Читать книгу Glut im Herz - Esther Grünig-Schöni - Страница 4
2. Buchvernissage
ОглавлениеDer Flyer brachte es auf den Punkt. Das Plakat weckte Neugierde. Eine gute Arbeit der Grafiker. Sie lancierten mit einem Großprojekt einen neuen Autor. Sie setzten alle Medien ein. Er versprach sich eine Menge von ihm.
Chris erhoffte sich viel Publicity und Aufsehen durch ihn. Dieser Autor war eine schillernde Persönlichkeit und sein Schaffen speziell. So etwas kam meist gut an. Chris hatte ihn entdeckt. Mit der Aufmerksamkeit in Medien und Gesprächen würde der Verkauf richtig anlaufen und den anderen Werken und vor allem dem Verlag viel bringen. Einige schrien vielleicht Skandal, obwohl genau dieses Projekt kaum skandalöser war, als einige anderer ihrer Bücher, Fotobände und Kalender. Aber man schrie schnell und andere amüsierten sich darüber. Es schadete nicht, im Gegenteil, es förderte den Verkauf. Er nutzte beides zum Vorteil des Verlages. Ein guter Schachzug. Er musste sich dafür selbst auf die Schultern klopfen. Sein Vater hatte ihm gute Tipps gegeben. In diesem Fall war er für einmal mit ihm einig.
Weigert Senior hatte ein goldenes Händchen. Aber es gab Verlagsprodukte, für die sein Vater stand, die er selbst zu gewagt oder noch mehr, als pervers ansah. Schilderungen von sexuellen Straftaten, in Romanen, in Berichten, in Bildern. Es war zum Teil Glorifizierung von Gewalt als Ausdruck von Lust. Nicht etwa einfach SM, oder wenn doch, die krassesten Formen davon. Solche, bei denen Grenzen überschritten wurden und die sogar zum Tod führen konnten. Darstellungen von Quälereien, zum Teil ausgehend von alten Gemälden, von historischen Ereignissen. Künstlerische Darstellungen von grausamen Orgien. Das war das eine ja. Dinge, die hart an Grenzen gingen. Das andere waren Bildbände, die auf den ersten Blick harmlos schön daher kamen. Die auf den zweiten Blick Fragen aufwarfen und auf den dritten Blick – je nach Neigung – unruhiges Flattern der Libido oder Unbehagen auslösten. Die Grenzen waren fließend. Für die einen vorhanden, für andere gar nicht. Eines der älteren Bildbände, der Anfang dieser Serie, war sehr schön. Es war Fotokunst der genialen Art. Er zeigte Mütter mit Kindern. Es waren großartig belichtete, erotisch und weich wirkende Bilder. Er sah sich den Band ab und zu an. Die Nachfolgebände widmeten sich den Kindern allein, in verschiedenen Umgebungen. Die Themen unterschiedlich abgehandelt. Es war keineswegs Porno, denn schließlich war das verboten und hätte ihnen große Probleme einbringen können. Aber es waren größtenteils Aktbilder. Keine Schnappschüsse. Es waren künstlerisch arrangierte Bilder. Für ihn waren einige davon, in den Nachfolgebänden, knapp an der Grenze. Nicht verboten, aber dennoch sehr gewagt. Auch wenn sie die Schönheit des Menschen zeigten, vom kleinsten bis zum Erwachsenen.
Nun gut, allzu viele Gedanken machte sich Chris darüber nicht. Er hatte Erfolg. Nur ab und zu stieß ihm das eine oder andere, über das er stolperte, schräg auf. Seiner Ansicht nach hatte sich sein Vater damit des Öfteren zu weit aus dem Fenster gelehnt und war knapp an der Illegalität vorbei geschrammt. Der Fenstersturz war nicht weit entfernt. Ab und zu bereitete ihm dieser Teil Kopfzerbrechen. Der Vater hatte ihn ausgelacht. Darum ließ er es vorerst dabei bewenden. Das Unbehagen trat wirklich nur ab und zu sporadisch auf und verschwand wieder, so wie ein unangenehmer Geruch aus einer Latrine, der die Nase kurz beleidigte und an den man sich mit der Zeit gewöhnte. Das war nicht sein Stil, obwohl gerade damit das große Geld geflossen war oder noch immer floss. Sein Stil war feiner.
