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Auf dem Weg zu einer Doppelvorlesung ruft Doffy aus einer Telefonzelle im unteren Teil von Frogner auf Ekely an. Sie hat die Nummer im Telefonbuch für Vestre Aker nachgeschlagen und auf einem Zettel notiert. Es dauert eine Weile, ehe sich jemand meldet und der Apparat ihre Münze verschlingt.

»Der Herr Kunstmaler fühlt sich nicht wohl«, erfährt sie von der mürrischen älteren Frau am anderen Ende der Leitung.

»Könnten Sie ihm wohl etwas ausrichten?«

»Worum handelt es sich?«

»Es handelt sich um die Frage, ob Herr M. ein Modell braucht.«

»Ein Modell?«

»Ja.«

»Das bezweifele ich nun wirklich. Und Sie heißen?«

Dorothy nennt ihren Namen. Die andere fragt, verwirrt:

»Wie bitte?«

Doffy nennt ihren Namen ein weiteres Mal, lässt aber den mittleren Teil ihres Namens weg und buchstabiert den Nachnamen. Am anderen Ende der Leitung herrscht erst einmal Stille.

»Ja, jetzt ist es notiert. Dem Herrn Kunstmaler geht es nicht gut, rufen Sie lieber in einigen Wochen noch einmal an. Mehr kann ich nicht für Sie tun.«

Das war doch wenigstens keine glatte Absage?

Nein, so kann das nicht verstanden werden. Und ihren Namen hat die Haushälterin immerhin notiert. Als ob das etwas bedeuten könnte. Aber ein ganz klein wenig bedeuten kann es wohl doch?

Doffy holt tief Luft, dann faltet sie den Zettel mit der Telefonnummer zusammen und versteckt ihn in einem Fach in ihrem Portemonnaie.

Ein kühler Nordwind weht. Der Asphalt ist trocken und schneefrei, auch wenn es an schattigen Stellen in der Stadt noch immer Schneeflecken gibt. In Ost- und Südeuropa war es der kälteste Winter seit hundert Jahren, hat sie gehört.

Im zerrissenen Europa sind nicht nur Österreich und Polen der deutschen Herrschaft unterworfen worden, sondern auch Dänemark, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Jugoslawien und Griechenland – und dazu das Baltikum, die Ukraine und Weißrussland.

Wird dieser Albtraum denn jemals ein Ende haben?

Auf dem Atlantik gibt es weiterhin von den Vereinigten Staaten nach Liverpool und Murmansk das, was die Zeitungen die »Todesfahrt« nennen. Immer wieder werden Schiffe aus den schwer bewachten Konvois von deutschen U-Booten torpediert oder von Flugzeugen in Brand geschossen.

In Asien folgt eine Niederlage auf die andere. Singapur ist gefallen, Burma, Malakka, Niederländisch Ostindien, Borneo, die Philippinen, der Bismarck-Archipel und halb Neu-Guinea – ja, sogar Teile des mächtigen China mussten vor der japanischen Kriegsmaschinerie in die Knie sinken.

»The Winter of our Discontent!«

Das ist Shakespeare. Aber aus welchem Stück kann das sein?

Doffy und Kari haben sich eine riesige Weltkarte an die Wand gehängt und markieren mit immer neuen Stecknadeln die Veränderungen auf den Kriegsschauplätzen in Osteuropa, Nordafrika und Asien.

Ihre Informationen nehmen sie aus der von den Deutschen kontrollierten norwegischen Presse – aber auch von den auf Matrizendruckern hergestellten illegalen Zeitungen, die Kåre aus dem Nachbarhaus ihnen zusteckt, mit der Bitte, sie an andere, denen man vertrauen kann, weiterzureichen.

Es ist zwischen ihnen schon zu einem Ritual geworden – etwas, das sich in regelmäßigen Abständen wiederholt. Es scheint zu einem Teil der schweigenden, aber konzentrierten Feindseligkeit geworden zu sein, die jetzt auch hier in Oslo den übermächtigen Besatzern entgegenschlägt; kein wichtiger Teil, vielleicht, aber doch ein winziges Rädchen in der Maschinerie, zu der der Widerstand sich jetzt offenbar langsam entwickelt.

Es geht langsam. Unendlich träge.

