Читать книгу Es gibt kein Verzeihen - Ernst Meder - Страница 6
2. Kapitel
ОглавлениеSeine miese Laune war in seinem Gesicht ablesbar, trotzdem stieg er langsam aus dem Auto. Mit einem Blick, dem man ansah, dass er in seinem beruflichen Leben schon einige schreckliche Dinge gesehen hatte, blickte er sich um. Es dauerte nur einen Augenblick der Orientierung, bis er wusste, wo sich das Fundstück befinden musste. Er trottete auf den uniformierten Beamten zu, dann blickte er zu dem Fahrzeug der KTU, welches allein und verlassen etwa zwanzig Meter von der Bushaltestelle am Straßenrand parkte. Bevor er noch seine Frage an den Beamten richten konnte, klang es in seinem Rücken, wenn Du das entlaufene Bein suchst, das befindet sich hier.
Die Stimme kannte er, hätte sie aus tausend anderen herausgehört, sie gehörte zu einem der wenigen guten Bekannten, die er kannte, dem Aufschneider. Gerald knurrte er, während er sich umdrehte, hat man Dir auch einen Sonntagsdienst aufgebrummt. Er sah zu dem Pathologen Dr. Gerald Nagel, der seinen Kopf gerade aus dem Häuschen der Haltestelle herausstreckte, um ihm zu zeigen, wohin er kommen sollte.
Als er dort ankam, sah er den Fotografen der KTU, der Bilder von allem machte, was sich nicht bewegte. Dabei wurde er von einer weiteren Beamtin unterstützt, die in ihrem weißen Einweganzug und den Handschuhen wie ein Marsmännchen aussah. Sie hielt gerade die Mülltüte so weit geöffnet, dass der Fotograf seine Bilder machen konnte, ohne die Stellung des Beins zu verändern.
Während der Fotograf ihn ignorierte, wahrscheinlich fühlte er sich als Künstler, nickte sie ihm stumm zu. Angestrengt versuchte sie, gerade so weit zurückzuweichen, damit sie nicht aus Versehen mit auf dem Bild verewigt wurde. Während er seine Kameraausrüstung einpackte, sprach sie, mehr ins Leere als zu ihm, die Fingerabdrücke können wir uns sparen, hier sind vielleicht mehrere Hundert Abdrücke, die sowieso keinen interessieren.
In der Zwischenzeit begrüßten sich Dr. Gerald Nagel, der sein bisheriges Leben in der Gerichtsmedizin verbracht hatte und Gerhard Melzer, Hauptkommissar der Mordkommission, in die er nach dem Fall der Mauer gewechselt war. Es war seine persönliche Wende, die er vollzogen hatte, nachdem die Mauer gefallen war. Seine bisherige Tätigkeit in der Mordkommission im ehemaligen Ostberlin hatte ihn nicht mehr befriedigt. Noch fühlte er sich jung genug um den Wechsel zu wagen, jung genug um sich auf die Veränderung zu freuen.
In der Hauptsache beruhte sein Wunsch nach Versetzung auf persönlichen Gründen die ihn bewogen hatten sich in die Dienststelle der LKA1 in die Keithstraße versetzen zu lassen. Inzwischen war sie für beide Teile der Stadt zuständig, obwohl das Zusammenwachsen in vielen Bereichen weniger reibungslos verlief. Als er damals seinen Entschluss seinem Vorgesetzten mitteilte, sorgte dies für Unruhe nicht nur in der damaligen Dienststelle, sondern auch in der künftigen.
Das Gejammer der alten Sturköpfe, die den alten Zeiten nachweinten, wo ausschließlich der Parteisekretär über Beförderung und Karriere bestimmte, während die persönliche Qualifikation bereits im Vorraum des Parteibüros verkümmerte. Aber auch in der neuen Dienststelle, wo man ihn mit Skepsis empfing, wurde er als Ossi nur bedingt als Ermittler wahrgenommen. Meist betrachtete man ihn offen als Anfänger, dem die Grundlagen der Polizeiarbeit erst noch vermittelt werden mussten.
