Читать книгу 36 Jahre als Schiffskoch durch die Welt – Teil 1 - Ernst Richter - Страница 5
Neue Heimat in Duisburg
ОглавлениеWohlbehalten kam ich in Duisburg an, wo mich mein Bruder Erich am Bahnhof mit seinem Motorrad abholte. Ich war ihm sehr dankbar, dass er mir hier das erste Geleit gab und mir auch helfen wollte, hier Arbeit zu finden. Er bewohnte damals in Duisburg-Hamborn in der Wiesenstrasse 58 ein kleines Zimmer. Beruflich hatte er sich das Fernfahrerleben ausgesucht. Mit ihm teilte auch noch ein anderer Fernfahrerkollege das Zimmer. Es war also eng, aber ich wollte ja auch nicht lange bleiben, mir schwebte eine Fleischerstelle mit Unterkunft vor, so, wie ich sie auch in Puchheim gehabt hatte.
Mein Bruder zeigte mir am folgenden Tag die gesamte Umgebung. Bald darauf war ich schon selbst unterwegs und versuchte, bei verschiedenen Fleischereien eine Stelle zu bekommen, leider ohne Erfolg.
Kurz entschlossen gab ich Erich zu verstehen, dass ich dann ja wohl etwas anderes machen müsse, was auch ihm einleuchtete. Nur gut, dass mein Bruder so gut Bescheid wusste. Ganz in der Nähe, in Duisburg-Alsum wurde gerade ein neues Kraftwerk gebaut, wo viele Bauarbeiter, Zimmerleute, Eisenflechter, Betonbauer und Handwerker aller Art benötigt wurden. Bei einer Firma Dykerhoff & Wittmann unterschrieb ich kurzerhand in deren Baubude einen Arbeitsvertrag als Bauarbeiter und konnte auch sofort anfangen. Mein Bruder war damit einverstanden, dass ich vorerst noch bei ihm mitwohnen konnte, bis ich eine eigene Unterkunft gefunden hätte.
Es gab damals für mich einen Stundenlohn von 1,10 DM, was mir recht günstig vorkam, ich stellte auch schnell fest, dass auf dieser Baustelle Leute aus ganz Deutschland beschäftigt waren. Da die Zugverbindungen damals noch nicht so gut waren - und ein Auto hatten nur ganz wenige Arbeiter – wurde nach einiger Zeit zu meiner Überraschung ganz in der Nähe der Baustelle ein Wohnlager gebaut. Hier ließ ich mich gleich vormerken und konnte nach der Fertigstellung zusammen mit noch drei anderen jungen Männern ein Zimmer beziehen.
Die Zeit verging, die Arbeit gefiel mir gut, die neue Heimat wurde mir immer bekannter, zumal mein Bruder mit mir zusammen oft genug an Wochenenden durch die Gegend fuhr, er kannte sich hier schon sehr gut aus.
Das Kraftwerk wurde von Ingenieuren und Fachkräften sowie mit „meiner“ Mithilfe gebaut, mir gefiel es, als noch Jugendlicher mit vielen anderen jungen Leuten dabei zu sein, fleißig zu arbeiten und mich über alles Neue zu freuen. Außerdem wurde ich immer selbständiger und sicherer.
So verging die Zeit, Wochen und Monate flogen dahin. In stillen Momenten merkte ich, dass mir meine Eltern und Geschwister doch sehr fehlten, ich war eben noch sehr jung, zum Glück gab es auf der Baustelle viele Gleichaltrige aus dem ganzen Bundesgebiet. Mein Bruder war jedoch immer in der Nähe. Das alles half mir, mein Heimweh nach der alten Heimat zu überbrücken, ein Nachhausekommen war vorerst nicht in Sicht.
So verging das Jahr 1957. Mit einer Einreiseerlaubnis in die DDR wurde es immer schlechter, und so war ich zu Weihnachten und am Jahreswechsel 1957/1958 das erste Mal nicht im Kreise der Familie. Das war sehr traurig für mich.
1958 im Februar bekam ich ein Telegramm aus meinem Heimatort. Mein Opa war verstorben, gerade er hatte mir so viel von der großen Welt erzählt. Aufgrund dieses Todesfalles bekam ich eine Einreiseerlaubnis zur Beerdigung, und ich konnte ins Erzgebirge nach Hause fahren.
Nach diesem traurigen Ereignis musste und wollte ich wieder zurück in den Westen, die Berichte über die Zustände in der DDR machten mir keinen Mut, hier länger zu bleiben. Die Versorgungslage der Bevölkerung, auch die der kleinen Bauern, verschlechterte sich immer mehr. Nach Plan abgegeben werden mussten Rindfleisch, Schweinefleisch, Eier, Kartoffeln, Getreide, Milch und vieles andere mehr. Den Leuten belassen zur eigenen Ernährung wurde nur das Nötigste. Wer den Plan nicht erfüllen konnte, der war schlecht dran, sein Haus oder Grundstück wurde mit Schulden belegt, irgendwann gehörte dann alles dem Staat. Es gab auch unter der Bevölkerung viel Missgunst und viele, denen man es gar nicht zugetraut hatte, wurden zu Verrätern und gingen den kommunistischen Weg, teils, um gewisse Vorteile zu gewinnen, aber auch teils aus totaler Überzeugung. Hier konnte und wollte ich nicht länger bleiben! Ich nahm mir vor, lieber meinen Eltern aus dem Westen immer wieder nötige Sachen zu schicken, als sie zusätzlich auf dem Bauernhof zu belasten.