Sie verlegten in drei Hauptrichtungen. Wirtschaft – Fach- und Sachliteratur. Die gemischte Sparte: Romane, Bildbände, Kalender und zum Teil sogar Tonträger, die dazu gehörten. Hier waren die Übergänge zum dritten Bereich fließend: Erotik und Porno in Schrift und Bild. Nein, es ging nicht darum. Gegen Porno war an sich nichts zu sagen. Aber wie gesagt, der Übergang vom Guten zum Fragwürdigen war sehr fließend.
Seine Leute hatten die Buchvorstellung gut hingekriegt. Er besah sich die Arrangements, die Anordnung der Gläser, die Formen und Farben der Dekorationen, die exquisiten Häppchen, die künstlerisch passend zum Buch aufgetischt waren. Nichts war dem Zufall überlassen. Das Buch selbst war eine Mischung aus erotischer Kunst und darauf abgestimmten Texten, belebt durch eine dazu produzierte CD und einer besonderen Anleitung zum Gebrauch, um den ganzen Genuss erleben zu können. Er hatte es ausprobiert. Es knisterte und funkte, wenn man alles beachtete. Texte und Bilder stammten vom vorgestellten Autor. Es war ein spektakulärer Bildband mit Texten, etwas Spezielles in der Aufmachung, in der Form und in den Farben. Der Autor hatte es super hingekriegt. Es erzeugte eine außergewöhnliche Stimmung. Dieser Stimmung entsprechend war die CD, die zum Anlass unterstreichend und dezent abgespielt wurde. Die Räume waren dem angepasst. Alles stimmte.
Zufrieden nahm er an seiner Erscheinung noch einige kleine Veränderungen vor, steckte eine Blume ins Knopfloch, band sich die Krawatte, klaubte ein paar Haare vom Ärmel. Perfekt. Ein Gesamtkunstwerk. Sein Vater hatte sein Kommen zugesichert. Kunst mochte er, da musste mehr heraus zu holen sein. Diese Richtung lag ihm, schöne Dinge mochte er. Er umgab sich gerne damit. Davon zeugte selbst sein Büro, das nicht nur zweckmäßig war, sondern einen eigenen Stil aufwies. Er zupfte noch einmal dies und das an die richtige Stelle oder in die richtige Position wie ein Schauspieler oder Musiker vor seinem Auftritt. Als er von nebenan das Stimmengemurmel anschwellen hörte, stellte er sich auf das Kommende ein und öffnete die Tür. Er schritt in den Raum, begrüßte hier und dort jemanden, sah wie sich die Räume füllten, wie hierhin und dorthin geschlendert wurde. Er registrierte die üblichen wohl gestylten Gäste, die begehrlich zum Buffet schielten, untereinander Smalltalk betrieben, lästerten oder andere begutachteten. Weigert mit Gattin stand zwischen ihnen. Chris nickte ihm zu und erhielt ein Nicken zurück. Er begrüßte eine seiner Lieblingsautorinnen, Rebecca. Er mochte ihr helles Lachen. Aber sie war keine Autorin seines Verlages. Er hatte sie nicht dazu bewegen können, bei ihnen etwas heraus zu geben, obwohl ihr das bestimmt weiter geholfen hätte. Sie war ein angenehmer Mensch und schrieb gut. Weigert dachte anders über sie – wenig schmeichelhaft. Natürlich hatte Chris versucht, bei ihr als Mann zu landen, aber es hatte nicht geklappt. Es konnte gut sein, dass es auch Weigert versucht hatte. Der konnte so etwas schlecht weg stecken. Chris allerdings war einer, der es leicht akzeptieren konnte. Sie verstanden sich weiterhin gut. Keine Probleme dadurch. Wer nicht wollte, hatte schon. Es gab genügend andere. Er hatte es nicht nötig zu betteln oder sich groß zu bemühen. Nicht nötig und keine Lust dazu.