Seinem damaligen Vorgesetzten hatte er es zu verdanken, dass seine Arbeit endlich so wahrgenommen wurde, wie sie tatsächlich ablief. Während er als Mitläufer von unfähigen Plattfüßen der Lösung des Falls oft sehr nahe war, begannen diese endlich, die entscheidenden Fragen zu stellen.
Diesem Vorgesetzten hatte er es auch zu verdanken, dass er endlich als leitender Ermittler arbeiten konnte. Die Bestätigung seiner mutigen Entscheidung, gegen Widerstände lang gedienter Beamter, sollte sich in den nächsten Jahren an der außergewöhnlich hohen Aufklärungsquote ablesen lassen.
Trotzdem hatte er, unabhängig seiner nachweisbaren Erfolge, mit den Vorurteilen der alten Wessis zu kämpfen, die nicht verstehen konnten, dass auch andere Polizisten strukturiert arbeiten konnten. Seine Erfolge brachten seine Kritiker zwar zum Verstummen, erhöhte jedoch die Zahl der Personen, die mussmutig jeden seiner gelösten Fälle sezierten, um ihm Fehler nachzuweisen.
Viele Freunde hatte er im Laufe der Jahre nicht gewonnen, den Respekt von neuen Kollegen jedoch mühsam erkämpft. Der Wechsel der Kollegen, die Alten verabschiedeten sich nach und nach in den Ruhestand, während neue Kollegen aus den unterschiedlichsten Abteilungen in das LKA1 wechselten. Mit weniger Vorurteilen belastet, waren diese vorurteilsfreier bei der Zusammenarbeit und sich das Verhalten untereinander änderte sich.
Trotzdem war es ihm in all den Jahren nicht gelungen Freundschaften zu schließen außer mit ihm, dem Aufschneider, mit dem er sich irgendwie zusammengerauft hatte. Seit ein paar Jahren trafen sie sich sporadisch in seiner Stammkneipe, um, wie seine Frau immer behauptete, sich volllaufen zu lassen.
Eigentlich ist es völlig unsinnig dass ich hierher kommen musste, meinte dieser gerade mürrisch, eigentlich hätte es doch gereicht, wenn man mir den Müllsack gebracht hätte. Zynisch fuhr er fort, oder soll ich jetzt schon an Gliedmaßen eine Obduktion vornehmen.
Beruhigend fragte Melzer, einer muss mir doch sagen ob dieses Teil von einem Mann oder von einer Frau.
Hier unterbrach Nagel ihn, als er trocken ergänzte, das hättest Du selbst sehen können, so behaart kann das Bein nur zu einem Mann oder zu einem Reh gehören.
Sieh es Dir trotzdem an, was mich stört, ist, dass nirgends ein Blutfleck zu sehen ist, zudem wäre das Alter des Beins hilfreich.
Wenn Du jemanden hier in der Gegend triffst, dem das rechte Bein fehlt, frag ihn einfach. Nachdenklich meinte er, dass mit dem Blut hat mich allerdings auch irritiert, es war kein Tropfen in der Tüte sichtbar, als hätte man das Bein vorher ausbluten lassen. Etwas ruhiger fuhr er fort, ich werde es trotzdem untersuchen, ob ich etwas herausfinden kann, was Dir hilft.
Melzer blickte sich um dann fragte er in die Runde ohne jemand bestimmten anzusprechen, wo ist eigentlich der Finder unseres Körperteils.
Bevor auch nur einer der umstehenden Personen etwas sagen konnte, fragte Nagel ihn, wieso, hast Du die Absicht ihm einen Finderlohn geben.
Kopfschüttelnd ließ er ihn erst einmal stehen, der war heute bestimmt mit dem falschen Fuß aufgestanden, eigentlich kannte er ihn sonst eher als ruhig und zurückhaltend.
Ein junger Beamter wartete sichtlich nervös, bis er endlich zu dem Beamten der Mordkommission treten konnte, um das loszuwerden, was ihn bedrückte.
Ich habe die Adresse der Person, die das Objekt gefunden hat, er wartet zu Hause auf Sie, um ihre Fragen zu beantworten Herr Hauptkommissar. Er hat uns bereits gesagt, dass er den Müllsack angefasst hat und seine Fingerabdrücke sich darauf befinden müssten.
