Читать книгу MarChip und das Geheimnis um Etoile Rouge - Esther Grünig-Schöni - Страница 7

4. Kapitel

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Fabien kramte ein Buch aus seiner Tasche und ging damit nach unten, suchte sich einen Platz auf der Terrasse neben dem Bad, stellte eine Liege hin, wo es ihm gefiel. Er verschob einen Sonnenschirm so, dass es ihm passte, so dass er gut lesen konnte und ihm die Sonne nicht in die Augen schien, achtete weder auf ärgerliche Blicke, noch auf Proteste. Er nahm sich, was er brauchte, und machte es sich mit dem Buch gemütlich. Er hatte Faulenzen und Lesen als seine heutige Tätigkeit gewählt.

Er sah Marie vorbei gehen, die ihn keines Blickes würdigte. Damit war er zufrieden. Es hatte gewirkt. So wollte er es haben. Gut. Hm? Ja? Klar war es gut. Er sah ihr nach. Verflixt, sie sah nicht nur gut aus. Die Frau war schön. Gleich verscheuchte er diese Gedanken. Er entspannte sich, vertiefte sich in das Buch und genoss den Tag.

Etwas später musste er feststellen, dass er sich in einem Punkt verkalkuliert hatte. Er las eine Stelle im Buch, wo sich ein gehegter Verdacht in einem spannenden Fall erhärtete. Gespannt las er die Szene. Es war selten, dass er solche Bücher las. Sonst waren es Fachbücher oder Zeitschriften, aus denen er lernen oder sich informieren konnte. Aber für seinen Urlaub hatte er sich ein paar Romane besorgt.

An dieser spannenden Stelle, die eines der Rätsel auflöste, traf ihn ein starker Wasserstrahl, der ihm das Buch aus den Händen riss. Er ging mit zu Boden, versuchte aufzustehen, was bei der Kraft des Wasserstrahls nicht einfach war. Kalt war es! Brrrr! Endlich konnte er sich befreien und rannte in die Richtung, wo es hergekommen war. Natürlich war derjenige, der ihn brutal im Visier gehabt hatte, verschwunden. Der Schlauch lag harmlos da, als wäre nichts gewesen. Frechheit! Er sah sich um. Marie war nirgends zu sehen. Dieses Weibsstück! Bestimmt war sie das gewesen. Na die sollte ihm unterkommen! Was bildete die sich bloß ein!

Er ging zurück, stellte die Liege auf, den Sonnenschirm, der in Schieflage geraten war. Alles triefte. Die Kleider trockneten. Das war nicht das Problem. Er las alles zusammen. Das Buch löste sich in seine Bestandteile auf, denn es hatte das meiste abbekommen. Das konnte er weg werfen. Er schmetterte es zu Boden. „Merde! Da lese ich einmal so etwas. Und nun das! Wie geht der Mist aus! Merde! Merde! Diese Kuh, diese ...“

Er wusste, dass er zu laut war. Er brüllte herum. Einige Blicke waren entsprechend. Die konnten ihn mal! Er hatte genug von der Menschheit und zog sich in sein Zimmer zurück. Er mochte keinen sehen - war stinksauer. Er wunderte sich darüber. Normalerweise nahm er so etwas lockerer oder dachte sich einen Gegenschlag aus. Er verstand Spaß, aber nicht bei der! Er war so geladen, dass es besser war, dass ihm keiner begegnete, um Mord und Totschlag zu verhindern.

Den Fernseher schaltete er laut ein, so laut es ging, warf sein nasses Zeug ins Bad, trocknete sich, rubbelte die Haare, damit sie nicht mehr tropften, ordnete sie so gut das ging mit seinen Fingern, warf sich aufs Bett, zappte herum, war unzufrieden, sauer und wusste nichts mit sich anzufangen. Im Grunde hasste er es, wenn er so war. Das steuerte oft einer Katastrophe zu, bei der allerdings immer er den Kürzeren zog. Wie ein unumstößliches Gesetz. Das Leben war für ihn Merde! Er mochte weder hier liegen noch sitzen, noch jemanden sehen.

