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GRANDADDY GUITAR

B. B. King – Duett mit Lucille

Längst hat der Blues seinen Platz in den vornehmen Konzertsälen gefunden. Zum Beispiel in der Philharmonie des Münchner Gasteigs, durch die an diesem Abend, irgendwann Mitte der Neunzigerjahre, der erdig schwere Groove einer vielköpfigen Band rollt. Er strotzt vor Vitalität, stampft mit dem Temperament einen jungen Pferdes in den Saal und bleibt dabei doch präzise wie ein Seziermesser. Die Männer in ihren gepflegten Anzügen, Drummer, Bassist, Gitarrist, drei Bläser und der Mann am Klavier, knüpfen einen dichten und mächtigen Klangteppich. Keiner von ihnen drängt sich ins Rampenlicht. Das bleibt einem anderen vorbehalten, einem freundlichen, schon etwas älteren Herrn und seiner wie immer elegant in Schwarz auftretenden Geliebten: Mister B. B. King nebst Lucille.

Jeder weiß, wofür B. B. King und seine Gitarre – eine der ganz wenigen in der Musikgeschichte, die es zu einem eigenen Namen gebracht hat – stehen: für den Blues. Nichts weniger also als die wohl bedeutendste Musik, die das schwarze Amerika hervorgebracht hat. »Louis Armstrong der Blues-Generation« haben sie ihn genannt, und die amerikanische Discjockey Association ehrte den Mann mit der Gibson ES 355 im Jahr 1996 mit dem schlichten Titel »King Of The Blues«. Mehr ist eigentlich nicht zu sagen, denn tatsächlich dürfte kaum ein Gitarrist auf den Planeten Pop und Rock nicht von B. B. und seiner Musik beeinflusst sein. Ob Jimi Hendrix oder Jeff Beck, Ritchie Blackmore oder die Vaughan-Brüder – ohne King wären sie nicht die geworden, die sie sind. Dabei träumte der Grandseigneur mit dem spitzbübischen Lächeln einst nur von einer kleinen Farm, einem Traktor, einer Frau und zwei, drei Kindern.

Das Leben, in das der kleine Riley B. King am 16. September 1925 auf einer Farm bei Itta Bena, nahe Indianola, Mississippi, hineingeboren wird, ist kein leichtes. Die Zeiten der Sklaverei sind zwar längst vorüber, die Schwarzen aber gelten dort unten im Mississippi-Delta nach wie vor als Menschen zweiter Klasse. Die Rassentrennung ist hier so rigide wie eh und je, und viel mehr als einen Job auf einer Farm oder Baumwollplantage können die Männer nicht erreichen, während die Frauen im besten Fall als Hausmädchen unterkommen.

Die Startbedingungen sind hart, für Riley ganz besonders. Denn die Mutter Nora Ella verlässt Vater Albert wegen eines anderen, als der Junge gerade fünf ist. Nur vier Jahre später schon stirbt sie, gerade 27-jährig. Ein schlimmer Schock für Riley, mit neun ist er auf sich allein gestellt. Zwar kümmern sich die Großeltern um ihn, seinen Lebensunterhalt aber muss er jetzt selbst verdienen. Er schlägt sich bei verschiedenen Herren als Houseboy durch. Trotzdem geht er zur Schule, die fünf Meilen dorthin muss er jeden Tag zu Fuß bewältigen. Allerdings darf er morgens erst los, wenn die zehn Kühe gemolken sind. Wie er dem US-Magazin Blues Access 1999 erzählte: »Das Schlimmste war das frühe Aufstehen. Morgens, wenn es draußen auf den Feldern noch kalt war.« 15 Dollar verdient er im Monat – und ausgerechnet ein Brötchengeber entpuppt sich als erster musikalischer Förderer des Jungen. King: »Zwei Monate lang behielt Mister Flake Cartledge, bei dem ich damals arbeitete, die Hälfte meines Lohns ein. Und dann kaufte er mir von dem Geld, es waren dreißig Dollar, eine Gitarre.«

