Читать книгу Hinter der Sonnenbrille liegen Spiegel - Esther Grünig-Schöni - Страница 8

5. Kapitel (Schmetterling)

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Gefühlswelten waren oft seltsam. Manches verpasste man wegen aller Wenn's und Aber, wegen dem Abwägen und den Bedenken. Leben mit allen Vor- und Nachteilen. Es musste nichts verfliegen ohne Beachtung und Spuren.

Katie joggte nicht. Sie sah ein, dass es vernünftiger war, damit zu warten, es erst in ein paar Tagen wieder aufzunehmen. Aber zwei Tage später fuhr sie dennoch zum Strand hinaus. Sie konnte doch wenigstens spazieren gehen.

Egal, wenn der Morgen nicht sehr einladend war, sondern neblig grau daher kam. Der südliche Wind schickte Schwaden davon vom Meer her aufs Land. Es sah gespenstisch aus, aber auf seine Art schön; auch das je nach Betrachtungsweise. Bedrückend erschien es ihr nicht. Vielleicht konnte dieser Morgen melancholisch stimmen. Sie faszinierte der Anblick, der sich ihr bot.

Sie hatte die beiden vergangenen Tage in einer verblüffenden Hochstimmung erlebt, fühlte in sich Weichheit und Zärtlichkeit. Das verwirrte sie auf der anderen Seite. Es brachte sie aus der Ruhe, und sie hatte es kaum erwarten können, an den Strand zu fahren. Es war nicht nur des Strandes wegen. Sie hoffte, ihn zu sehen. Als sie zum Meer blicken konnte und etwas mehr erkannte, sah sie am Ufer eine Gestalt im Sand sitzen. War er es? Es musste so ein, so wie sie reagierte. Sie ging näher, lachte sich selbst aus. Sollte sie zu ihm gehen oder besser nicht? Vielleicht wollte er es nicht. Sie ging langsamer, aber sie konnte nun erkennen, dass er es tatsächlich war. Sie zögerte und ärgerte sich darüber. Was war sie denn so ängstlich?

Sie entschloss sich hin zu gehen. Er sah auf, als sie neben ihm stehen blieb, und sie setzte sich einfach neben ihn. Er floh immerhin nicht gleich, das war ein kleiner Fortschritt, auch wenn er nicht einladend wirkte. "Magst du das Meer Laurent?"

"Ja."

"Heute ist es wie du."

Er sah sie an, abwartend, fragend.

"Ja wie du. Schau hinaus. Du kannst wenig erkennen. Es verrät dir nichts, lässt dich nicht viel sehen und ist doch wunderschön. Es ist geheimnisvoll. Was birgt es? Geschichten vielleicht, Klagen und Freuden. Es seufzt und lacht dich aus. Es erfreut und bedroht dich. Es ist wirklich voller Geheimnisse. Gerade heute im Nebel."

"Und wie ich?"

"Ja wie du."

"So siehst du mich?"

"Ja."

Er blieb eine Weile still, sah mit ihr hinaus. Doch schließlich fragte er: "Hast du nie Angst?"

Sie lauschte dem Klang seiner Stimme und erschauerte, überlegte sich, worauf er hinaus wollte.

"Doch. Sogar oft. Es macht aber nichts, Angst zu haben. Es gehört zu den Menschen. Wichtig ist es, Wege zu finden, sie zu überwinden oder mit ihr zu leben."

"Du lieferst jede Menge Rätsel, Katie, und sehr interessante Aspekte."

"Rätsel? Ich?"

"Du ja. Wusstest du das nicht? In jedem stecken solche, aber in dir viele. Lohnt es sich, sie zu lösen? Ich könnte es mir vorstellen. Aber ich werde es nicht tun."

"Warum?"

"Es ist schöner, wenn es Rätsel bleiben."

