Читать книгу Hinter der Sonnenbrille liegen Spiegel - Esther Grünig-Schöni - Страница 6

3. Kapitel (Fragen)

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So ein verrücktes Erlebnis. Was für ein Morgen. Sie enterte ihren Jeep und saß einen Augenblick da, ließ alles Revue passieren. War das wirklich oder lag sie noch im Bett und träumte vor sich hin? Sie kniff sich. Sie spürte es, so wie sie ihren Fuß spürte. Also doch kein Traum. Aber da war mehr. Das beschleunigte Klopfen ihres Herzens zum Beispiel. Das angenehme Flattern in ihr, das sie seit Roby nicht mehr gespürt hatte. Sie fühlte sich auf einmal sehr lebendig. Zu lebendig. Sie musste sich zusammen nehmen, damit sie nicht laut aufjauchzte oder laut sang. Herumhüpfen ging jetzt schlecht. Und trotzdem war sie sauer auf den Kerl. Eine explosive Mischung.

Das machte sie nachdenklich und fröhlich zugleich. Die Stellen, an denen er sie berührt hatte, als er sie gepackt oder getragen hatte, die Stellen fühlten sich warm an und es strahlte ins Innere hinein. Ihr Mund pulsierte von seinem Kuss.

Er hatte eine schöne Stimme. Genau die richtige Lage. Passend. Warm, nicht bedrohlich. Angenehm. Was für ein Mann kreuzte da auf so seltsame Weise ihren Weg. Sie war hin- und her gerissen zwischen Angst vor Enttäuschung und Schmerz und der Wirkung seiner Anziehungskraft; zwischen leise warnendem Misstrauen und einer berauschenden Leichtigkeit, einem Hochgefühl. Vergleichbar mit Lebensfreude, mit Erfolgsgefühlen, mit Lebenskraft. Sie schwankte zwischen Erstaunen und Empörung; zwischen Lachen und einem sich maßlos Ärgern. Es waren starke Gefühle, welcher Art auch immer. Was war das, was ihr geschah? Wo war es einzuordnen? Wie zu verstehen? Vorerst gar nicht. Alles Grübeln brachte nichts. Sie wollte nicht an Verliebtheit denken. Nein, das war es nicht. Es musste etwas anderes sein.

Sie startete schließlich und fuhr nach Hause. Als sie ausstieg und auf das Haus zu humpelte, kam ihr Susanne entgegen.

"Was ist dir geschehen?"

"Wenn ich das nur wüsste!" seufzte sie und dachte dabei an die ganze Begegnung und nicht an den Fuß.

"Wie? Wenn du das wüsstest? Du wirst doch wissen, warum du humpelst."

"Ach das!"

"Ja. Das. Was denn sonst?"

Susanne schaute misstrauisch. Katie kam aus ihren Gedanken zurück, nahm sich zusammen, hörte auf zu schweben. "Ich bin hin gefallen. Mein Fuß ist dabei umgeknickt und das Gelenk schmerzt. Das wird morgen besser sein. Es ist nichts gebrochen. Nicht der Rede wert."

Susanne fand, dass sie sich mehr als seltsam verhielt, musterte sie skeptisch. "Hingefallen? Wieso das? Du neigst nicht zur Tollpatschigkeit. Bist du krank? Stimmt etwas nicht? Deine Augen glänzen und …"

"Ist das ein Verhör? Nein, es ist alles in Ordnung. Ich werde doch wohl auch einmal hinfallen dürfen, ohne dass gleich eine Staatsaffäre daraus wird."

Katie versuchte, Susanne und sich selbst zu beruhigen. So deutlich war es ihr anzumerken? Sie wusste selbst nicht, was mit ihr los war. Wie sollte sie es erklären? Nein, krank war sie nicht. Bevor sie sich weiter dazu äußern konnte – von Susanne offensichtlich erwartet -, kam jemand gefahren. Erstaunt sahen die beiden, dass es der Arzt war. Oh je, war einer der Gäste krank und kam sie deswegen auf Krankheit?

"Susanne, gibt es ein Problem?"

"Ich weiß von keinem."

Der Arzt stieg aus und kam mit seiner Tasche auf die beiden zu, grüßte und nannte gleich den Grund seines Kommens. Damit wurde das Staunen noch wesentlich grösser, auch wenn ihre Frage damit beantwortet wurde. "Katie, ich wurde angerufen, ich soll bei Ihnen vorbei schauen und nach Ihrem Fuß sehen."

"Wie bitte?"

Ein Seitenblick auf Susanne zeigte ihr, dass das Misstrauen der Freundin zunahm. Sie ahnte etwas. Der Arzt runzelte die Stirne. "Ist es ein dummer Scherz?"

"Nein, das nicht. Nein. Aber ich bin erstaunt. Ich hätte sie deswegen bestimmt nicht gerufen."

Susannes Gesicht drückte aus, dass sie gar nichts verstand. Damit war sie nicht die einzige. Es war durchaus verständlich, da selbst Katie nur die Hälfe erfassen konnte. Der Arzt meint dazu: "Nun, wenn ich schon da bin, sehe ich es mir an. Außerdem soll ich unbedingt ausrichten, dass Sie in den nächsten Tagen besser nicht joggen, um den Fuß ausreichend zu schonen. Also? Was ist damit?"

"Oh Mann! Der hat mir gar nichts zu sagen!" murmelte sie vor sich hin und verstärkte damit den fragenden Ausdruck im Gesicht ihrer Freundin.