Melzer nahm den Zettel aus der Hand des Beamten, danke haben Sie ausgezeichnet gemacht, aber jetzt sollten Sie sich um ihren Kollegen kümmern, der sieht etwas mitgenommen aus. Dabei zeigte er auf den zweiten Beamten, der immer noch blass auf dem Beifahrersitz des offenen Funkwagens saß. Mit stolz geschwellter Brust, das Lob schien ihn um Zentimeter größer werden zu lassen, verabschiedete er sich zackig, um zu seinem Kollegen zu gehen.
Ein Blick auf die Adresse zeigt ihm, dass der Zeuge fußläufig in gut fünf Minuten erreichbar war. Dann überlegte er es sich, der Rückweg würde ja noch dazukommen, da war es schon besser, sich am Sonntag nicht zu viel zuzumuten. Langsam ging er wieder zu der Wartehalle, wo gerade ein Bus anhielt, die Türen sich mit einem schmatzenden Geräusch öffneten und ein älteres Ehepaar ausstieg. Neugierig traten sie an die Absperrung, während am Busfenster einige platt gedrückte Nasen interessiert auf die komisch aussehenden Personen blickten.
War es die Sehschwäche oder der Befehlston seiner Frau die den alten Herrn veranlasste die Absperrung hochzuheben, als Melzer ihm in scharfem Ton Halt, bleiben Sie da weg zurief.
Empört wandte sich die alte Dame an ihn, was fällt Ihnen ein, meinen Mann so anzuschreien. Wir wollen uns nur auf die Bank setzen, um uns auszuruhen, dabei nickte sie ihrem Mann, der stehen geblieben war, aufmunternd zu weiter zu gehen.
Melzer wollte schon den Kopf schütteln über so viel Unverfrorenheit, dann meinte er süffisant, wenn Sie unbedingt neben einer Leiche sitzen wollen, nur zu.
Aber das hätten Sie doch gleich sagen können erschrocken blickte ihn die alte Frau an. Energisch griff sie ihren Mann am Ärmel seines Jacketts, komm lass uns gehen, das hätte er aber auch gleich sagen können, wobei sie verständnislos mit ihrem Kopf wackelte.
Während Melzer leicht lächelnd dem alten Paar nachblickte, kam Nagel aus der Wartehalle, dabei den Müllsack mit behandschuhten Händen vor sich hertragend.
Den Müllsack schicke ich gleich ins Labor, da können sie ihn auf weitere Spuren untersuchen, wegen des Inhalts, ruf mich morgen an, dann kann ich Dir alle Fragen beantworten.
Damit wandte er sich zu seinem Auto, wo er den Sack in einem noch größeren Sack verschwinden ließ, um ihn dann in den Kofferraum zu legen. Ohne sich weiter umzusehen, fuhr er von seinem Parkplatz, wobei er einem wüst hupenden BMW die Vorfahrt nahm.
Der läuft heute aber erheblich neben der Spur murmelte er vor sich hin, dabei drehte er sich zu der Mitarbeiterin der KTU, die unerwartet direkt vor ihm stand. Erschrocken wich er etwas zurück, als diese bereits leise stimmt, sagte.
Nach einem kurzen Zögern sagte er, ich brauche sie noch, Sie müssen bei dem Finder noch die Fingerabdrücke abnehmen. Suchend blickte er sich um, wo ist Ihr Fotograf, hat der sich bereits verabschiedet.
Der ist bereits ins Labor vorgefahren, er wollte Ihnen die Bilder direkt auf Ihren Computer überspielen, damit Sie heute Nachmittag bereits darüber verfügen können.
Fahren Sie am besten hinter mir her, dann können Sie im Anschluss daran direkt zur KTU fahren, während ich mir mal anhöre, was unser Finder so zu erzählen hat. Sie stand bereits neben ihrem Auto, als er noch seinen PKW in die Lücke rangierte, um den fließenden Verkehr nicht zu behindern.
Verwundert starrte er sie an, wie konnte sie so schnell in diese kleine Parklücke gefahren sein, die er beim Vorbeifahren wegen ihrer Größe missachtet hatte.