Er schaute wieder aufs Meer hinaus, wo nur leicht etwas zu erkennen war, dort wo Lücken in den Nebel gerissen wurden, dort wo es Fenster in den Himmel oder in die Welt gab. Oder Fenster zu den Geheimnissen. Es war gut, dass nicht alle enträtselt wurden und ihren Reiz dadurch verloren. Forschen war gut. Aber es war auch gut, manchmal nicht bis ans Ende oder an den Anfang des Ganzen zu gelangen. Ausgewogenheit. Ein Wort, das auf Vieles passte. Gleichgewicht. Ihr Herz klopfte laut, schien ihr, schneller als sonst. Leben durchströmte sie. Wieder seine Stimme.

"Warum hast du keine Angst vor mir?"

"Müsste ich?"

"Sag du es mir."

"Manchmal auch vor dir. Dann wieder nicht. Es ist nicht immer gleich. Aber ich muss sie nicht haben. Nein."

"Sei vorsichtiger. Das ist ein Rat von mir."

Er stand auf, putzte den Sand weg und machte Anstalten zu gehen. Sie versuchte es zu verhindern, wollte ihn noch nicht weg lassen. "Bitte geh noch nicht." Er wollte nicht, dass sie ihn zurück hielt, sah leicht ärgerlich aus. "Leg nicht Dinge in etwas, die da nicht sind und die nie sein können. Es ist besser für dich. Vergiss alles. Vergiss es. Vor allem vergiss mich gleich wieder."

Laurent ließ sich nicht aufhalten. Der letzte Satz war so kalt von ihm gekommen, dass sie fröstelte. Sie sah ihm nach. Die nächste Nebelschwade verschluckte ihn und sie wurde traurig. Das Hochgefühl der letzten Tage war wie weg geblasen. Warum war die Leichtigkeit aufgetaucht, wenn alles nur Rauch war? Warum hatte sie gedacht, es könnte vielleicht mehr sein? Das Interesse war einseitig und blieb so. Sie war kein verträumter Teenager mehr. Er löste Gefühlschaos in ihr aus, so wie manchmal in diesem Land chaotische Winde wehten. Die Traurigkeit hatte sie wieder. Jetzt erst recht. Alles ging von ihm aus. Was sollte das? Warum ließ sie es zu? Traurigkeit nun durch diese Kälte. Es fror sie. Was hatte sie denn erwartet und warum um Himmels willen sollte da etwas sein? Sie konnte es nicht verhindern. Tränen stiegen empor, aus den Tiefen, verschleierten ihren Blick.

"Roby, sag du es mir. Darf ich nicht wieder lieben? Soll das für immer verloren bleiben? Ich bin schon so lange allein. Ich werde dich nie vergessen. Unsere Liebe ist etwas Besonderes. Aber ich sehne mich so sehr nach Armen, nach Geborgenheit. Es tut weh. Es tut so sehr weh. Ich möchte es wiederhaben. Die Gefühle dieser Tage waren schön. Warum ist es weg?"

Natürlich konnte sie gut auf eigenen Beinen stehen. Manchmal staunte sie selbst, wie gut sie das Leben danach gemeistert hatte, wie gut sie damit zurecht kam und mit dem Verlust umging. Denn sie hatte damals gedacht, sie müsste mit ihm sterben. Sie hatte nicht ohne ihn bleiben wollen. Die Trauer war jedoch leiser geworden, ihre Erinnerungen lebten, ließen sie oft lächeln, ließen sie sogar lachen. Sie war stark geworden. So wie es ihr Vater nie gedacht hätte, wie es René ganz bestimmt nie vermutet hatte, so wie es ihr Jocelyne nie zugetraut hatte. Oder war sie es eigentlich immer gewesen, wie es Maria von ihr gedacht hatte? Wie es Roby gesagt hatte. Maria, Roby's Mutter, war zu ihrer Freundin geworden. Sie hatten an sie geglaubt. Die Menschen hier glaubten an sie. Sie stand aufrecht. Aber ganz innen sehnte sie sich.

