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5. Kapitel

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Es war ein Wochenbeginn, wie er ihn seinem schlimmsten Feind nicht gewünscht hätte. Seit Jahren hatte er mal wieder einmal verschlafen und dies nur, weil er nicht sofort das Bett verlassen hatte, als seine Frau ihn geweckt hatte. Als er erneut erwachte, wusste er sofort, auch bei größter Anstrengung würde er zu spät ins Büro kommen.

Natürlich standen auch noch seine Kollegen Spalier, um ihn mit ätzenden Kommentaren zu seinem Büro zu begleiten. Er hätte verstanden, dass sie bissige Kommentare für das Zuspätkommen abgaben, wenn nicht gerade er der Betroffene gewesen wäre.

Mit rotem Kopf und einem Knurren ging er vorbei in Richtung seines Büros. Sollten sie ihn doch alle mal, er unterdrückte irgendwelche Widerworte, die nur obszön ausgefallen wären, ging wortlos weiter, für die nächsten Wochen hatte er genug an Spott einstecken müssen.

Wolfgang saß bereits im Büro und blickte ihn erwartungsvoll an, ja ich habe verschlafen knurrte er auch diesen an, passiert ja selten genug. Er zog seinen Stuhl unter dem Tisch hervor, dann ließ er sich ächzend darauf sinken, jetzt sag bloß nicht das es auch noch schlechte Nachrichten gibt, drohte er.

Nein, versuchte der seinen schlecht gelaunten Chef zu beruhigen, inzwischen gibt’s Nachrichten aus dem Melderegister, es gibt wohl keine Verwandte ersten Grades. In Berlin hatte er überhaupt keine Verwandten, eine entfernte Cousine soll im Schwarzwald leben, Freiburg oder Umgebung, da gibt es noch einige Unstimmigkeiten im Melderegister.

Dann besorg einen Durchsuchungsbeschluss, ich will in die Wohnung, vielleicht gibt es da noch Hinweise. Versuch, dass wir heute noch in die Wohnung kommen, und sag der KTU Bescheid, die will ich auch in voller Stärke dabei haben.

Er dachte wieder an gestern, als er nach Hause gekommen war. Unmittelbar nach Betreten der Wohnung blickte er in das versteinerte Gesicht seiner Frau, die ihn mit Missachtung gestraft hatte. Als er ihr wie immer einen Kuss auf die Wange geben wollte, hatte sie den Kopf weggedreht, war einfach weiter gegangen. Ohne ihn weiter zu beachten, hatte sie ihre Tochter angerufen, mit dieser länger als eine halbe Stunde telefoniert, danach noch mit ihrer gemeinsamen Enkelin gescherzt.

Kaum hatte sie den Hörer aufgelegt, war ihr Gesicht wieder versteinert, glich eher dem der Nofretete, nur nicht so freundlich. Am liebsten hätte er sie gepackt und zur Museumsinsel geschleppt, stattdessen war er zur Tankstelle gefahren, hatte da für teures Geld einen mickrigen Blumenstrauß besorgt.

Als er ihr den mit zerknirschtem Gesicht übergeben wollte, konnte sie ihr Lachen doch nicht mehr unterdrücken. Aber bis dahin, puh, das wünschte er seinem schlimmsten Feind nicht. Er sollte sich überlegen, ob er dieses Talent nicht bei den nächsten Verhören einsetzen konnte.

Seine Gedanken schweiften zu ihrem neuesten Fall, sollte er in der Rechtsmedizin anrufen oder lieber warten, bis diese sich meldeten. Bisher hatte er mit seinen Anrufen immer schlechte Erfahrungen gemacht, wenn immer diese das Gefühl hatten, dass sie gedrängt wurden, dann reagierten die immer so eigenwillig.

Dann fiel ihm ein, dass Gerold heute bestimmt nicht in der Rechtsmedizin anwesend sein würde, da dieser ja gestern Dienst hatte. Nach kurzer Überlegung beschloss er deshalb, seinen Anruf lieber auf einen anderen Tag zu verschieben.

Er wollte sich gerade die Protokolle der am Tatort befragten Personen vornehmen, als die Tür aufging und der Kopf von Wolfgang erschien.