Zeit für die Musik hat Riley indes kaum. Er schuftet auf einer Baumwollfarm. Erntemaschinen kommen erst Ende der Vierzigerjahre auf, in den Dreißigern werden die Früchte des Baumwollstrauches noch wie seit Jahrhunderten per Hand gepflückt. Archie Fair, der Prediger in der Holiness Church des Dorfes Kilmichael, zeigt ihm die ersten Gitarrengriffe. An den Wochenenden fährt Riley mit seiner roten Stella-Gitarre nach Indianola und spielt dort an den Straßenecken. Eine entscheidende Phase, denn: »Ich sang Gospel-Songs. Aber nur die Leute, die den Blues hören wollten, gaben mir auch Geld. Also wurde ich Bluessänger.« An manchen Tagen macht er auf diese Weise mehr Dollars als in einem Monat auf dem Traktor. Erstmals denkt er daran, es mit der Musik zu versuchen: »Als ich sah, dass sie Münzen in meinen Hut warfen, hoffte ich, gut genug zu werden, dass sie es immer machen würden. Sie tun es bis heute.«

Zu Beginn der Vierzigerjahre ist der ländliche Blues längst in die Metropolen des Südens und bis rauf nach Chicago vorgedrungen. Dort aber verändert er sich, wird lauter, aggressiver und seine Themen werden andere. Riley hört genau zu. War er als Junge noch vernarrt in die Cowboysongs von Roy Rogers, so hat er nun sein Herz für die Gospelmusik der schwarzen Kirchen entdeckt. Er liebt die Sänger der großen Big Bands, Walter Brown von Jay McShanns Orchester oder Al Hibbler, der bei Duke Ellington singt. Überhaupt, die Big Bands, ihre Musik und ihr elegantes Auftreten elektrisieren ihn. Count Basie, Jimmy Lunceford, Benny Goodman, sie sind seine Helden. Später wird B.B. King in seinen Bands immer, selbst in den magersten Zeiten, auch einen Bläsersatz beschäftigen. Und er registriert, wie Charlie Christian ab 1939 im Benny Goodman Sextett das Gitarrenspiel revolutioniert, wie der belgische Jazzgitarrist Django Reinhardt seinen unverwechselbaren Stil entwickelt und Pioniere wie Lonnie Johnson oder T-Bone Walker der Bluesgitarre ihre ureigene Sprache erschließen. All das saugt der junge Riley gierig in sich auf. Als Leadsänger sammelt er erste Erfahrungen in Gospelgruppen und begleitet sich dabei auf der Gitarre. Längst zählt er zu den Besten in seiner Gegend. Nun wird es Zeit, so glaubt er, eine Platte zu machen.

Im Mai 1946 beschließt Riley, die Baumwollfelder seiner Kindheit erst einmal hinter sich zu lassen. Mit seiner Gitarre und zwei Dollar fünfzig in der Hosentasche trampt er die hundert-und-ein-paar Meilen über den Highway 49, entlang am »Ol’ Man River«, hinauf nach Memphis, Tennessee. Nicht allzu weit weg, aber eine völlig andere Welt für den Bauernjungen aus dem Delta. In den Städten des Nordens bietet das Leben für Schwarze mehr Möglichkeiten. Im Süden gibt es klare Regeln: »Du durftest nicht wohnen, wo du wolltest, du musstest weiße Frauen in Ruhe lassen. In Städten wie Chicago aber war das anders. Du durftest heiraten, wen du wolltest, und konntest dir sogar ein Auto kaufen. Außerdem konntest du dir einen feinen Anzug leisten, wir im Süden hingegen trugen tagaus, tagein diese Arbeitsoveralls…«.

Traumhafte Aussichten für den passionierten Traktorfahrer Riley. Der besucht nun in Memphis seinen Cousin, den später ebenfalls zu Ruhm gekommenen Bluesbarden Bukka White. Zehn Monate lang wird der 21-Jährige bleiben. Die wichtigste Lektion, die Bukka ihn lehrt: »Wenn du ein Bluessänger oder ein Musiker sein willst, zieh dich an, als würdest du zu einer Bank gehen, um Geld zu leihen.« Das Klischee vom Blueser mit der Zigarette im Mundwinkel und der Whiskeyflasche in Reichweite ist King schon damals zuwider. Wer ihn jemals auf der Bühne sah, hat einen gepflegten Herrn in bester Garderobe und mit vorbildlichen Manieren erlebt.

