Читать книгу Glut im Herz - Esther Grünig-Schöni - Страница 6
4. Anregung
ОглавлениеSie saßen in einem Gartenlokal, hatten sich etwas zu trinken bestellt. Chris hatte Flo angerufen und mit ihm dieses Treffen vereinbart.
"Du wolltest mit mir reden, mir etwas zum Programm des Verlages sagen." kam Chris schnell zum Punkt. Es gab kein Drumherum reden, keine Floskeln diesmal. Das fand Flo gut.
"Ja."
"Und? Nur zu, ich bin gespannt."
"Es gibt Bereiche in deinem Verlag, Titel, Bände, Bücher, Bilder, die gefallen mir gut, zum Teil sogar sehr gut. Das sage ich, der ich weder Künstler, Autor oder besonders gescheit bin."
"Was bist du denn?"
" Darüber wollte ich aber jetzt nicht sprechen. Das wirst du vielleicht mit der Zeit herausfinden.“
„Bist du dir da sicher?“
„Wenn wir Kontakt behalten ja. Sonst nicht.“
„Ok, ich akzeptiere das.“
„Zum Thema. Es gibt Aspekte in eurem Katalog, die sind zum Kotzen. Ich frage mich, warum du solchen Dreck anfasst, schlimmer, warum du ihn verbreitest. Gibst du mir auf diese Frage eine Antwort?"
"Worum genau geht es? Ich weiß in welche Richtung du steuerst, aber was siehst du so krass?"
"Gegenfragen? Das ist dir im Ernst nicht bewusst? Worum es genau geht? Bist du selbst schon so sehr davon versaut, dass du es nicht mehr merkst?"
"Flo, mach halblang. Sex gehört zum Leben. Erzähl du mir nicht, dass du es anders siehst. Du wirkst auf mich weder bereits vertrocknet noch wie ein Mönch."
"Stimmt. Ich bin nicht prüde und schon gar nicht Mönch, bin ein normaler Kerl mit Bedürfnissen und ich kann dem Sex gute Seiten abgewinnen, aber nicht in dem Sinne, wie ich es im Katalog gefunden habe. Was entdecke ich, wenn ich tiefer grabe als ich es getan habe? Sex gehört zum Leben. Darin gebe ich dir Recht. Es ist eine schöne Sache. -- Oder kann es sein. --- Was du vertreibst, hat mit dieser schönen Sache nichts zu tun. Schau es dir genauer an. Nimm dir die Zeit, denk nach! Da sind Titel dabei, die sind krank. Missbrauch in jeder Form ist inakzeptabel und darum geht es. Erniedrigung, Macht, Gewalt. Das finde ich darin. Nicht nur Sex, nicht Erotik. Was also daran soll schön sein? Ich rede nicht von kleinen harten Spielchen. Ich sagte, ich bin nicht empfindlich. Aber das? Weißt du, was daraus entsteht? Welche scheußliche Welle? Hast du dir den Mist wirklich einmal richtig angesehen? Oder praktizierst du das am Ende? Oder verschließt du nicht vielmehr die Augen, weil das Geld damit reichlich fließt?"
"Das ist hart. Siehst du das nicht doch zu eng?"
"Eng? Animation zu den unmöglichsten Praktiken und sogar zu Missbrauch. Ich sehe es vor mir, wie sich die lieben zahlenden Kunden daran aufgeilen, bis sie nicht mehr können und zum Abreagieren ein lebendes Objekt suchen gehen. Ein Objekt zum Gebrauch. Kinder."
"Kinder? Meinst Du die Bildbände mit den Kindern?"
"Ich habe es nicht genauer angesehen, es nur durchstreift. Ja, aber ich meine diese."
"Die sind doch harmlos."
"Bist du dir da sicher? Daran geilen sich bestimmt einige auf. Ich sehe es nicht als harmlos an. Alles für die Geilheit und alles für den Abbau von aufgestauten Gefühlen. Siehst du es nicht?"
"Mensch Flo, ich ... du bist doch der reinste Moralapostel."
"Mehr hast du dazu nicht zu sagen?"
"Ich sehe es nicht wie du. Ich finde nicht, dass es schadet. Es ist doch die normalste Sache der Welt. Wir leben nicht mehr im Mittelalter."
"Nein, tun wir nicht. Aber es geht nicht weniger grausam zu als damals. All das Hochgestochene täuscht gewaltig."
"Ich dachte jetzt eher der Moral wegen. Doch ein Moralapostel?"
Flo stand auf "Nein, das bin ich nicht. Es gibt Bücher und Bilder in deinem Verlag, die gehen zu weit. Sehe ich auf den ersten Blick. Knapp legal und deswegen in deinen Augen okay. Du siehst es nicht. Für dich ist es normal und ich ein Moralapostel. Heute ist alles normal, wie? Das wird von Geschäftsleuten wie dir so propagiert. Es wird laufend verharmlost, verniedlicht oder als Freiheit deklamiert. Alles, weil man damit Geld machen kann. Alles, weil man Lust ausleben will, wie es beliebt."