Es klopfte. Nein, das fehlte ihm gerade noch. „Hau ab!“ Es war ihm egal, wer draußen stand. Es klopfte wieder. Hartnäckig auch noch. Entnervt stand er auf, holte ein Tuch aus dem Bad und schlang es sich um die Hüften. Er öffnete und sein Ärger wuchs. „Was willst du? Du hast Nerven, hier zu erscheinen!“

Marie stand da – unbeeindruckt von seiner Laune – und streckte ihm etwas entgegen. „War es dieses Buch?“

„Wovon redest du?“

„Davon. Von dem Buch, das ich dir gerade unter die Nase halte. Hast du dieses gelesen?“ Er untersuchte es. Es war trocken und heil, aber es war dieses. Er musterte sie brummig. „Ja. Und?“

„Jetzt kannst du lesen, wie es weiter geht.“ Sie legte es ihm in die Hände, sah ihn sich von oben bis unten an, lächelte, drehte sich still um und ging.

Er staunte. Sie musste es für ihn besorgt haben. Das andere war verdorben gewesen. Verflixt! Wie sie ihn angesehen hatte. Und … ihr Gang hatte etwas Elegantes an sich. Eigentlich schade, dass er sich entschlossen hatte, Einsiedler zu werden. Aber Mönch nicht. Dazu war er nicht geschaffen. Sie gab ihm Konter. Dieses verflixte Weib reizte ihn. Seine Wut verrauchte. Er war ein Idiot und hörte sich sagen. „Marie? Willst du nicht rein kommen?“

Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm. „Ist es ratsam?“

„Finde es heraus. Bist du mutig? Oder traust du dich nicht nach deiner Wasseraktion und hast auch du nur ein großes Maul?“

„Das war eine Retourkutsche für deine Ferkelei beim Essen. Ich konnte alles waschen. Es ist ausgeglichen. Du wirst diesen Ausgleich doch nicht gleich wieder gefährden? So dumm wirkst du nicht. Aber dein Buch wollte ich dir nicht verderben.“

Sie kam zurück und betrachtete ihn wieder. Er spürte ihre Augen. „Fabien, sieh mal, du darfst nicht so herum laufen, wenn du nicht vernascht werden willst. Ich bin auf nichts aus, aber … ich sehe vor mir einen frechen Jungen zum Anbeißen. Ich bin nur ein Mensch. Du kannst nicht so verführerisch sein und verlangen, dass jemand kühl bleibt, der einigermaßen normal tickt.“

Nun schmunzelte er. Das machte ihn attraktiver. „Hey, ich muss meine Kleider trocknen lassen.“

Sie trat ein. Er schloss die Türe. Es knisterte zwischen ihnen und für einmal stritten beide es nicht ab. „Du ... Sag bloß, du hast nur eine Jeans und ein Shirt im Gepäck. Verflixt! Du bist … zwar ein ungezogener Flegel und solche sind nicht auf meiner Favoritenliste, aber du bist mehr als sexy. Weißt du das nicht?“

„Doch.“

„Dachte ich mir.“

„Aber … ich will nichts anfangen.“

„Okay.“ Sie sah ihm in die Augen. „Akzeptiert. Es kommt mir entgegen, nichts anzufangen. Ich kann auf Komplikationen verzichten. Wie bereits erwähnt, solche wie du sind nicht mein Traum. Ich rede von deiner Art manchmal. Das Aussehen und deine Wirkung, das ist etwas anderes. Nur das allein ist nicht alles. Kühl lässt dich das auch nicht. Wenn du es abstreitest, lügst du. Ich sehe es dir an.“

„Nein, es lässt mich nicht kühl. Ich bin ein Mann.“

„Ach?“

Er nahm eine Hose aus dem Schrank und zog sie über. Sie sah ihm zu und dachte nicht daran, weg zu sehen. Als er sie musterte, kam nur. „Normalerweise bin ich direkt mit einer gewissen Höflichkeit. Der Unterschied zu dir. Entgegen deiner Meinung ist das vereinbar. Das lassen wir aber jetzt beiseite. Ich mag dich gerne ansehen. Und ja - du bist eindeutig ein Mann. Ich weiß bloß nicht mit letzter Sicherheit, was für einer. Was ist Maske, was ist Abwehr und was bist du? Ahnungen habe ich.“

Er lachte kurz. „Besser so? Mit der Hose?“

„Nein, nicht wirklich. Es ändert nichts. Aber ich nehme mich zusammen. Ich will dich nicht zu etwas drängen, was du nicht willst. Dein Körper will, aber dein Verstand sagt nein. Das muss zusammen stimmen. Wenn es soweit ist, sag es mir.“

Sie setzte sich auf einen Stuhl und sah ihm in die Augen. „Was tust du im Leben?“