Der Türöffner der Haustür summte unmittelbar nach dem Druck auf die Klingel, sodass er vermutete, es müsse jemand an dem Türöffner darauf gewartet haben. Suchend blickte er sich nach einem Aufzug um, während die junge Kollegin bereits auf der Treppe nach oben verschwunden war.
Seufzend folgte er ihr, nachdem er festgestellt hatte, dass kein Aufzug im Hausflur vorhanden war. Jetzt hoffte er nur, dass sich die Wohnung nicht auch noch in der vierten Etage befand, dazu fehlte ihm am heutigen Sonntag die Motivation. Als er über sich die Stimme der Beamtin hörte, wusste er, dass er noch einiges vor sich hatte, denn diese schien tatsächlich von ganz oben zu kommen.
Als er endlich das Podest vor der vierten Etage erreicht hatte, kurz stehen blieb um sehnsuchtsvoll nach oben zu blicken starrte er auf ein knurrendes Untier, welches ihm den Zugang verwehren wollte.
Waldemar klang aus der Wohnung eine helle Frauenstimme, die das Verhalten des Hundes sofort änderte. Kurz schien er zu überlegen, welchem Instinkt er folgen solle, zurückkehren zu der Person, die ihn gerufen hatte oder Verteidigung seines Terrains vor dem Eindringling. Nach einem nochmaligen Knurren entschied er sich jedoch zur Aufgabe des Terrains und zur Rückkehr zu seiner Herrin, wo vielleicht eine Belohnung auf ihn wartete.
Lächelnd kam ihm die Beamtin entgegen, ich bin fertig, alle warten nur noch auf Ihren Besuch, leise fügte sie hinzu, sie sind schon sehr aufgeregt. Damit ließ sie ihn stehen, rief noch ein Tschüss in die Wohnung und ging leicht federnd die Treppe nach unten.
Kopfschüttelnd drehte sich Melzer zu der Wohnungstür, wobei sich schwach die Erinnerung auf seinem Gesicht zeigte. Versonnen dachte er an die Zeit zurück, als er ebenso leicht und federnd den Aufstieg von Treppen bewältigt hatte.
Die Ernüchterung holte ihn wieder zurück in die Gegenwart, als er auf das noch jüngere Paar blickte, das ihn erwartungsvoll aber auch mit Argwohn anblickte. Schnell wischte er sich mit dem linken Handrücken die Schweißperlen, die der Aufstieg in die vierte Etage hervorgerufen hatte, von der Stirn, dabei schloss er leise die Wohnungstür.
Bitte entschuldigen sie mein etwas mitgenommenes Aussehen aber vier Etagen bei der Hitze an einem Sonntag sind auch für mich nicht so einfach zu bewältigen. Mein Name ist Melzer, dabei reichte er der jungen Frau seine rechte Hand, während er verstohlen den jungen Mann betrachtete.
Nachdem die Prozedur des Vorstellens beendet war, ergriff Elke Habermann energisch die Initiative. Wollen wir uns nicht in die Küche setzen und ich gebe Ihnen einen Kaffee. Erleichtert stimmte er dem Vorschlag zu, um der jungen Frau in die Küche zu folgen.
Wolfgang Heller, der immer noch mit einem Tuch versuchte, die Spuren des Fingerabdruckpulvers zu beseitigen, folgte ihnen, allerdings gestört durch den Hund. Dieser hatte es sich anders überlegt wollte unbedingt vor ihnen in der Küche sein. Melzer ließ sich auf den ersten Stuhl, der am nächsten zur Tür stand, fallen, um etwas theatralisch aufzustöhnen.
Wie sie jeden Tag diese Treppen laufen können, bleibt mir ein Rätsel versuchte er anerkennend bei Beiden zu punkten, um bei dem folgenden Gespräch eine lockere Atmosphäre zu erzeugen.
Dies hinderte die Gastgeberin jedoch nicht, ihm ihre Sicht der Vorkommnisse darzulegen. Ohne eine Pause zu machen versuchte sie zu erklären, wie ihr Lebensgefährte im Zusammenspiel mit ihrem Hund Waldemar das Bein gefunden hatte.