"Was ist an Lust falsch?"
"Nichts. Du verstehst nicht.“
„Hast du noch nie Pornos geschaut oder dir solche Hefte rein gezogen? Und erzähl mir bloß keinen Scheiss.“
„Chris, darum geht es nicht.“
„Worum anderes?“
„Um eindeutig Grenzwertiges. Mir scheint, weitere Worte sind verschwendet. Die Auswirkung davon ist wie eine unaufhaltsame Flutwelle. Ist sie einmal ausgelöst, bringt sie Zerstörung. Und gerade die Auslöser stehen dann da und reiben sich verwundert die Augen. Das war doch nur ein gutes Geschäft. Geld regiert, ist mir klar. Dass so etwas dabei herausschaut, konnten sie nicht ahnen oder nahmen es in Kauf, wenn sie vielleicht doch einmal Ahnung hatten. Was kann man also tun, jetzt, wo alles zerstört ist? Und es kommen weitere Sätze: Früher war dies und das los, früher, war es schlimmer, war versteckter. Offenheit ist besser. Heute ist dadurch so vieles besser? Argumente über Argumente, die nur dazu dienen zu beruhigen. Ich höre sie von allen Ecken und Enden her. Berechtigt das wirklich zur Förderung von all dem Mist?"
"Hör mal, das kannst du unmöglich so eng sehen. Pornographie ist Unterhaltung, es ist sogar Aufklärung. Es hat mit Emanzipation zu tun."
"Ach? Nun das auch noch?"
"Stimmt doch."
"Erklär mir das."
Florent seufzte auf. Chris ritt echt darauf herum. Er war noch kein Schritt weiter. Es ging nicht um Pornographie im Allgemeinen. Das wäre zu einfach. Es ging nicht darum. Aber bitte, er wollte sehen, was nun kam.
"Ja, es ist doch so. Sexuelle Freiheit ist doch nicht falsch. Sieh dir doch einmal an, wie alles war in der Verklemmtheit früher, wie sehr manche gerade darunter gelitten haben. Denkst du, da gab es das noch nicht? Heute ist alles freier. Das ist die Moderne. Wir leben nicht mehr in dunklen Zeitaltern, in dem man Frauen, die freier dachten, die anders waren als der Durchschnitt, die sich erlaubten, ihre Meinung zu haben, Spaß zu haben, als Hexen verbrannte und man Männer hinrichtete, wenn sie nicht der Norm entsprachen oder aufmuckten. Freiheit ist doch wichtig. Das ist ein Teil davon. Die Kirche verliert ihre Macht, die sich oft als sehr problematisch erwies. Was stört dich daran?"
"Dass die Kirche ihre Macht verliert? Nichts. Darum geht es aber nicht. Was du alles anführst …"
Flo stand da und war ziemlich aufgebracht. Er konnte mit diesen Argumenten, die wohl auch Wahrheit beinhalteten, aber für alles herhalten mussten, alles rechtfertigten, nicht viel anfangen. Wie oft hörte er das im Zusammenhang mit Missbräuchen. Genau solche Sätze.
"Freiheit? Überleg mal. Kann das sein? Kann etwas, was auf Sucht, Dummheit und Geilheit aufbaut, überhaupt zur Freiheit führen von der du sprichst? Du sprichst von der Kirche. Ja, es gibt da sehr kritische Aspekte. Gebe ich dir sogar Recht. Ich habe nicht viel mit der Kirche am Hut. Aber wenn wir dabei bleiben --- gehen wir einen Schritt weiter --- sieh es dir an --- Sexualität ist Ersatzreligion geworden in deiner modernen Zeit. Prostitution und Pornographie ist Ersatzkirche. Wo ist da ein großer Unterschied?"
"Es ist …"
"… langsam aber sicher das wichtigste überall. Etwas das die Welt zu bewegen scheint, aber wohin. Etwas, das regiert, aber wie? Muss es deswegen gut sein, wenn es so ist? Und Freiheit? Wo denn?"
Er setzte sich noch einmal hin, sah Chris an, der nach weiteren Gegenargumenten suchte. Er sah es ihm an.
