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IV.

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m nächsten Morgen hatte kaum die Stunde geschlagen, die vom Gesetze des feinen Tones zu Visiten bestimmt ist, als Herr Edwin von Röhl mit der sorglosen Hurtigkeit eines Besuchers, welcher dem steifen Zeremoniell wenig Wert beilegt, die Straße daher eilte und sich schleunigst ins Passau’sche Haus verfügte.

Er fand beide Damen seines Besuches gewärtig, und wenn auch seine heitere Begrüßung nicht ganz den Regeln des Respektes entsprach, so ließ sich Frau von Passau doch sichtlich von der Manier bestechen, womit er sein Recht zur Erneuerung der alten Bekanntschaft geltend machte.

„Major Rudenzi ist noch nicht hier?“ fragte der junge Herr dann mit erheucheltem Erstaunen, indem er seinen Sessel ganz ungeniert dem Sofa näher rückte. „Das nimmt mich Wunder! Er brannte ja förmlich vor Verlangen, Sie, meine gnädige Frau, in Ihrer unveränderlichen Schönheit bewundern zu können.“

Aus jedem anderen Munde würde diese Bemerkung als eine höchst unpassende Albernheit erschienen sein. Der Ton, die Haltung und Gebärde Edwins stempelte sie indes zu einer so possierlichen Schmeichelei, dass selbst Frau von Passau ein kleines Lächeln nicht zu unterdrücken vermochte.

„Sie sind unverbesserlich, Edwin“, sagte sie hastig. „Müssen Sie denn gleich wieder als ein Fant erster Größe ins Haus fallen?“

„Es wäre jammerschade, wollt’ ich mich bessern, Gnädigste!“ rief der junge Mann mit allen Zeichen der Entrüstung. „Die Welt verlöre ja dann ein interessantes Original!“

Felicia lachte. Frau von Passau erwiderte spottend: „Halten Sie sich für originell?“

„Ganz entschieden — es halten mich auch andere dafür!“

„Lassen wir diese Behauptung auf sich beruhen, denn eine nähere Erörterung würde uns in nutzlose Wortgefechte versetzen. Sagen Sie lieber, was Ihre gute Mutter macht — befindet sie sich wohl?“

„Ganz wohl, aber in großer Bekümmernis!“ antwortete Edwin, indem er seine Blicke zerstreut auf die Bilder richtete, die über dem Sofa hingen.

„Weswegen in Bekümmernis?“

„Das ist eine miserable Geschichte, Gnädigste! Mein Herr Stiefbruder Arnold Dornberg ist unsichtbar geworden, und da Mama ihn mehr liebt, als mich, so ist sie außer sich über Arnolds heimliche Abreise“ Es war der Ton, in dem der junge Mann jetzt sprach, etwas verändert. Ob irgendein inneres Gefühl seinem Ausdrucke eine andere Färbung verlieh?

„Sie haben mir eine Darlegung dieser häuslichen Wirren versprochen“, schaltete jetzt Felicia ein.

„Es ist eine kurze, halb komische, halb traurige Geschichte“, meinte Edwin leichthin. „Natürlich spiele ich darin eine fürchterliche Rolle, aber bereue heute noch keineswegs, was ich getan habe.“

„Sie scheinen den Begriff „Reue“ überhaupt in den Gesetzen Ihrer Moral nicht aufgenommen zu haben“, meinte Frau von Passau.