Melzer unterbrach den Wortschwall, eine Erzählung aus zweiter Hand würde ihm hier nicht weiter helfen. Deshalb wandte er sich an den jungen Mann.
Herr Heller Sie haben doch das Bein gefunden, ich würde gerne Ihre Version der Geschichte hören.
Während dieser alles in aller Ausführlichkeit erzählte, dabei auch auf die fehlende Unterstützung sonntäglicher Kirchgänger hinwies, starrte seine Lebensgefährtin etwas beleidigt auf den Kommissar, der sie unterbrochen hatte.
Das hast Du mir gar nicht erzählt wandte sie sich empört an ihren Freund als dieser die Episode von dem Radfahrer sowie der Kirchgängerin erzählte.
Was können Sie mir über diesen Gotthilf Weber sagen, glauben Sie, dass er mehr darüber weiß, fragte Melzer Wolfgang Heller, der ihn verwundert anstarrte.
Weber, der Name sagte ihm nichts, bis er sich erinnerte. Oh Sie meinen Gotthilf, nein ich glaube nicht, dass der etwas darüber weiß, der hat sich schon fast in die Hose gemacht, als ich ihn angesprochen habe. Entschuldigen Sie den Ausdruck, aber ich glaube nicht, dass der sich überhaupt um etwas kümmert, was ihn nicht direkt betrifft.
Elke Habermann war immer noch verstimmt als Melzer sich verabschiedete.
Vielleicht habe ich zu einem späteren Zeitpunkt noch Fragen, dann werde ich mich noch mal bei Ihnen melden sagte er zu Heller. Im Anschluss daran verabschiedete er sich ausgesprochen höflich von der Dame des Hauses. Inzwischen konnte nicht mehr genau festgestellt werden, wer mehr zu ihrer Verstimmung beigetragen hatte, er oder ihr Freund, der ihr nicht alles erzählt hatte.
Beim langsamen Hinabsteigen überlegte er kurz, ob er sich noch einen Besuch bei Gotthilf Weber antun sollte oder ob er besser darauf verzichtete. Nach den Erzählungen des jungen Polizisten sowie den Aussagen von Heller über diesen Weber würde die Befragung keineswegs zu einer Verbesserung seiner Stimmung führen. Darum sollte sich besser seine Kollegin kümmern, die deshalb nicht mitgekommen war, weil sie sich gestern wahrscheinlich eine Lebensmittelvergiftung zugezogen hatte.
Seit ihrem Eintreffen im Büro am frühen Morgen war sie nicht mehr von der Toilette gekommen. Auf dem Flur war nur ihr Würgen mit darauf folgendem Übergeben zu hören gewesen, sodass er sich entschlossen hatte, allein zu dem Tatort zu fahren. Es war ja auch nicht zu erwarten, dass für ein Bein gleich zwei Beamte der Mordkommission erforderlich werden. Außerdem war es mehr als unwahrscheinlich, dass dieses Bein sich an genau diesem Ort von dem Rest des anderen Körpers verabschiedet hatte.
Sie saß immer noch, wie eine noch lebende Kalkleiste an ihrem Schreibtisch, als er das Büro betrat.
Katharina Du siehst ja immer noch immer so schlimm aus, warum bist Du nicht nach Hause gegangen, knurrte er sie an, als er sie so dasitzen sah. Sein Knurren sollte die Sorgen übertönen, die er sich machte, am liebsten wäre es ihm, wenn sie ein Krankenhaus aufgesucht hätte, in dem man sie untersuchte.
Du siehst zum Kotzen aus, fuhr er sie an, wenn Du nicht nach Hause gehen willst, dann gehst Du ins Krankenhaus. Als sie sich gegen seinen Vorschlag auflehnen wollte, setzte er nach, oder ich bringe Dich zu Nagel, der untersucht Dich dann auf einem seiner Edelstahltische. Boshaft fügte er an, vielleicht sogar zusammen mit dem Bein.
