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Ostfriesland ruft

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Die Zeit in Hamburg war dennoch eines Tages vorbei, und ich begab mich mit dem Zug über Bremen und Oldenburg nach Leer in Ostfriesland, worauf ich sehr gespannt war. Mein Freund, Karl Schaber, holte mich damals vom Bahnhof in Leer ab, es war eine große Freude, wieder einen bekannten Menschen zu sehen und sich gut unterhalten zu können. In seinem Zuhause wurde ich gut aufgenommen, und wir saßen abends lange beisammen, wobei ich alles Erlebte der Bahnfahrt sowie meinem Aufenthalt in Hamburg erzählen musste. Auch lobte ich damals schon die Gegend, die mir bei der Zugfahrt aufgefallen war, viele Weideflächen mit Rindern, große Bauernhöfe und viel flaches Land.

Die nächsten Tage waren ausgefüllt mit einigen Erkundigungen in und um Leer, wobei wir auch den Leeraner Hafen in Augenschein nahmen. Es war ein großer Vorteil, dass mein Freund Karl hier so gut Bescheid wusste, dies verkürzte so manchen Weg, um Sehenswertes zu begutachten.


Karl war früher auch mal auf einem Schiff gefahren, wenn auch bei der Fischerei, von deren Flotte einige Schiffe im Hafen lagen.

Und gerade das war es, was mich wieder magisch anzuziehen schien. In den folgenden Tagen löcherte ich den Karl nur so, und er musste mir fast nur etwas von der Fischerei erzählen. Natürlich kam auch die Frage von mir, ob ich denn auch wohl auf so einem Logger, wie sie im Hafen lagen, fahren könne. Karl erklärte mir, da müsse ich erst mal ein Gesundheitszeugnis haben und dann ein Seefahrtbuch und so weiter, und, dass es eine ganze Zeit dauern würde, bis man so etwas alles erledigt hätte, außerdem bräuchte ich auch eine Erlaubnis meiner Eltern, da ich ja noch keine 21 sei.

Komischerweise fand ich diese Schwierigkeiten alle als überwindbar. Kollegen des Freundes erzählten mir, bei der Heringsfischerei wäre die Arbeit ein elender Knochenjob. Im Hinterkopf waren dann immer die Gedanken, wenn ich die Papiere hätte, würde ja auch ein Schiff der Handelsflotte in Frage kommen können. Gedanklich gab es für mich bereits kein Zurück mehr ins Ruhrgebiet, Ostfriesland war mir sympathisch, und ich empfand es damals als Sprungbrett für eine Arbeit auf einem Schiff.

Nach einer Woche in Leer fuhren mein Freund Karl und ich zurück nach Krefeld-Linn, und ich hatte ein Gespräch mit meinem Bauleiter, dem ich meinen Herzenswunsch erklärte. Er lachte zwar ein wenig, aber gab zu meinen Wünschen keinen Kommentar ab. Nach kurzer Zeit und ohne Streit wurden mir meine Arbeitspapiere und meine Endabrechnung ausgehändigt. Nach dem Abschied von allen mir lieb gewordenen Kollegen auf der Baustelle war für mich alles in bester Ordnung.

In allerbester Laune fuhr ich mit meinen Siebensachen kurz darauf wieder mit dem Zug in Richtung Ostfriesland zurück nach Leer. Die Fahrt mit dem Zug von Nordrhein-Westfalen nach Ostfriesland verging wie im Flug. Ich war fest von meiner neuen Heimat überzeugt, auch im Hinblick auf einen Arbeitsplatz auf einem Schiff.

Ich nahm mir in Leer in der stadtbekannten Gaststätte „Bussboom“ ein Zimmer, welches damals nur 2,- DM für die Unterkunft und 3,- DM für das Mittagessen kostete, die Inhaberin wusch sogar unentgeltlich meine Wäsche.

Diese Gaststätte war nebenbei auch Treff von mehreren Matrosen der Leeraner Heringsfischerei, ich setzte mich manchmal zu den Leuten in der Gaststube und versuchte zu verstehen, was so gesprochen wurde. Ja, ich versuchte! Denn die seemännischen Gäste sprachen urtiefstes Ostfriesenplatt, und ich verstand kaum ein Wort, erst nach und nach konnte ich mir einiges zusammenreimen.

Inzwischen hatte ich auch meine Eltern in meine Pläne eingeweiht, denn von ihnen brauchte ich für die Ausstellung eines Seefahrtbuches die schriftliche Genehmigung, die aufgrund der postalischen Verzögerungen zwischen Ost und West sehr lange brauchte, schließlich aber endlich eintraf.

Die Logger im Leeraner Hafen waren inzwischen schon alle ausgelaufen. Ich war etwas traurig, dass sie ohne mich gefahren waren. Der Wirt meiner Herberge riet mir allerdings, deswegen keine Tränen zu vergießen, für mich wäre es sowieso aufgrund meiner Ausbildung zum Fleischer mit Gesellenerfahrung viel besser, wenn ich mit dem Zug nach Emden fahren und dort die Seemännische Heuerstelle aufsuchen würde, dort sei die Chance sehr groß, auf ein richtiges Seeschiff zu kommen.