Wie benommen ging sie voran ins Haus und ließ ihren Fuß vom Arzt untersuchen. Sie wollte sich vergewissern und konnte vielleicht so den Namen erfahren. "Wer hat angerufen?"

"Er hat keinen Namen genannt."

"Ein Er also?"

"Ja."

"Sie reagieren auf anonyme Anrufe? Ist das nicht sehr unvorsichtig?" staunte sie und ärgerte sich, dass es keine neuen Erkenntnisse brachte.

"Nein, normalerweise nicht. Aber in Ihrem Fall … er war sehr bestimmt, so dass mir kaum etwas anderes übrig blieb. Er klang glaubwürdig und ich musste sowieso ganz in der Nähe zu einem Patienten. Es lag sozusagen auf meinem Weg. Seine Empfehlung ist übrigens richtig."

"Von mir aus."

Der Arzt sah sie beinah so neugierig an wie Susanne. Aber Katie hatte keine Lust, mit ihm über den Anrufer zu sprechen. Er packte seine Sachen in die Tasche zurück und verabschiedete sich. "Ein paar ruhige Tage, vor allem ohne Sport, und es ist wieder gut."

"Danke. Ich sagte ja, es ist nicht schlimm", zwang sie sich zu sagen, obwohl sie sich weiter ärgerte und wunderte zugleich.

So viel hätte sie auch alleine gewusst, und der Schmerz hätte ihr klar gemacht, dass es nichts mit sportlichen Aktivitäten war. Was sollte denn das? Der mischte sich ganz schön in ihre Belange ein und gab ihr keinerlei Gegenrecht. Nicht zu fassen. Inakzeptabel.

Susanne blieb die ganze Zeit hartnäckig mit dabei und keiner wollte etwas. Sie sah von einem zum anderen, musterte Katie immer wieder. Diese blieb schweigsam, bis der Arzt gegangen war. Nun gab es jedoch kein Halten mehr. Sie wollte wissen, was das zu bedeuten hatte. Sie wollte wissen, was vor sich ging und bestand so lange darauf, es zu erfahren, bis Katie mit allen Einzelheiten der Geschichte heraus rückte. Da war mit einer Kurzfassung nicht gedient. Oh nein! Als Katies Augen beim Erzählen zu strahlen begannen, als sie glänzten wie zuvor, stellte sie abschließend fest: "Du bist dabei, dich zu verlieben oder es ist bereits geschehen."

"Quatsch!" kam es heftig. "Ich könnte dem … er macht mich stinksauer! Er bringt mich in Wut. Das soll verliebt sein?"

"Ach ja? Quatsch? Soll ich dir einen Spiegel holen gehen? Ich sehe es. Und da ich dich kenne, ist nichts mit abstreiten. Und ja. Das soll es sein. Das ist für mich eindeutig."

"Du kennst mich vielleicht. Aber ich kenne ihn nicht."

"Spielt das eine Rolle?"

"Ja, find ich."

"Das ändert nichts."

"Mach mal halb lang. Verlieben? In den? In so einen?"

"Was heißt in so einen? Du hast gesagt, dass du ihn nicht kennst. Woher weißt du also, was für einer das ist? Aber abgesehen nun davon: Genau in so einen und es passt zu dir."

"Wieder soll also etwas zu mir passen. Weiß jeder, was zu mir passt?"

"Wovon sprichst du? Was noch?"

"Ach nichts, ist schon gut. Mein Jeep angeblich. Aber was wolltest du sagen?"

"Dein Jeep?"

"Ja, habe ich doch gesagt. Das ist nicht wichtig. Was ist denn nun?"

Susanne schmunzelte wieder, wurde dann jedoch ernst. "Ist es dir aufgefallen? Er weiß genau, wer du bist."

"Und ich nicht, wer er ist."

"Und er weiß, wo du zuhause bist."

"Nicht schwierig, wenn er den Namen kennt. Da mich jeder hier kennt, ist das kein Geheimnis. Nur, das weiß ich immerhin auch."

"Mit Sicherheit?"

"Nein. Aber vermutlich stimmt es."

"Das Haus hinter den Dünen?"

"Ja. Das. Aber das alles ist mir unheimlich."

"Mit Grund finde ich."

"Ach, darin sind wir uns also einig?"

"Ja, sind wir." Susanne lachte, wurde aber gleich wieder ernst.

"Über ihn weiß keiner etwas außer seit neustem, dass er sprechen kann und ein frecher Kerl ist."

"Oh ja! Ein Punkt für uns beide."

"Aber … genau aus dem Grund: Ich wundere mich über dich. Dem hätte ich an deiner Stelle eine runter gehauen! Das gibt es nicht. Du bist wie immer viel zu gutmütig. Zeig um Himmels willen den Kerlen deutlich, was du nicht willst und was du zulässt oder sie tanzen dir auf der Nase herum."

"Da tanzt keiner. Bestimmt nicht. Ich war bloß zu überrascht. Darum hat es nichts gesetzt."

"Ja, ja, mir kannst du das erzählen."

Katie wusste, dass sie in seinem Fall eine Ausnahme gemacht hätte, wäre sie nur richtig dazu gekommen. Er reizte sie dazu. Wieder ärgerte sie sich. Schade, dass er nicht hier war. Ihre Augen blitzten auf. Susanne registrierte es, wieder schmunzelnd.

Hinter der Sonnenbrille liegen Spiegel

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