„Vieles und Nichts. Und du?“

„Vieles und Nichts.“

Er lachte grimmig. „Du bist eine Nummer Marie! Okay. Im Grunde haben wir beide die gleichen Ausflüchte.“

Dieser Kerl war nicht nur der freche Junge. War es Tarnung? Sie tendierte zu nein. Wenn doch, geschah es nicht bewusst. Mit ihm konnte sie sich durchaus normal unterhalten, sich nicht nur fetzen und nicht nur Sprüche austauschen. Es konnte hart auf hart gehen. Sie hatten beide ähnlich sture Dickköpfe. Lohnte es sich doch, ihn näher kennen zu lernen? Noch war sie sich nicht sicher. Sie schwankte ständig hin und her. Zu einem abschließenden Urteil hatte sie nicht gefunden. Es war atypisch für sie. Sie legte den Kopf leicht schräg und lächelte: „Du hast am Strand gefragt, was der Name dieser Pension bedeuten könnte. Ich habe nachgeforscht. Es geht auf eine alte Geschichte zurück. Ein paar Dinge weiß ich dazu. Der Zugang zu diesen Informationen ist nicht schwierig. Gewisse Zusammenhänge kann ich jedoch nicht erkennen, aber …“

„Geht es um einen roten Stern, ist das nicht nur ein Fantasie-Name?“

„Ja. Um einen roten Edelstein, der „Etoile Rouge“ genannt wird. Dieser Edelstein ist Teil eines speziellen Schmuckstückes. Magst du die Geschichte hören?“

Er setzte sich ebenfalls, sah sie an, versuchte neutral zu werden und es ruhiger anzugehen. Sie hatte etwas an sich, dass es ihm schwer machte. Es löste Unruhe in ihm aus – mehr als das - anderes. Aber darüber wollte er nicht nachdenken. Die Frau war Versuchung für ihn. Nicht jetzt. Er versuchte es, in den Hintergrund zu drängen. Für ein schnelles Abenteuer war sie ihm zu schade. Mehr war nicht drin. Dilemma. Mann mit natürlichen Reaktionen und Bedürfnissen – Frau mit ebensolchen? Warum zu schade? Was für ein Blödsinn. Seine Birne war weich geworden. Zu schade. Warum so etwas? Kein Abenteuer. Komplizierter konnte er nicht mehr werden. Das war sonst das Privileg der Frauen. Er kratzte sich am Kopf und kam zurück zum Thema: Zuhören.

***

„Ich möchte, dass du mir ein Schmuckstück fertigst. Es soll ein Anhänger sein, den ich an einer langen Kette tragen kann. Aus erlesenem Material. Zu schwer sollte er nicht sein, aber so stabil, damit er eine spezielle Funktion erfüllen kann. Lass dir etwas einfallen. Du bist berühmt für deine Kunst. Du bist der beste. Aber …“

Sie sah sich um, lauschte. Hatte sie nicht etwas gehört? Ein Huschen? Ein Flüstern? War sie nicht vorsichtig genug gewesen? Sie ging leise zur Türe, riss sie auf. Niemand war da. Sie vergewisserte sich, dass niemand auch nur in der Nähe war und verschloss die Türe wieder. Die Vorsicht war angebracht. Neugieriges Gesindel gab es überall. Sie wandte sich dem Mann zu und musterte ihn ernst. In ihren Augen, die er nicht mochte, war Warnung zu erkennen, Bedrohung zu lesen und Autorität. Natürlich war sie eine Dame von Stand. Autorität gehörte dazu. Aber da war mehr. Sie war stark und kalt und es war nicht gut, sich mit ihr anzulegen. Das sah er in ihren Augen. Es fröstelte ihn. Grausam kamen sie ihm vor. Grausam war die hohe Dame. Er wusste es.

„… Du darfst mit niemandem darüber sprechen, es niemandem zeigen. Niemand außer dir selbst darf daran arbeiten. Du allein. Versprich mir das.“

„Ich verspreche es euch.“

„Du wirst mir allein die Funktion erklären und sie fortan vergessen. Ganz vergessen, als wäre nie etwas da gewesen, so als wäre ich nie hier gewesen. Ich werde dir allein beschreiben, was ich brauche. Versprich es mir bei deinem Leben. Das ist gewiss. Du wirst gut belohnt werden. Fürstlich. Aber dich und deine ganze Familie trifft ein Unglück. Du verlierst dein Leben auf schreckliche Art, wenn du dich nicht an dein Versprechen hältst. Nicht nur das. Deine ganze Familie mit dir. Nimm es ernst. Ihr werdet alle sterben, wenn du nicht vergisst oder wenn einer deiner Gesellen zu neugierig war oder nur etwas ahnt.“