Nachdem sich Katharina Nolde entschlossen hatte, dass es doch besser war, wenn sie den heutigen Tag im Bett verbringen würde, setzte er sich nachdenklich an seinen Schreibtisch.
Was sollte dieses Deponieren eines Beins an einer Bushaltestelle, war der Täter ein Feind des öffentlichen Straßenverkehrs und weshalb genau an dieser Haltestelle. Er kannte dieses Rätseln zum Beginn eines neuen Falls, diese Fragen die, wenn überhaupt, erst zu einem späteren Zeitpunkt beantwortet werden konnten. Er wusste aber auch, dass diese Fragen wichtig für ihn waren, waren sie doch meist das erste Eindringen in die Gefühlswelt des Täters, brachten ihn, wenn auch noch nicht bewusst, in dessen Nähe.
Was wollte der damit bezwecken, fast immer wurden die Gründe, weshalb etwas getan wurde, zu einem späteren Zeitpunkt klarer. Um sich das zu fragen, weshalb man nicht schon am Beginn der Ermittlungen daran gedacht hatte. Hier waren die Gründe, weshalb jemand ein Bein an einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Er stockte, sollte der Faktor Zeit hier eine Rolle spielen und wie war dieser Faktor einzuschätzen.
Seufzend lehnte er sich zurück, alle Fragen waren zum jetzigen Stadium zu früh, als Erstes sollten sie die Person finden, der dieses Bein abhandengekommen war. Wahrscheinlich war auch, dass sich diese Person nicht freiwillig von so einem wichtigen Körperteil getrennt hatte. Dann stellte sich allerdings die Frage, wenn es nicht freiwillig war, ob er denn noch lebte.
Etwas Merkwürdiges war ihm an der Wartehalle aufgefallen, es war kein Blut in der Umgebung der Wartehalle noch in der Mülltüte, in der das Bein offensichtlich transportiert wurde, festzustellen. Auf einem Notizzettel vermerkte er sich die Fragen, die ihm nach und nach eingefallen waren und die er Nagel stellen wollte, vielleicht würden ihm die Antworten weiterhelfen.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er die Geräusche aus seinem Magen nur ruhigstellen konnte, wenn er ihm endlich das lang erwartete Mittagessen zuteilwerden lassen würde.
Mit einem leichten Stöhnen erhob er sich aus seinem Stuhl, als er durch das schrille Klingeln des Telefons auf seinem Schreibtisch zurückgehalten wurde. Seufzend starrte er darauf, zuckte mit den Achseln dann griff er nach dem Hörer. Melzer knurrte er in den Hörer, kann man denn nicht mal zum Mittagessen, ohne gestört zu werden.
Dann hörte er auf das, was der Anrufer ihm erzählte, nahm einen Notizzettel schrieb die angegebene Adresse auf dann bellte er in den Hörer, ich fahre hin. Wieder ein Tag der ihn, wie seine Frau meinte, seinem Idealgewicht näher brachte indem er, wenn auch unfreiwillig, auf sein Mittagessen verzichtete. Erneut war die KTU vor ihm an dem Tatort, als er sein Auto abstellte, um zur Fundstelle zu gehen.
Mit einem leichten Grinsen ging er zu den bekannten Gesichtern, während er meinte, wer hätte gedacht, dass wir uns so kurz hintereinander sehen würden. Während der Fotograf ihm nur kurz zunickte, die Beamtin der KTU ihn fröhlich anlächelte, blaffte Nagel nur, mir bleibt aber auch nichts erspart, zweimal am Tag ist zu viel.
Was haben wir denn gefunden fragte er, wobei er Nagel ansah, der wohl am ehesten sagen konnte, was da vor ihnen in einer Mülltüte lag.
Ein rechter Arm, ob er allerdings zu der gleichen Person gehört die ihr Bein verloren hat, vermag ich allerdings noch nicht zu sagen. Ich kann jedoch schon jetzt sagen, dass er zu einer männlichen Person gehört.
Kannst Du feststellen, ob beides zu der gleichen Person gehört, fragte er vorsichtig bei Nagel an, als der schon unterbrach, im Labor aber nicht mehr heute.