Also fuhr ich wieder zurück nach Duisburg zu meiner Arbeitsstelle und meinem Bruder Erich, wohl wissend, dass ein Besuch in absehbarer Zeit schier unmöglich schien. Man konnte nur fleißig schreiben und etwas schicken, um die Verbindung zur Familie nicht abreißen zu lassen.
Es sei aber trotzdem noch gesagt, dass für mich und meinen Bruder Erich zu damaliger Zeit "unser Heimatland Erzgebirge" das allerschönste war, was es gab und auch trotz der guten Arbeit in Westdeutschland auch immer blieb. Man konnte zu der Zeit wirklich nicht ahnen, dass man sein Leben lang in der Fremde bleiben würde.
Immer noch Neues
Inzwischen wurde auf der Baustelle, auf der ich tätig war, mit Hochdruck daran gearbeitet, recht bald „Strom fließen“ zu lassen. Er wurde gebraucht für all die neuen Projekte (Brücken, Straßen, Kaufhäuser, Wohnblocks), zu denen es in der BRD zu dieser Zeit reichlich Pläne gab. Es war eben der allgemein bekannte Aufschwung des deutschen Wirtschaftswunders.
Zu gleicher Zeit fand in Ungarn der Aufstand des Volkes statt, der von den Russen gewaltsam niedergeschlagen wurde. Die Grenze zum Osten war fast ganz zu, und es waren mittlerweile ca. vier Millionen Deutsche, die aus dem Osten in die BRD umgesiedelt waren. Wie wir alle wissen, waren diese Jahre auch die Zeit der Aufrüstung inklusive Kriegsgefahr zwischen den USA und der Sowjetunion, man denke an die Kuba-Krise.
Ich arbeitete, so gut es ging, mit meinen Arbeitskollegen weiter, aber immer mit dem Gedanken, wie würde es wohl zu Hause den Eltern und Geschwistern gehen. Ein Jahr war ich jetzt schon nicht zu Hause gewesen. Ich lebte mich innerlich immer mehr von meinem zu Hause weg, obwohl ich immer regelmäßig Karten, Briefe und auch Päckchen schickte. Trotzdem war es auch für meine Eltern eine unruhige Zeit, sie konnten mir keine Hoffnung machen, eine Einreisegenehmigung zu erhalten.
Es war eben so, dass es 1959/60 immer schlechter wurde, auch für normale Besuche in der DDR. Im Osten war nach wie vor viel russisches Militär stationiert, und es wurde die Nationale Volksarmee der DDR „zur Verteidigung des Landes“ aufgeboten, wie sie sagten, die Aussichten auf eine Verbesserung schwanden ständig weiter.
Ich hatte inzwischen bei meiner Firma einiges Glück, denn durch Fleiß und Energie gehörte ich zu den Auserwählten, die auch nach Fertigstellung des Kraftwerkes mit auf die nächste Baustelle durften. Es ging nach Essen-Stoppenburg, wo eine neue, große Kokerei gebaut wurde. Es machte mir weiterhin viel Spaß und ich hatte Kameraden, mit denen ich gut auskam.
So vergingen weitere Monate, auch diese Baustelle wurde mal fertig und es ging weiter, mitten hinein nach Rheinhausen, wo direkt zentral in der Stadt ein großes Kaufhaus gebaut wurde, und ich war wieder dabei.
Inzwischen hatte ich auch einen guten Freund gefunden, er kam aus Leer in Ostfriesland, ich wusste kaum, wo das war, obwohl meine Eltern mal von Verwandten gesprochen hatten, die irgendwo in Norddeutschland wohnten. Dieser Kollege fuhr alle paar Wochen heim, und ich konnte ihn nur beneiden, denn ich konnte ja nicht nach Hause fahren.
Tags arbeiten – abends feiern
Auch die Baustelle in Rheinhausen wurde einmal fertig. Sechs Monate war es eine schöne Zeit mitten in der Stadt gewesen. Jetzt ging es mit der ganzen Belegschaft nach Krefeld-Linn, wo das Maizena-Werk aufwendig vergrößert werden sollte, eine langfristige Angelegenheit.
Zu diesem Zweck wurde auch hier ein großes Wohnlager errichtet. Wieder zog ich hier ein und war so jedenfalls dicht am Arbeitsplatz.
Es war mittlerweile Februar 1960 vorbei, und ich war schon seit zwei Jahren nicht zu Hause gewesen. Manchmal hatte ich einfach keine Lust mehr und fluchte auf den gesamten Kommunismus, der uns dieses Dilemma mit der Grenze aufgehalst hatte.