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Hanna und die Schokobienen

Das Leben im Dorf schlich im immer gleichen Trott dahin.

Jeder kannte jeden, die Sonne ging täglich an der gleichen Stelle auf, und es war schon etwas Aufregendes, wenn mal der Bus ein paar Minuten Verspätung hatte.

Der Wind pfiff wie immer durch die undichten Fenster und Hanna kuschelte sich nochmal ins Bettchen, um den kleinen Rest Wärme zu retten, der sich in ihrer mit Gänsefedern gefüllten Zudecke versteckt hatte. Sie hatte sich schon lange bei ihren Eltern über das undichte Fenster beschwert, doch deren Ohren hatten offenbar besseres zu tun, als ihr zuzuhören. Selbstverständlich waren alle anderen Zimmer wohlig warm, so dass es keinen Grund gab, etwas zu unternehmen, da bekanntlich Kinder immer übertreiben.

Dabei war es ihrer Mutter ebenso ergangen, als sie noch im Haus ihrer Eltern wohnte. Sie war damals aus Protest mit ihrer Schwester unter die Treppe gezogen, ohne dass sich darunter eine Kammer befand. Jeder, der daran vorbeilief, sah sie dort liegen. Sie hatten ihr Bettzeug geschnappt und schliefen dort auf den Fliesen, bis sich ihr Vater erbarmte und den Umbau des Kinderzimmers in Angriff nahm.

Stolz hatte ihre Mutter immer wieder davon berichtet.

Aber heute war sie erwachsen und hatte Mühe, die Sprache der Kinder zu verstehen.

Hanna hatte keine Lust, es ihrer Mutter nachzumachen und ebenfalls unter die Treppe zu ziehen. Es wiederholte sich ohnehin schon alles im Dorf, so dass auch diese Wiederholung sie langweilen würde.

Missgelaunt schlenderte Hanna die Treppe hinunter. Ganz leise war der Ruf ihrer Mutter ans Ohr gedrungen, dass das Frühstück fertig sei. Ein magischer Ruf, der etwas Freude erhoffen ließ, falls es heute etwas Besonderes zum Naschen gäbe.

Vorsichtig lugte sie um die Ecke, um den Frühstückstisch zu mustern. Die Kinnlade fiel hinunter und mit diesem entstellten, langen Gesicht marschierte sie in die Küche ein. Wieder gab es gesundheitsbewusstes Essen. Hanna konnte den übertriebenen Ernährungstick ihrer Mutter nicht verstehen.

Obst, Körnerbrot oder ­brötchen, Müsliriegel, Bienenhonig und Milch, das waren die Sachen, die bei keinem Frühstück fehlten.

Langweilig. Immer nur das Gleiche. Hannas Anregung, mal Schokolade, ein paar Gummibärchen oder wenigstens etwas anderes in der Richtung auf den Tisch zu stellen, überhörten sie genauso, wie ihren Wunsch, das Fenster abzudichten.

„Was ziehst du für ein Gesicht“, beschwerte sich ihre Mutter. „Du könntest so hübsch sein, wenn du etwas lächeln würdest.“

„Ich ziehe kein Gesicht“, konterte Hanna. „In meinem Zimmer zieht es. Vielleicht hat es auch an meinem Gesicht gezogen. Dafür kann ich nichts.“ Und sie schob zusätzlich die Unterlippe vor, wobei sie den Honig anstarrte.

Hanna merkte sofort, dass ihre Mutter sie wieder nicht verstanden hatte, oder besser gesagt, es nicht wollte.

„Soll ich dir ein Honigbrötchen schmieren?“, hörte sie ihre Mutter, die den Blick auf den Honig zum Anlass nahm, vom Thema abzulenken.

„Ich mag diesen Honig nicht. Ich mag nur Schokohonig.“

„Leider gibt es keine Schokobienen, mein Schatz, sondern nur Honigbienen.“

„Es gibt sehr wohl Schokobienen. Es gibt ja auch Schokokühe.“

„Die Kühe sind ja auch gescheckt und geben darum Milch und keinen Honig. Hast du schon mal eine gescheckte Biene gesehen?“

Doch so leicht war Hanna nicht auszutricksen. Sie war immerhin schon sechs Jahre alt und würde nächstes Jahr zur Schule kommen.