Er beteuerte der hohen Dame im roten Gewand und dem dunklen Kapuzen-Mantel, den sie bestimmt draußen hochschlug, um unerkannt zu bleiben, dass er alles zu ihrer Zufriedenheit ausführen wolle und sein Versprechen halte. Im gleichen Moment erfasste ihn große Furcht, aber er verdrängte das Gefühl. Das Vermögen, das er gewinnen konnte, war ihm wichtiger. Damit lebte er lange gut und hatte weniger Sorgen. Sie erklärte ihm, was sie von ihm wollte. Es verwunderte ihn. Er dachte jedoch an süße Geheimnisse und stellte sich gerne der handwerklichen Herausforderung. Er hielt sich daran – wurde vermutet – erarbeitete es in aller Stille – allein – versteckt und konnte es ihr mit allen notwendigen Erklärungen übergeben.

Zufrieden nickte sie, besah sich den Anhänger, der blau schimmerte und doch aus feinem Silber war, dessen roter Stein in einem Stern saß. Die Gesellen sahen die Dame kurz, auch das Schmuckstück, als sie ging. Aber sie erkannten nicht, wer es war. Sie wussten nichts weiter, nichts von der Funktion. Sie sahen, wie die verschleierte Dame dem Meister einen Beutel mit Goldstücken aushändigte und ihn verließ. Auf geheimen Wegen. Niemand sonst sah sie. Wer sie war, wusste nur der Meister.

Von den Gesellen stammte das Wissen um das Vorhandensein eines geheimnisvollen Anhängers und der nicht weniger geheimnisvollen Dame. Das heißt, man nahm an, dass es so war.

Das Tragische war, dass nicht lange danach am Ufer der Aude die schrecklich verstümmelte Leiche eines Mannes gefunden wurde. Seine Ohren waren abgetrennt, die Augen ausgestochen und die Hände abgehackt. Außerdem sagte man, das Gesicht sei nicht mehr zu erkennen gewesen. Bei ihm wurden die Werkzeuge eines Schmuckmachers gefunden. Herausgefunden darüber wurde nichts. Sein Schweigen hatte ihm nicht geholfen. Jetzt war das Vergessen sicher gestellt.

***

„Ja, so sind die Frauen.“ Darauf ging sie nun nicht ein, fuhr weiter:

„Ich fand einige Geschichten, aber das war die erste über die Entstehung des Schmuckes, die mir plausibel vorkam. Es gibt viele andere. Was genau stimmt, ist schwierig heraus zu finden. Es gibt Mutmaßungen, Hinweise, es gibt Legenden und Gerüchte. Die erste Spur des Schmuckes „Etoile Rouge“, wie ich es dir erzählt habe, wurde in Carcassonne gefunden. Da hat es sich zugetragen. Manche wollen wissen, dass es bis in die Zeit der Araber zurückgeht, aber das ist mit nichts belegt.“

„So alt ist der Anhänger schon? Das hast du alles seit meiner Frage herausgefunden? Du sagst, es ist einfach. Die Geschichten zu sondieren und die Richtige zu filtern, braucht seine Zeit. Deine Sicherheit darin ist erstaunlich.“ Doch gleichzeitig huschte ihm etwas anderes durch die Gedanken.

Hatte er ein so altes Teil ins Meer zurück geworfen? Es wurde ihm unheimlich zumute. Die Tote, der … Aber was hatte das mit der Pension zu tun? Nun gut, der Name des Schmuckstückes, ja. Das Schmuckstück hieß so wie diese. Warum wusste Marie so viel? Misstrauen kam auf. Zufall? Keiner verwendete ihn ungestraft als Schachfigur in einem Spiel. Hatte sie ihn hergeholt? Oder … die Tote? Warum hätten sie das tun sollen? Er hatte mit dem Kram nichts zu tun. Nicht mit diesem Ding, nicht mit alten Geschichten und mit keinen Geheimnissen. Quatsch! So ein Quatsch! Auf was für Gedanken kam er denn? Er entspannte sich.

„Ja, sehr alt“, sagte sie. „Ich möchte sagen, 11. Jahrhundert.“ Auf seine zweite Frage ging sie nicht ein. Sein Misstrauen wuchs.