Er musste seine einführenden Worte sprechen und den Autor vorstellen, damit endlich die Köstlichkeiten ihrer Bestimmung dienen konnten. Also nahm er das Mikrofon zur Hand, das ihm von einer Assistentin gereicht wurde, setzte zu seinem Willkommen, zu seiner Rede an, zur Vorstellung der Neuerscheinung und des Autors. Alle Augen richteten sich auf ihn, die Musik wurde leiser und... es war nichts aus dem Lautsprecher zu hören. Na toll! Einbruch in seiner Inszenierung. Ärgerlich.
Chris blickte in die Runde und fordernd in Richtung Technik, zeigte dem Publikum eine bedauernde Geste, bat um Geduld. Er hasste solche Pannen in gut inszenierten Anlässen. Genau da sah er ihn in der Nähe des Eingangs stehen und auf seine spöttische Art grinsen. Flo! Herausforderung pur.
Er stand lässig dort, in dunklen Jeans und einem schwarzen Pullover, sah ihn an, hob kurz eine Augenbraue wie er es schon an ihm gesehen hatte und wartete der Dinge. Warum ihn das nervös machte, verstand er nicht. Flo war ein Gast wie jeder andere. Er hatte ihn vergessen gehabt, trotz ihrer ersten amüsanten Begegnung. Er hatte keinerlei Mühe, vor Menschen zu sprechen. Pannen ärgerten ihn zwar, aber mehr nicht. War Flo Provokation? So ein Unsinn. Er stand dort und wartete wie die anderen. Mehr nicht. Verrückt. Chris straffte sich, als das Problem behoben war, und konnte seine Rede starten. Diese unübliche Verunsicherung machte ihn ärgerlich und prompt verhaspelte er sich. Er hörte Flo's Lachen überdeutlich, sah seine Augen schadenfreudig glitzern oder glaubte, dass sie es deswegen taten und hatte große Lust, ihm die Zunge heraus zu strecken. Das war eine seltsame Anwandlung. Zugegeben. Nicht sehr erwachsen. Weil er jedoch erwachsen war, unterließ er es selbstverständlich. Der Rest der Rede verlief wie es sein musste, gewohnt souverän. Ja. So war das richtig. Er schaltete das Mikrofon ab und war zufrieden.
Nach dem Applaus und Schulter klopfen und sonstigen Äußerungen der normalen Art, nach dem Loslassen der anscheinend hungrigen Meute auf das Buffet und auf den Autoren, kämpfte sich Chris durch die Leute. Zu einem späteren Zeitpunkt las der Autor in einem weiteren Programm-Highlight aus seinen Texten. Er nickte hier und da, sagte jenem und diesem ein paar Worte und drang zu Flo vor, der noch immer lässig am gleichen Fleck stand und ihm herausfordernd entgegen sah. "Hallo Flo! Schön, dass du gekommen bist." Der Mann hob erneut eine Augenbraue an, sein Gesicht drückte Spott aus und außer einem dazu passenden Blick kam nichts von ihm. "Gefällt es dir?"
"Das weiß ich noch nicht. Ich sehe es mir an und werde dir danach antworten. Dekor ist gut." "Dekor ist gut?" "Ja. Reicht das nicht als Antwort?" "Nein. Ich vermute, da wird noch mehr kommen. Ich bin gespannt." "Ja, ja bestimmt bist du das. Schön, mich zu sehen? Solche Floskeln kannst du dir bei mir sparen. Ich steh nicht auf Gesülze." „Was soll ich deiner Meinung nach zu dir sagen?“
„Etwas Gescheiteres.“ „Hatten wir das nicht schon geklärt?“ „Was?“ Chris ließ es stehen. "Schlechte Laune?" "Nein. Nicht die Spur. Meine Art. Ich bin immer so." "Worauf stehst du denn? Auf Provokationen? Konfrontationen?"