„Es gibt aber Zebras, die sind auch gestreift und geben Milch.“

„Aber keinen Honig.“

„Aber die gescheckten Bienen könnten den Schokohonig geben.“

Jetzt verlor ihre Mutter doch langsam die Nerven, während ihr Vater nur amüsiert vor sich hin grinste.

„Wenn du mir eine gescheckte Biene zeigst, kriegst du auch deinen Schokohonig, aber solange isst Du den Honig von den gestreiften Bienen. Und jetzt ist Schluss mit der Diskussion!“

„Eine lebendige?“

„Ja, eine lebendige. Was soll ich dir schmieren?“

„Ein Honigbrötchen.“

Schlagartig besserte sich Hannas Laune. Das würde sicher nicht schwer sein, eine gefleckte Biene zu finden. Bloß weil ihre Mutter noch keine gescheckte Biene gesehen hat, bedeutete das lange nicht, dass es sie nicht gäbe. Ihre Eltern hatten nicht mal Zeit, sich um ihr undichtes Fenster zu kümmern, da würde ihnen eine fleckige Biene schon gar nicht auffallen und wenn sie gleich auf ihrer Nase säße. Außerdem gibt es zum Beispiel Kreuzottern, von denen sie ebenfalls nie eine gesehen haben.

Die Erwachsenen waren schon albern. An Kreuzottern glauben sie, doch an gescheckte Bienen nicht.

Aber nicht mehr lange. Hanna wird sie finden, die Bienen mit Flecken drauf und dann würde sie endlich ihren Schokohonig bekommen.

Den ganzen Tag lief Hanna im Dorf herum, schaute in jede Blüte, in jeden Strauch und untersuchte jede Ecke, wo ein leises Summen zu hören war. Es waren aber immer diese blöden, gestreiften Bienen. Langweilig. Hanna wäre aber nicht Hanna, wenn sie jetzt schon aufgeben würde. Vermutlich waren sie etwas scheu, oder sie ernähren sich von anderen Sachen. Na klar, schließlich sollen sie ja Schokolade produzieren und keinen ollen Honig, den jeder hat. Vielleicht sollte sie dort suchen, wo die braungescheckten Kühe leben. Die fressen bestimmt nicht das Gleiche, wie die schwarz-weiß-gescheckten. Sicherheitshalber rief sie weiterhin ein paar Mal nach den Schokobienen, aber sie wurde von ihnen sicher genauso wenig verstanden, wie von ihren Eltern.

Sie hatten vor einiger Zeit einen Ausflug gemacht, der sie etwas weiter weggeführt hatte. Die Richtung wusste sie noch. Dort gab es diese braunen Kühe, die angeblich Schokomilch herstellen.

Der Weg war weit, die Zeit knapp. Sie suchte sich ein altes Marmeladenglas heraus, stach mit Papas Schraubenzieher einige Löcher in den Deckel und stopfte es zusammen mit ein paar Bananen und einigen Brötchen in ihren Rucksack. Dann schwang sie sich auf ihr Fahrrad und radelte davon.

Zum Glück lebte sie nicht im Gebirge, dann wäre es bestimmt eine kurze Reise geworden, aber so ging es gut voran. Die Sonne strahlte, als würde sie Hanna für ihre tolle Idee belohnen wollen und der Wind kraulte ihr langes Haar, was fast schöner war, als das Streicheln von Mama und Papa. Vielleicht empfand sie es nur so, weil ein wahnsinnig spannendes Abenteuer auf sie wartete und sie ihrer Mutter beweisen kann, dass es Schokobienen gibt. Am meisten freute sie sich auf den Schokohonig, der bald jeden Tag, auf dem Frühstückstisch, den dummen alten, langweiligen, gelben Honig auslachen würde.

Hin und wieder rief sie nach den Schokobienen, in der Hoffnung, dass eine von ihnen ihre Sprache spräche und zufällig, wie sie, einen kleinen Ausflug macht. Doch sie war nicht traurig, als niemand antwortete, denn sie war noch weit von ihrem Ziel entfernt.

Hanna schoss an den alten, roten Backsteinhäusern vorbei und winkte den Omas, Opas und Kindern zu, die sich davor tummelten, und wurde noch fröhlicher, wenn ihr alle freundlich zurückwinkten. Und obwohl die es gar nicht wissen wollten, rief sie ihnen zu, dass sie auf dem Weg sei, die Schokobienen zu suchen, was die Menschen mit einem ausgelassenen Lachen belohnten.

