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III.

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elicia von Felicia von Passau hatte ihre momentanen Herzenswallungen dergestalt behütet, dass sie dem scharfen Auge ihrer sehr klugen Stiefmutter vollständig verhüllt geblieben waren. Ihr entging die Veränderung in des jungen Mädchens Wesen, die sonst merklich genug gewesen wäre, schon deshalb, weil sie von eigenen Geistesunruhen stark in Anspruch genommen wurde. Peinliche Erinnerungen an eine Lebensperiode, wo sie sich durch energische Maßregeln aus den Stürmen des Meeres in einen Hafen zu retten gesucht hatte, rüttelten an ihrer Seelenruhe und machten ihr für alle Handlungen gründliche Überlegung zur Pflicht.

Diesem Umstande allein war es zuzuschreiben, dass Frau von Passau ganz unvermutet die Einladung zum Souper beim Präsidenten von Dandero für sich ablehnte, aber für Felicia zusagte und dieselbe dabei der Obhut einer Freundin anvertraute.

Etwas verwundert befolgte die junge Dame den Befehl ihrer Mama, und da eine Remonstration1 gegen dergleichen Willensäußerungen völlig zweck- und nutzlos war, so suchte sie keine Abänderung des Beschlusses zu erlangen.

Frau von Passau blieb ruhig allein zu Hause und saß noch spät in ihrem schönen, großen Zimmer, geduldig der Rückkehr Felicias wartend. Wer die Dame genau kannte und sie selbst genau beobachtet hätte, dem würde es sicherlich nicht entgangen sein, dass eine bedeutende Spannung auf dem noch immer schönen Gesichte derselben lag, und er würde es schwerlich dem Zufalle zugeschrieben haben, dass sie, wie von einer nervösen Unruhe gepeinigt, rastlos im Zimmer hin und her zu gehen begann, als Felicias Eintreffen mit jeder Minute zu erwarten war.

Die Glocke an der Haustür erklang endlich – Felicia kam und eilte, ebenfalls stark bewegt, in das Zimmer der Mutter, welche mit merkwürdiger Selbstbeherrschung jetzt ihren Mienen einen ganz harmlosen Ausdruck gab.

„Hast Du Dich amüsiert, liebe Felicia?“ fragte Frau von Passau mit gütiger Stimme. „Außerordentlich gut! Mehr als jemals, Mama!“ antwortete die junge Dame, indem sie Mantel, Capotte2 und Pelzkragen dem Dienstmädchen übergab.

Frau von Passau setzte sich, wie zu einem Plauderstündchen, bequem im Sofa zurecht und gab der Dienerin einen Wink, dass sie ihrer nicht mehr bedürfe.

Jetzt waren die Damen allein. „Man bedauerte lebhaft, Dich entbehren zu müssen“, sagte Felicia, gleichsam als Fortsetzung ihrer Rede.

„Phrasen, meine liebe Felicia, Phrasen, die nur dazu dienen sollen, einen Anknüpfungspunkt zum Gespräche zu finden.“

„Nicht immer, Mama! Mindestens möchte ich von Einigen in der Gesellschaft behaupten, dass sie es wahrhaft beklagten, Dich nicht angetroffen zu haben. Ich zweifle auch nicht, dass es Dir Vergnügen gewährt hätte, alte Bekannte zu begrüßen.“

„Du könntest irren!“ warf Frau von Passau lakonisch hin.

Felicia stutzte; sie besaß jedoch—Dank ihrer Erziehung — so viel Selbstbeherrschung, dass sie nicht durch eine Miene verriet, sie erkenne jetzt die Gründe, weshalb ihre Mutter die Gesellschaft beim Präsidenten von Dandero nicht hatte besuchen wollen. Sie schwieg und erwartete eine Aufforderung, bevor sie weiter redete. Dies geschah schneller und in direkterer Weise, als sie gedacht hatte.

„Herr von Rudenzi war da?“ sprach Frau von Passau in fragendem Tone.