1947 kehrt King zurück nach Indianola. Ihn quält das Heimweh, und er sehnt sich nach Martha, die er zwei Jahre zuvor geheiratet hat. Im Spätherbst 1948 aber siedelt er endgültig um nach Memphis, damals das musikalische Zentrum des amerikanischen Südens. Kaum in der Stadt, macht der 23-Jährige erstmals auf sich aufmerksam, als er in der Radioshow des späteren Bluesstars Sonny Boy Williamson (bürgerlich Aleck »Rice« Miller und nicht zu verwechseln mit dem 1948 bei einem Raubüberfall in Chicago mit einer Eispicke ermordeten Harp-Pionier John Lee »Sonny Boy« Williamson) auftreten darf. Williamsons Gitarrist Robert »Junior« Lockwood, zeitweise Begleiter des legendären Robert Johnson, kennt B. B. aus gemeinsamen Tagen in Indianola. Bald bekommt King eine eigene zehnminütige Radiokolumne beim Sender WDIA, wo er unter dem Titel »King’s Spot« das Gesundheitswässerchen »Peptikon« bewirbt. Die Sendung ist so populär, dass sie zum »Sepia Swing Club« erweitert wird, Rileys eigener Show, in der er Jazz, Blues und Gospel vorstellt. Allerdings braucht der frischgebackene Radiostar einen griffigen Namen. Zunächst nennt er sich nach der legendären Straße, in der sich die wichtigsten Clubs in Memphis befinden, Beale Street Blues Boy, verkürzt das aber bald schon zu Blues Boy und dann B. B.

1949 kennt man ihn und seine musikalischen Fähigkeiten in Memphis. Er nimmt erste Tracks für Jim Bulleits Bullet Records auf, wenig später unterschreibt er einen Kontrakt bei Modern Records. Seine Platten sind zwar noch keine Hits, machen ihn aber in der Region populär und sichern ihm genügend Jobs in den Liveclubs der Stadt. Als Produzent für B. B.’s Frühwerk zeichnet in diesen Jahren oft ein rühriger junger Weißer namens Sam Phillips verantwortlich, zu dessen Kunden auch Howlin’ Wolf, Rufus Thomas und der blutjunge Roscoe Gordon zählen. Bald wird er sein eigenes Studio eröffnen und Elvis Presley, Carl Perkins, Johnny Cash und all die anderen entdecken.

B.B. steht nun bald jede Nacht auf der Bühne. Einer dieser Abende kostet ihn fast das Leben. In einem Club in Twist, Arkansas, geraten zwei Männer in Streit, in der Folge kommt es zu einem Brand im Zuschauerraum. Alle flüchten nach draußen, auch B. B. Als er aber bemerkt, dass er seine Gitarre vergessen hat, rennt er zurück in das lichterloh brennende Gebäude. Er kann seine Gitarre retten, trägt aber schwere Verbrennungen davon. Am nächsten Tag erfährt er, dass sich die Männer wegen einer Kellnerin namens Lucille geprügelt haben. Fortan nennt er seine Gitarre so – das Instrument soll ihn immer daran erinnern, niemals wieder wegen einer Frau eine solche Dummheit zu begehen.

1951 schafft B. B. King den nationalen Durchbruch. Allerdings ausschließlich bei einem schwarzen Publikum, denn in den Tagen vor Rock’n’Roll geht kein Weißer in die Konzerte eines schwarzen Bluessängers, und umgekehrt haben Schwarze bei den Konzerten weißer Künstler nichts verloren. Gleiches gilt für Schallplatten, der weiße Pop- und der schwarze Rhythm’n’Blues-Markt sind zwei verschiedene Welten. Zum Ende des Jahres gelingt B. B. King mit einer Komposition seines Kollegen Lowell Fulson, dem Three O’Clock Blues, der erste nationale R’n’B-Hit. Und der lässt Kings eleganten Gitarrenstil schon in ausgereifter Form hören. Der 26-Jährige hat die verschiedensten Einflüsse in seinem Spiel vereint. Ein wenig vom rauen Countryblues eines Blind Lemon Jefferson, ein paar Licks von T-Bone Walker, dem wohl ersten Bluesgitarristen, der sein Single-Note-Spiel elektrisch verstärkte, ein wenig von der wendigen Eleganz des Jazzers Charlie Christian, dazu B. B.s charakteristische Bendings, mit denen er versucht, den Klang der Pedal Steel und Hawaiian Guitar zu imitieren, und nicht zuletzt sein ganz eigenes Vibrato – all das vermengt King zu einem Stil, der bis heute unter Tausenden beim ersten Ton als seiner erkennbar ist. Dazu ist schon in diesem frühen Stadium seiner Karriere eine ungeheure Ökonomie und geschickte Dramaturgie in seinen Soli zu erkennen. Last but not least: Schon jetzt beherrscht er das virtuose Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Gesangsstimme und Instrument meisterlich. Oder, wie er selbst es einmal sagte: »Wenn ich singe, spiele ich in meinem Kopf; und in dem Moment, wo ich aufhöre, mit dem Mund zu singen, singe ich mit Lucille weiter.«