Nachdem sie schon ein paar Stunden gefahren war, rief ihr ein altes Mütterchen zu:

„Warte Kleines, du brauchst nicht weiter zu suchen, ich habe eine Schokobiene. Wenn du willst, kannst du sie haben.“

„Ja?“, Hanna konnte ihr Glück nicht fassen. Sie bremste so kräftig, dass sie fast gestürzt wäre, und kehrte zum Haus der alten Frau zurück, die inzwischen hinter der Tür verschwunden war. Aufgeregt kramte sie ihr Marmeladenglas hervor und schraubte schon den Deckel ab, um ihren Schatz darin zu verstauen.

Doch die Enttäuschung war riesengroß, als die Frau mit einer kleinen Schokoladenbiene auftauchte, die in goldenes Papier eingewickelt war und schwarze Streifen auf dem Körper aufwies. Wenn sie wenigstens gefleckt gewesen wäre, hätte sie ihren Eltern zeigen können, dass auch andere Menschen gescheckte Bienen kennen - aber so war sie gar nichts Wert. Das Mütterchen verstand nicht, dass das Mädchen ohne ihre Nascherei weiterfuhr und vor sich her murmelte: „Die ist ja gestreift. Ich hasse gestreifte Bienen.“

Die gute Laune war dahin. Die Sonne wurde lästig, da sie wegen der Anstrengungen zu schwitzen begann. Der Wind hätte besser von hinten pusten sollen, um sie anzuschieben. Alle waren gegen sie. Aber jetzt erst recht. Hanna ahnte, warum die Erwachsenen keine Schokobienen kannten, weil sie nicht daran glauben wollen. Den lieben Gott hatte auch noch keiner gesehen und trotzdem erzählten Oma und Opa und manchmal auch Mama von ihm. Sie suchen sich einfach aus, was ihnen gefällt und da sie Schokohonig nicht gern essen, glauben sie nicht an Schokobienen. Genau so wird es sein. Sie ärgerte sich, dass sie einen kleinen Moment an der Schokobiene gezweifelt hatte.

Inzwischen wurde es schummrig. Sie hatte bisher keine einzige braune Kuh gesehen. Wie lange sie noch brauchen würde, konnte sie nicht einschätzen. Aber sie wollte auch niemanden fragen, da sicher keiner verstehen würde, was ein kleines Mädchen zu dieser Zeit allein in einer fremden Gegend zu suchen hatte. Sie steuerte ein Wäldchen an, das ihr Schutz vor der Kälte versprach. Die Dunkelheit kam schneller als gedacht und die Bäume über ihr nahmen ein weiteres Stück von dem spärlichen Mondlicht weg.

Trotzdem freute sie sich, dass der Mond bei ihr war. Dadurch konnte sie erkennen, wo sich ein Moosteppich gebildet hatte, so dass sie etwas weicher lag. Wie schön wäre es, jetzt eine Decke zu haben. Sie hatte damit gerechnet, die Schokobiene schneller zu finden, so dass ihr der Gedanke, eine Zudecke mitzunehmen, niemals gekommen wäre. Zum Glück hatte sie sich eine Jacke eingesteckt, mit der sie sich jetzt notdürftig zudeckte.

Es war eine eigenartige Stille im Wald. Aus der Ferne hörte sie ein paar Frösche, die sich bemühten, sie in den Schlaf zu singen und das sanfte Rascheln der Zweige tat sein Übriges. Sie hatte keine Angst und schlief mit dem Gedanken an die Schokobienen ein.

Die Vögel standen ziemlich früh auf. Ihr Trällern hallte im ganzen Wald wieder und Hanna stimmte mit ein, wobei sie versuchte, die Melodie ihres Lieblingssängers nachzuahmen. Sie hatte im ersten Moment ihr Zimmer mit dem zugigen Fenster herbeigesehnt, da ihr etwas kalt war, aber der Gesang der Vögel entschädigte sie für die unsanfte Nacht, die sie in allen Knochen spürte. Sie lief zum Waldrand, wo sie die wärmenden Sonnenstrahlen aufsaugte, und aß alle Bananen auf einmal auf, die sie im Rucksack fand.

