Читать книгу MarChip und das Geheimnis um Etoile Rouge - Esther Grünig-Schöni - Страница 4

1. Kapitel

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„Vermisst wird …“ Er warf die Zeitung dorthin, wo er sie aufgelesen hatte. Sie lag auf einer Mauer, aber es interessierte ihn nicht. Keine Nachrichten und nicht diese Vermisst-Meldung. Er konnte keine so genannten sachdienlichen Hinweise über den Verbleib der Frau liefern und wer sie war, kümmerte ihn nicht. Bestimmt tauchte sie früher oder später wieder auf. Er wollte entspannen. Die Seiten der Zeitung von La Seyne flatterten im Wind.

Warum er die Einladung bekommen hatte, wusste er nicht. Aber er hatte sie neugierig angenommen und stand vor dem Haus. Rätsel mochte er, aber keine Erinnerungen an gewisse Ereignisse in seinem Leben. Fabien sah sich um. Es gefiel ihm. Die Pension lag nicht weit vom Strand. Die Landschaft bot schöne Ausblicke und er hatte das Gefühl, dass er in ein Abenteuer eintauchte. Hätte ihn die Vermisste doch interessieren sollen? Vielleicht war das Teil des Rätsels? Ach Unsinn. Für ihn war das eine mehr, die abgehauen war. Was für ein Abenteuer war egal. Er nahm es wie es kam. Und wenn es zu dick kam, wusste er sich zu wehren. Dafür hatte er in seinem bisherigen Leben genug Rüstzeug mitbekommen. Nicht das er schon alt war. Nein, er war jung und stark, aber es war einiges geschehen, durch seine Schuld, oder anderes fremd gesteuert. Er wusste, was er nicht wollte, doch noch nicht genau, was ihm lag – oder nicht mehr – und nicht, wohin er ging.

Er trat mit seinen Taschen ein und meldete sich an: „Fabien Voizinet genannt Chip meldet sich zur Stelle. Groß, schlank, blond, wild und unwiderstehlich.“

Er lachte. Natürlich löste diese Anmeldung Erstaunen aus. Als er in seinem Zimmer ankam, warf er alles in eine leere Ecke, und sich selbst aufs Bett. „Ich bin da. Ist das alles?“ Wenn ja, würde er sich schnell langweilen. Aber … vorschnelle Schlüsse waren nicht sein Ding. Mal sehen – abwarten.

Er sprang gleich wieder auf, öffnete ungestüm das Fenster, sah die Wellen des Meeres glitzern und fühlte sich abwartend. Das mochte er nicht. Er agierte, nahm in die Hand. Kein anderer zog für ihn die Fäden und grenzte ihn damit ein. Er wartete nicht ab, handelte, selbst wenn er dabei auf die Schnauze fiel und sich blaue Flecken und eine blutige Nase holte, selbst wenn der Kopf brummte und die Knochen knackten. Frei.

„Essen!“ Gute Idee. Er fuhr sich durch die Haare, wühlte nach bequemen Schuhen, streifte die über, polterte hinaus und ließ die Türe lachend ins Schloss knallen. Sie sollten gleich wissen, wen sie sich ins Haus geholt hatten. „Was dachtet Ihr denn? Wenn ihr mich herbestellt, habt ihr das Geschenk. Mal sehen, wie schnell die Einladung widerrufen wird und ich mit einem Tritt in den Allerwertesten vor der Türe lande.“

Wie ein Trampeltier fuhr er in den Speisesaal ein und stieß ein lautes „Guten Abend Herrschaften!“ in den gemütlichen Raum. Er rückte sich einen Tisch dahin, wo er ihn haben wollte, setze sich endlich und fragte laut: „Was gibt es zu essen und was Neues?“ Er schaute fragend in die Runde. Antwort blieb aus. Auf den Tischen gab es Tischdecken und nicht nur Sets. Alles schien farblich aufeinander abgestimmt, nicht zu grell und nicht zu langweilig. Die Hauptfarbe ging in ein warmes helles Braun. Dazu die Muster, vermutlich solche, aus der Gegend. Selbst die Vorhänge waren dem angepasst. Die Servietten, die Sitzkissen auf den Holzstühlen und die Decken auf Anrichten und Kommoden. Es war nicht zu groß und nicht so klein, dass man darin Platzangst empfand. Es gab Nischen und verschwiegene Ecken. Es war alles so angeordnet, dass jeder Gast, wo immer er saß, einen angenehmen Ausblick genießen konnte. Außer er hatte ausgerechnet Fabien im Blickfeld. Es kam darauf an, wie er sich benahm. Sein Aussehen war nicht abschreckend. Mit seinem Benehmen mussten sie sich abfinden. Irgendwann tauchte bestimmt der auf, der ihn herbestellt hatte und dann sah er, was daraus wurde.