"Weißt du, Chris, du verpackst viel Schmutz in einen noblen Mantel. Und es ist klar, du lebst gut damit. Viele leben gut davon. Das Ambiente … es ist alles so salonfähig geworden und hängt alles irgendwie zusammen. Ich sah es an dieser Vernissage in deinem Verlag. Es hat alles ein Hauch von Erfolg, von Schönheit. Da ist viel Geld. Beinah jeder fuhr mit einem prachtvollen Auto vor. Jetzt unterstell mir nicht Neid. Der ist nicht da. Eher Bedauern. Erfüllt ist das Leben nicht. Es sieht nur so aus. Ich sah nicht viele glückliche Gesichter, blasierte, gelangweilte, gleichgültige, nicht glückliche. Geht es überall wirklich nur darum? Dreht sich alles nur noch um Geld, Macht und Sex? Sieht so aus. Ein bisschen Verruchtheit verbreiten und alles horcht auf. Etwas mehr davon, sie kommen näher. Hin zum Rand über den Abgrund hinaus. Die Massen kommen gerannt, wollen nahe sein, vielleicht den Fall sehen oder selbst Nervenkitzel spüren. Sie lecken sich die Lippen und hoffen in allem, doch nicht zu stürzen. Nur etwas kosten, noch ein Stück mehr, noch einen Schritt weiter ..."
Chris konnte ihn nicht verstehen. Es regte sich wohl etwas in ihm, das er nicht zu definieren wusste, aber verstehen konnte er Flo nicht.
"Ist unser Verlagsprogramm denn wirklich so schlimm für dich? Sieh mal… also, es ist doch so. Wenn ich es nicht mache, tun es andere. Ja, es bringt Geld, aber ich kann doch wenigstens auf diese Weise, Geld verdienen und dann mit diesem Geld auch Anspruchsvolles unterstützen, das sich nicht verkaufen lässt."
"Tust du das?"
"Ja, tu ich. Weigert Senior hatte dafür keinen Sinn. Aber ich finde es wichtig, diese Möglichkeiten zu schaffen. Um das zu können, muss ich doch auch diese Titel im Programm haben."
"Haha, ja, und wenn du es nicht machst, tun es andere. Wieder so ein Allerweltsargument."
"Stimmt es etwa nicht?"
"Tja, wenn du es so sagst. Ich finde aber nicht, dass dies Grund genug ist, um es zu tun. Und das andere. Stellst du dich nun als Wohltäter hin, der mit dem schmutzigen Geld Gutes tut? Denkst du wirklich, das rechtfertigt alles? Wie ist es in anderen Bereichen? Auch so? Der Zweck heiligt jedes Mittel. Hier und überall. Siehst du nicht, wohin du gehst? Alles also.“
"Nein! Nicht alles. Aber … Mensch Flo, die Leute wollen lieber solche Bilder gucken, als Anspruchsvolles. Die Masse ist so …"
"Ja, ja, ja, die Masse. Und mit der musst du gehen, mit der Masse, ist klar. Du armer Wicht bist gezwungen, diese Wege zu gehen, damit du … ach lass mich … ich sehe schon, ich komme nicht weiter. Weil die Masse so ist, musst du das tun, musst du genau dieses in deinem Verlag herausgeben? Wir reden ein andermal weiter. Erst muss ich mich abkühlen gehen. Ich habe meine Probleme mit dieser Sichtweise. Denk du auch etwas nach. Vielleicht kommst du noch hinter einiges dabei. Wer weiß?"
Flo wollte gehen. Chris konnte oder wollte ihn nicht verstehen und er sah keinen Sinn darin, das Gespräch fortzusetzen. Er war in der Zwischenzeit außerdem zu aufgewühlt dazu. Er fühlte sich gleichzeitig auch müde, brauchte nun unbedingt Ruhe. Doch der hielt ihn zurück. "Warte. Du glaubst, dass es so ist? Bist du sicher? Steuerte nicht die Nachfrage das Angebot und nicht umgekehrt?"
"War erst das Ei oder erst das Huhn? Die alte Frage. Darum geht es nicht. Aber ... siehst du das Problem nicht? Die Zunahme von Straftaten, die Zunahme des elenden Sextourismus, die Ausbeutungen hier und dort, den heuten Menschenhandel, den neuen Sklavenmarkt? Dazu gehörst du Chris."
"Nein. Hör zu. Nein dazu gehöre ich nicht. Das ist nicht wahr. Du musst besser differenzieren.“
„Das muss ich nicht.“
„Doch. So geht das nicht. Warte bitte. Ich ... warte. Sieh mal, Weigerts Devise ist, dass die beiden stärksten Kräfte auf der Welt die Wirtschaft und der Sex sind, dass hier das Geld liegt und es nur aufgehoben werden muss. Er …"
"Das mag sein. Ist es auch deine?"
"Er sagt …."
"Chris, es interessiert mich nicht, was er sagt. Du schiebst die Verantwortung ab. Ist es heute nicht dein Verlag?"
"Doch ja, ist es. Aber … Nein, ja, doch, auch, es ist doch so oder? Es ist so. Natürlich, es …"
"Dann ist es doch klar."