„Hör auf mit den Analysen.“ „Hör du auf mir vorzuschreiben, was ich soll oder nicht. Du weichst übrigens aus.“ „Nicht die Bohne. Ich hasse solches Gerede um nichts und alles.“ „Ich meinte es ehrlich.“ "Ok. Wenn es sein muss, stell ich mich allem. Empfindest du Ehrlichkeit als Provokation?" "Ist es Ehrlichkeit oder Grobheit?" "Nenn es wie du es willst. Ich nenne es Ehrlichkeit. Aber du – nun weichst du meiner Frage aus. Mit Absicht?" "Ich schätze Ehrlichkeit."
"Wir werden sehen, ob es so ist oder ob du nur geistreich rüber kommen willst." Flo musterte ihn unverhohlen weiter mit seinen großen Augen, die alles zu durchschauen oder zu durchleuchten schienen. "Deine Rede war okay. Du kannst das gut. Und sonst? Ich werde sehen, ob es stimmt, was du sagst. Dann nämlich, wenn dir meine Antworten nicht gefallen. Warten wir ab, wie es sich entwickelt und ob du nur tust als ob." „Gut. Damit kann ich leben.“ „Und wenn es schmerzhaft wird?“ Chris schüttelte den Kopf. „Ich werde es ertragen. Und ich muss es vor allem nicht als für mich maßgebend ansehen, was du mir zu sagen hast.“ „Das stimmt.“
Chris nahm die Blicke der anwesenden Damen zur Kenntnis und wusste, dass sie nicht ihm sondern Flo galten. Und er musste schmunzeln, als sich eine davon wie eine Katze auf Mäusefang anschlich. Ihr Lächeln war sehr süß. Eigentlich zu süß. Er dachte sich: "An dieser Maus, liebe Katze, könntest du ziemlich zu würgen bekommen. Es besteht die Möglichkeit, dass die Maus die Katze frisst." Es war unglaublich, wie charmant sie sein konnte und wie lauernd sie gerade so wirkte. Sie kam näher und säuselte wie ein zartes Rosenblatt in der Sommerbrise: "Chris! Chris, willst du mich nicht vorstellen? Wer ist dieser aufregende attraktive Mann? Ich habe ihn noch nie auf einer Veranstaltung gesehen." Er seufzte hörbar. Sie setzte den aller schönsten Augenaufschlag ein und brachte einen leichten Schmollmund ins Feld. Peinlich und so offensichtlich. Er ärgerte sich über sie und war auf die Reaktion gespannt. Flo hob seine Augenbraue an. Er stellte vor: "Flo, das ist Michaela, meine Ex. Das ist Flo."
"So betonen musst du das mit der Ex nun auch wieder nicht", kam es etwas schärfer, um gleich wieder lieblich zu flöten: "Wir sind immer noch Freunde." "Einseitig", brummte Chris vor sich hin und wurde mit einem Seitenblick in den Boden gestampft. Sie widmete sich dem Unbekannten. "Flo? Wie reizend! Woher stammt der Name?"
Flo musterte sie taxierend, um nicht zu sagen frech, denn er verbarg nichts dabei. "Von Florent. Eine Abkürzung." "Oh wie süß! Das gefällt mir. Sind Sie Franzose?“ „Das spielt keine Rolle.“ „Ich finde die Franzosen so unglaublich sexy, so..."
Hätte das "so charmant" werden sollen? Tja, das passte nicht zu diesem Mann. "Ich halte heute keine Frage-Antwortstunde ab. Und Autogramm gebe ich prinzipiell keines." Er ging davon, mischte sich unter die Leute, sah sich alles an und ließ alle, die Annäherungsversuche starteten, links liegen – vorerst. Was für ein Abgang. Chris grinste.
