Читать книгу Hinter der Sonnenbrille liegen Spiegel - Esther Grünig-Schöni - Страница 5

2. Kapitel (Und wieder?)

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Hatte Katie ein Faible für schwer durchschaubare Menschen? Für Geheimnisse? Möglich. Sie hatte sich das mehrmals gefragt. Oder eines für Schwierige, um die viele andere weite Bogen schlugen? Zog sie solche Männer an? Männer. Sie sprach in Mehrzahl. Es war aber keine Mehrzahl vorhanden. Seit Roby hatte es niemanden mehr gegeben. Nicht etwa, weil sich keiner interessiert gezeigt hatte, aber keiner hatte sie im Geringsten berührt. Es waren Kollegen geblieben, gute Bekannte, vielleicht Freunde, mehr nicht. Vielleicht hatte sie sich dafür bisher keine Zeit gelassen, weil die Zeit mit anderem mehr als ausgefüllt gewesen war. Sie hatte sich ihren Plänen gewidmet, diese nach und nach umgesetzt und hatte seitdem genug zu tun damit. Ein Mann in ihrem Leben, eine neue Partnerschaft? Einerseits ja, auch mit der Zeit eine Familie, andererseits, wie ging das nach Roby? Da musste schon jemand Besonderes kommen, der sie sozusagen im Sturm eroberte. Natürlich war jeder Mensch einmalig, aber nicht jeder passte zu ihr und nicht jedem gelang es, bis in ihr Herz vorzudringen. Dabei baute sie nicht einmal Mauern um sich.

Ihr Leben hatte sich gut eingespielt: In der Saison gehörte der Morgen meist der Pferdevermietung, der Nachmittag und Abend der Mas mit den Gästezimmern und allen Belangen darum, dem Administrativen und dem Unvorhergesehenem. Das konnte sich bis in den Abend hinein ziehen oder tat es meist. Eine gewisse Struktur lag darin, nicht stur, aber praktisch. Es war gut, geregelte Abläufe zu haben. Situationen verlangten allerdings oft Änderungen der Pläne. Auf diese Weise blieb es spannend. Es kam nie Langeweile auf. Sie war etwas stolz auf das, was sie bisher erreicht hatte. Auch im Winter gab es bei ihr die Möglichkeit, Zimmer zu buchen. Es gab immer mal Reisende, die das nutzten.

Das klang alles beschaulich und friedlich, aber eigentlich war ihr Leben bisher nie lange ruhig gelaufen. "Auf die nächsten Jahre!" Bilder von Rob tauchten auf, Erinnerungen an ihre kurze und schöne gemeinsame Zeit. Es hatte nicht für ein Kind gereicht. Vielleicht besser, obwohl sie es sich gewünscht hatte. Eine Familie. Aber eine Familie ohne Vater? Sie dachte an Roby, an sein Lächeln, seine Heftigkeit, seine Liebenswürdigkeit, seine Liebe. Er fehlte ihr noch immer, auch wenn der Schmerz nicht mehr so tödlich wie damals war. Und was war seitdem nicht alles gewesen. Neue Wege, Kämpfe, wachsende Standhaftigkeit darin, Verwaltung seines Musiknachlasses. Freuden und Nöte in diesem noch immer wilden Land. Veränderungen, einige gut, andere mühsam. Ihr Auseinandersetzen mit allem. Wasser, Feuer, Wind, Nachlässigkeiten, Gefahren … Wenn sie es sich überlegte, war in der Zeit viel geschehen. Sie hatte das meiste ohne nennenswerte Schäden überstanden, stand um einiges fester im Leben als damals.

Sie genoss abends, wenn es nichts zu tun gab, ihre kleine Wohnung in der Mas. Nach und nach hatte sie eingerichtet, ausgebaut, ausgebessert und gestaltet und war damit noch nicht fertig. Der Kern davon stimmte. Ihr Wohnzimmer, die Küche, das Bad. Küche und Bad waren auf dem neusten Stand, wenn auch so gestylt, dass es in das Gemäuer passte. In den Farben und Mustern der Camargue gehalten, die Wände gegipst, die Balken sichtbar. Wenige Bilder aufgehängt.