Aber es herrscht doch kein vollständiger Stillstand. Hier und dort benutzt jemand seine Phantasie, um den Menschen Mut zu geben. Einige ausdrucksstarke Gedichte sind zum Beispiel auf dünnem Papier in kleinem Format gedruckt worden – mit dem Titel »Zusatzkost für Heim und Schule«. Einer der Autoren ist Nordahl Grieg, den Doffy und Kari mit neunzehn erlebt haben, als Grieg bei seinem Vortrag vor der norwegischen Studentengemeinde über seine Erfahrungen als Reporter im Spanischen Bürgerkrieg einen fast hypnotisierenden Eindruck auf sie gemacht hat.

Im Heft gibt es auch einige anonyme Gedichte. Vor allem eins davon kann Doffy nicht vergessen. Morgens, wenn sie das Bedürfnis nach Aufmunterung verspürt, flüstert sie es manchmal lautlos vor sich hin:

Verbrannt sind unsre Höfe,

getötet unsre Leut.

Sie waren’s. Lasst die Herzen

es hämmern allezeit …

»Aust-Vågøy«, heißt es, und die rhythmischen Zeilen sind so explosiv, dass es doch von Arnulf Øverland stammen muss – aber angeblich wurde das Gedicht geschrieben, nachdem Øverland nach Deutschland in ein Konzentrationslager gebracht worden war. Und dann muss doch ein neuer Dichter aufgetaucht sein, der mit der Zunge des geknebelten Skalden spricht?

Oder?

Nach der Vorlesung sitzt Doffy zu Hause und liest, vor dem kühlen Luftzug geschützt durch Wollunterwäsche, Pullover, Skistrümpfe und dicke Socken. In der Mittagspause nippt sie am Ersatzkaffee, während sie in den alten Zeitungen der Vermieterin blättert, in denen ausführlich über das neue Lebensmittelprodukt Fiskaroni berichtet wird – eine Art Makkaroni auf Fischmehlbasis, die jetzt in den Läden zu haben ist.

Jetzt am Ende des Winters kann die Versorgungslage angespannt wirken, aber unmöglich ist sie nicht, wird erklärt. Wenn es in den Regalen auch an vielen Dingen fehlt, so gibt es doch immer andere Möglichkeiten für die, die ihren Erfindungsgeist spielen lassen. Auch mit einer Fischwurst auf Basis von gemahlenem Heringshai werden große Erwartungen verknüpft.

Kaum eine Kartoffel ist aufzutreiben, weder in Oslo noch in Aker. Man braucht also Bekannte auf dem Lande oder ein Hackfruchtlager im Keller, das nicht dem Frost zum Opfer gefallen ist – oder noch besser, einen Kleingarten, mit dem man auch durch den nächsten Winter kommt.

Alles, was es an Gärten und Freiflächen gibt, ist in diesem Frühling als Kartoffel- und Rübenacker hergerichtet worden, denn nichts lässt annehmen, dass der Weltkrieg seinem Ende entgegengeht, oder dass die Hunderttausende von deutschen Soldaten, die hier am nordischen Ende der Festung Europa stationiert sind, in Bezug auf ihre Ernährung weniger gierig sein werden als bisher.

Ein Zeitungsartikel kann mitteilen, dass die Setzfurchen für Kartoffeln etwa zehn Zentimeter tief sein sollen, und man am besten einen guten halben Meter zwischen den Furchen und jeweils dreißig Zentimeter zwischen den einzelnen Saatkartoffeln freilässt – zudem kann es sich lohnen, einige davon zunächst bei Licht keimen zu lassen, ehe sie in die Erde kommen.

Auch in dem kleinen Garten der Lille Frogner allé 8 werden in diesem Frühling Vorjahrskartoffeln gesetzt, die bei Licht gekeimt haben, und Kohlrüben gepflanzt. Doffy und Kari helfen ihrer Vermieterin bei allen praktischen Arbeiten, und dafür wird ihnen ein Teil der Ernte versprochen, die möglicherweise im Herbst in diesem Gartenstück auftauchen wird.

Öffentliche Tanzveranstaltungen sind verboten in dieser »Schicksalszeit Europas«, steht in den Zeitungen – aber Ende April werden die beiden Freundinnen zu einem privaten Tanzvergnügen eingeladen.

Das Aufziehgrammophon in der Ecke sorgt für die Musik. Einige der schwarzen 78er-Schallplatten sind absolut legal, andere müssen fast als illegal gelten – die Art von Musik, die nie mehr im Radio gespielt wird. Zu diesen verbotenen gehören etliche aus den USA, weiße und schwarze Swingmusik, Louis Armstrong, Benny Goodman und Glenn Miller.