"Das ist... das gibt es doch nicht! So ein... Was für ein Rüpel!" „Nanu? Ich dachte, er ist...“ „Halt den Mund Chris!“ "Was pflaumst du mich an! Dort drüben ist die richtige Adresse dafür. Ach egal! Nur weil er kein Interesse an dir hat?" Chris lachte offen. Die Anspannung war von ihm abgefallen. Wie das letzte Mal amüsierte er sich. Sie ging nicht darauf ein.
"Autogramm? Hm... warum das? Aber gut sieht er aus. Was für eine Figur. So ein knackiger kleiner Hintern, hmmm. Oh ja! Sieh ihn dir an.“ „Nee. Ich steh nicht drauf.“ „Und die Augen. Hast du schon einmal solche Augen gesehen und in seinem eher dunklen Gesicht? Groß und so hell mit diesem dunklen Iris-Ring? Ich nicht. Und... der wäre etwas zum Vernaschen."
"Hörst du bald auf! Du gerätst ja in Verzückung. Aber ich stimme dir zu. Er hat was. Das sehe selbst ich. Aber eindeutig mehr als einen schönen Hintern. Typisch Michaela."
"Was dachtest du denn? Deiner ist auch nicht hässlich Chris." Nun lachte sie schelmisch. Es gab wohl Dinge, die er an ihr auch heute noch mochte. Dieses Lächeln gehörte dazu, ihre erfrischende Frechheit eigentlich auch. Aber leider überwogen die anderen Seiten. Vielleicht war er ungerecht, aber wozu Zeit mit Nachdenken darüber verschwenden. Vorbei war vorbei. Ab und zu erwischte er sie bei einem rätselhaften Blick, wenn sie ihn heimlich ansah, den er kaum deuten konnte. Denn Liebe war es bestimmt nicht, konnte es nicht sein. Auch wenn es so aussah. Sie liebte sein Geld. Und er? Ja, was hatte er an ihr denn gemocht? Einiges. Warum hatte es nicht geklappt zwischen ihnen? Sie lenkte ihn von seinen ungewohnt aufgekommenen Gedanken ab.
"Ist er Autor?" "Das weiß ich nicht. Keiner von uns. Ich kenne ihn noch kaum. Frag ihn selbst." "Er will nicht antworten. Schätze ich. Nach dem Auftritt eben?" "Das ist dein Problem. Du willst es genauer wissen, nicht ich. Bezirz ihn weiter. Vielleicht hilft es." Er zuckte die Schultern und sie ärgerte sich. Ihre Stimme war nicht mehr säuselnd. "Ach, du weißt nie etwas!" „Stimmt. Und außerdem soll ich den Mund halten. Da musst du schon selbst ran, um etwas zu erfahren.“ Sie wandte sich ab und stolzierte lohnenden Begegnungen zu. Er sah ihr nach. Auch kein schlechter Hintern. Wieder grinste er.
Flo fühlte sich nicht wohl. Er passte nicht her oder die Leute nicht zu ihm. Er fragte sich, warum er gekommen war. Das war eine dumme Idee gewesen. Diese Anmache von allen Seiten. Er verschloss sich dadurch immer mehr. So etwas konnte er nicht haben. Da kam schon wieder eine auf ihn zu gewackelt und lächelte ihn an. "Hallo! Gut gemacht das Ganze hier nicht?"
"Ja, vermutlich." Er brummte nur, wollte nicht reden, aber sie blieb hartnäckig. Das waren sie alle. Er war keine Beute, verflixt noch mal. Sie hatte dunkle lange Haare und grüne Augen, war eine angenehme Erscheinung, aber er wollte sich mit keiner näher einlassen. Die Frauen hier waren alle von der gleichen Sorte. Sein Blick blieb entsprechend düster. "Sie wirken nicht zufrieden. Ich bin Rebecca oder auch Becki." "Was kümmert Sie, wie ich wirke? Ob zufrieden oder nicht, das ist meine Sache." "Ja, natürlich, aber …"
„Da gibt es kein aber.“ „Na dann.“ Er seufzte genervt. "Flo, kommt von Florent. Ich sage es gleich, dann können Sie sich die Frage wegen meinem Namen sparen und weiter gehen. Ich bin weder charmant noch an irgendwelchen Spielchen interessiert."