Das Wohnzimmer wirkte heimelig, vom Kamin bis zu den Polstermöbeln, der Musik- und Fernseheranlage bis hin zum Abstelltisch und den Regalen. Sie ging herum, mit einem Glas Cola in der Hand und freute sich über den Anblick.

In der Küche gab es eine Essecke, die sie sehr mochte. Sie saß gerne in ihrem Lieblingssessel, las oder hörte Musik oder sah fern, machte in Ruhe ihre Buchhaltung, die immer à jour gehalten werden musste. Oder sie saß auf der Terrasse in ihrer Hollywood-Schaukel, und genoss den Sonnenuntergang mit allen Geräuschen, Düften und Ausblicken. Oder sie genoss eine laue Nacht daselbst. Sie lachte vor sich hin. So sollte Jocelyne sie sehen. Nein, die wollte sie hier nicht haben. Und weil ihr Vater nie ohne sie unterwegs war, auch ihn nicht. Sie stand auf eigenen Beinen und hatte die Kontakte zu früher abgebrochen.

Den Sonnenaufgang erlebte sie ab und zu beim Strand, wenn sie sehr früh joggte oder spazieren ging. Das Schlafzimmer war noch Baustelle. Außer dem Bett und einem Stuhl war kaum etwas vorhanden. Die Kleider steckten in einem Schrank im Korridor, bis hier alles war, wie sie es haben wollte. Schlafen konnte sie ja, das reichte. Die anderen beiden kleinen Räume, die dazu gehörten, fristeten ein kümmerliches Gerümpel-Dasein.

Vorrang hatten die Gästezimmer des Hauses gehabt, die Gästeküche, die kleine Reception, das Büro und die Umgebung. Der Garten zum Verweilen, die Terrassen, das Nebengebäude, das zeitweise von Angestellten bewohnt wurde oder Gästen zur Verfügung gestellt werden konnte. Der Schuppen für Werkzeuge und weitere Arbeitsgeräte, der Raum, in dem Sattelzeug und anderes Material für die Pferde und das Reiten gelagert wurde. Die Vorratskammern. Es war eine ganze Menge, das zuerst an die Reihe gekommen war. Alles Notwendige für die Einnahmen und für die Bequemlichkeit derer, welche die Dienste in Anspruch nahmen.

Zurzeit verlief das Leben ruhig. Sie genoss die Atempause, blieb offen für alles was kam und war überzeugt davon, dass es so still nicht weiterlaufen würde, dass das Leben wieder mehr von ihr verlangte. Sie saß nachdenklich auf einer Düne, ganz oben, dachte darüber nach, sah auf den stillen Strand, auf das heute ruhige Meer. Es konnte manchmal sogar noch glatter sein, wie ein See und manchmal wild und aufgewühlt. Steckte nicht auch in ihr von alledem etwas? Vermutlich in jedem Menschen, mehr oder weniger. Sie schmunzelte.

Da bemerkte sie ihn. Er musste das sein, der Mann, der dort näher kam. Sie spürte diese seltsame Unruhe in sich. Als er näher kam, bestätigte es sich. Er ging den Strand entlang. Er schien den Strand zu lieben wie sie, das Meer zu lieben wie sie. Er war wirklich groß und schlank. Sie nahm sich die Zeit, ihn von ihrem Posten aus zu betrachten. Er schien sie nicht zu sehen. Das war praktisch. Sie konnte es offen tun. Seinem Erscheinungsbild nach zu urteilen, war er ein relativ junger Mann, na ja, vielleicht in ihrem Alter. Oder doch etwas mehr? Das war schwierig zu sagen. Aber sie schätzte ihn ungefähr so ein. Wieder musste sie schmunzeln. Manchmal fühlte sie sich doch schon schrecklich alt und weise. Ging es ihm auch so? Ach, sie konnte unmöglich von sich auf andere schließen. Vielleicht war es bei ihm ganz anders. Oder noch schlimmer. Männer waren in diesen Dingen viel empfindlicher als Frauen.