Meist war es in der Arbeit vergraben, blieb es still. Doch manchmal stieß es an die Oberfläche, oft überraschend, brach aus ihr heraus und konnte sehr heftig sein. Die Sehnsucht nach Gemeinsamkeit, nach Partnerschaft, nach Armen, nach Vertrautheit selbst im Schweigen, nach Verstehen ohne viele Worte, nach Gesten, tiefem Vertrauen, nach Geplänkel und Zärtlichkeit, nach kleinen Streitereien und Versöhnung, nach Liebe. Doch vermutlich blieben ihr nur Erinnerungen und Träume, so jung sie auch war. Sie weinte leise, ließ es zu, allein mit dem Meer. Sie sah das Meer nicht mehr, nicht die Möwen, deren Stimmen sie wie Hintergrundmusik hörte. Sie spürte zwar den leichten Wind, der versuchte, ihre Tränen zu trocknen. Laurent hatte etwas in ihr geweckt, das es nicht gab, etwas geweckt, das nicht sein konnte und nicht sein durfte. Warum gerade Laurent? Warum niemand von denen, die ihr bisher gezeigt hatten, dass sie ihr Liebe geben wollten? Nein, dieser seltsame fremde Mann, dieses unlösbare Rätsel. Sie war keines, wie er es angedeutet hatte. Er schon.

Sie kannte ihn nicht, wusste nichts von ihm. War es die Ähnlichkeit der Begegnungen? Wenn es das war, tat sie dem einen und dem anderen Unrecht damit. Eine Wiederholung und doch keine. Nein. Oder gebar ihre Sehnsucht etwas, das nicht existierte, dass kein zweites Mal, auch nicht ähnlich, geschehen konnte? Illusionen. Legte sie hinein, wo nichts war, wie er es gesagt hatte? Bei ihr war es. Bei ihr war es da. Bei ihm wohl nicht. Der Schmerz in ihr nahm zu, weitete sich aus. Sie fühlte Verlassenheit. Auch wenn sie ihr Leben weiterhin bewältigen würde, jetzt fühlte sie Verlassenheit. Es schüttelte sie, sie zitterte, und sie konnte es nicht mehr anhalten. Je mehr sie es versuchte, desto stärker wurde es. Also ließ sie es zu. Jetzt. Allein hier am Strand.

Da legten sich auf einmal sanft Arme um sie, warm und stark und vorsichtig. Sie zuckte nicht einmal zusammen, wehrte sich nicht. Sie wusste, dass er es war. Sie roch seine herbe Mischung, seine Haut, sie wurde gehalten. Katie legte ihren schmerzenden verwirrten Kopf an seine Brust und ließ alles das erste Mal ungehemmt heraus strömen. Sie hatte sich doch immer mehr oder weniger zusammen genommen, nun ließ sie los. Ungewöhnlich vertrauensvoll in seinen Armen. Sie durfte sich wieder einmal anlehnen und sich beschützt fühlen. Das empfand sie in diesem Moment bei Laurent. Sie schloss die brennenden Augen und beruhigte sich langsam. Er saß hinter ihr und hielt sie so umfangen, schwieg, bis sie ruhiger geworden war. Erst dann fragte er: "Habe ich dir weh getan?"

"Nein, nicht wirklich du. Nicht nur du." Sie sah kurz in sein Gesicht mit der unvermeidlichen Sonnenbrille. Diese hielt sie immer noch auf eine gewisse Distanz. Sie sah gerne in Augen, suchte gerne in den Fenstern der Menschen nach ihnen. Das hatte sich nicht geändert. Sie wollte ihn jedoch nicht bedrängen mit ihren Wünschen und ihn damit vertreiben und mit ihm diesen zärtlich vertraulichen Augenblick. Sie wusste jedoch, dass dieser auch so bald zu Ende ging.

"Was macht dich so traurig?"

"Sehnsucht. Verlassenheit."

Sie schloss die Augen wieder, lehnte sich an ihn. Nur noch eine Weile. Sie versuchte, das Gefühl festzuhalten, nur noch eine kleine Zeit. Sie genoss das Jetzt mit all ihren Sinnen. "Bleib noch. Bitte bleib Moment, bleib so. Bleib Zärtlichkeit. Bleib Wärme. Bleib noch." In ihr war Vertrauen. Sie schmiegte sich leicht an ihn.