"Lass mich bitte ausreden. Ich verstand diese Titel, einige davon zumindest nie und habe mir, seit ich übernommen habe, überlegt, diese Sparte aus dem Programm zu kippen, muss nur sehen, wie ..."
"Wann hast du übernommen? Gestern? Vor einem Monat oder länger her? Was meinst du? Kennt dein Vater Gut und Böse, den Unterschied von einem zum anderen oder hängt alles am Geschäft, ist alles okay? Und du ..."
"Ich kenne den Unterschied."
"Wirklich? Wo fängt deiner Meinung nach das eine oder andere an? Wo deine Verantwortung? Wann hast du übernommen? Ich vermute, es sind sogar ein paar Jahre schon und du hast überlegt? Warum ist es heute noch drin?" Er stand da und sah auf ihn herab. Chris seinerseits fühlte sich überfahren. Er konnte es nicht mehr aufnehmen, war auf einmal vollkommen in Verteidigungsstellung und an sich war das keine Basis für ein gesundes Gespräch. Es war vor allem nicht seine gewohnte Strategie in Verhandlungen oder Streitgesprächen. Er versuchte es zu ändern. Doch es wollte nicht gelingen oder Flo ließ es nicht zu.
"Mein Vater hat Mitspracherecht."
"Mir scheint, das ist mehr. Bist du seine Marionette? Setz dich durch, wenn du darüber so denkst wie du sagst. Oder tust du mir gegenüber nur so? Heuchelei?"
"Verflixt noch mal! Nein!"
"Sag es mir. Ich vermute, es ist nicht Heuchelei, aber Bequemlichkeit. Das Resultat ist dasselbe. Es bringt so schön Geld ein, ganz von allein, ohne Aufwand. Warum etwas ändern? Hör zu, ich muss los. Außerdem, ganz ehrlich, kann ich dich heute mit deinen Ausflüchten nicht mehr ertragen. Wenn du dazu stehst, zu den Werken, dann sag es klipp und klar. Es ist dein Recht zu deiner Meinung. Wenn du es anders siehst als ich, erläutere es mir. Wenn du es anders als dein Vater siehst, dann äußere dich deutlich. Aber schieb es nicht so fadenscheinig von dir. Das ist erbärmlich."
Er eilte ihm nach und erreichte ihn noch bei seinem Motorrad. Flo sah ihm mit ungeduldigen Augen entgegen und Chris regte sich über ihn auf.
"Du bist verflixt ungerecht. Du beurteilst mich, kennst mich kaum und behauptest, so ist es und nicht anders. Ist dir das bewusst? Inwiefern bist du besser als ich? Du kommst sehr arrogant daher. Bist du in allem, was du tust, sicher, dass es das Richtige ist? Ist es immer klar, was richtig und was falsch ist? Manchmal braucht es Zeit. Und ... kannst du dich überall gleich durchsetzen, wie du es willst? Du tust, als wärst du fehlerlos und ich Abschaum."
"Nein, das denke ich nicht. Das legst du in meine Aussage. Ich versuche, dich zum Nachdenken anzuregen. Und wie schon erwähnt: Wenn du anderer Ansicht bist als ich, mach es deutlich, leg sie mir dar. Ausflüchte hingegen nerven mich und verbrauchen zu viel an kostbarer Zeit."
„Ich ...“
Flo stieg auf und sah ihn an, diesmal ein beruhigendes Lächeln im Gesicht. "So denke ich nicht über dich. Nein. Dazu hätte ich kein Recht. Nein, ich schon gar nicht. Sorry, wenn ich so rüber gekommen bin. Was du sagst, ist richtig. Gerade bei diesen Themen reagiere ich oft empfindlich. Aber trotzdem, denk darüber nach, sperre die Augen auf und sieh dich richtig um. Willst du es wie dein Vater oder auf eigene Art sehen? Wenn auf deine Art, mach es klar. Es ist auch für dich besser. Sei du selbst und nicht ein williges Instrument von anderen."
"Ich wollte dir noch etwas geben. Hier bitte." Er streckte Flo eine Einladung hin, die wie eine Eintrittskarte aussah. "Wenn du magst ... ich meine, wenn wir uns besser kennen lernen, können wir vielleicht gegenseitig einiges besser verstehen. Es würde mich freuen, wenn du kommst."
Flo sah sich die Karte an. "Ist das nicht eine Party der Reichen und Schönen?" Er musterte wieder ihn auf sehr eindringliche Art, versuchte, seine Motive zu durchschauen. Chris bemühte sich um ein Pokerface. "Was bin ich für dich, Christoph? Ein spannender Exote, unterhaltend. Etwas zum Beobachten oder ausstellen? Hm?" Chris wollte etwas entgegnen, aber Flo sagte nur "Ich komme", startete das Motorrad und fuhr davon.