Habe gerade die Zusage bekommen, um zwei Uhr liegt der Beschluss vor, dann können wir in die Wohnung. Ich gehe gleich zur KTU um Bescheid zu sagen, dabei kann ich ja mal unauffällig nachfragen, ob die Auswertung der Spuren etwas erbracht hat.

Jetzt sollte er endlich nachsehen, was aus den Befragungen rausgekommen war, heute wollte einfach nichts vorwärtsgehen. Es gab solche Tage, alles ging schief, es war wie verhext, als wäre er mit dem falschen Fuß aufgestanden. Was überhaupt nicht möglich war, das geschah nur in den seltenen Fällen, wenn er sich mit seiner Frau geliebt hatte und danach auf ihrer Seite einschlief.

Schlafen oder lieben, er hatte sich nie an den Terminus der Jugend gewöhnen können die von Sex haben, Bumsen oder Ficken gesprochen hatten. Wenn er zu Hause etwas Derartiges gesagt hätte, wäre er auf seine Seite verbannt worden, er hatte es aber auch nie probiert. Was sollten denn diese Gedanken hier im Büro, irgendwas musste gestern im Essen gewesen sein, anders konnte er es sich nicht erklären. Natürlich hatten sie gestern im Bett Versöhnung gefeiert, aber er war brav auf seiner Seite eingeschlafen.

Er rief sich zu Ordnung, vielleicht sollte er einfach beginnen zu lesen, das würde ihn bestimmt auf andere Gedanken bringen. Aha, da war die Aussage des Anrufers, dieser hatte, nachdem ihn die Frau angehalten hatte. Diese habe sehr aufgeregt gewirkt, als sie ihn aufforderte, dass er bei der Polizei anrufen soll, da auf der Parkbank ein Toter sitzt.

Der Anrufer kannte die Frau vom Sehen, weil er ihr immer nachschlich, fügte er in Gedanken dazu, ihre Tochter heißt Laura, sie ist etwa vier bis fünf Jahre alt. Sie selbst ist blond, vielleicht Mitte bis Ende zwanzig mit kurzen blonden Haaren sowie einem Leberfleck im Gesicht. Das Alter hatte er nach der Beschreibung geschätzt, außerdem glaubte er nicht, dass der Anrufer die Angewohnheit hatte, älteren Damen hinterher zu laufen.

Mal sehen, was die Nachbarn so über ihren verstorbenen Nachbarn gesagt hatten, die Familie rechts von ihm, na an der Aussage konnte ja nichts verwendet werden. Nach deren Aussage war der Mann ein Engel, der sich verflogen hatte, dann auf der Erde gelandet war.

Der liebe Mann, jeden Sonntag sei er in die Kirche gegangen, seine Frau hatte er immer auf Händen getragen, das konnte ja alles nicht wahr sein. Am besten er rief doch in der Rechtsmedizin an, die mussten den Heiligenschein übersehen haben. Das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, jeder hatte eine dunkle Seite, man musste diese nur finden.

Jetzt war er gespannt, was der linke Nachbar sagte, nichts, ach so, der war gar nicht da, in der zweiten Wohnung links fand die nächste Befragung statt. Dieser erzählte davon, dass der Tote nach seiner Kenntnis ein pensionierter Lehrer gewesen sei, darüber hinaus hätten sie jedoch keinen Kontakt gehabt.

Wolfgang schrie Melzer, dann fiel ihm ein, der war ja bei der KTU. Die Frage, die ihm gerade eingefallen war, konnte warten, bestimmt fanden sie Unterlagen in der Wohnung, aus welchen hervorging, an was für einer Schule der Tote unterrichtet hatte.

Stürmisch sprang die Tür auf, etwas außer Atem kam Wolfgang ins Büro, Du hast gerufen, dann ließ er sich auf seinen Stuhl plumpsen.

Ja hat sich aber gerade erledigt, dann blickte er forschend zu ihm. Na was gibt’s an Neuigkeiten aus der KTU, wobei der das T von KTU so lange zog, bis Wolfgang sich aufrecht hinsetzte.

Leider schlechte Nachrichten von den Suchtrupps, der Tatort ist übersät von Spuren, die sehr wahrscheinlich nichts mit der Tat zu tun haben. Eine Zuordnung oder eine Bezugsquelle für das Seidentuch haben sie auch noch nicht gefunden, das Etikett in dem Seidentuch fehlt. Wo auch immer es besorgt hat, aus Deutschland kommt es nicht.