„Allerdings nicht, meine gnädige Frau! Ich hasse die Reue! Offenbar ist sie nur eine faule Frucht von giftiger Blüte.“— Felicia nickte ihm Beifall zu. — „Übrigens wäre Reue im vorliegenden Falle lächerlich, da ich nach reiflicher Überlegung gehandelt hatte. Mein guter Papa Dornberg starb eines Tages, wo er am allerwenigsten an seinen Tod gedacht haben mochte. Man fand ein Testament, das Bruder Arnold verpflichtete, auch fernerhin brüderlich für uns zu sorgen. Damit war uns — das heißt mir und dem Geschwisterpaare Geiserheim — durchaus nicht gedient. Der alte Papa hatte uns vier Menschen, deren Schatz ihm zugefallen war, ganz gleich behandelt — er hatte mir und dem Arthur Geiserheim denselben Wechsel für die Universität bestimmt, den Arnold erhalten hatte, 1md war uns ein ebenso liebevoller Papa gewesen, wie dem eigenen Sohne. Nach der Testamentseröffnung trat eine Spannung zwischen uns vier zusammengewürfelten Geschwistern ein. Am Klügsten benahm sich unser Fräulein Pflegeschwester. Sie umgarnte plötzlich den guten Bruder Arnold mit zärtlichen Blicken, während sie früher eine gewisse Abneigung gegen ihn gehabt hatte. Ich durchschaute dies Spiel!“

„Nun — die Motive zu dieser Handlungsweise sind ziemlich klar“, fiel Frau von Passau rasch ein. „Es wäre traurig, wenn Ihr Halbbruder dieselben nicht durchschaut hätte!“

„Herr Arnold war blind — die Liebe kam über ihn, wie ein heißes Tropfbad!“

„Sie warnten ihn aber, Edwin?“ fragte Felicia voll Teilnahme.

Edwin lachte übermütig. „Was hätte mir das geholfen?“

„Nun? Was taten Sie denn sonst?“ forschte Frau von Passau ungeduldig.

„Ich spielte ganz einfach dieselbe Rolle bei Jenny Geiserheim, welche sie mir bei Arnold vorgespielt, und siehe da — Fräulein fiel in meine Netze! Sie kokettierte mit Arnold, um Besitzerin eines kolossalen Vermögens zu werden, und mich — liebte sie!“

Triumphierend blickte der junge Mann seine beiden Zuhörerinnen an — Felicia senkte verlegen und sichtbar schmerzlich betroffen ihre Augen. Ihre Mutter war einen feindselig strengen Blick auf ihn.

„Fräulein Jenny ist wahrscheinlich hübsch“, sagte sie verächtlich.“

„Sehr hübsch! Außergewöhnlich hübsch!“ erwiderte Edwin voll Enthusiasmus. „Groß, schlank und doch üppig — prachtvolle Augen, in denen Herrscherblicke mit Liebesglut wechseln — eine wahre Cleopatra!“

„Unter diesen Umständen wird Ihnen Ihre Rolle nicht schwer geworden sein“, sagte Frau von Passau sehr kalt.

„Durchaus nicht schwer! Es machte sich Alles von selbst. Arnold sollte sich mit eigenen Augen überzeugen, dass sein Herz für eine Unwürdige zu glühen begann — nun er überzeugte sich gründlich!“

„O, Edwin, Edwin!“ stieß Felicia ängstlich hervor. „War das edel gehandelt?“

„Offenbar edel, Felicia — sogar sehr edel!“ beteuerte Edwin mit leichtfertiger Feierlichkeit.

„Was geschah danach?“

„Das freilich ist traurig, aber fällt mir nicht eigentlich zur Last! Das Geschwisterpaar Geiserheim hielt es für geraten, das Haus zu räumen und unter dem Vorwande eines zart fühlenden Stolzes, dem es unmöglich war, noch ferner Wohltaten von dem zeitigen Besitzer des Gruben- und Eisenwerkes anzunehmen, Quartier bei einem alten Verwandten zu suchen, oder die Forstverwaltung der Dornbergschen Besitzung versieht. Das Haus des Forstrendanten liegt nur ein Halbstündchen seitwärts vom Wohnhause, also durchaus nicht aus der Welt, und ein Zusammenkommen mit den Geschwistern Geiserheim war leicht zu bewerkstelligen, allein als Beide zum ersten Male beim Mittagstische fehlten, da empfanden wir die Trennung von ihnen, wie eine ewige“

„Hatte Herr Arnold seiner Liebe zu Jenny ganz entsagt?“ fragte Felicia schüchtern.

„Ganz und gar! Davon war nichts mehr zu fürchten!