Zeit also, die Dame an B. B.s Seite einmal näher zu betrachten, schließlich ist seine Musik ohne sie nicht denkbar. Lucille ist eine semiakustische Gibson ES 355 T, die stereo ausgelegte Weiterentwicklung des Ursprungsmodells ES 335. Die Gitarre ist aufgrund ihres Ahorn-Korpus mit massivem Sustainblock recht schwer, und hat, ungewöhnlich für eine Halbakustische, keine F-Löcher. Das Griffbrett ist aus Ebenholz, die Hardware vergoldet. Dazu gibt’s je zwei Tone- und Volume-Regler sowie den Varitone-Schalter, mit dem sich der Klang von fett und satt bis dünn und kristallklar variieren lässt. Das Finish ist schwarz, bespannt ist sie mit einem Saiten-Satz der Stärke 010–054. Seit 1982 baut Gibson eine Nachbildung von Lucille als B. B. King Signature Model.

Mit dem Three O’Clock Blues und weiteren Hits wie You Know I Love You, Woke Up This Morning (das sich mit der Scheidung von Martha im Jahr 1952 beschäftigt), Please Love Me oder Every Day I Have The Blues beginnt B. B. King sein Territorium über Memphis auszudehnen. 1952 startet er seine erste nationale Tour. Spätestens jetzt ist die Straße sein Zuhause, allein im Jahr 1956 absolviert er stolze 342 Konzerte. Kreuz und quer durch die USA beackert er mit seiner fünfzehnköpfigen Band nun den so genannten Chitlin Circuit, das Netz der Clubs, in denen schwarze Musik live gespielt wird.

Als im Zuge der Rock’n’Roll-Welle Mitte der Fünfzigerjahre erstmalig schwarze Musiker wie Chuck Berry, Little Richard, Ray Charles und Bo Diddley der Sprung in den weißen Mainstream gelingt, bleibt B. B. King allerdings außen vor. Zum Teil, weil seine Plattenfirma Crown nicht, wie etwa Chess in Chicago, in der Lage ist, sich den Gepflogenheiten des weißen Marktes anzupassen. Auch ABC Paramount, wohin King 1962 wechselt, schafft es nicht, den Bluesstar auf dem weißen Markt zu etablieren. Zum anderen aber gilt der elegant arrangierte Big Band Blues, den B. B. spielt, nach wie vor als Race Music. Ein intellektuelles weißes Publikum akzeptiert den Blues allenfalls als romantisierten Akustik-Folk mit Authentizitätsstempel vom Baumwollfeld. Weiße Kids interessiert das Thema noch gar nicht.

Erst Mitte der Sechzigerjahre beginnt sich die Situation zu ändern. Eine Generation von jungen weißen Musikern entdeckt den Blues für sich und übernimmt das Kommando im Mainstream. Britische Bands wie Beatles, Rolling Stones, Yardbirds und Animals bringen den Blues und den in Amerika schon wieder vergessenen Rock’n’Roll zurück in ihr Ursprungsland. Dort wiederum treten junge Gitarristen wie Mike Bloomfield (Butterfield Blues Band), Steve Katz (Blues Project), Henry Vestine (Canned Heat) und Jim Gurley (Big Brother & The Holding Company) auf den Plan, die sich ausdrücklich auf den schwarzen Blues, wie er federführend von Muddy Waters, John Lee Hooker, Howlin’ Wolf und anderen entwickelt worden war, berufen. Sie begeistern ein weißes Mittelstandspublikum, das sich nun seinerseits aufmacht, die Originale zu entdecken. 1968 tritt B. B. King beim renommierten Newport Folk Festival auf, es folgt ein erster Gig in Bill Grahams berühmtem Rocktempel Fillmore West in San Francisco. Ein Jahr später tritt King gar im Vorprogramm der legendären Altamont-Tournee der Rolling Stones auf.