Sie versuchte ein weiteres Mal, die Schokobienen zu rufen, lauschte eine Weile und wollte schon weitergehen, als sie hinter sich eine Stimme hörte.

„Was möchtest Du von mir? Warum schreist du denn den ganzen Tag herum?“

Hanna drehte sich um, doch es war nichts zu erkennen, was zu ihr gesprochen haben könnte.

„Hallo? Zeige dich, ich kann dich nicht sehen.“

„Bist du blind? Ich bin genau vor dir. Hast du etwa nicht gewusst, dass wir so klein sind?“

Hanna musste sich sehr konzentrieren, um die kleine Biene zu erkennen, die vor ihr in der Luft schwebte. Und wenn sie sich nicht täuschte, war sie gefleckt.

„Wer bist du?“

„Ich bin Biene Bumm, eine Schokobiene. Du hast mich doch gerufen.“

Langsam bewegte sich Hanna zu ihrem Rucksack und tastete nach dem Marmeladenglas, ohne Biene Bumm aus den Augen zu lassen.

„Lass das ja sein, sonst steche ich dich!“, warnte die Biene.

„Bist du nur gekommen, um mich einzusperren?“

„Nnnein, i i ich wollte nur ….. Meine Mutti sagt … Ach quatsch, na klar wollte ich dich fangen, denn du würdest doch kaum freiwillig mitkommen, oder?“

„Natürlich nicht. Warum sollte ich?“

„Meine Mutti glaubt nicht, dass es Euch Schokobienen gibt. Wenn ich es ihr aber beweise, bekomme ich morgens immer Schokohonig.“

„Das ist auch gut so, dass die Menschen uns nicht kennen. Sonst würden sie uns genau wie den dummen Honigbienen das Essen klauen und uns mit billigem Ersatzfutter abspeisen. Niemals werde ich mit dir mitkommen.“

„Aber es gibt doch schon Schokohonig.“

„Nein, nein. Das ist nur geschmacklose Schokocreme, die die Menschen selbst machen.“

„Komm doch mit“, bettelte Hanna. „Du musst ja nicht verraten, wo ihr wohnt. Du sollst dich ja nur zeigen und dann kannst du wieder nachhause fliegen.“

„Das ist mir viel zu gefährlich. Vielleicht frisst mich unterwegs ein Vogel oder die Menschen schlagen nach mir. Nein ich bleibe lieber hier.“

Hanna begann zu weinen. All ihre Träume von einem zauberhaften Frühstück mit Schokohonig zerplatzten. Es machte ihr nichts aus, dass es nur geschmacklose Schokocreme sein soll, sie schmeckt trotzdem traumhaft.

„Hör auf zu heulen, Kleine. Ich werde dir helfen. Wir können nämlich etwas zaubern, nur darum haben uns die Menschen noch nicht entdeckt. Ich werde dich jetzt kurz stechen und dann wirst du dich selbst in eine kleine Schokobiene verwandeln und kannst zu deiner Mutti fliegen. Zeige dich nur kurz. Es ist sehr gefährlich, lebensgefährlich für dich. Willst du es wagen?“

Hanna überlegte. Was soll ihr schon passieren? So eine Biene ist schnell, wendig und kann sich mit ihrem Stachel gut verteidigen. Aber halt.

„Müssen die Bienen nicht sterben, wenn sie gestochen haben und der Stachel im Opfer steckenbleibt?“

Biene Bumm beruhigte sie.

„Bei uns Schokobienen ist das anders. Du vergisst, dass wir besondere Bienen sind, die zaubern können.“

„Kann ich dann auch zaubern?“

„Nein, tut mir leid. Du bist, auch wenn du dann so aussiehst, keine Schokobiene.“

„Schade. Das wäre toll gewesen. Aber wenn das so gefährlich ist, als Biene nachhause zu fliegen, kannst du mir nicht wenigstens drei oder vier Zauberwünsche schenken, um mich zu verteidigen?“

„Na gut. Ausnahmsweise. Aber zwei Wünsche müssen reichen. Überlege dir gut, was du dir wünscht. Wenn du deinen Wunsch laut aussprichst, wird es geschehen.“ Darauf stach Biene Bumm Hanna in den Arm und augenblicklich sackte sie nach unten, da sie vergessen hatte, mit den Flügeln zu schlagen. Um so schöner war es, als sie wieder aufstieg und dann neben Biene Bumm schwebte.