Er war stehen geblieben, hob etwas auf, warf es mit einem kraftvollen Schwung ins Meer hinaus, sah in den Himmel, ließ sich auf einmal einfach in den Sand fallen und rollte herum wie ein Junge. Er wirkte erstaunlich verspielt, ganz anders, als er sonst herüber kam. Das war eine neue Seite an ihm, nicht geheimnisvoll und dunkel für einmal, sondern neckisch. Und wenn alles davon Masche war, um sich interessant zu machen? Nein, auch so wirkte er nicht auf sie. Schließlich saß er da, verweilte still und sah hinaus. Vielleicht sah er den kleinen Wellen zu oder den Möwen oder den Schiffen am Horizont. Es gab immer viel zu sehen. Für manche. War er einer von denen, die sahen? Es gäbe an ihm viel zu entdecken. Davon war sie inzwischen überzeugt. Es war spannend und konnte das Leben sehr bereichern, wenn nicht alles immer von vornherein sonnenklar war. Nun gut, wohin ihre Gedanken wieder flogen. Viel zu weit.

Sie entschloss sich, ihren Dünenplatz zu verlassen, nach vorne zu gehen. Was für ein Herumgetrödel heute. Sie lachte leise in sich hinein. Liederlich war sie. So eine Schande. Einmal nahm sie sich das heraus. Ihr war danach. Und sie konnte es sich durchaus erlauben. Sie wollte die Füße ins Wasser tauchen, die Wellen, die Strömungen und den unter den Fußsohlen weichenden Sand spüren. Sie zog die Schuhe aus, nahm sie in die Hände und setzte es in die Tat um.

Natürlich wollte es der Zufall – oder waren es nicht vielmehr Katies Beine? -, dass sie an ihm vorbei marschierte. Nein, erst hatte sie das vor, blieb nun aber vor ihm stehen, weil sie etwas ritt, was immer das sein mochte. Sie drehte sich ihm zu, lächelte besonders freundlich und sagte wieder einmal einen Standardsatz, der oft in ähnlichen Situationen gesprochen wurde. Zugegeben, nicht sehr einfallsreich, aber auch nicht unwahr. Es hätte der Anfang zu einem Gespräch darstellen können, wenn er nur eine Spur an Höflichkeit in sich trug. Obwohl – was war denn nun wieder Höflichkeit? Oft nicht mehr als Schein, oder nicht? Sie war heute viel zu tiefgründig.

"Guten Morgen. Es ist heute richtig schön am Strand, nicht wahr?"

Unfassbar. Er reagierte. Er sah zu ihr auf. Aber das war das einzige Konventionelle. Er sah einfach nur auf. Denn nein, der Mund öffnete sich nicht, um Worte oder sogar Sätze herauszulassen. Das geschah nicht, aber er reagierte erstmalig. Das war doch schon ein Fortschritt. Es kam noch besser.

Sein Mund verzog sich etwas, die Mundwinkel zeigten ganz leicht nach oben, die sinnlichen Lippen lösten sich ein wenig voneinander und pressten sich nicht mehr stur zusammen. Sie beobachtete es fasziniert. In seinen Augenwinkeln, vom äußeren Rand der Sonnenbrillengläser ausgehend, entwickelten sich wie Strahlen kleine Fältchen. Und sie konnte nicht anders, fühlte sich durch seine Art dazu provoziert, sie sah ihm direkt ins Gesicht. Er sah sie auch an, das spürte sie, man sah es, aber es kam nach wie vor kein Ton von ihm. Gar nichts. Nicht einmal eine Art Brummen, das manche von sich gaben. Nichts. Er saß nur da. Weil er sie mit diesem seinem Schweigen und seinem vermeintlich spöttischen Grinsen – nach den paar sichtbaren Zeichen urteilend – ärgerte, betrachtete sie ihn ausführlich. Langsam und deutlich. Er hatte dichtes Haar, schwarz, wie erwähnt, nicht ganz glatt. Er trug es halblang. Ab und zu gab es darin ein einzelnes graues Haar zu entdecken. Vermutlich schätzte sie sein Alter nicht schlecht ein, gab ihrem noch ein paar Jahre hinzu. Er war wohl doch etwas älter als sie. So kam es bestimmt hin. Seine Schultern und die Arme wirkten kräftig, der Rücken ebenfalls. Die ganze Gestalt war in keiner Weise schwerfällig, sondern geschmeidig und durchtrainiert. Das was sie von seinem Gesicht sehen konnte, wirkte ebenmäßig. Die Haut war leicht gebräunt und schien glatt, außer einer kleinen Narbe oben an der Stirne.