Der hochromantische Sinn Arnolds war nach solcher Erfahrung durch nichts zu versöhnen, und in Rücksicht auf diesen Umstand mussten wir die Trennung als eine Erleichterung betrachten. Die Gewohnheit hatte indes so Vieles geheiligt, dass wir verstimmt waren und Beide dem Weine stärker, als sonst zusprachen. Meine Mutter endete unser systematisches Wetttrinken endlich durch ihren Machtspruch. Ich ging ins Gebirge, um. mich abzukühlen— Arnold verfügte sich ins Kontor, um die Gelder zum nächsten Tage, welcher ein Lohntag war, bereit zu legen. Als ich zurückkam, fand ich das ganze Gewerk in Alarm. Arnold war niedergestürzt und hatte sich an irgendeinen spitzigen Schnepper des eisernen Geldschrankes erheblich verletzt. Die Wunde war schon vom Bergwerksarzte verbunden und ließ weiter keine Gefahr fürchten. Wohl aber konnten wir von Glück sagen, dass ganz zufällig der alte Kutscher Martin eine dringende Meldung wegen eines Pferdes zu machen gehabt und mit der Dreistigkeit eines alten Dieners zum jungen Herrn ins Kassenbüro gedrungen war, wohin sonst Niemand durfte, sonst hätte sich mein armer Bruder wahrscheinlich verblutet.“

„Ein seltsames Unglück!“ sprach Frau von Passau sinnend.

„Das Seltsamste an diesem Unglücke kommt erst noch, meine gnädige Frau“, fuhr Edwin fort. „Die Heilung Arnolds ging rasch von Statten, aber sein Gemüt war umdüstert. Zuletzt bildete sich die fixe Idee bei ihm aus, dass ein Gegenstand in der geheilten Wunde stecke, der ihm unleidliche Schmerzen verursache. Was wir, namentlich meine Mutter und der Arzt, auch versuchten, um ihm diese Grille auszureden — es half nichts! Dabei wurde Arnold menschenscheu, misstrauisch — das Glück und der Friede in Ammerbach war in zweifelhafte Ferne gerückt. Ich nahm das Anerbieten meines Halbbruders mit Freuden an, als er mir Wechsel zur Reise nach Italien zur Verfügung stellte. Arthur Geiserheim sollte mit mir reisen. Das verbat ich mir. Herrn Arthurs Benehmen seit Papa Dornbergs Tode hatte mir durchweg missfallen. Ich reiste allein, fand unterwegs den Major von Rudenzi und würde noch in Italien weilen, wenn mir nicht Depeschen aus Ammerbach gemeldet hätten, dass Bruder Arnold verschwunden sei und wahrscheinlich nie zurückkehren werde.“

„Mein Gott, wie ist ein solches Verschwinden zu erklären?“ fragte Felicia, die mit ganzer Seele dieser Erzählung gelauscht hatte.

„Wie anders, Felicia, als durch eine neue fixe Idee“, erwiderte Edwin leichthin. „Es wird mir wahrscheinlich das trübselige Geschäft zufallen, Bruder Arnold in allen Irrenhäusern zu suchen.“

Felicia sah träumerisch vor sich nieder. Das Bild des fremden Mannes, der im Hause des Medizinalrates wohnte, tauchte vor ihrer Seele auf — schon hatte sie Worte auf der Zunge, die zu irgend einer Aufklärung hätten führen können, da meldete die Dienerin: „Herr Major von Rudenzi wünscht aufzuwarten!“

Weg waren alle dämmernden Gedanken — Felicias ganze Aufmerksamkeit wurde durch den Anblick ihrer Mutter in Anspruch genommen, die in völliger Haltlosigkeit sich vom Sofa erhob und die zitternden Hände auf den Tisch stützte, um nicht umzusinken.

„Sehr angenehm!“ brachte sie mit versagender Stimme hervor. Dann raffte sie all’ ihre Geisteskraft zusammen und war im Stande, dem Major, welcher unterdes eingetreten, würdevoll einige Schritte entgegen zu gehen.