Ist er genau so blutleer wie das Bein wollte er wissen als Nagel nickte, fragte er nach, weißt Du auch, wer ihn gefunden hat. Nagel zeigte auf eine Gruppe von etwa zehn Personen, bei der zwei ältere uniformierte Polizisten standen. Diese versuchten mühsam den Fragen, die auf sie einprasselten, gerecht zu werden.
Ein nochmaliger Blick ließ ihn die Augenbrauen hochziehen, ihm blieb aber auch nichts erspart. Der eine Teil japanischer Touristen redete ohne Pause auf die Beamten ein, während der andere Teil der Reisegruppe alles fotografierte, was aus ihrer Sicht unbedingt festgehalten werden musste. Wenn seine kurze Beobachtung repräsentativ für die vergangenen zehn Minuten war, dann hatte man ihn bestimmt mehr als fünfzig Mal auf irgendeinem Speichermedium festgehalten, wahrscheinlich sogar noch häufiger.
Nun bedauerte er, dass er in der Schule Russisch hatte lernen müssen, Japanisch hätte ihm in der jetzigen Situation sehr viel besser weiter geholfen. Mit all der gebotenen Vorsicht, mit der man einer japanischen Reisegruppe während ihrer Hauptbeschäftigung, des Fotografierens, begegnen konnte, ging er auf die Ansammlung zu. Voll Mitleid sah er zu den uniformierten Beamten, die hilflos mit den Achseln zuckten, ihren Kopf schüttelten oder ihre Augen verdrehten.
Das Verhalten der beiden Polizisten veränderte sich, als sie den ranghöheren Beamten auf sich zukommen sahen, zugleich schöpften sie die Hoffnung, von der asiatischen Übermacht befreit zu werden. Die Veränderung der Beamten war auch der Reisegruppe nicht entgangen. Endlich glaubten sie die Antworten auf ihre Fragen zu erhalten, die sie bisher vergeblich an diese beiden Langnasen gestellt hatten.
Bevor sich die Gruppe auf ihn stürzen konnte, fragte er noch schnell an die beiden Beamten gerichtet, wer hat das Teil gefunden.
Achselzuckend meinte einer der Polizisten, es war uns nicht möglich, auch nur eine Frage sinnvoll zu stellen Herr Kommissar, wir wissen es nicht.
Neugierig und höflich warteten die Teilnehmer der Reisegruppe ab, wie es nun weitergehen würde, nachdem endlich ein im Rang angemessener Beamter auf der Bildfläche erschienen war.
Langsam löste sich ein junger Japaner aus der Gruppe und kam näher, verneigte sich leicht dann sprach er in deutlich erkennbarem Deutsch.
Guten Tag Herr Kommissar, mein Name ist Herr Mizuki, ich bin der Reiseleiter und kann Ihnen bestimmt weiterhelfen. Dann trat er leicht lächelnd einen Schritt zurück, blickte wie nach Beifall heischend zu seiner Gruppe, um auf die Fragen zu warten, die unweigerlich folgen würden.
Die beiden Polizisten blickten verblüfft zu dem Reiseleiter, der sich während der Zeit, die sie wartend zugebracht hatten, nicht ein Wort in Deutsch an sie gerichtet hatte.
Herr Mizuki, die Nennung des Namens kam etwas zögernd über seine Lippen, können Sie mir sagen, wer den Müllbeutel gefunden bzw. den Arm gefunden hat.
Jawohl Herr Kommissar, es waren drei Personen, die in die Tüte hinein gesehen haben, es war Herr Sato, Herr Watanabe und Herr Nakamura, die gemeinsam den Arm gefunden haben. Herr Watanabe ist Arzt, deshalb hat er mich sofort darauf aufmerksam gemacht, um was es sich handelt.
Während der Erzählung stand die Reisegruppe abwartend in einiger Entfernung, jedoch nah genug um dem Bericht folgen zu können, auch wenn sie diesen nicht verstanden. Bei der Nennung ihres Namens verneigten sie die jeweiligen Personen, wobei ihm jeder höflich lächelnd zunickte.
Wieso sprechen Sie so gut Deutsch, wollte Melzer jetzt von Mizuki wissen, da dieser akzentfrei seine Erklärungen von sich gegeben hatte.