„Das mit dem nicht charmant müssen Sie nicht betonen. Das ist klar.“ „Gut.“ „Aber Spielchen könnten gerade das von Ihnen sein.“ „Ich bin...“ "... ein Flegel?" "Und?"
"Willst du dich damit interessant machen Flo?" Sie sah ihn an und ihre Augen blitzten. Sie war ohne Umstände zum du übergegangen und musterte ihn. Schöne Augen hatte sie wirklich, besonders jetzt, als sie zu funkeln begannen. Sollte er sie noch mehr funkeln lassen? Er hatte kein wirkliches Interesse daran. Das lohnte nicht. Er betrachtete sie trotzdem absichtlich unverschämt. Schlank, nicht zu groß, passend gekleidet, nicht aufgetakelt, schöne leicht gebräunte Haut, kleine offensichtlich feste Brüste. Ja, eigentlich wirklich nicht übel. Und doch, ihm war nicht nach Kontakt. Nicht mit diesen Weibchen hier. Auf diese reichen Püppchen konnte er verzichten. Dass dies möglicherweise Vorurteil war und nicht sehr sympathisch fiel ihm in seiner eher schlechten Stimmung nicht auf. "Nein. Kein Interesse. Ich pfeife darauf. Das brauch ich nicht. Ich will nicht diskutieren. Klar?"
"Klar. Aber provozieren willst du?" "Lass es. Jeder kommt mit dem Mist an. Fällt dir nichts Besseres ein?" „Wozu sollte ich mir Mühe geben, originell zu sein?“ „Dass ich nicht vor Langeweile krepiere.“ „Es ist nicht meine Aufgabe, dich zu unterhalten.“ „Das wäre ja noch schöner!“ "Wozu bist du hier? Hat dich jemand gezwungen?"
"Nein. Ich schau es mir an. Dazu brauch ich meinen Mund nicht. Nur die Augen. Heute sagen mir Konversationen dieser Art und Smalltalk nichts. Zwingen lass ich mich nicht." "Zu anderen Dingen?" "Verflixt noch mal. Blöde Fragerei. Ich will meine Ruhe, merkst du das nicht? Verkrümle dich sonst wohin, es hat andere Kerls hier, mit denen du ins Bett hüpfen kannst heute Abend, wenn dich etwas juckt. Ich bin nicht der Richtige." "Aber einer, der das verdient."
Bevor er es sich versah, hatte er sich eine kräftige Ohrfeige eingefangen und staunte hinter ihr her, als sie sich abwandte und mit jemandem anderes ein Gespräch begann. Da war er wohl falsch gelegen. Die meisten waren eindeutig darauf aus. Hatte er ihr Unrecht getan? Und wenn. Er rieb sich sein Gesicht. Der hatte gesessen. Als er ihr später auf seinem Rundgang wieder begegnete, nachdem er sie die ganze Zeit etwas beobachtet hatte, entschuldigte er sich für seinen Ausrutscher. Sie nahm es mit ärgerlichen Augen entgegen, wandte ihm den Rücken zu und bediente sich am Buffet. Er zuckte die Schultern und betrachtete derweilen ihre Rückseite. Auch die war nicht übel.