„Aber so sieht er nicht … ehm … bist du sicher?“ Beinahe wäre ihm da etwas heraus gerutscht. Oh Mann! Noch nicht. Abwarten. Welche Rolle spielte Marie in dieser Geschichte? Gehörte es zu seinem persönlichen Rätsel? Wenn ja, war sie nicht zufällig aufgetaucht. Was wurde hier gespielt?

„Ja.“ Sie musterte ihn mit leicht gerunzelter Stirne. Es war ihr nicht entgangen. „Das Schmuckstück wurde gut gepflegt und solche Materialien halten sich. Sie laufen vielleicht etwas an, aber das kann leicht gereinigt werden. Aber eigentlich war es ein Unglücksträger.“

„Dann hätte ich den nie so … Ich hätte den zerstört und nicht über die vielen Jahre gehütet.“

„Sie sahen ihn anders. Ich weiß nicht, was alles damit verbunden war, was genau sein Geheimnis war. Etwas davon lässt sich erahnen. Gegen die Aussicht auf Reichtum ist niemand immun und geht dadurch viele Risiken ein.“

„Ach? Du weißt nicht alles? Mir bedeutet Reichtum nichts.“

„So abgehoben bist du?“

„Nein, so auf dem Boden bin ich.“

„Habe ich behauptet, dass ich alles weiß?“ Sie sah ihn ärgerlich an. „Vielleicht lag ein Fluch darauf. So etwas wirkt nicht – wie du denkst – abstoßend, sondern es macht begehrenswerter. Dir kaufe ich nicht ab, dass dich Geld nicht interessiert.“

„Da ist wieder die Allwissende. Denk dir das, wie du willst. Ich weiß, wie ich es halte.“

„Beobachtet wurde – oder man kann sagen, festgestellt wurde – dass dort, wo der Anhänger auftauchte, Reichtum war. Der Preis dafür war die Gefahr.“ Sie war zur Geschichte zurückgekehrt. Er ging darauf ein, wenn auch spöttisch.

„Fluch? Glaubst du so einen Blödsinn?“ Er schaute sie mitleidig an. Wenn sie an solchen Hokuspokus glaubte, war sie mit weniger Intelligenz gesegnet, als er vermutet hatte. Ein aufgeklärter Mensch konnte keinen solchen Schwachsinn glauben.

„Was ich darüber glaube oder nicht steht nicht zur Diskussion. Und mit dir werde ich das schon gar nicht erörtern. Wie du denkst, sehe ich. Das reicht mir. Du trägst lieber Scheuklappen und verschließt dich, anstatt über weitere Felder nachzudenken.“

„Du stufst mich gleich zielsicher ein. Und das immer wieder. Und dabei kennen wir uns erst seit heute. Reichlich arrogant“

„Nein, selbstsicher. Ich sehe, was ich sehe. Das ist offensichtlich. Kein Kunstwerk.“

„Du könntest dich irren. Nicht alles ist immer so, wie es dir offensichtlich scheint.“

Sie winkte ab. „Kann ich weiter erzählen? Hör zu und halt den Mund. Damit ist uns beiden gedient. Außer du willst nichts weiter wissen. Auch gut, dann troll ich mich. Ich dachte, es interessiert dich.“

Seine Augen glitzerten ärgerlich, aber es kam diesmal kein Ausbruch. Sie schmunzelte innerlich, erfuhr durch diese kleinen Angriffe mehr über ihn, als er vermutete. Er schwieg und sie erzählte weiter.

„Einige Jahre später gab es einen weiteren grausigen Fund. Diesmal war es eine hohe Dame. Sie wies Folterspuren auf, wurde mit abgeschnittenen Ohren und Händen gefunden und mit unkenntlich gemachtem Gesicht. Sie war halb im Waldboden verscharrt gewesen, aber von Wildtieren wieder hervor gezerrt worden. Darum wurde sie gefunden. Man wusste wer es war. Eine Gräfin, die verschwunden war. Ihre Tochter, wie sie kein guter Mensch, erbte alles. Sie starb einige Jahre später unter den Hufen eines Pferdes. Als dies geschah, war sie bereits zu großem Reichtum gekommen. Der Anhänger wurde erwähnt. Sie trug ihn immer bei sich. Verwandte setzten die Linie fort, da sie keine Kinder hatte. Wenn es Nachfahren gab, sah das so aus, dass der Älteste oder die Älteste Anspruch auf alles hatten. Wenn Geschwister da waren, wenn dieser starb, ging es nicht an diese, sondern an die Älteste oder den Ältesten des Verstorbenen. Die Geschwister gingen jeweils leer aus. Das setzte sich bei den Verwandten fort und später bei den anderen Familien. Immer wieder war die Rede von einem einzigartigen Anhänger.“

***

„Was daran einzigartig sein soll, versteh ich nicht. Was für ein ... Ja, ja, ich bin ja schon still.“ Er wehrte ihren Blick theatralisch mit den Händen ab.