Dabei ist auch eine vierschrötige schwarze Sängerin mit einer so dunklen, rauen Stimme, dass man nicht meinen sollte, sie wäre besonders schön anzuhören. Aber so ist es eben doch – gerade weil es nicht schön ist, sondern etwas anderes, und Gefährlicheres:

Come on and hear

Come on and hear

Alexander’s Ragtime Band

Come on and hear

Come on and hear

Alexander’s Ragtime Band.

Der Text ergibt keinen tieferen Sinn, aber er wird mit einem Gefühl für Rhythmus und einer Begeisterung vorgetragten, die alle mitreißt, ob sie das nun wollen oder nicht.

Dädä dädä!

Dädä dädä!

Dädä dä dät dä dädät dä!

Dorothy tanzt so eifrig, dass ihr schon der Schweiß ausbricht.

Das ist ihr peinlich, und sie geht ins Badezimmer, um sich frischzumachen. Sie schaut in ihre ernsten dunkelblauen Augen unter dem hellen Pony und wischt sich ein wenig Schweiß von Hals, Nacken und Gesicht, ehe sie sich mit der Bürste durch die Haare fährt und neue Schminke aufträgt.

Dann, abends, haben sie und Kari männliche Begleitung durch die verdunkelte Stadt. Es gibt so wenig Licht, dass sie das Gefühl haben, sich durch einen Sack aus Nacht und Nebel zu bewegen. Die Behörden haben Angst vor Bombern von jenseits der Nordsee – deshalb drohen denen, die es mit der Verdunklung nicht ganz so genau nehmen, nicht nur Geldstrafen, sondern auch Gefängnis. Der Vollmond kommt ihnen an diesem Abend auch nicht zu Hilfe, es gibt nur eine hauchdünne Sichel, die zwischen den Wolken ein seltenes Mal zu sehen ist. Außerdem fahren nach acht Uhr abends keine Straßenbahnen mehr. Das ist nur eine der von den Behörden durchgeführten neuen Maßnahmen zum Stromsparen.

»Ich glaube, ich bin vielleicht ein bisschen verliebt«, sagt Kari am nächsten Abend in ihrer kleinen Wohnung, hinter verschlossener Tür und herabgelassenen Verdunklungsrollos, zu einem Glas Johannisbeersaft. Doffy lächelt.

»Ich wohl eher nicht«, sagt sie nachdenklich – während sie einen ehrlichen Versuch unternimmt, festzustellen, welche Gefühle sich da tief in ihrem Herzen wohl verbergen.

»Ja, ich weiß nicht, was es ist, aber etwas ist es jedenfalls.«

»Es eilt ja nicht, Kari.«

»Was eilt nicht?«

»Die Verliebtheit und das alles.«

»Du hast gut reden, wo du gestern so umschwärmt warst.«

»Tanzen ist das eine, sich verlieben ist etwas ganz anderes. Wie oft warst du schon verliebt, Kari?«

»Meinst du, in Jungs?«

»Ja, was denn sonst? Vielleicht bin ich in Wirklichkeit total kalt.«

»Nein, jetzt hör aber auf. Du und kalt, Doffy!«

»Manchmal kommt es mir so vor.«

»Wann denn?«

»Gestern zum Beispiel, als er versucht hat, mich zu umarmen.«

»Hat er das versucht?«

»Ja, das hast du ja wohl gemerkt.«

»Habt ihr euch geküsst?«

»Nicht richtig.«

»Zeig mir das mal. Jetzt bist du er und ich bin du.«

Sie sehen einander an. Das ist ein Spiel, zu dem sie sich manchmal verlocken lassen. Nicht sehr oft. Es ist ein Spiel, dessen sie sich schämen, auf das sie sich aber dennoch einlassen, wenn sie in der richtigen Stimmung sind. Er ist ja nichts Ernstes. Sie tun es nur, weil sie einander so gern haben – und weil es nicht so gefährlich wirkt wie dann, wenn sie es mit jungen Männern machen.

Doffys Augen werden dunkel.

Kari schluckt. Auch sie, Doffy, schluckt. Keine von beiden bewegt sich. Und während sie einen Moment lang so stehen bleiben, in der Position erstarrt – ehe die beste Freundin sich losreißt, schnell und entschieden –, überkommt Doffy das alte, vertraute Gefühl, dass es im Grunde Kari ist, die sie am liebsten hat.