„Übrigens woher wusstest du, dass die Schokobienen gescheckt sind?“

„Weiß doch jedes Kind“, prahlte Biene Hanna und flog davon.

War das ein tolles Gefühl, durch die Lüfte zu fliegen. In rasender Geschwindigkeit zog die Landschaft unter ihr dahin. Sie sah wesentlich gewaltiger aus, als vorher, was sicher an ihrer ungewohnt kleinen Größe lag.

Hanna flog zur Landstraße, da sie Angst hatte, sonst nicht nachhause zu finden. Hier fuhren riesige Fahrzeuge. Die erzeugten einen solchen Wind, dass Hanna aufpassen musste, nicht mitgerissen zu werden. Folglich hielt sie ein wenig Abstand zur Straße und freute sich bei jedem Flügelschlag, ihren Eltern etwas näher zu kommen.

Plötzlich entdeckte sie in der Ferne ein Fahrzeug, das ihr bekannt vorkam. Es war ein rotes Motorrad. Das Komische war, dass es ganz langsam fuhr. Schnell flog sie näher heran und tatsächlich, ihr Herz vollführte einen kleinen Freudenhüpfer. Auf dem Motorrad saßen Oma und Opa Humpi. Sie drehten ihre Köpfe in alle Richtungen, als ob sie etwas suchen. Was war mit ihnen los? Sonst fuhren sie immer recht flott durch die Gegend. Hanna hatte es geliebt, wenn ihr Opa die Maschine herausholte und eine kleine Spritztour mit ihr unternahm. Sie kam sich wie ein Kosmonaut vor, sobald sie sich den Motorradhelm überstülpte. Doch so langsam sind sie nie gefahren, nie.

Aber natürlich. Wie konnte Hanna das nur vergessen. Immerhin war sie die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen. Ihre Eltern und die Großeltern mussten sich große Sorgen um sie machen. Sie suchen Hanna.

Nichts leichter als das. Die Sorge konnte sie ihnen nehmen. Sie flog vor Opas Gesicht und rief ihm zu: „Hallo, Opi, hier bin ich. Ihr müsst keine Angst um mich haben.“

Es war gar nicht so einfach, rückwärts zu fliegen und gleichzeitig laut rumzubrüllen.

War Opa taub? Statt ihr zuzuhören, versuchte er ständig, sie mit der Hand wegzuschieben. Ist ja nichts Neues. Nie hörte ihr jemand zu. Vielleicht verstand er sie nicht, weil der Helm so dick ist. Also schrie sie noch lauter und flog noch dichter an Opis Gesicht heran. Doch der wurde nun ungeduldig und schlug mit der Hand nach ihr, so dass sie nur mit Müh‘ und Not ausweichen konnte. Dann geriet sie in den Sog des Motorrads, das auf einmal beschleunigte und letztendlich landete Hanna im Straßengraben zwischen den Gräsern.

Erschreckt und erschöpft lehnte sie sich an den Halm, an dem sie sich soeben gestoßen hatte. Traurig folgte sie mit den Augen dem Motorrad, das hinter dem nächsten Hügel verschwand.

Sollte sie ihm hinterherfliegen? Ihr fiel wieder ein, dass sie eine Biene war und die Menschen deren Sprache nicht verstehen können. Aber war sie nicht eine Zauberbiene?

Sie brauchte sich nur zu wünschen, dass sie wie ein Mensch sprechen kann, und schon wäre ihr Problem gelöst. Doch sie muss gut überlegen. Was ist, wenn Bienen nur so leise reden, dass die Leute sie trotzdem nicht hören. Dann wäre ein Wunsch vertan und sie hatte doch nur zwei. Außerdem hatte Biene Bumm sie gewarnt, dass der Flug nachhause lebensgefährlich sei. Wahrscheinlich würde sie ihren Zauber brauchen, um sich zu retten.