„Ein kleines Mädchen erhielt ihn, wurde sehr reich und …“

„… wurde ermordet. Wie einfallsreich!“ brummte er.

„… brachte sich um. Ich fand lange keine Hinweise zu dem Schmuck mehr und dachte schon, damit hat es sich. Aber dann stieß ich eher zufällig wieder darauf. Ich traf auf eine außergewöhnliche Familiengeschichte, bei der die weiblichen Nachkommen vom Unglück verfolgt schienen und die Familie trotzdem dauernd an Reichtum zulegte. Die Parallelen waren auffällig und dem ging ich nach.“

„Das alles seit meiner Frage. Du hast ein enormes Tempo und eine gute Schnüffelnase Mädchen.“

Er sah sie offen misstrauisch an, ließ es vorerst dabei bewenden und wollte stattdessen wissen: „Wo findest du so etwas?“

„In Archiven, Kirchen, Ämtern, Zeitungen, in Museen, bei Historikern, im Internet, überall, wo es festgehalten wird. Stell dich nicht so hin, als kennst du diese Quellen nicht.“

„Warum diese Mühe? Was hast du davon? Neugier befriedigen? Das kann es nicht allein sein. Recherche? Wofür? Ich kann mir nicht vorstellen, warum du das tust.“

Sie tischte ihm weiter Märchen auf und er ärgerte sich darüber. Diese Frau nahm ihn nicht ernst oder stufte ihn als Hohlkopf ein.

„Willst du nie etwas auf den Grund gehen?“

„Doch. Wie etwas funktioniert. Technisches zum Beispiel. Oder etwas anderes, das für mich wesentlich ist. Das ja. Aber was daran könnte für dich persönlich so wichtig sein, dass du so tief forscht und so viel Mühe auf dich nimmst? Was steckt dahinter? Das muss mehr als Neugier sein. Und das tust du bestimmt nicht erst nach meiner Frage. Verkauf mich nicht für dumm. Arbeitest du für jemanden? In welcher Funktion? Nein? Oder willst du es nicht sagen, darfst du es nicht sagen? Du schüttelst den Kopf, mehr nicht. Bist du extra deswegen hierhergekommen? Wer bist du? Was bist du? Eine Abenteuerin? Journalistin? Wovon lebst du? Eine Historikerin, Schatzsucherin, eine Diebin, eine …“

„Bist du die Inquisition Fabien? Ist deine Liste bald fertig? Der Fragenkatalog?“

„Bestimmt fällt mir noch etwas ein. Ich lasse mich nicht verschaukeln.“

„Es geht dich nichts an. Und wenn? Wenn etwas davon zuträfe? Ist das für dich wesentlich?“

„Nein.“

„Dann stochere du nicht in meinen Gründen herum.“

„Ich mag es nicht, wenn man mich für einen dummen Jungen hält, der nichts merkt und nichts weiß.“

„Dafür halte ich dich nicht. Du hast mir gezeigt, wie du bist. In deinen Reaktionen und Äußerungen. Du bist mehr als der Sprüche klopfende Macho, den du gerne darstellst. Ich durchschaue dich mehr, als du vermutest. Aber noch kenne ich dich zu wenig, um dir alle meine Gründe, etwas zu tun oder zu lassen, zu erörtern.“

Oha. Sie war gefährlicher und schlauer, als er angenommen hatte. Doch vielleicht konnte er sie durch seine Hartnäckigkeit doch überzeugen. Je nach Laune gehörten diese Seiten schließlich auch zu ihm. Es war keine Masche. ‚Nein Mädchen, alles weißt du nicht von mir. Ich hasse es, eingestuft zu werden. Du wirst dich wundern.’

„Lassen wir das. Das Argument gilt. Weiter.“ Er hatte sich beruhigt, schaute sachlich und neutral.

Sie sah ihn nachdenklich an. Seine Gedanken konnten beim Weiterforschen und vorankommen hilfreich sein, gerade weil er kritisch war und beim Gespräch neue Fragen aufwarf.