Major Rudenzi schien weit weniger von diesem Wiedersehen ergriffen zu sein. Mit der Gewandtheit eines Weltmannes schlug er den richtigen Ton der Unterhaltung an und reihte in voller Unbefangenheit eine Menge alltäglicher Fragen aneinander, die denn auch richtig dazu beitragen, aus diesem verhängnisvollen Wiedersehen eine ganz gewöhnliche Antrittsvisite zu machen. Man sprach, als sei niemals etwas geschehen, was die Herzen beklommen schlagen lassen könne. Und doch war dieser Mann während eines Zeitraumes von zwei Jahren der Stillverlobte und Heißgeliebte der Frau von Passau gewesen, und sie hatte ihm dann sein Wort mit der festen Erklärung zurückgegeben, dass sie nie seiner Lebenstheorie Achtung und Nachsicht zukommen lassen werde, also einem fürchterlichen, unheilbaren Konflikte entgegen ginge, wenn sie trotzdem seine Gattin würde. Nicht ein einzig Wort von seiner Seite war dieser Erklärung gefolgt, obwohl nur eine richtige Darstellung, gegenüber der geflissentlichen Entstellung der Sachverhältnisse, nötig gewesen wäre, um diese Verdächtigungen zu entkräften. Hatte jetzt Rudenzi diese Episode aus seinem Leben vergessen?

Frau von Passau dachte immerwährend daran, aber sie hatte gelernt darüber zu lächeln. Sie wurde immer unbefangener, immer kühler, immer stolzer und immer gleichgültiger. Sie glaubte zu erkennen, dass Major Rudenzi sehr liebenswürdig, sehr sicher, welterfahren und gewandt sei, dass aber diese Eigenschaften nur einen Firniss über die Frivolität seines Charakters und die Oberflächlichkeit seiner Bildung verbreiteten. Sie fand ihr früheres Urteil vollkommen gerechtfertigt.

„Wenn Edwin mit diesem Manne so vertraut geworden ist, wie es den Anschein hat“, sagte sie im Tone der Überzeugung, nachdem die Herren sich verabschiedet hatten, „so gebe ich ihn verloren! Ich bitte Dich im Namen Deines seligen Vaters, Dein Herz zu wahren, meine liebe Felicia, denn mit solch’ „ einem Manne darfst Du nie zum Altar treten — das habe, ich Deinem Vater geschworen!“

Felicia schaute betroffen zu ihrer Stiefmutter auf. „Mit Edwin zum Altar treten?“ Ein tiefes Rot flog über ihr feines, blasses Gesicht. Diese Idee war ihr neu.

„Fürchte nichts, Mama“, stammelte sie verwirrt, „fürchte nichts! Dein Urteil ist ja stets die Richtschnur meiner Handlungen gewesen!“

Sie eilte, ihre Mutter zu verlassen und verbarg sich mit ihrer Verwirrung in der Einsamkeit ihres Zimmerchens, das der Schauplatz ihres Wirkens und die Stätte ihrer stillen Träumereien war. Edwin — der Erwählte ihrer Seele? Ein Lächeln begleitete den Gedanken, und sie trat ans Fenster, um sehnsüchtig den öden Garten zu mustern. Die Macht des Augenblicks bewährte sich in diesem friedlichen Mädchenleben. Felicia erkannte, was sie hier fessle, und was sie beglücken könne. Ein einziger solcher Moment der Selbsterkenntnis enthält eine unberechenbare Tragweite — sie weckt oft geistesstarke Menschen, wie willenlose Kinder aus dem Gleise der Ruhe und Zufriedenheit — sie weckt Wünsche und zertrümmert dadurch den Seelenfrieden. Felicia versank in tiefes Sinnen, aber sie wehrte tapfer die Zauberkraft des unbewachten Augenblickes ab, die sie mit süßen Gedanken umspinnen wollte. Ohne dass sie sich dessen bewusst wurde, vermengten indes ihre Phantasiegebilde den fremden kranken Mann mit Arnold Dornberg, und ein gleiches tiefes Mitgefühl für Beide füllte mehr und mehr ihre Seele aus.

Verdächtig

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