Die jungen Männer, die sich ab und zu mit Annäherungen versuchen – wie zuletzt dieser Medizinstudent, der so gut tanzen und plaudern konnte, sich aber später in der Dunkelheit in einen zudringlichen Idioten verwandelte –, verdienen sie nicht auf dieselbe Weise, wie es ihrer Ansicht nach Kari tut.

Ist sie also vielleicht so eine? Nein, auch das nicht. Sie hat solche gesehen, die so sind, und sie will durchaus nicht so enden.

Aber Kari hat trotzdem etwas, das die jungen Männer nicht haben. Sie verstehen die kleinen Zeichen der anderen, Kari und Doffy. Sie sind keine Fremden füreinander. Sie ahnen und erraten. Deshalb sagt Doffy – nachdem sie noch einmal am Johannisbeersaft genippt haben:

»Jetzt bin ich an der Reihe.«

»Womit denn?«

»Damit, gezeichnet zu werden.«

»Du meinst als Viertelakt?«

»Viertel oder Halb, jetzt bin ich damit an der Reihe, für dich zu stehen.«

Die Luft zwischen ihnen wirkt jetzt elektrisch geladen.

Doffy fängt an, sich die Bluse aufzuknöpfen, ist ein wenig ungeschickt – im Spiegel ist die eine Brust zu sehen, sie zögert. Kari schaut auf, kommt zu ihr, hilft ihr vorsichtig, den Oberkörper zu entblößen.

Doffy ist jetzt verlegen. Sie schlägt die Arme übereinander. Sie fühlt sich preisgegeben, deshalb kommt sie sich auf diese Weise beschützter vor. Kari sieht sie an.

»Kann ich dich so zeichnen?«, fragt sie aufmerksam.

Dorothy nickt. Sie steht ganz gerade da, die Arme halb verschränkt. In einem Moment, als Kari auf ihre Zeichnung blickt, zieht Doffy ihre Hände ein wenig zurück, ihre Handflächen füllen sich mit den nackten, lebenden Brüsten, und sie spürt, wie sich die kleinen dunkelroten Brustwarzen gegen ihre Finger pressen.

Das ist ein gutes Gefühl. So kann sie lange stehen bleiben und sich zeichnen lassen. In ihr murmelt eine Stimme: »Kari sieht dich gern an, oder etwa nicht?«

Ein heißer Stoß fährt durch ihren Körper, wenn diese Stimme spricht. Sie kennt sie schon. Es ist eine heimliche Stimme, aber sie weiß auch, dass in dem Geflüster durchaus etwas Wahres liegen kann.

In der nächsten Woche ist alles vergessen.

Da radeln sie beide zu ihren frühen Doppelvorlesungen oder ihren Teilzeitstellen – Kari zur Vertretung im Kindergarten, Doffy zu ihrer Schreibmaschine in dem düsteren Büro in der Quadratur. Danach geht es sofort in den Lesesaal. Manchmal hat sie das Gefühl, ihr Kopf werde gekocht, von den vielen Paragraphen, Urteilsbegründungen und Präzedenzfällen, die sie sich merken muss.

Das Schlimmste ist das mitunter auftauchende Gefühl, dass sie hinter den anderen jetzt ernsthaft zurückfällt. Und dabei war sie doch daran gewöhnt, immer ganz vorn zu sein, auf dem Gymnasium, bei den Aufnahmeprüfungen und zu Beginn des Studiums – aber im Laufe des letzten Jahres wird sie von immer Neuen aus ihrem Semester eingeholt und überholt. Falls sie das bisher noch nicht bemerkt haben sollte, so ist es in der kleinen Kolloquiumsgruppe, die sie mit drei Kommilitoninnen bildet, nicht mehr zu übersehen.

Ist sie nebenbei zu beschäftigt? Liegt es daran? Aber sie stammt aus keiner reichen Familie. Sie muss neben ihrem Studium arbeiten, um Essen, Miete und die kleinen Dinge zu bezahlen, die das Studentinnenleben lebenswert machen.

Ihr besonderer Feind, der sarkastische Professor K., hat sogar versucht, ihr eine Falle zu stellen, um sie durch das letzte Zwischenexamen rasseln zu lassen. Ach, inzwischen hasst sie diesen Mann ja so sehr!