Die Strahlenfältchen erloschen, der Mund wurde auf gewohnte Weise schmal. Das zeigte ihr, dass ihm ihre Betrachtung nicht gefiel.

Das zeigte sich deutlicher, als er aufstand und, weil er ein gutes Stück grösser als sie war, auf sie herab sah. Sie spürte, dass nun er sie musterte. Sehen konnte sie es nicht. Und ein Wort von ihm kam noch immer nicht. Stur war der. Aber zwischen ihren Schulterblättern meldete sich ein Frösteln, das sich allmählich über ihren ganzen Körper ausbreitete.

Es war nicht angenehm. Erst war es schwer zu deuten und nach und nach fühlte sie etwas wie Bedrohung. Hatte sie sich zu weit vorgewagt? Sie spürte, dass er kein harmloses Männchen war. Und er war nicht wie sonst. Ein beträchtlicher Schwall Aggressivität kam von ihm auf sie zu. Was hatte sie sich nur gedacht, vor allem, weil sie sonst nicht so war? Plötzlich, bevor sie zurückweichen oder sonst etwas tun konnte, packte er sie, umschlang sie mit seinen tatsächlich starken Armen. Sie war verloren darin und sie war vor allem überrascht von der Aktion. Sie hatte keinen Bewegungsspielraum mehr. Er wusste vermutlich genau, warum er ihr keinen ließ. Er legte seinen Mund auf ihren, bevor sie wusste, wie ihr geschah und küsste sie mit einer groben und wilden Leidenschaft, bis ihre Knie weich wurden und sie ganz schlaff in seinen Armen, durch ihn an ihn gepresst, hing. Sie stand tatsächlich nicht mehr fest auf ihren Füssen. Es war alles zu schnell gegangen, um sich effektiv wehren zu können.

Doch genauso plötzlich, wie er sie gepackt hatte, ließ er sie los. Wieder überrascht davon fiel sie hin. Ihr Fuß knickte dabei ab. Sie saß noch immer erstaunt im Sand und sah ihn, mit schnell klopfenden Herzen, wie er mit langen Schritten davon ging. Federnd und leichtfüßig, schnell weg von ihr und doch sah er irgendwie beschwingt fröhlich aus. Der Wind trug ihr außerdem etwas zu, dass sie noch mehr in Erstaunen versetzte. Ein Lachen, das von ihm kam. Ein Fetzen Stimme. Er besaß Stimme. Ein kurzes Auflachen.

Katie wusste nicht recht, ob sie wütend sein sollte oder nicht. Das war eigentlich ein Überfall gewesen. In gewisser Weise hatte sie ihn herausgefordert, aber doch nur, um endlich einmal eine Antwort in Form von gesprochenen Worten zu erhalten, ganz bestimmt nicht das. Unverschämtheit. Es war, verflixt noch mal, äußerst unhöflich, nicht zu grüßen, wenn man selbst gegrüßt wurde. Ein Mindestmaß an Anstand stellte das dar. Aber davon schien der wirklich nichts zu halten. Stattdessen fiel er so über sie her. Unerhört.