Die Folge seines Auftretens waren fragende, verwirrte Blicke von einigen Seiten und eine rundliche, nicht mehr ganz taufrische Frau, die ihn mit einer Karte in der Hand und in Falten gelegter Stirne ansteuerte. Bevor sie etwas sagen konnte, sah er ihr frech in die Augen und ließ verlauten: „Lächeln Sie Madame, dann glättet sich die Stirne. Das ist besser für den Teint.“

„Guten Abend, mein Herr“, kam zurück, gefolgt von den Speisevorschlägen. Er wählte und fügte an: „Ich bin Fabien, kein Herr.“

„Ich wollte nicht unfreundlich sein.“

Sie spazierte davon, verschwand im Wirtschaftsbereich und er hörte ihre Frage: „Was ist denn das für einer?“ Er grinste.

***

Strand, Sonne, Meer. Urlaub? Für die einen ja, die anderen durften für die Urlauber malochen. Darüber wollte er nicht nachdenken. Das Denken überließ er den Pferden, da diese größere Köpfe besaßen. Er musste nicht arbeiten, war Urlauber, schlenderte den Strand entlang. Angenehm dies mitten in der Woche tun zu können.

Seit zwei Tagen wohnte er in der Pension. Am Strand. Er konnte von seinem Fenster aus direkt in den Sand springen, auch wenn er nicht im Parterre hauste. Hm, warum nicht ausprobieren? Leider versäumte er, wie es sonst seine Art war, nachzusehen, ob da jemand stand oder saß. Mit einem Anlauf durch das ganze Zimmer und einem Überschlag mit anschließender Schraube, weil die Höhe gut ausreichte, sprang er aus dem Fenster und landete genau zu Füssen einer erschrockenen jungen Frau. Sie schrie auf, musterte ihn ärgerlich, putzte sich den Sand von ihren Kleidern, pfiff einem Hund und stapfte mit dem davon. Nicht ohne sich zu ärgern. „Gibt es denn so etwas? Hier fallen nicht goldene Hühner vom Himmel, sondern blonde Kerle.“ Fabien lachte und rief ihr nach: „Was willst du mit goldenen Hühnern, wenn du mich geliefert bekommst? Kerle sind besser zu gebrauchen.“

Er sah, dass sie ihm ein deutliches Zeichen machte. Sie schien nicht seiner Ansicht zu sein. Das fing gut an. Und dabei wollte er gar nicht anbändeln. Er sah ihr nach und stellte fest, dass sie eine ansprechende Figur hatte. Besonders der knackige kleine Hintern sagte ihm zu. Er seufzte. Den Frauen hatte er doch abgeschworen. Wirklich? Er war kein Mönch. Trotzdem ... Weg mit diesen verdorbenen Gedanken und Konzentration auf den bevorstehenden Spaziergang.

Er musste ein paar kleine Sandhügel überwinden und konnte ins Meer eintauchen. Was kam als nächstes? Er schüttelte ärgerlich den Kopf. Blöde Frage. „Was tat er?“, das war die richtige und nicht „Was kam?“ Vorerst keine Termine in Sicht, an die er denken musste, die seinen Tagesablauf bestimmten, keine Verpflichtungen. Er konnte sich benehmen wie er wollte. Keiner hatte ihm Vorschriften zu machen.

Fabien lachte. Heute musste er nicht an die sich ständig drehenden Zeiger der Uhr denken. Natürlich bewegten sich Zeiger trotzdem, die Zeit floss weiter, die Stunden verrannen. Aber er musste sie nicht mit Papieren, mit gutem Benehmen, mit stupider Arbeit, unnützem sich herum ärgern, sich anpassen füllen und nicht mit dem Anhören von Predigten und ständigen Maßregelungen. Die Zeit bewegte sich, aber er war nicht ihr Sklave. Sie war nicht seine ihn antreibende Gebieterin. Er machte ihr eine lange Nase, spottete über sie und streckte ihr die Zunge heraus, zeigte ihr seine Kehrseite. „Du kannst mich mal. Jawohl!“ Das tat er mit Vergnügen. Das Problem war, dass just in diesem Moment, als er es tat, ein Herr vorbei joggte.

So etwas Dummes. Hätte der nicht früher oder später auftauchen können? Das war ihm nicht Recht. Der Herr konnte nichts dafür und er war nicht in Streithahnstimmung. Der Mann hielt an und kam zu ihm, schaute wütend, packte ihn am Arm. Es grenzte für Fabien an ein Wunder, dass er keine rein gehauen bekam. „Was fällt Ihnen ein!“

Fabien lief rot an – so etwas gab es – schließlich war es für einmal keine Absicht gewesen. So etwas Blödes aber auch! Erst wollte er sich entschuldigen, verwarf den Gedanken und sagte nur: „Das galt nicht Ihnen.“

Der Mann sah sich um und runzelte die Stirne: „Und wem sonst? Hier ist sonst weit und breit keiner. Oder hat sich jemand im Sand eingegraben?“

„Das weiß ich nicht. Die Idee gefällt mir allerdings, muss ich zugeben. Nein, das galt der Zeit, der Uhr, die alles erbarmungslos diktiert.“

Der Jogger ließ ihn los und musterte ihn. „Ausrede, Tatsache oder Fantasie?“

„Tatsache.“

„Immerhin habe ich eine solche Erklärung zu einer Unverschämtheit noch nie zu hören bekommen. Eine gewisse Originalität ist Ihnen nicht abzusprechen.“ Er machte ein paar Dehnübungen an Ort und sah ihn wieder an.