„Tut mir leid, Oma und Opa Humpi. Ihr müsst noch etwas warten. Ich werde Papa mit dem Auto hinterherschicken.“

Und sie flog zügig weiter, um die Sorgen der Großeltern ein wenig zu verkürzen. So schön das Fliegen anfangs auch war, es fiel ihr immer schwerer. Sie war es gewohnt, sich mit den Beinen vorwärts zu bewegen, doch hier hatten die Arme die Hauptarbeit zu leisten. Außerdem ist die Strecke verhältnismäßig viel länger geworden, da sie jetzt wesentlich kleiner war. Trotzdem kam sie schneller voran, als mit dem Fahrrad. Dafür musste sie größere Pausen einlegen, da die Flügel lahm wurden. Zusätzlich bekam sie Hunger und Durst.

Sie war froh, den ersten Bauernhof zu erreichen. Noch mehr freute sie sich, dass die Leute im Freien saßen und den Frühstückstisch gedeckt hatten. Essen im Überfluss. Sie brauchte sich nur hinsetzen und den Rüssel hineintauchen. Sogar der leckere Honig von den gestreiften Bienen stand auf dem Tisch.

Hanna stürzte sich mutig in die Leckereien, doch bevor sie landen konnte, schlug eine Hand nach ihr. Wieder gelang es ihr nur knapp, auszuweichen. Das Unglück wollte es, dass sie sich dabei dem nächsten Menschen näherte, der ebenfalls nach ihr schlug. Nachdem sie bei weiteren Landeversuchen wiederum attackiert wurde, ging sie zum Angriff über, da sie wusste, dass viele Leute vor Bienen Angst haben.

Doch Hanna wurde in ihrer Wut zu unvorsichtig, so dass sie einen kräftigen Hieb des kleinen Jungen abbekam und sie benebelt durch die Luft torkelte. Kaum kam sie etwas zu sich, sah sie auch schon den Bengel auf sich zustürzen, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, ihr den Garaus zu machen. Nur knapp entging sie seinem Fußtritt und flog in panischer Angst davon.

Zornig wünschte sie lauthals dem Jungen einen Bienenstich in die Nasenspitze, so dass die so stark anschwellen solle, dass er nichts mehr sehen könne. Sie lachte sich halb krumm, als sie sah, wie ihr Wunsch Wirklichkeit wurde. Gleich darauf wurde ihr mit Schrecken bewusst, dass sie einen Zauber unsinnig verschleudert hatte. Und trotzdem wollte ihre Schadenfreude nicht vergehen.

Ihr Hunger quälte sie immer noch und sie schaute sich auf dem Hühnerhof um. Musste sie tatsächlich mit dem schmutzigen Wasser vorliebnehmen und mit dem Brei, der dort für das Federvieh herumstand? Sie hatte keine Wahl.

Sie war nicht mal halbwegs satt, als sich ein riesiger Schatten näherte. Gerade noch rechtzeitig hatte sich Hanna umgedreht, als auch schon der harte Schnabel eines Huhns nach ihr hackte. Erneut entkam sie nur knapp und wunderte sich, wie viel Feinde so eine Biene hatte. Sie wünschte sich sehnlichst, wieder die kleine Hanna zu sein, die vor nichts Angst haben muss, weil Mama, Papa, Oma, Opa und viele andere auf sie aufpassen. Aber sie hütete sich, das laut auszusprechen. Das Ziel war noch nicht erreicht. Mutti muss unbedingt die Schokobienen kennenlernen, sonst wäre alles umsonst gewesen.

Sie fühlte sich soweit wieder okay, dass sie weiterflog, immer die Straße entlang. Da kein Lüftchen wehte und die Sonne nicht zu heiß brannte, kam sie flott voran. Das heimatliche Dorf war schon zu sehen, als sie erneut einen bedrohlichen Schatten über sich bemerkte. Ein Vogel hatte sie im Visier.

Hanna spürte sofort, dass er es auf sie abgesehen hatte. Ihr Herz raste vor Angst und sie beschleunigte ihren Flug. Doch der Vogel, sie hatte keine Zeit nachzusehen, was für einer es ist, setzte schon zum Sturzflug an. Bald war er auf einer Höhe mit ihr und Hanna versuchte Haken zu schlagen. Sie holte alles aus sich heraus und stellte fest, dass ihr Verfolger zumindest ebenso flink, wie sie war. Lange würde sie nicht mehr durchhalten. Und dann ließ sie sich einfach fallen und klammerte sich an die Unterseite einer großen Blüte. Durch die Blütenblätter beobachtete sie zitternd ihren Gegner, der sie anscheinend aus den Augen verloren hatte.