"Ich versuche, es dir zu erklären. Es ist nicht einfach. Es hat mit früher und mit heute zu tun. Es hat mit dem, was ich brauche und nicht mehr habe zu tun, ja, mit Sehnsüchten. Versteh es nicht falsch bitte. Ich kann auch so leben, ich kann stehen. Ich gehe den Weg, den ich gehen muss. Ich weiß nicht, ob … doch, ich versuche es."

Einen Moment schwieg sie, um die Worte zu sammeln und sie zu ordnen.

"Laurent, du weckst etwas in mir, das vor sich hin geschlummert hat. Du tust es wohl nicht aktiv. So wie auch ich es nicht aktiv suche. Aber … es ist etwas an dir … wie soll ich es nur beschreiben, damit du es nicht falsch verstehst? Vielleicht mache ich mich vollkommen lächerlich damit. Aber es ist da. Vielleicht lege ich es in dich, wie du es gesagt hast, und da ist nichts. Aber es war von Anfang an da und …"

"Nein! Nein, sprich nicht weiter bitte. Sprich es nicht aus. Lächerlich ist nichts. Bestimmt nicht. Und … da ist etwas ja. Wir spüren vermutlich beide das gleiche oder ähnliches. Ich konnte es nicht verhindern, aber ich hätte es tun sollen. Es ist mein Fehler. Es darf nicht sein."

"Warum? Bist du gebunden?"

Sie hielt den Atem an. War er mit jemandem zusammen?

"Nein. Das ist es nicht. Das bin ich nicht. Da ist niemand. Akzeptiere es bitte, wie es ist."

"Ohne Erklärung?"

"Ja. "

"Da ist nicht viel Vertrauen."

"Oder eine Menge."

"Nein."

"Kommt darauf an, von welcher Seite du es ansiehst. Aber … Da ist keines Katie. Stimmt. Es hat nichts mit dir zu tun. Ich will nicht … ich will nicht, dass du traurig bist. Lächle wieder. Du hast ein schönes Lächeln."

Wie stellte er sich das vor? Er befahl und sie gehorchte? Vermutlich war es nicht so gemeint. Sie wollte jedoch mehr über ihn herausfinden.

"Geht immer alles nach deinem Kopf?"

"Nein."

"Sollte es das, deiner Ansicht nach?"

"Ja." Sie hörte, dass er schmunzelte. Es war seiner Stimme anzuhören.

"Dachte ich es mir doch. Wie bist du Laurent?"

"Viele Fragen."

"Ja. Gib mir Antworten. Egal welche."

"Vielleicht."

"Hör gut zu. Ich frage dich nicht, wer du bist. Das ist nicht wesentlich. Wie bist du? Weißt du es? Bestimmt oder? Sag es mir. Wie siehst du dich selbst?

"Wie du mich?"

"Kann ich das, nach so kurzer Zeit und bei deinem Versteckspiel?"

"Versuch es."

"Ich sage dir, was ich spüre. Ich spüre Gegensätzliches. Eine große Spannung. Hell und Dunkel. Zärtlichkeit und Härte. Wärme und Kälte. Vertrauen und Misstrauen. Zutrauen und Angst. Ruhe und Wut. Ja, vermutlich ist das alles in jedem von uns. Bei dir schlägt es stark aus. Von einer Seite auf die andere und zurück. Dadurch bist du angespannt bis zum Äußersten."

"Das spürst du alles?"

"Ja. Jetzt bist du aber dran. Sag, könnten wir Freunde werden?"

"Nein!" Er war von einem Moment zum anderen aufgewühlt, die Stimmung hatte sich verändert. Der weiche Augenblick hatte sein Ende gefunden. Sie spürte ihn noch immer nachhallen, als er heftiger sagte: "Das weiß ich nicht, ob wir das werden könnten oder sollten. Vielleicht … begehre ich dich dazu zu sehr."