Chris war nach Michaelas Abgang in die üblichen Gespräche verwickelt worden. Es lief ab wie es musste: oberflächlich oder geschäftlich. Er versuchte, sich darauf zu konzentrieren. Das war schließlich einer seiner Aufgaben als Gastgeber. Der Vater fand anerkennende Worte. Und doch. Heute war es anders. Er ertappte sich immer wieder dabei, wie er sich selbst beobachtete, so als trete er aus sich heraus und betätige sich als neutraler Zuschauer. Was war los? Es war nicht seine Art. Er war kein grüblerischer Mensch. Er versuchte diesen seltsamen Zustand abzuschütteln und den Anlass zu genießen, sah die Gäste, sah den Vater, der dort stand mit einem Glas in der Hand und mit einem seltsam nachdenklichen Gesicht Flo beobachtete. Nun ja, Flo war anders, aber besonders auffällig nicht. Oder irrte er sich? Immerhin war Vater keine Frau und so viel er wusste, hatte er auch keine anderen Neigungen. Aber es konnte durchaus Dinge geben, die er nicht über ihn wusste oder die er verdrängte. Verflixt noch einmal, was war heute mit ihm los?
Ab und zu sah auch er, was Flo tat. Er bekam die Episode mit Rebecca mit und freute sich ein bisschen über ihre Reaktion. Er sah ihn lesend, sich unterhaltend, etwas betrachtend, die Bilder, die Bücher, die aufgelegten Prospekte und Kataloge, wie alle anderen. Auf einmal bekam er mit, wie er den Katalog, in dem er aufmerksam geblättert hatte, heftig auf den Tisch zurück legte und hinausging. Hatte ihn etwas geärgert? Später war er wieder da. Ruhig und beherrscht bewegte er sich in den Leuten. Er wollte diese verschiedenen Seiten, die er an dem Mann sah, entdecken, ihn erforschen. Es war spannend. Flo war nicht wie die meisten. All die anderen kannte er mehr oder weniger. Viele waren nach ähnlichem Muster gestrickt. Oder waren das nur Fassaden? Ach, egal. Das war schlimm heute mit ihm. Flo interessierte ihn und nicht die anderen. Ob Fassaden oder nicht, war ihm egal. Sollte jeder es handhaben wie er wollte.
"So sehr in Gedanken? Dich kann man von hier weg tragen und du merkst nichts. Ich steh schon eine ganze Weile neben dir." Er zuckte zusammen. Flo sah ihn an. Chris kam aus seinen Gedanken zurück. "Ja. Und das ist selten. Ich bin sonst nicht so abwesend. Mir geht einiges durch den Kopf."
"Das mit dem selten wird zutreffen. Es kann nicht schaden, besonders in deinem Fall, dass du nachdenkst. Ich frage mich, ob dieses Selten dir die Fähigkeit dazu nicht schon gemopst hat.“ „Hey! Warum?“
„Kannst du es noch? Kannst du noch nachdenken? Oder willst du es überhaupt? Tust du das jemals?" Was waren das für Fragen? "Sag mal, warst du auch so zu Becki? Kein Wunder, dass sie dir eine geschmiert hat. Sie hat Temperament und lässt sich nichts gefallen." "Du nicht? Kein Temperament? Und du lässt dir alles gefallen? Gut zu wissen. Das werde ich testen und ausnützen." "Nein. So mein ich das nicht." "Du lenkst übrigens ab."
Dazu wollte er sich nicht äußern. Chris versuchte zu erforschen, wie es gemeint war, bevor er falsche Schlüsse zog. Aber sein Gegenüber ließ ihm keine Chance, war verschlossen, also musste er nachfragen. "Wovon lenk ich ab? Erklär mir erst, warum du das sagst. Wie ist es gemeint? Vielleicht kann ich dir danach antworten."
"Darüber, schätze ich, reden wir besser ein andermal unter vier Augen. Vorausgesetzt es interessiert dich tatsächlich und du wagst es, dich dem auszusetzen." Das waren vielleicht Eröffnungen. Schon ging es damit weiter: "Nur so viel, damit du die Richtung kennst und wenn du es als nötig ansiehst, aufrüsten kannst, um mich in den Boden zu rammen. Das hier, die ganze Inszenierung, sowie der Verlag, mag niveaureich, weltmännisch und toll oder was auch immer du ausdrücken möchtest, daherkommen, aber darunter oder dahinter verbirgt sich Dreck. Haufenweise. Stinkender Scheiß. Nein, ich rede nicht von diesem Band, der heute vorgestellt wird. Der ist okay und hat schöne Aspekte. Aber wenn ich im Katalog blättere, frage ich mich, ob du weißt, was du tust, was du anrichtest. Natürlich ja, zusammen mit so vielen anderen. Es scheint heute zum guten Ton zu gehören. Je verruchter etwas ist, desto mehr In ist es. Ich höre sie schon, die Argumente, die von dir kommen."