Verlegen lächelnd meinte dieser, oh ich bin in Düsseldorf geboren und zur Schule gegangen, deshalb bin ich in beiden Sprachen und Kulturen aufgewachsen. Derzeit studiere ich Germanistik hier an der FU, nebenbei verdiene ich mir als Reiseleiter meiner Landsleute ein Zubrot.
Dann können Sie mir bestimmt sagen, wie lange Ihre Landsleute noch in Berlin sind, damit wir ihre Aussagen protokollieren können.
Leider nur noch heute, da für Berlin nur zwei Tage eingeplant waren, morgen geht der Flug bereits nach Paris, wo sie erneut zwei Tage verbringen werden.
Melzer vereinbarte, dass Mizuki mit den drei Landsleuten in etwa drei Stunden in die Keithstraße kommen sollte, damit die Aussage protokolliert werden kann.
Eine Frage habe ich noch, können Sie bitte nachfragen, ob die Stellung des Arms verändert wurde und wenn ja, wie.
Nach dem etwa dreiminütigen Palaver folgte das kurze Statement, nein. Erst auf den fragenden Blick von Melzer ergänzte Mizuki, nein, die Stellung des Armes wurde nicht verändert, alles sei so geblieben wie sie es aufgefunden haben.
Als er zurück zu der Gruppe um den Arm kam, warteten diese bereits auf ihn, da die Arbeiten bereits abgeschlossen waren. Voller Erwartung blickten sie ihn an als wäre er ein Heilsbringer, der die Wahrheit mitschleppte, um sie nun zu offenbaren. Die Gesichtszüge glitten wieder in Normalstellung, als er nach Ergebnissen fragte, als er wissen wollte, ob der Arm zu dem Bein vom Vormittag gehörte.
Vermutlich gehören beide zusammen meinte die Beamtin der KTU, die Mülltüten sind identisch, das fehlende Blut ist wie bei dem Bein, alle deutet auf ein und dieselbe Person. Wenn Sie allerdings Gewissheit haben wollen, dabei zeigte sie auf den Pathologen, dann müssen Sie Dr. Nagel fragen.
Dessen Laune vom Vormittag hatte sich offenbar etwas gebessert, denn die Antwort war weniger knurrig, sondern näherte sich wieder seinem üblichen Zynismus. Es kann durchaus sein, der Arm gehörte zu einer männlichen Person, auch die Hinweise auf das Alter scheinen in etwa identisch zu sein. Allerdings bekommt die Person langsam Probleme mit der Fortbewegung, wenn er denn noch lebt. Außerdem habe ich langsam das Gefühl, das wir hier auf einer Puzzlejagd sind. Bin mal gespannt, wann das nächste Teil auftaucht und wo es angelegt werden soll, um das Puzzle zu vervollständigen. Morgen wissen wir mehr, dann nahm er seine Tüte, in die er die Mülltüte mit dem Arm verstaut hatte. Ich bin dann mal im Labor, winkte und ging zu seinem Auto.
Nachdem er vereinbart hatte, dass die Beamtin in drei Stunden in sein Büro kommen und bei den japanischen Findern die Fingerabdrücke abnehmen sollte, verabschiedete er sich von ihr. Während sie in ihren Wagen stieg, beobachtete er die japanische Reisegruppe, die am Tiergarten entlang in Richtung Siegessäule ging.
Nachdenklich blickte er sich um, er war sich ziemlich sicher, dass die Person der das Bein sowie der Arm fehlten, nicht mehr lebte, sondern dass weitere Teile auftauchen würden. Wann und wo das sein würde, da konnte er sich nur überraschen lassen. Bezweckte der Täter etwas mit dieser Verteilung oder hatte Nagel den Nagel auf den Kopf getroffen. Er stutzte kurz dann lächelte er, dieses kleine Wortspiel musste er ihm bei Gelegenheit erzählen.
Wollte der Täter tatsächlich eine Puzzlejagd veranstalten und mit wem, mit der Polizei. Das war nicht sehr wahrscheinlich außer, er stockte, war das Opfer vielleicht ein Polizist.