Schon in ihrem ersten Studienjahr hat er sie manchmal angestarrt. Es kam auch vor, dass ihre Blicke sich begegneten. Das hat ihr geschmeichelt. Ja, das muss sie immerhin zugeben. Aber ernst konnte sie es doch nicht nehmen. Trotz allem ist er ein Familienvater, mehr als doppelt so alt wie sie, mit halbwüchsigen Kindern. Für Doffy war dieser kleine Flirt nur ein unschuldiges Vergnügen – sonst nichts. Und sie hat sehr lange geglaubt, dass er das auch so sah.

Aber als sie dann zum Studiengespräch in seinem Büro war, kam es zu einer Situation, in der sie ihn zurückweisen musste, rein physisch. Die Sache entwickelte sich fast zu einem Handgemenge – und dennoch dauerte es eine Weile, bis er begriff, dass sie es ernst meinte.

Als sie es nach dieser zutiefst beängstigenden Episode für nötig hielt, ihren Studienbetreuer zu wechseln, wirkte es so, als fühle Professor K. sich in seinem männlichen Stolz gekränkt und entwickele nun einen Hass auf sie. Jedenfalls ist deutlich, dass er jede Gelegenheit sucht, um sie zu demütigen – und deshalb kann sie für ihn nur eine Mischung aus Mitleid und Verachtung empfinden.

»Herr Professor Kaiserpinguin«, so nennt sie ihn jetzt insgeheim, nachdem sie Kari ihr Herz ausgeschüttet hat.

Unten im Universitätsgebäude auf Karl Johan gibt es nur so wenige Professoren, dass die Studierenden der unterschiedlichen Fakultäten sich gegenseitig mit Leichtigkeit ihre Lehrer zeigen und sie möglicherweise insgeheim nachäffen und über sie lästern können. Wer weiß noch, wer diesen Spitznamen, Kaiserpinguin, zuerst ersonnen hat, Doffy oder Kari?

Aber Macht und Autorität, davon hat der Mann mehr als genug. Und es gibt Beispiele dafür, dass er nicht zögert, Studierenden, die er aus irgendeinem Grund unverdaulich findet, das Leben sauer zu machen.

Doch auch ohne diesen Professor K. mit seinem Rachefeldzug, es lässt sich nicht leugnen, dass sie, Dorothy, nicht mehr zur Elite unter den ehrgeizigen jungen Frauen ihres Jahrgangs gehört. Sie schwebt in der Gefahr, eine mittelmäßige Juristin zu werden, vielleicht sogar eine Versagerin mit unbrauchbaren Noten. Das ist eine Möglichkeit, mit der sie bisher nur selten rechnen musste. Sie bringt es nicht über sich, mit Kari darüber zu reden. Und auch nicht mit anderen. Sie isst eine Brotkruste mit Ziegenkäse, macht sich bereit für die Nacht und geht sofort schlafen.

In der Morgendämmerung träumt sie, sie stehe in ihrem alten Seidenunterrock auf einem Podest, während der alte Maler hinter seiner Staffelei sie eindringlich mustert – und ihr zugleich verzwickte juristische Fragen über einen Versicherungsfall stellt, in den er verwickelt ist, und gereizt darauf wartet, dass sie die restlichen Kleider ablegt, damit er sich an die Arbeit machen kann.

Es ist ein widerlicher Traum. Er wird auch nicht weniger widerlich, als es Doffy unter der Dusche aufgeht, dass der Maler in ihrem Traum eine auffällige Ähnlichkeit nicht mit dem Meister auf Ekely hatte, sondern mit dem beleidigten Professor K.

»Warum bist du so traurig?«, fragt Kari, als sie zum Frühstück Haferbrei essen.

»Wie meinst du das?«

»Ich kann doch sehen, dass es dir nicht gut geht.«

»Das kannst du überhaupt nicht.«

»Doch, das kann ich, Doffy.«

Dorothy springt auf, erledigt den Abwasch und schließt sich auf der Toilette ein.

Erst, als sie von dort wieder zum Vorschein kommt und sieht, dass Kari durchaus noch nicht gegangen ist, rückt sie damit heraus, was geschehen ist – holterdipolter strömt es aus ihr heraus, in einer Lawine aus bedrohlichen Vorzeichen.

Eine Liebe in den Tagen des Lichts - Roman um Edvard Munch

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