"Du …"

"Ja natürlich tu ich das! Das ist doch wohl offensichtlich. Das kannst du spüren. Du denkst vielleicht, es ist Bedrohung. Es ist Begehren. Verstehst du? Natürlich tust du das. Du bist nicht naiv."

"Das eine schließt das andere nicht aus. Auch liebende Partner sind Freunde."

"Liebe? Nein, nicht Liebe."

"Was dann?"

"Was ich sagte: Begehren! Noch einmal: animalische Lust. Nichts weiter. Alles klar?" War sie zu weit gegangen. "Hör auf Katie! Hör auf!" Er sog die Luft heftig ein, versuchte aber, ruhig zu bleiben. Sie war sehr direkt und offen. Etwas, das er an ihr schätzt, dass ihn aber auch verschreckte, wie es diese Worte selbst taten. Er wollte ihr deutlich machen, dass sie nicht zusammen fanden. Missbrauchen für seine Begierden wollte er diese Frau auf keinen Fall. Und es wäre Missbrauch. Sie empfand zu viel, er zu wenig. Oder er wusste seine Gefühle nicht einzuordnen. Liebe war es nicht. Nein. Die wollte er nicht, also war es keine. An so etwas glaubte er nicht.

"Ich … verbrenne in Gedanken an dich und jetzt erst recht, wenn du so nahe bist. Ich verbrenne vor Begehren. Das will ich vermeiden, es auf keinen Fall zulassen, es nicht soweit kommen lassen, wie es kommen könnte. Und ganz bestimmt nicht noch mehr zulassen. Nein. Liebe? Nein. Du kannst dir nicht vorstellen, was in mir los ist oder vielleicht spürst du etwas davon. Ist es nicht so, dass es dich anzieht und doch manchmal Angst macht? Denk nach. Ist es nicht so? Manchmal Vertrauen, manchmal Furcht? Stimmt doch oder?"

"Ja, aber … ich sehe es nicht wie du."

"Es ist aber so. Ich könnte über dich herfallen wie ein wildes Tier. Was hättest du für eine Chance?"

"Laurent, du tust es aber nicht."

"Was weißt du denn von mir?"

"Ich …"

"Nein, bitte sei still! Stimmt, ich tu es nicht. Aber ob ich mich immer so im Griff habe, ist fraglich."

"Du …"

"Du willst es nicht sehen, wie es ist. Ich sage es dir. Katie, der Moment eben, der war sanft. Ja, ich kann so sein. Aber oft könnte ich dich dafür zerfetzen, weil du das mit mir machst, etwas in mir auslöst, das ich nicht will."

"Ich tu das?"

"Tust du, auch wenn du nicht wirklich etwas dafür kannst. Und ich will nicht. Verstehst du? Ich will nicht. Das ist in mir. Aber was ist es? Wenn ich das bloß wüsste! Manches wäre einfacher. Ich weiß nicht, wie ich bin. Ich kann dir diese Frage nicht beantworten. Ich könnte dich … oder dann fliehe ich, weit weg von dir und versuche zu Eis zu erstarren. Du hast die Kälte gespürt. Stimmt es? Aber das Auftauen dann schmerzt wieder. Du willst wissen, wie ich bin? Du hast es gut formuliert. Alles. Gut und Böse. Ich vermute aber, der Teufel überwiegt. Das ist nicht gut, für niemanden, am wenigsten für dich. Verstehst du? Es ist nicht gut für dich. Ich will dir keinen Schaden zufügen."

Er ließ sie plötzlich los, nachdem er sie kurz an sich gedrückt hatte und stand auf. "Halt dich von mir fern."