Er kreiste jedoch immer noch in der Nähe und hatte nicht aufgegeben. Sie sah, wie er zwischendurch ein paar andere Insekten verspeiste und hoffte, dass er bald satt sein würde. Sogar als er schon längst nicht mehr zu sehen war, wagte sie sich nicht hervor. Ihr war klar, dass er nicht der einzige Vogel in der Gegend ist und sie wusste, dass diese Wiese riesengroß war. Zum Glück gab es vom Boden her keine Gefahr, zumindest wüsste sie nicht, welches Tier, einer Biene zu nahe treten würde. Sie beschloss, sich den Rest des Weges zwischen den Gräsern und Blumen entlang zu schlängeln. Das schränkte zwar die Geschwindigkeit ihres Fluges beträchtlich ein, erhöhte jedoch ihre Sicherheit enorm.

Vollkommen entkräftet erreichte sie ihr Dorf.

Egal, was passiert, jetzt drehte sie nochmal voll auf. Hanna sehnte sich danach, endlich die Stimme ihrer Mutter zu hören. Es war ihr dabei gleichgültig, ob die schimpfen würde, weil sie so lange weggewesen war, ohne Bescheid zu sagen. Sie flog, als ob ein ganzer Schwarm Vögel hinter ihr her wäre und ganz bestimmt hatte sie einen neuen Weltrekord im Bienenschnellflug aufgestellt, als sie durch das offene Küchenfenster ihres Hauses flog.

Ihre Mutter saß am Küchentisch, hatte den Kopf auf die Arme gelegt und heulte, als hätte man ihr das liebste Spielzeug weggenommen. Hanna fiel auf, dass nichts in der Küche aufgeräumt war, was bisher nie vorkam.

Hanna wusste sofort, dass ihre Mutti wegen ihr weinte. Am liebsten hätte sie sich gleich zu erkennen gegeben, aber erst muss Mama sehen, was für eine prachtvoll gescheckte Biene sie ist.

Sie krabbelte über die Hände ihrer Mutter und bereitete sich darauf vor, dass sie sie wegstoßen würde. Es kam ihr erst mal nur darauf an, dass sie den Kopf hebt, um sie als Schokobiene betrachten zu können.

Aber ihre Mutter sah nur die Biene und bemerkte vermutlich nicht mal, dass sie gescheckt war. Wie wild schlug sie um sich und rief:

„Verschwinde du Biest. Du bist Schuld, dass meine Hanna weggelaufen ist.“

Hanna musste höllisch aufpassen, von ihrer Mutter nicht erschlagen zu werden. Sie floh unter den Tisch, wo sie außer Sichtweite war, und überlegte in Ruhe, was zu tun sei.

Einen Zauberwunsch hatte sie noch frei und danach könnte sie sich zurückverwandeln.

Es war sicher, dass ihre Mutter in ihrer Wut die gescheckten Flecken auf ihrem Körper niemals sehen würde und auch das Rufen wird keinen Erfolg haben.

Endlich hatte sie die rettende Idee. Sie wünschte sich, so groß wie ein Huhn zu sein, und flog wieder unter dem Tisch hervor. Dann baute sie sich vor ihrer Mutter auf und drehte sich wie ein Model in der Luft, dass die alles genau erkennen kann.

Ihre Mutter erstarrte. Kein Auge ließ sie von dieser eigenartigen Erscheinung. Als Hanna sich schon freuen und zurückverwandeln wollte, kippte ihre Mutter um und blieb reglos liegen. Hanna bekam einen gewaltigen Schreck und nahm sofort ihre richtige Gestalt an.

Sie schüttelte ihre Mutter und rief ihren Namen, doch nichts geschah. Wie könnte sie helfen? Sie hatte einmal im Film gesehen, was man in solchen Fällen macht. Also holte sie eine große Kaffeetasse, füllte sie mit kaltem Wasser und goss sie ihrer Mutter ins Gesicht. Die schoss schlagartig in die Höhe und schnappte, wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft. Dann erblickte sie ihre Tochter, starrte sie genau so an, wie vorher die Biene und kippte wieder um.

Da ihre Mutter erfreulicherweise am Leben war, verflog die Angst.