Bezeichnend für die Situation, in der sich schwarze Blueser noch Mitte der Sechzigerjahre befinden, ist eine Anekdote, die B. B. King dem Magazin Blues Access erzählte: »Damals waren die Beatles das Heißeste, wovon ich je gehört hatte. In einem Magazin las ich, wie ein Interviewer John Lennon fragte, was er am liebsten mal tun würde. Er antwortete: Gitarre spielen wie B. B. King! Ich bin fast vom Stuhl gefallen und konnte nicht glauben, was ich las … Ich war so glücklich zu wissen, dass einer der berühmtesten Leute in der Welt meinen Namen kannte, nicht meine Musik, nur meinen Namen – das tat so gut.«

Die Akzeptanz beim weißen Publikums beschert King über den kommerziellen Erfolg hinaus auch die ersehnte Anerkennung als Musiker. Das Rockpublikum verehrt ihn nicht in erster Linie als Bluessänger und Songwriter, sondern vor allem als Virtuosen, dessen Spiel sich im Repertoire praktisch jedes Rockgitarristen wiederfindet. Was nun noch fehlt, ist ein echter Welthit, und selbst der gelingt dem inzwischen 45-Jährigen im Jahr 1970. The Thrill Is Gone vom Album Completely Well (1969) ist ein Lied mit trauriger Vorgeschichte. 1966 geht B. B.s zweite, 1958 mit der 15 Jahre jüngeren Sue geschlossene Ehe in die Brüche. Wie auch bei seiner ersten Ehe hatte sich schnell gezeigt, dass eine Beziehung B. B.s ruhelosem Leben on the road nicht standhalten konnte. Kurz nach der Scheidung erinnert er sich an diesen Song, einen 1951er-Hit von Roy Hawkins, einem Pianisten, der zu seinen Labelmates bei Modern Records gehörte und später bei einem Autounfall einen Arm verlor. King nimmt die Nummer auf und legt all seine Trauer um die gescheiterte Liebe in seinen Gesang. Den Rest besorgt Lucille. Diese fünf Minuten Musik lassen die Welt aufhorchen, endlich ist B. B. King auch den Menschen ein Begriff, die sich weder für den Blues noch für Gitarrenvirtuosen interessieren.

Und plötzlich wird der Mann, der sich über zwei Jahrzehnte lang in den übelsten Kaschemmen der US-Südstaaten plagte, von der weißen Unterhaltungsindustrie hofiert. Engagements in Las Vegas und den Musiktempeln der westlichen Welt folgen, und die Creme der Popszene will mit ihm arbeiten. Einige Kollaborationen, etwa die mit den Schülern Peter Green (In London, 1970) oder die mit den (Jazz) Crusaders um Wilton Felder und Joe Sample (Midnight Believer, 1978), gelingen, andere aber, zum Beispiel Friends (1974), eine verunglückte Exkursion in den modischen Phillysound, können nicht überzeugen. Kings Status als Elder Statesman des Blues und Vaterfigur der Rockmusik indes bleibt auch von misslungenen Alben unberührt.

Als B. B. seinen 60. Geburtstag feiert, hat er stolze fünfzig Alben auf dem Buckel. In einem Alter, wo andere von ihren Karrieren in der Vergangenheitsform sprechen, erlebt er eine neuerliche Renaissance und startet in den dritten Frühling. Bei einem Konzert in Dublin stehen 1987 U2 im Publikum. Nach der Show trifft man sich. Die Iren bewundern den Gitarrenpionier, und Bono erfüllt nur zu gern B. B.s Wunsch, einen Song für ihn zu schreiben. King erzählt die Story in den Liner Notes zu Lucille & Friends (1995): »Ein Jahr später rief mich Sid (Seidenberg, Kings Manager) an und sagte, dass Bono einen Song für mich geschrieben habe. Er sagte, dass sie in Fort Worth spielen, und dass ich die Show für sie eröffnen könne. Er hatte den Song für uns beide geschrieben, um ihn zusammen zu singen. Wir probten ihn, und als ich dann zum Finale in dieser Nacht zurück auf die Bühne kam und wir When Love Comes To Town sangen, standen 40.000 Leute auf. 40.000 Leute!« Mit 63 Jahren findet sich der Bluesdaddy plötzlich in den Single-Charts wieder und wird von der MTV-Generation gefeiert.

Er nimmt’s gelassen und tut, was er immer schon tat: live spielen, möglichst viel. Immer noch gibt er bis zu 250 Konzerte im Jahr, und wenn er mal wieder an einem Studioalbum arbeitet, lassen auch Größen wie die Rolling Stones alles stehen und liegen und tanzen vollzählig an, um den alten Herrn im Studio zu unterstützen. So geschehen 1997, als die Engländer die Arbeit an ihrem Album Bridges To Babylon unterbrechen, um als Backing Band B. B.s Track Paying The Cost To Be The Boss für das Album Deuces Wild neu einzuspielen.