„Was!“ „Tu nicht so. Nicht so empört und schon gar nicht ahnungslos.“ Ahnung war vorhanden. Herunterputzen lassen musste er sich deswegen noch lange nicht. „Wer ist nun eingebildet?“ „Ich nicht.“ "Bist du ein Moralist?" "Nein." "Was dann, wenn du so daher kommst?"
Flo musterte ihn eindringlich. "Mir scheint, du weißt genau, worum es geht. Sag nur, dass du bei gewissen Dingen deine Zweifel hast? Und du gehst denen nicht nach? Änderst nichts? Aha. Aber wie gesagt. Reden wir ein andermal. Mach dich auf unangenehme Wahrheiten gefasst. Ich könnte fies sein, will es aber nicht. Heute nicht. Manchmal schon. Ich will dir den Anlass nicht verderben. Das wäre falsch."
Flo suchte einen Zettel und einen Stift, kritzelte etwas darauf und hielt es ihm hin. "Meine Telefonnummer. Nur für dich, nicht für alle Welt. Untersteh dich, sie weiter zu geben. Wenn doch, gibt es große Probleme. Wenn du Kontakt aufnehmen willst, tu es. Wenn nicht, lass es. Kann sein, dass du die Hosen voll hast und es lässt. Deine Sache und für mich kein Unglück. Dann war es das eben. Ich frage mich, ob du den Mut dazu hast."
Chris ärgerte sich. "Ich meinerseits frage mich, wann du von deinem hohen Ross herunter steigst, von dem du so erhaben auf mich herab siehst? Ich würde es mir überlegen, sonst landest du auf einmal unsanft. Du bildest dir eine Menge auf dein Urteil ein."
Ja. Es glitzerte erstaunt und erfreut in Flo's Augen. Wieder wurde Chris gemustert und ein freundliches Schmunzeln erschien diesmal in seinem Gesicht. "Ach? Sieh an. Doch ganz schön Pfeffer im Hintern! Sehr gut." Er nickte ihm zu, sah noch zu Rebecca hin, die nicht weit entfernt stand und ging. Chris steckte den Zettel ein.
"Ein verflixt arroganter Kerl ist das." Er sah Rebecca an. "Ich weiß nicht. Nicht eigentlich. Er hat was. Er ist gnadenlos direkt. Spannend. Er macht mich neugierig." "Ich finde, er geht nicht gut mit dir um Chris. Warum lässt du dir das gefallen? Du weißt dich sonst besser zu wehren.“ „Das hat sich nicht geändert. Schonfrist. Er ist außergewöhnlich.“
„Ach was!... Er nimmt sich zu viel heraus. Der braucht einen Tritt in seinen Hintern. Er ist mir auch ganz schön frech vorbei gekommen. Meine Quittung dafür hat er. Wer ist er?"
"Genau weiß ich das nicht. Wir sind uns erst einmal begegnet und auch das war... ach lass nur, ich kann damit umgehen. So schnell haut mich nichts um. Und dass du ihm Kontra gegeben hast, habe ich gesehen. Das war gut."
Sie lächelte. Er widmete sich wieder seinen gastgeberischen Aufgaben. Forderte ihn dieser Kerl ständig heraus? Warum fühlte er sich so und meinte, sich verteidigen zu müssen? Berührte Flo wunde Stellen in ihm? Er wusste nicht, ob er solche überhaupt hatte. Nein, die gab es nicht.