Felicia konnte nicht umhin, sie mit einem Erstaunen anzusehen.

„Du wusstest, dass Herr von Rudenzi wieder hier ist?“ fragte sie lebhaft.

„Ich sah ihn gestern durch die Straße gehen“, antwortete die Dame kalt.

„Schade! Er hatte sieh wie ein Kind auf die Überraschung gefreut, die er Dir zu bereiten gesonnen war, und er hatte mir halb und halb das Versprechen entrissen, Dir nichts von seiner Ankunft zu verraten. Morgen wird er Dir einen Besuch machen.“

„Das konnte ich voraussehen. Mir liegt sehr wenig daran, die Bekanntschaft mit ihm zu erneuern.“

„Ihm scheint sehr viel daran zu liegen.“

„Daran siehst Du, dass seine Meinungen, sehr stark von den meinigen abweichen.“ „Er ist aber ein treuer Freund geblieben, Mama — empfange ihn doch nur!“ bat das junge Mädchen mit einem unerklärlichen Mute.

„Ich bin seine Freundin nie gewesen“, erklärte Frau von Passau mit seltsamer Betonung. „Doch lassen wir das unberührt. Die Visite will ich ihm nicht wehren und ich fürchte mich auch keineswegs, ihn zu empfangen. War nicht sonst noch Jemand in der Gesellschaft, dessen Anwesenheit mir eine Überraschung hätte bereiten können?“ setzte die Dame mit einem raschen Seitenblicke hinzu.

Ein Strahl voll Fröhlichkeit flog über Felicias Antlitz und sie erwiderte belebt: „Noch ein alter Bekannter, Mama. Erinnerst Du Dich Edwins noch? Edwin von Röhl, dessen Mutter den steinreichen Kommissionsrat Dornberg heiratete ?“

„Warum soll ich mich des jungen Mannes nicht erinnern? Ich erkannte ihn sogleich, als er mit Rudenzi an meinem Fenster vorüberging.“

„Du erkanntest ihn? Mir scheint er so verändert, dass ich lange zweifelhaft blieb, ob er es wirklich sein könne.

Erst seine Laune, seine Heiterkeit, seine Temperamentsausbrüche überzeugten mich, dass er es wirklich war.“

„Es wäre wünschenswert, dass sich seine große Veränderung auch auf sein Inneres erstreckte, das von Leichtsinn, Eigendünkel, Übermut und Arroganz bis, zum Überflusse erfüllt war.“

„O, Mama!“ bat Felicia, und eine Beimischung von Entrüstung färbte den ernsten Ton, in dem sie das Urteil der Mutter zu widerlegen suchte. „Edwin mag leichtfertig sein, aber Du malst ihn zu schwarz. Er ist gut und liebenswürdig —würde ihn sonst mein lieber, seliger Vater lieb gehabt haben, würde sein täglicher Besuch hier im Hause geduldet worden sein?“

„Gegen diese Berufung darf ich nichts einwenden, weil die Pietät dieselbe schützt; allein mir ist es stets ein Rätsel geblieben, was Deinen seligen Papa so nachsichtig gegen den bodenlosen Leichtsinn des tollen Burschen stimmte. Ich kann zwar keine Beweise ausstellen, aber ich halte Edwin von Röhl für einen jungen Mann, der zu Allem fähig ist, den sein Leichtsinn bis zur Grenze des Verbrechens führen könnte!“

„Mama“ — sein Herz ist gut — wahrhaftig sein Herz ist gut!“ rief Felicia eifrig.

„Meine liebe Felicia, das will sehr wenig sagen! Herzensgüte ohne Grundsätze gleicht dem trügerischen Flugsande — wer darauf bauet, ist rettungslos verloren—er versinkt, weil das scheinbar feste Fundament locker ist.“

Felicia blickte etwas betroffen zu ihrer Mutter auf. Sie musste die Wahrheit dieser Ansicht anerkennen und konnte sich der richtigen Anwendung derselben nicht verschließen.

