesamten Intensitätsspektrum sicher. Die Befähigung zum Kampf als höchster Anspruch an Personal, Material und Ausbildung ist der Maßstab für die Einsatzbereitschaft.
Unter Gewichtung ihrer Aufgaben soll die Bundeswehr folgende Ziele erreichen:
•Zur Bündnisverteidigung ist ein streitkräftegemeinsames Kräftedispositiv bereitzustellen, das multinational zur schnellen, wirksamen und zeitlich begrenzten Reaktion befähigt ist. Eine derartige Operation kann die Entscheidung zum Abbruch parallel laufender Stabilisierungseinsätze notwendig machen.
•Die in diesem Kräftedispositiv enthaltenen deutschen Anteile der NATO Response Force und der EU Battlegroup bilden auch weiterhin den Nukleus des deutschen Beitrags für die schnelle Reaktion im Nordatlantischen Bündnis und in der Europäischen Union.
•Zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung müssen streitkräftegemeinsam, eskalations- und durchsetzungsfähige Kräfte gleichzeitig für Einsätze in unterschiedlichen Einsatzgebieten, gegebenenfalls unter Abstützung auf externe Unterstützung, gestellt werden können. Dafür sind zeitgleich rund 10.000 Soldatinnen und Soldaten durchhaltefähig vorzuhalten.
•Zur VN-Friedenssicherung im Rahmen des »UN Standby Arrangements System« sind streitkräftegemeinsam Kräfte auf der Basis verfügbarer Kapazitäten bereitzustellen. Für Beobachtermissionen ist Personal in angemessenem Umfang vorzuhalten.
•Zur Rettung, Evakuierung und Geiselbefreiung im Ausland sind im Rahmen nationaler Krisenvorsorge dauerhaft streitkräftegemeinsame Fähigkeiten vorzuhalten.
•Zur Überwachung und Sicherheit im deutschen Luft- und Seeraum sowie für den Such- und Rettungsdienst sind dauerhaft entsprechende Fähigkeiten bereitzustellen.
•Zur Wahrnehmung von Aufgaben im Heimatschutz werden im Bedarfsfall alle verfügbaren Kräfte, einschließlich der Reservisten, herangezogen.
Fähigkeiten
Die Fähigkeiten der Bundeswehr leiten sich aus ihrem Auftrag und ihren Aufgaben ab. Richtschnur ist dabei die nationale Zielvorgabe. Eine Priorisierung innerhalb des Fähigkeitsspektrums ergibt sich aus der Wahrscheinlichkeit, mit der Risiken und Bedrohungen einen militärischen Beitrag erforderlich machen, aus dem Zeitbedarf zur Bereitstellung der Fähigkeiten, der Beurteilung nationaler Interessen und der Finanzierbarkeit.
Struktur
Die ~ besteht entsprechend den Vorgaben der Verfassung (GG Art. 87a/b) aus den Streitkräften und der Bundeswehrverwaltung mit einer gemeinsamen Spitze im Bundesministerium der Verteidigung. Sie unterstehen im Frieden und in der Krise der Befehls- und Kommandogewalt des Bundesministers der Verteidigung (GG Art. 65a), die im Verteidigungsfall auf den Bundeskanzler (GG Art. 115b) übergeht. Damit ist sichergestellt, dass die deutschen Streitkräfte im Frieden, in der Krise und im Krieg stets politischer Führung und parlamentarischer Kontrolle unterliegen. Die Streitkräfte gliedern sich in die klassischen Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine sowie in die beiden militärischen Organisationsbereiche Streitkräftebasis und Zentraler Sanitätsdienst der Bundeswehr. In der Zielstruktur wird der Umfang der Streitkräfte einschließlich bis zu 2.500 Reservisten bei bis zu 185.000 Soldatinnen und Soldaten liegen. Diese bestehen aus bis zu 170.000 Zeit- und Berufssoldaten sowie 5.000 freiwillig Wehrdienstleistenden. Dazu kommen bis zu 10.000 weitere freiwillig Wehrdienstleistende. Das Heer wird künftig 57.570, die Luftwaffe 22.550, die Marine 13.050, die Streitkräftebasis 36.750 und der Sanitätsdienst 14.620 Soldatinnen und Soldaten umfassen. Weitere 30.460 Soldatinnen und Soldaten befinden sich turnusmäßig in Ausbildung oder werden in den anderen Organisationsbereichen (Personal, Infrastruktur und Dienstleistungen sowie Rüstung, Nutzung, Informationstechnologie) verwendet. Die Zuordnung verschiedener Fähigkeiten auf die Teilstreitkräfte/Organisationsbereiche wird im Zuge der Reform verändert:
•Verlagerung des taktisch-operativen Lufttransports mit CH-53 zur Luftwaffe,
•Konzentration des taktischen Lufttransports mit NH 90 beim Heer,
•Zuordnung von Counter IED und Kampfmittelbeseitigung zum Heer,
•Bündelung der bodengebundenen Luftverteidigung und Flugabwehr bei der Luftwaffe,
•Übernahme der Weitverkehrsanteile der Führungsunterstützung durch die Streitkräftebasis,
•Zuordnung der ABC-Abwehr zur Streitkräftebasis und
•Zusammenfassung der Militärmusik in der Streitkräftebasis.
Eckpunktepapier
Mit dem Papier »Eckpunkte für die Bundeswehr der Zukunft« der Bundesministerin der Verteidigung und des Generalinspekteurs der Bundeswehr vom 18. Mai 2021 wurde die Grundlage gelegt für eine neuerliche Anpassung der Bw-Strukturen und -Fähigkeiten. Sie sollen die »Konzeption der Bundeswehr« und das »Fähigkeitsprofil der Bundeswehr« aus dem Jahr 2018 ergänzen und insbesondere die Einsatzbereitschaft durch veränderte Führungsstrukturen erhöhen. Damit soll insbesondere den veränderten Anforderungen hinsichtlich der Landes- und Bündnisverteidigung, der Nationalen Territorialen Verteidigung und des Heimatschutzes sowie des Internationalen Krisenmanagements Rechnung getragen werden.