Und wieder ging er mit langen eiligen Schritten davon und sie blieb verwirrter als zuvor zurück. Zuletzt war er ihr tatsächlich bedrohlich vorgekommen. Sie hatte Angst gespürt. Er hatte Recht. Es war einmal so, einmal so. Wie kam es? Vielleicht spürte sie seine Angst? Oder ging von ihm tatsächlich Gefahr aus? Sie spürte beides, alles, im Zusammenhang mit ihm. Alles war unklar. Und doch war die Basis, der Boden in ihr, Vertrauen. Also musste die Gefahr anders gelagert sein. Nicht als Gefahr für ihr Leben. Anders. Und er entschied einfach für sie mit. Gut, wenn er es für sich persönlich entschied, war das okay und sie musste es akzeptieren, selbst wenn es schwer fiel. Aber er gab an, dass es für sie besser war. Und er entschied auf keinen Fall, was für sie gut, was für sie besser war. Oh nein! Das wusste nur sie oder auch nicht, aber kein anderer. Ganz bestimmt nicht er. So etwas entschied sie für sich selbst und ließ nicht über sich bestimmen. Ja. Das konnte er sich abschminken. Warum dachten nur immer wieder welche, sie hätten zu entscheiden, was für sie, Katie, das beste war. Das war doch die Höhe! Das kam immer mal wieder vor. Aber das ließ sie auf keinen Fall mehr zu. Männer! Nein, das taten nicht nur Männer.

Sie saß noch eine Weile da, um zur Ruhe zu kommen und weil ihr danach war, weiter aufs Meer hinaus zu sehen, wo sich die Nebelschwaden sehr langsam aufzulösen begannen, leichter und somit durchscheinender wurden. Darüber lag der blaue Himmel. Sie sah ihn. Es war schön. Sie hörte Stimmen. Die ersten Strandbesucher. Da stand sie auf und spazierte langsam zum Jeep zurück. Sie spürte den weichen Sand unter den Füssen, den Wind in ihrem Haar, steckte eine vorwitzige Strähne hinters Ohr zurück. War es vielleicht doch besser, ihn zu vergessen? Wenn sie sich Komplikationen ersparen wollte, bestimmt. Wollte sie sich diese ersparen oder lohnte es sich, diese auf sich zu nehmen? Fragen über Fragen. Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie sich davon befreien, steckte den Schlüssel ein, startete und fuhr los.

Die Landschaft zog an ihr vorbei. Obwohl sie sich auf die Straße oder auf den Weg konzentrieren musste, erhaschte sie Ausblicke. Ja, trotz der Löcher und Rinnen, die durch Regen entstanden waren. Aber es hatte nun schon länger nicht mehr geregnet. Der unendliche Horizont auf der einen Seite, auf einer anderen weit hinten Silhouetten der Hügel und Berge. Die Gräser und anderen Pflanzen der Dünen und Ebenen. Die harten Gräser, die böse Schnitte verursachen konnten, die zarten und doch so zähen Saladelle, die Salzpflanzen, die kleinen Blumen, oft zitternd im Wehen des Windes. Die Flächen in sand, gelb, rot, violett, grün, in dunkelrot, in braun und blau. Erde durchzogen mit Rissen in Trockenheit, weißen Salzrändern, durchwirkt mit unzähligen Mustern, kleinen Lebewesen oder verkrusteten Versteinerungen von Krebsen, von Muscheln, von Schnecken. Ein Holzstück, um das sich eine Pflanze schlang, ein Stein, der durch Sandkörner, den Wind und das Wasser ständig geschliffen wurde. Eine Muschel vielleicht, die sich weit ins Land hinein verirrt hatte. Im Grunde hatte sie es nicht. Das Land hatte einmal dem Meer gehört und das Meer forderte wieder Land zurück. Es war ständig in Bewegung. Ebenen mit immer wieder glitzernden Wasserflächen.

Oft wenn es heiß war lag ein Flimmern über allem und ein Sirren und Summen war in der Luft, manchmal auch der faulige Geruch der Moore. Aber da waren auch die Gerüche des Meeres, die der Tiere, die sich mit den Gerüchen der Menschen hier verbanden. Sie alle hatten den Bund geschlossen, dem niemand von ihnen mehr entkam und ihm auch nicht entkommen wollte. Katie schon mal gar nicht. Sie gehörte hierher und wollte nicht woanders leben.

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