„Edwin erschien mir gerade heute so gut und liebenswürdig“, sagte sie kleinlaut, „und er schilderte mir so lebendig das Glück seiner letzten Vergangenheit, stellte die Güte und Nachsicht seines seligen „Stiefpapa“ in so ergötzlicher Weise dar, dass ich gerührt und belustigt zugleich war.“

„Ich kenne sein Talent in diesem Fache. Er spottet, indem er lobt“, schaltete Frau von Passau ein.

„Denke Dir, Mama, der selige Kommissionsrat hat Edwin seinem eigenen Sohne Arnold ganz gleich erzogen — ebenso noch zwei Pflegekinder, die hinterlassenen Waisen eines seiner Beamten, der im Geschäftseifer sein Leben eingebüßt hat. Edwin meint die Güte des alten, seligen Herrn habe eine böse Saat gesät. Die „vier zusammengewürfelten Geschwister“ wären wie elektrisch berührt, nach dem plötzlichen Tode des Kommissionsrates auseinander gestoben, und seitdem scheine das Unglück bei ihnen eingekehrt zu sein.“

„Das Unglück?“ fragte Frau von Passau verwundert.

„Edwin will morgen die Details dieses Unglückes liefern“, erwiderte Felicia. „Nur so viel entnahm ich aus seinem flüchtigen Gespräche, dass die Pflegekinder Dornbergs nicht mit dem testierten Willen des alten Herrn zufrieden sind, weil sie unbedingt der Willkür Arnold Dornbergs unterworfen werden. Herr Arthur Geiserheim und Fräulein Jenny Geiserheim hatten erwartet, fürstlich abgefunden zu werden, weil ihr Vater sein Leben in einer Berufspflicht verloren hätte, und Edwin gestand lachend, dass er ebenfalls belohnt zu werden gehofft hätte, weil er seiner Mutter erlaubt habe, Frau Dornberg zu werden. Von alledem ist nichts geschehen. Herr Arnold Dornberg hat es in seiner Hand, gütig oder geizig seinen Pflegegeschwistern gegenüber zu sein.“ „Ich finde diese Bestimmung durch die Verhältnisse vollkommen gerechtfertigt“, sprach Frau von Passau sich erhebend. „Edwin selbst scheint dies auch zu finden“, entgegnete Felicia, gleichfalls aufstehend. „Wenigstens tadelte er mit lächerlichem Pathos seinen Pflegebruder Arthur Geiserheim, dass dieser Knall und Fall das Haus verlassen und zu einem Verwandten, dem Forstrevisor Dornbergs gezogen sei. „Herr Arthur will sich nicht vom Pflegebruder Arnold füttern lassen!“ schloss Edwin lachend seinen Bericht. Glaub’ mir, Mama, es ist mehr seine Manier, die ihn leichtsinnig erscheinen lässt, als seine Handlungsweise.“

Die Dame lächelte leise zu Felicias Entschuldigungsgründen. „Frivolität ist stets der Ausdruck eines verderbten Herzens“, erwiderte sie. „Und, dass der junge Röhl ein Liebling des Major von Rudenzi ist, gereicht ihm in meinen Augen keineswegs zur Empfehlung. Ich habe ein Zusammentreffen mit diesen beiden Herren vermieden — ich würde auch jetzt noch eine Annäherung verhindern und den Besuch ablehnen, allein ich will Niemand ungeprüft verdammen. Es werden wenige Minuten ausreichen, mein früheres Urteil über Beide entweder zu befestigen oder umzustoßen. Darf ich hoffen Felicia“, fügte sie mit gehobener Stimme hinzu, „dass Du dann meine Meinung respektieren werdest?“

„Gewiss, liebe Mama!“ sagte das junge Mädchen ruhig.

1 gegen dergleichen Willensäußerungen

2 Haube mit Kinnband, verziert mit Rüschen, Strohblumen und Nackenschleifen.

Verdächtig

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