Ein anderer, der schon zu Beginn seiner Karriere in den frühen Sechzigern keinen Hehl daraus machte, dass er B. B. fast alles verdankt, nimmt im Jahr 2000 gar ein ganzes Album mit dem inzwischen 75-jährigen Grandaddy auf. Riding With The King, das funkensprühende Gemeinschaftswerk mit Eric Clapton, wird prompt zum bestverkauften Album in B. B.s langer Laufbahn.

Fünf Jahre später feiert der King seinen achtzigsten Geburtstag auf einer Welttournee – mit einer vorläufigen Bilanz, die ihresgleichen sucht: mehr als neunzig Alben, dreizehn Grammies, ungezählte weitere Ehrungen und Preise, eine Biografie, die zum Geburtstag erscheint, ein zehn Millionen Dollar teures B. B.-King-Museum in Indianola, eröffnet im Sommer 2005, und nicht zuletzt ein nagelneues Studioalbum. Kein Grund indes, die Hände von nun an in den Schoß zu legen. King tourt nach wie vor und nahm zuletzt 2008 mit One Kind Favor ein neues Album auf, das mit einer Rückkehr zum puristischen Blues seiner frühen Tage überraschte.

Sein Erfolgsgeheimnis hat dieser wohl größte aller Bluesmänner einst selbst verraten: »Ich bin eigentlich immer nur so gut wie bei meinem letzten Gig. Also glaube ich nie, ich hab’s geschafft, sage nicht: ›Hey, ich bin B. B. King!‹« Der ist er aber trotzdem. Und bereuen tut er gar nichts.

Höchstens eine Sache, wie er fröhlich dem US-Journalisten Steven Sharp erzählte, als der ihn fragte, was er anders machen würde, könnte er noch einmal ganz von vorn anfangen: »Vielleicht würde ich aufs College gehen, um mehr über Musik zu lernen. Auf jeden Fall aber würde ich nicht vor vierzig heiraten!« Klar, wenn man fünfzehn Kinder von fünfzehn Frauen hat.

Empfehlenswert:

Live At The Regal (1965)

Der König auf der Höhe seiner Kunst. Wohl keines von Kings Alben fängt besser die elektrisierende Performance des Meisters, das berauschende Zusammenspiel zwischen ihm und seiner präzisen Begleitband und nicht zuletzt die orgiastische Atmosphäre im Auditorium ein als dieses, aus zwei Shows im Chicagoer Regal Theater zusammengestellte Live-Dokument vom November 1964. King hatte zwei Jahrzehnte auf dem Chitlin Circuit hinter sich, stand voll im Saft und bot dem enthusiastischen Publikum einen Querschnitt seines frühen Schaffens, darunter Highlights wie How Blue Can You Get, Everyday I Have The Blues und Worry, Worry.

Reflections (2003)

Das vielleicht beste Album im ohnehin großartigen Spätwerk. Für Reflections holte King diverse Koryphäen, darunter Joe Sample, Nathan East und Clapton-Sidekick Doyle Bramhall II., zusammen, um dann mit ihnen gemeinsam unter Aufsicht des Produzenten Simon Climie das ganze weitläufige Spektrum seines Blues- und Jazz-getränkten Königreichs zu durchmessen. Üppige Arrangements mit Bläsern und Streichern, genügend Raum für inspirierte Gitarrensoli und eine für einen 77-Jährigen überraschend beseelte, kraftvolle Gesangsleistung – elegant, zeitlos, außer Konkurrenz.

Anthology

Von den vielen Karriere-Retrospektiven dieses Ausnahmemusikers die wohl umfassendste – Anthology deckt auf zwei CDs den Zeitraum von 1963 bis zur Jahrhundertwende ab und konzentriert sich dabei vor allem auf die Sechziger- und frühen Siebzigerjahre, als King zweifelsohne seine wichtigste Musik einspielte. Zu hören sind neben Klassikern wie Payin’ The Cost To Be The Boss und Don’t Answer The Door natürlich auch das legendäre The Thrill Is Gone, mit dem der damals 44-Jährige seinen ersten und einzigen Welthit landete. Die 34 Tracks liefern einen repräsentativen Querschnitt durch Kings lange Karriere. Wer sich für das Frühwerk aus den Fünfzigerjahren interessiert, dem sei die Compilation Best Of The Blues Guitar King 1951-1966 ans Herz gelegt.

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