Sie musterten sich gegenseitig. Fabien, jung, groß, windzerzaust, durchtrainiert. Der Jogger, nicht minder windzerzaust, mit kurzen braunen Haaren allerdings, kompakter und kleiner, aber sportlich bestimmt. Gekleidet war er allerdings nicht wie ein Jogger, eher wie ein Geschäftsmann. Mittagpause war noch nicht. Oder war ihm etwas entgangen? Na gut, der konnte vor der Arbeit ein Training einschieben. „Denk nicht so spießig Chip.“ Mittleres Alter und vermutlich vernünftiger als der Junge. Das war allerdings nicht aus seinem Äußeren zu schließen. Vernunft ließ sich seines Erachtens nicht auf diese Weise messen. Aber in seinen Augen fand er etwas, das er nicht einordnen konnte. Es war nicht Freundlichkeit, etwas Kühles, Abschätzendes, keine Aggression und doch etwas, das ihm nicht behagte. Etwas stimmte mit dem Kerl nicht. Aber was es war konnte er nicht erkennen. Wie dem auch sei. Der ging nicht weiter und wollte ausführlicher erklärt haben, was es mit seiner Geste auf sich gehabt hatte. Fabien erklärte:

„Ich dachte über das Diktat der Zeit nach. Die Zeit, die in Terminen geregelt das Leben bestimmt. Heute nicht. Diese Tage nicht. Urlaub. Darum meine Zeichen.“

„Aha.“

Der Jogger schien nicht überzeugt. „Sie wirken nicht wie ein Denker auf mich.“

„Eigentlich setze ich den Kopf sehr wohl zum Denken ein, auch wenn ich anders auf Sie zu wirken scheine. Ich grüble mehr, als ich es selbst manchmal für möglich und vor allem für nötig halte. Mehr als mir einer ansieht. Das mit den Terminen ständig, der Hetze, dem Druck von allen Seiten, das hat doch was oder? Ich vermute, Sie sind dem ebenfalls ausgesetzt, müssen gleich ins Büro rennen und sich dem Tag stellen. Ich nicht, heute nicht. Und ob ich das in Zukunft so will, wird sich zeigen. Ich muss zwar wie jeder meine Brötchen verdienen, aber auf welche Art und in welchem Masse, das ist mir gerade nicht klar. Es wird sich finden. Ich brauche nicht viel zum Leben, bin mit wenig zufrieden, also muss ich nicht dem ganzen Scheiss ständig hinterher rennen.“

Ach du Schande! Was bereitete er seine ganzen Lebensphilosophien vor dem Fremden aus. „Chip, halt den Schnabel!“ Der Mann war nicht weniger verwundert darüber.

„Erstaunlich, was aus Ihrem Mund kommt. Jeder hat seine Hetze und seinen Druck und Termine. Stimmt. Manchmal wäre es gut, einiges zu überdenken. Sie haben eine unkonventionelle Art, das zu tun. Und Sie wirken eindeutig so, als ob Sie ganz gerne provozieren. In Ihren Augen ist so ein Glitzern und trotzdem …“

Er sah ihm weiter in die Augen. „Keine Falschheit.“ Der Junge hatte klare grüne Augen, die ihm direkt und frech in seine dunklen blickten.

„Was in Ihren Augen ist, weiß ich nicht. Es ist Undefinierbar“, konstatierte Fabien. So etwas konnte er auch. Der andere ging darauf nicht ein und hatte von der Unterhaltung genug. Er sah so aus, als wolle er gleich weiter.

„Ich kam zufällig ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt vorbei?“

„Erfasst Kumpel! Keine Sekunde früher oder später.“

Es kam keine Benimm-Predigt, kein Vortrag, nichts, worauf Fabien allergisch gewesen wäre. Ein letzter Blick zwischen ihnen. „Okay, dann setze ich mein Jogging fort. Einen erholsamen Urlaubstag wünsche ich, “ und weiter war er. Seltsame Begegnung war das.

Fabien sah ihm nach. „Ganz schön leichtfüßig für sein Alter, gut trainiert der Mann“ und ging ebenfalls seinen Weg.

Das hieß, er war gerade gut gelaunt und machte zwei übermütige Überschläge vorwärts, eine Rolle aus dem Stand heraus und einen Überschlag, bevor er weiter ging. Das begann nicht übel hier. Hatte er es nötig, Trübsal zu blasen? Wie hieß es im Lied von Queen? „The Show must go on“. Er lachte dem ganzen Scheiss ins Gesicht, sah aufs Meer hinaus.

MarChip und das Geheimnis um Etoile Rouge

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