War der eigentlich vollkommen verrückt geworden! Was fiel dem Kerl ein! War er vielleicht sogar gefährlich? Hatte er eine Macke oder war er gewalttätig? Das hätte ins Auge gehen können. Sie musste unbedingt wieder vorsichtiger werden. War er am Ende ein Psychopath? Vielleicht sah sie sich besser vor. Oder … war es anders? War er ein schöner Mann, der dachte, alle Frauen wollen nur das eine und war das für ihn schon so langweilig, dass es ihn maßlos anödete? Oder dachte er, er könne sich herausnehmen, was immer er wollte, ohne Folgen? Sie hatte Bedrohung gespürt, nicht Anziehungskraft. Oder? So was aber auch.

Erst als sie aufstehen wollte, merkte sie, dass sie sich wehgetan hatte. Mit dem Fuß stimmte etwas nicht. So ein Mist! Es schmerzte beim Auftreten. Das konnte sie nicht brauchen. Sie humpelte und ärgerte sich. Schlimm war es bestimmt nicht, aber bis zu ihrem Auto hatte sie ein gutes Stück zu gehen. Vielleicht ging es mit den Schuhen besser. Die festigten. Sie biss die Zähne zusammen. Das kam davon. Wie ärgerlich. Oder doch besser ohne Schuhe? Bevor sie hineinschlüpfte, ging sie ein paar Schritte, setzte sich aber gleich wieder hin. Sie befreite ihre Füße so gut es ging vom Sand, massierte den schmerzenden Fuß leicht, zog die Schuhe an und merkte, dass es so auch nicht gut ging oder sogar eher noch mehr schmerzte. Sie seufzte. Das war toll. Dieser … sie dachte an sein Lachen. Das hatte sie deutlich gehört und sich nicht nur eingebildet. Ein seltsamer Kerl, in der Tat. Sie schloss einen Moment die Augen, spürte den Schmerz pulsieren, aber sie hatte bei der kleinen Untersuchung feststellen können, dass nichts gebrochen war. Na ja, das ging meist doch nicht so schnell, wenn mit den Knochen und Gelenken alles in Ordnung war. Sie hatte keine so genannten Glasknochen. Ja, Stimme hatte er also. Nichts mit stumm. Das immerhin wusste sie nun. Aber das hier konnte sie nicht brauchen. Oh, so ein Ärger! "Mist aber auch! Mist! Mist!"

Katie ärgerte sich und hatte ihn nicht zurückkommen hören. Sie spürte aber auf einmal, dass er wieder da war. Sie spürte es, noch bevor er sie ganz erreicht hatte. Da war sie, seine Präsenz, von der sie nicht wusste, ob sie gut, harmlos oder gefährlich war. Stark war sie auf jeden Fall. Und schon hörte sie ihn: "Hast du ein Fahrzeug auf dem Parkplatz?"

"Himmel, du kannst sprechen!" entschlüpfte es ihr, noch bevor sie die Augen aufriss. Sie sah zu ihm auf. Das war er tatsächlich, kein anderer, und er sprach. Er sagte Worte, einen ganzen Satz und das alles dazu mit einer wohlklingenden Stimme. Verwirrt und albern stotterte sie nach diesem ersten gelungenen Ausruf: "Ja … ja, habe ich. Warum interessiert dich das? Willst du die Schlüssel und ihn klauen?"

"Vielleicht?"

Sie kam nicht zu weiterem. Er hob sie hoch. "Leg die Arme um meinen Hals, halt dich fest, zapple nicht herum und mach das, bevor ich dich fallen lasse."

Sie tat es, weil ihr kaum etwas anderes übrig blieb, wollte sie nicht noch einmal unsanft auf der Erde landen. Was hatte der denn für einen Ton drauf? Und er duzte sie, als würden sie sich schon lange kennen, sie also ihn auch. So war das nicht. Ein frecher Kerl war das. Aber auch so schön stark. Das musste sie zugeben. Er trug sie in Richtung Parkplatz, schwieg vorerst wieder. Diesmal war nichts Bedrohliches an ihm. Sie spürte nur seine Kraft, sah die Muskeln, fühlte sich sogar etwas geborgen, auch wenn sie das Gefühl nicht zulassen wollte. Es waren arbeitende Muskeln unter einer glatten Haut. Warm und lebendig. Und da war diese verflixte Schwäche in ihr. Das durfte nicht wahr sein. Hoffentlich merkte er es nicht. Kam das vielleicht doch von ihrem Sturz oder war es seinetwegen? Sie versuchte, ihm ins Gesicht zu sehen. Er merkte es und deutete für einmal sogar ein Lächeln an. "Welches?"