Von eBay knurrte Melzer, alles, was Du nicht im Geschäft bekommst, kriegst Du bei eBay, er machte sich keine Hoffnung bei dem Tuch.

Nein, widersprach sein Kollege, das haben sie wohl gecheckt, bei eBay ist das Tuch nicht verkauft worden. Auf alle Fälle nicht unter einem bestimmten Label grenzte er ein, vielleicht hatte er es als No-Name Tuch gekauft. Es war ja nicht zu erwarten, dass er extra ein Markentuch gekauft hatte, um dem Ganzen etwas mehr Stil zu verleihen. Früher, das heißt, vor diesen Internetverkäufen, war alles sehr viel einfacher.

Etwas Eigenwilliges haben sie aber doch gefunden, der Anstecker, er erinnerte sich an die kleine Schrift, konnte sich aber nicht mehr an die Aufschrift erinnern, ja was ist mit dem.

Diesen Anstecker gibt es so nicht.

Quatsch Du hast ihn doch auch gesehen.

Du hast mich missverstanden, natürlich gibt es den Anstecker, was ich meinte, den Anstecker mit der Aufschrift gibt es nirgends zu kaufen, das muss eine Sonderanfertigung sein.

Seine Neugier war geweckt, erzähl mir mehr.

Also, holte sein Kollege aus als wollte er ihm einen Schwinger verpassen, das musste er ihm noch abgewöhnen, konnte der nicht sofort zum Punkt kommen.

Los knurrte er.

Also, der Aufdruck oder das Piktogramm ist eigentlich ein Verbotszeichen für „Berühren verboten“. Er zog seinen Notizblock hervor, dann las er ASR A 1.3/BGV A8/DIN 4844 vor. Zufrieden blickte er auf, als von gegenüber das hättest Du dir auch sparen können kam.

Ungerührt fuhr dieser fort, das gibt es normalerweise nicht als Anstecker, wobei ich nicht ausschließen möchte, dass man das anfertigen lassen kann. Was allerdings nicht möglich ist, den Anstecker mit der Aufschrift zu versehen, denn dann entspricht er nicht mehr den DIN-Vorschriften.

Jetzt war er fertig, er hatte es beendet, ohne erneut unterbrochen zu werden, was stand eigentlich drauf, er konnte sich einfach nicht mehr daran erinnern. In dem roten Ring in der oberen Hälfte standen die Worte in Großbuchstaben „KEIN VERGESSEN“. Bevor Du fragst, die haben auch geprüft, ob es einen Verein oder so was gibt, gibt’s nicht, schloss er zufrieden ab.

Konnten die wenigstens feststellen, wo die hergestellt wurden.

Nein, da ist das nächste Problem, solche Anstecker kann man sich aber über das Internet in China, Taiwan oder sonst wo bestellen, einfach Bild hinschicken, irgendwann kommen die Anstecker.

Dieses verfluchte Internet donnerte er jetzt los, eigentlich müssten die eine Erschwernisabgabe zahlen für das, was sie hier verursachen.

Wolfgang zuckte mit den Achseln, was sollte er dazu sagen.

Pünktlich um zwei Uhr kam die Bestätigung, sie konnten endlich, mit richterlicher Erlaubnis, in die Wohnung von diesem Hornbach. Insgesamt fünf Personen standen um den Schlosser des Schlüsseldiensts, um diesem zuzusehen, wie er den Schließzylinder ausbohrte.

Überall öffneten sich Türen und verwunderte meist ältere mit Falten überzogene Gesichter blickten erstaunt auf die Ansammlung.

Was machen sie denn da, kam es krächzend aus dem hinteren Bereich des Hausflurs, sie dürfen da nicht rein.

Melzer sah über die Schulter, auf die kleine verhutzelte Person, die sich vor seinen Leuten, mit in die Hüften gestemmten Armen, aufgebaut hatte.

Wir dürfen, knurrte er unwirsch, Kriminalpolizei, dabei zeigte er seine Hundemarke.

Aber protestierte die Alte erneut, hätten sie was gesagt, hätte ich ihnen den Schlüssel gegeben.

Verblüfft darüber, Sie haben einen Schlüssel, zu spät klang es jetzt hinter ihm, die Tür ist offen, kam es von dem Schlosser. Wir reden nachher, sagte er zu der Frau, wo wohnen Sie, sie zeigte auf die Tür der Wohnung, bis nachher, drehte sich um und ließ sie stehen.