„Viel bleibt nicht mehr zu sagen. Die Spur ist oft sehr verwischt. Und es ist nur eine Zusammenfassung der Geschichte, die ich dir liefere. Nein, ich forsche nicht erst seit deiner Frage. Das stimmt. Soviel kann ich dir verraten. Aber du hast mich auf neue Ideen gebracht. Eine neue Richtung. Auf den Anhänger stieß ich immer wieder. Er wanderte auf seltsame Weise durch die Zeiten. Einige Gesetzmäßigkeiten blieben gleich. Diejenigen, die ich dir geschildert habe. Wenn die Familienlinie brach und es eine Sackgasse war, musste ich nur im gleichen Zeitraum eine andere Familie suchen, in der Ähnliches geschah. Die Spur setzte sich bis heute fort. Sie wechselte kaum das Land. Die letzte Spur ist die Familie de Fouceau. Die Villa oder besser das kleine Schloss steht nicht weit von hier und wieder taucht eine tote Frau auf.“

„… nichts abgeschnitten, soweit ich es sah. Aber ... hm ...“

„Es war nicht immer so - nur anfangs. Zwar ist noch nicht bekannt, wer diese Frau ist, aber … Oder weißt du mehr?“

„Nein.“

Sie sah ihn lange an. „Warum weißt du, wie der Anhänger aussieht? Trug sie ihn? Du hast dich mehrere Male verplappert. Auch ich bin nicht so dumm wie du glaubst, wenn wir schon beim Ausloten unserer Intelligenzgrade sind.“

„Was hat das mit der Pension zu tun? Das wurde nicht beantwortet.“ Er gähnte ausgiebig und kratzte sich wieder am Kopf. Eine wiederkehrende Geste von ihm in manchen Situationen.

„Du weichst aus“, konterte sie.

„Nein. Du hast die Hauptfrage vergessen und ich erinnere dich daran, “ unterstrich er sein Argument.

„Genauer weiß ich es nicht. Aber es muss mit der Geschichte zu tun haben. Der Name kommt nicht von ungefähr. Ich werde es herausfinden. Wenn ich es weiß, erzähle ich es dir. Vielleicht fällt auch dir etwas auf. Oder der Pensionsbesitzer weiß etwas darüber.“

„Also weißt du nichts.“

„War das nichts? Also? Trug sie ihn, die Tote?“

„Nein. Sie trug ihn nicht. In der Zeitung stand etwas von einer Vermissten. Vielleicht ...“

„Fabien, du hast ihn gesehen! Oder du weißt mehr von allem als du mir weismachen willst.“ Sie ließ ihn nicht mehr abschweifen.

„Ja, okay … ich habe ihn gesehen. Aber sie trug ihn nicht. Du sagtest, er schimmert blau, auch wenn er aus Silber ist. Könnte es sein, dass sie den nachbilden und verkaufen?“

„Nein. Die Geschichte wurde bisher nicht für den Tourismus ausgeschlachtet. Und wenn … es ist nicht ratsam, ein Schmuckstück, das Unglück bringt, nachzubilden.“

„Nun kommst du wieder auf diesen Fluch zurück. Sagtest du nicht, das steigert das Interesse?“

Sie rollte die Augen. Eine weitere Diskussion um abzulenken. „Wo ist der Anhänger?“

Es war ihm peinlich. Ach, was soll’s! Er räusperte sich. „Ich habe so einen Klunker gefunden und ihn ins Meer zurück geworfen.“

„Idiot!“ Sie starrte ihn an. Das durfte nicht wahr sein!

„Ist ja gut. Dann bin ich eben ein Idiot! Wenn es dich interessiert: Die Tote trug ein blaues Haarband mit einem roten Stein, Sternenform. Der fiel mir auf und ich wusste wieder, woher ich das Muster kannte, aber ...“

„Da ist der Zusammenhang. Weißt du, wer sie ist?“

„Nein.“

„Wer wurde vermisst?“

„Ich habe nicht auf den Namen geachtet. Es war nur eine Meldung unter vielen für mich. Nichts zum Bewahren. Nichts von Bedeutung.“

„Ach ist egal jetzt. Aber du … du bist echt ein Idiot. Anders kann man das nicht bezeichnen. Warum hast du den Anhänger weg geworfen? Warum wirfst du so ein Fundstück ins Meer? Was geht in deinem Kopf vor sich?“

Es nervte. Er stellte auf Verteidigung um. „Nichts. Das weißt du bestimmt mit deiner gewohnten Sicherheit. Warum nicht? Was hätte mir das Teil bedeuten sollen? Ich mache mir nichts daraus, stolziere nicht mit so etwas herum wie ihr Weiber. Es kam mir gelegen.“