"Was?" Viele Worte machte er nicht gerade und sie verstand nicht, was er jetzt von ihr wissen wollte.

"Welches Fahrzeug?"

"Lass mich mal sehen, wo es steht, dann kann ich es dir zeigen. Es stehen ja so viele hier herum." Sie war leicht bissig, denn es standen nur vier Wagen da. Er grinste eindeutig und drehte sich etwas, dass sie sich umsehen konnte. "Dort! Der rote Jeep."

"Der passt zu dir. Auch wenn du ziemlich stachelig bist."

"Stachelig? Wo habe ich dich gepiekt? Zeig her."

"Da!" Er zeigte auf seine Brust, so gut das mit ihr auf den Armen ging. "Siehst du es nicht?"

Und sie versuchte zu deuten, was damit gemeint war. Was für eine Feststellung? Wie kam er darauf, dass der Jeep zu ihr passte? Wie wollte er das beurteilen? So gut kannten sie sich nicht. Bisher. Eigentlich war sie sauer auf ihn und doch auch wieder nicht. Das war ein äußerst seltsamer Zustand. Und sie neigte in so einem zu solchen Aussagen.

"Nein, ich kann keine solche Stelle erkennen." Sie tat so, als untersuche sie ihn. Keine Ahnung wie er das fand, aber daran störte sie sich nicht.

Er trug sie hin und stellte sie vorsichtig ab, hielt sie sogar noch einen Moment fest, und sie sah ihm wieder ins Gesicht. Sie war hin- und her gerissen zwischen Ärger und anderen Empfindungen. So fühlte sie sich eigentlich ganz wohl. Das ließ ihn schmunzeln. Er konnte sogar freundlich sein, wenn er wollte. Was für eine Sammlung neuer Erkenntnisse in so kurzer Zeit. Er wusste es. Er wusste, wie er wirkte. Das war ihm trotz der Sonnenbrille anzusehen. Und er hatte den Vorteil zu sehen, was in ihren Augen lag. Katie hatte noch nie ein Pokerface gehabt. Sie war deutlich im Nachteil.

Ganz plötzlich, so wie das meiste im Zusammenhang mit ihm geschah, verschwand das Schmunzeln und der Mund wurde wieder schmal. Es war so, als wäre ihm bewusst geworden, dass er so nicht sein wollte. "Vorsicht. Ich lasse dich los. Fall nicht. Provokationen können schmerzhaft und gefährlich sein. Denk in Zukunft besser daran und spiel nicht mit dem Feuer."

"Jawohl Herr Oberlehrer!"

Der konnte eine Art an den Tag legen! Sie konnte es nicht lassen. Das heißt, das kam von allein, wenn jemand versuchte, so mit ihr umzugehen. Außerdem hatte es sich genauso angehört. Da lachte er. "Gelehrige Schüler sind diejenigen, die weiter kommen. Und nicht die rebellischen."

"Ich bin anderer Ansicht."

"Das dachte ich mir."

"Nur wer selbst denkt, kommt weiter. Fragen okay, aber Schlüsse muss jeder selbst ziehen. Und sich nicht einen Vordenker gefallen lassen."

Sie sah seinem Gesicht an, dass er schmunzelte. "Damit hast du tatsächlich nicht Unrecht. Aber Vorsicht jetzt."

Er ließ sie los und ging. Sie war noch immer verblüfft, dachte sich das 'Danke' nur, aber sagte es nicht, starrte ihm nach. Da blieb er noch einmal kurz stehen, sah sich nach ihr um und lachte so, dass sie seine Weißen Zähne sehen konnte.

Hinter der Sonnenbrille liegen Spiegel

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