„Mami“, zeterte Hanna „nun stell dich nicht so an. Du bist doch sonst nie umgekippt, wenn du mich gesehen hast.“ Langsam kam sie wieder hoch, schaute aber immer noch ungläubig auf Hanna.

„Was fällt dir ein, mir Wasser ins Gesicht zu schütten.“ „Der Kaffee war alle und die Milch war zu weit weg. Ich musste Wasser nehmen.“

Sie kauerte sich neben ihre Mutter und rutschte dann auf ihren Schoß und nahm sie in die Arme, während sie triumphierend fragte: „Und? Hast du die Schokobiene gesehen?“

Sie setzte Hanna ab, sprang auf und rief: „Nein! Hab‘ ich nicht! Erzähl mir lieber, wo du gewesen bist.“

„Na bei den Schokobienen. Du hast doch vorhin eine gesehen, oder?“

„Ich weiß nicht, was ich gesehen hab. Ich bin etwas mit den Nerven fertig. Aber eine Schokobiene war es sicher nicht!“

Hanna sah ihrer Mutter jedoch an, dass sie darüber nachdachte. In diesem Moment kamen Opa und Oma Humpi zurück. Sie sahen Hanna zunächst nicht und berichteten betrübt: „Tut mir leid, Yvonne, wir haben deine Tochter nicht gefunden.“

Doch da sprang ihnen Hanna auch schon in die Arme und sie drückten sich ausgiebig.

„Stimmt’s, Opa? Dich hat doch unterwegs eine Biene geärgert, als ihr mit dem Motorrad gefahren seid? Das war ich!“

„Das Kind ist etwas überdreht“, entschuldigte sich ihre Mutter für Hanna.

„Wir werden sie erst mal ins Bett bringen. Und Euch wäre ich dankbar, wenn ihr meinen Mann holt. Ihr wisst ja, wo er Hanna suchen wollte.“

Opa Humpi war verwundert. Er erinnerte sich an die Biene, die ihn geärgert hatte, genau.

„Und wenn ihr mein Fahrrad noch holen könntet, wäre das prima.“

Sie beschrieb, wo es zu finden sei, und abermals wunderten sich alle, dass es so weit entfernt liegen soll.

„Wie bist du denn hergekommen, Hanna“, fragte Opa.

„Na geflogen. Ich hab dir doch gesagt, dass wir uns getroffen haben. Biene Bumm hat mich in eine Schokobiene verwandelt und nachdem Mutti mich gesehen hat, habe ich mich zurückverwandelt.“

„Du hast sie als Biene gesehen, Yvonne?“

„Quatsch,“ widersprach sie „denkst du, ich bin verrückt?“

Und nachdem Opa Humpi den mitleidigen Blick von Oma Humpi, den unsicheren Blick von Hannas Mutter und den stolzen Blick von Hanna betrachtete, wusste er, dass seine Enkeltochter eine Schokobiene war. Er zwinkerte Hanna zu und machte sich auf, ihren Vater zu suchen.

Hannas Mutter jedoch nahm sie auf den Arm, trug sie ins Bett und sie kuschelten eine Weile.

Von der Schokobiene sprachen sie nicht mehr, weil Hanna nicht wollte, dass sich ihre Mutti für verrückt hält.

Doch am nächsten Morgen, als der Wind wieder durchs Fenster pfiff, war der Tag gar nicht mehr so langweilig wie sonst immer. Hanna freute sich schon auf den Honig von den gestreiften Bienen. Sie hörte, wie ihre Mutter zum Frühstück rief und hüpfte mit einem strahlenden Gesicht in die Küche. Und auf dem Tisch stand, neben dem gelben Honig, ein Glas Schokohonig. Sie sah sofort, dass jemand das Wort „Schokohonig“ nachträglich draufgemalt hatte. Weder ihr Vater, noch ihre Mutter verloren ein Wort über den vergangenen Tag. Es war wie immer, bis auf den Schokohonig.

Ein aufregendes Dorf, in dem sie lebte. Es war ständig was los, mit dem man nicht gerechnet hätte.

Natürlich behielt Hanna für sich, dass der Schokohonig gar kein Schokohonig war, sondern nur Schokocreme. Die Erwachsenen hätten das nie verstanden.

Ganz für Familie

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