Kurz entschlossen fuhr ich alsbald nach herzlicher Verabschiedung durch die Wirtsleute mit dem Zug nach Emden, Fahrtdauer keine halbe Stunde.

Emden, endgültige Entscheidung

In Emden angekommen, ließ ich mich mit einem Taxi zum Seemannsheim an der Nesserlander Strasse fahren, es war in unmittelbarer Nähe des Emder Hafens. Hier war auch der Borkum-Anleger, der in meinem späteren Leben noch eine große Rolle spielen sollte.


Eine neue Welt empfing mich im Seemannsheim, das vom Hausvater Ernst Scharf geleitet wurde, von Beruf Diakon und von den Seeleuten „Pastor“ genannt. Nach einem herzlichen Empfang und etwas Schreibkram, wurde mir ein Zimmer im 3. Stock des Hauses zugewiesen, das ich mit sieben anderen Leuten teilen musste. Das Zimmer hatte übrigens den Namen „Narvik“.

Unruhige Nächte standen mir bevor. Die bei mir wohnenden Männer, meist Seeleute, lernte ich erst nach und nach kennen, jeder von ihnen war tagsüber unterwegs, und auch nachts kam man wegen der „Spätheimlehrer“ nie richtig zur Ruhe. Die Seeleute waren es von Bord her gewohnt, nachts Wache zu gehen und hatten eben andere Lebensgewohnheiten als Landratten. Ich war ja vom Wohnlager auf den Baustellen im Ruhrgebiet einiges gewohnt, aber das hier war etwas ganz Besonderes.

Emden war zu der Zeit voller Schiffe, somit das Seemannsheim auch voll belegt. Ich als Landmensch musste erst mal die Umgangsformen in einer Seehafenstadt kennen lernen. Ich habe mich am Anfang ganz zurückgehalten, denn nur ungern wollte ich irgendwo anecken.

Schon kurze Zeit später konnte ich mit einem Seemann, der zur Heuerstelle in Emden wollte, mitlaufen und mich somit auch auf dieser ersten Anlaufstelle für Seeleute und solche, die es werden wollen, vorstellen. Man fragte mich sofort, als was ich denn fahren wolle, und ich erzählte, dass ich Fleischer sei und auch noch 2 ½ Jahre auf einer Baustelle gearbeitet hatte. Auf einer Warteliste wurde ich als Fleischergeselle eingetragen. Jetzt war der Weg frei zur Beantragung des Seefahrtsbuches und die Erlangung eines Gesundheitszeugnisses, was ich auch sofort erledigte. Damit stand meiner geplanten Seefahrt nichts mehr im Wege.

Die nächsten Tage waren geprägt von langem Warten. Jeden Tag ging ich mit dem Seefahrtskollegen, der mit mir gemeinsam auf der Heuerstelle war, zu dieser Seemännischen Vermittlungsstelle für Seeleute, oftmals ganz umsonst, dann ging es eben wieder zurück ins Seemannsheim. Hier kannte ich inzwischen einige der Seemänner. Das Essen war gut, es war alles ziemlich überfüllt, aber es herrschte eine sehr gute Kameradschaft. Und preiswert war es allemal, pro Woche musste ich 35,- DM für die Unterkunft bezahlen.

Ich nahm auch oft genug die Gelegenheit wahr, um mir die Seehafenstadt Emden näher anzusehen. Es waren hier und da noch immer die Spuren des Krieges zu sehen, Emden war schließlich im Krieg zu 80% zerstört worden, nicht beeinträchtigt waren die Werft, die große und kleine Seeschleuse sowie der gesamte Hafen, den die Engländer später selbst nutzen wollten und deshalb nicht bombardiert hatten.

Diese Wartezeit nutzte ich auch, meinen Eltern und meinem Bruder in Duisburg einen genauen Lagebericht zukommen zu lassen, schließlich mussten sie Bescheid wissen, mich umstimmen konnten sie sowieso nicht. Ich wäre gerne auch noch einmal nach Hause ins Erzgebirge gefahren, die politische Lage ließ dies aber leider nicht zu.

Inzwischen hatte ich auch hier so viel vom Hafen gesehen und auch Erzählungen von Seeleuten zugehört, dass es mir eigentlich ganz egal war, als was ich auf einem Schiff angemustert werden würde. Von Emden fuhren damals Schiffe in alle Winkel der Welt. Immer öfter trug auch Freddy Quinn mit seinen Seemannsliedern dazu bei, dass immer mehr junge Leute hinaus in die Welt wollten.

Im Nachhinein muss ich von mir selbst sagen, dass ich ganz schön selbständig war. Nach den ganzen eigenmächtigen Entscheidungen in der Vergangenheit war ich nun kurz vor meiner größten Herausforderung, die viele Jahre meines Lebens prägen sollten.


36 Jahre als Schiffskoch durch die Welt – Teil 1

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