Während der Schlosser einen neuen Zylinder einbaute, strömten die Kollegen der KTU als Erste in die Wohnung. Langsam folgte Melzer mit seinem jungen Kollegen, wobei er sich umblickte. Ähnliche Einrichtungen hatte er schon häufiger gesehen, irgendwie fühlte er sich wie bei einer Zeitreise, um etwa vierzig Jahre zurückversetzt.

Während die KTU die Wohnung systematisch auf den Kopf stellte, machte er sich auf die Suche nach einem Schreibtisch. Er fand ihn schließlich im Schlafzimmer wo er, etwas in die Ecke gequetscht, aber vollständig aufgeräumt, stand. Kein Hinweis, dass auch nur ein Blatt schief auf dem Schreibtisch liegen würde. Bisschen penibel der Alte, dachte er noch als ihm einfiel, dass der Alte, wie er ihn gerade genannt hatte, gerade einmal zehn Jahre älter als er selbst war.

Langsam blätterte er einen akkurat gestapelten Papierstapel durch, entdeckte jedoch nichts, was einen Hinweis auf irgendetwas gegeben hätte. Sein Blick fiel auf zwei Ablagekörbe, die an der Vorderseite mit einer sehr akkuraten leicht geneigten Schrift gekennzeichnet waren. Erledigt, unerledigt stand auf den jeweiligen Körben, welchen sollte er sich als ersten vornehmen, am besten den unerledigten, der andere war ja bereits abgearbeitet.

Langsam blätterte er die unerledigten Papiere durch, noch offene Überweisungen, die noch nicht fällig waren, Briefe, die relativ neu waren, wahrscheinlich noch beantwortet werden mussten. Als letztes Blatt kam er auf einen Brief, der ihn aus seiner stoischen Handlung riss.

Er nahm das Blatt und überflog den Text, es ging schnell, es stand ja auch nicht viel darauf, auf so etwas hatte er gehofft. Wolfgang, schrie er lauter als es erforderlich war, worauf dieser auch sofort auftauchte, wortlos hielt er ihm das Blatt hin, damit dieser es lesen konnte.

Er fing an zu lesen, wobei seine Augen immer größer wurden, es dauerte, er musste den Brief bereits ein zweites Mal gelesen haben bei den paar Zeilen. Boah kam es verblüfft aus den Untiefen seines Schluckorgans, unser Opi scheint doch ein paar Leichen im Keller versteckt zu haben. Dann las er nochmals laut.

Sehr geehrter Herr Hornbach,

Ihre Taten sind nicht in Vergessenheit geraten, die Zeit ist gekommen, diese Verbrechen zu sühnen. Im Namen der Gerechtigkeit fordern wir Sie auf, sich zu diesen Verbrechen öffentlich zu bekennen. Sollten Sie dieser Forderung nicht nachkommen, werden wir handeln im Kampf gegen KEIN VERGESSEN.

Auf dem Brief war oben in der rechten Ecke dieses komische Zeichen, ansonsten keine Unterschrift, kein Absender. Die wurden auch immer nachlässiger, er reichte den Brief zurück, langsam musste er aufpassen, er fing schon an genauso zu denken, wie Melzer.

Da haben wir unseren Hinweis, er war doch nicht so unschuldig, wie er seiner Umwelt weismachen wollte. Jetzt müssen wir nur noch rausfinden welche Leiche er wo vergraben hat dann haben wir den Täter.

Wusste gar nicht das Du so ein Optimist bist, bisher dachte ich immer ich bin der Optimist. Das war auch der einzige Fund der Anlass zu Hoffnung gab, den Täter zu ermitteln. Sonst waren noch die Unterlagen zu seiner ehemaligen Schule sowie sein Pensionsbescheid die ersten Schritte zu dem dunklen Geheimnis.

Als man ihm im Büro sagte, dass der erwartete Anruf aus der Rechtsmedizin immer noch nicht eingegangen war, entschied er, dass der heutige Tag dazu auserkoren sei, pünktlich Feierabend zu machen. Er packte alles zusammen, auf den erstaunten Blick seines Kollegen meinte er nur, ich mache Feierabend, worauf dieser den Textmarker nahm, zum Kalender ging, um den Tag zu markieren.

Kein Vergessen

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