„Warum?“

„Aus Wut.“

„Auf mich?“

„So wichtig bist du nicht.“ giftete er. Als es ihm bewusst wurde, atmete er tief ein und aus. „Nein. Wir waren uns noch nicht begegnet. Ich hatte die Frau noch nicht gefunden und wusste von nichts.“

„Weißt du noch, wo das war?“

Er staunte: „Du willst ihn doch nicht etwa suchen gehen? Gut, er wird seinen Wert haben, aber … Sie sagen oft mit Recht, ich sei verrückt. Aber mir scheint, du übertriffst das bei weitem. Was beschäftigt dich diese Geschichte so sehr?“

„Recherchen Fabien. Der Anhänger hätte weiterhelfen können. Darum kam ich her. Der Name der Pension hat mich angelockt. Das kann nicht Zufall sein, dass die so heißt. Und diese Familie, die hier in der Gegend wohnt und nun ...“

„Wofür? Beruf?“

„Du lässt nicht locker. Bevor du die schlimmsten Befürchtungen hegst: Es hat nicht das Geringste mit dir zu tun. Es ist eine spannende Geschichte, voller Geheimnisse und passt gut für ein Buch. Dieses Buch will ich schreiben. Die Fakten darin sollten stimmen. Darum die Recherchen. Ich bin Schriftstellerin. Wenn ich Historisches hinein nehmen will, muss der Hintergrund einiges an Tatsachen aufweisen.“

„Oh! Das erklärt einiges.“ Er musterte sie. „Hast du schon veröffentlicht?“

„Ja. Bücher bedeuten mir viel. Deswegen tat es mir leid, dass ich deines verdorben hatte. Aber wenn du mich so ärgerst, musst du mit allem rechnen. Ich lasse mir wenig gefallen. Nun weißt du, was ich tue. Sagst du mir, was du arbeitest? Es ist nur fair, dass auch du etwas preisgibst. Du bist echt hartnäckig. Bist du ein Detektiv?“

Er lachte.

„Gibst du mir einmal etwas von dir zu lesen? Es interessiert mich. Ich lese zwar meistens Fachbücher, wenig Geschichten. Aber wenn ich Zeit habe, ab und zu einen Roman. Ich lese gerne, meist um Informationen zu bekommen oder um zu lernen. Aber auch um zu entspannen.“ Er lächelte. „Du musst kontern, wenn du mit mir zu tun hast. Das ist okay, Es war nur etwas krass. Ich bin das zwar oft auch. Das gebe ich zu. Trotzdem. Der Wasserstrahl hatte es in sich. Eiskalt war das. Hatte ich das denn verdient?“

„Ja.“ Wieder lachte er. „Okay, mit dir kann ich nicht mithalten. Ich bin nur Angestellter, war das immer oder beinah immer. Eine Ausnahme gab es. Verschiedenes. Rausschmeißer war ich. Ich habe auf dem Bau gearbeitet, in Fabriken, in Büros, war eine Zeitlang Profi in meinem Sport. Das war diese Ausnahme. Meine letzte Arbeitsstelle ist ein Motorradgeschäft für Cross-Maschinen. Ich tune sie, passe sie dem Sport an, verkaufe sie. Es ist abwechslungsreich, aber nicht sensationell. Auch viel Büro, die letzte Zeit durch unerfreuliche Umstände eigentlich fast nur.“

„Was heißt nur? Warum sagst du das? Das ist eine Menge an Erfahrungen. Es ist wichtig, Vieles zu können. Es macht den Horizont weit und verschafft dir viele Möglichkeiten. Heute ist das eine Voraussetzung, um überhaupt etwas zu erreichen.“ Wieder musterte sie ihn: „Aber du nur im Büro an einem Schreibtisch, das passt nicht. Das ist wahr.“

„Du meinst, ich passe nicht zu den Jungs, die sich in den Büros ihre Hintern so lange flach drücken, bis sie vorne als Bauch austreten? Darin hast du nicht Unrecht. Sind aber nicht alle so. Einige Das sind solche, die nichts weiter tun, nicht viel Ahnung von der Materie haben und mir vorschreiben wollen, wie ich meine Arbeit erledigen soll.“

„Du klingst verbittert.“

„Dafür habe ich meine guten Gründe.“

„Die letzte Arbeitsstelle passt gut zu dir. Von allem etwas. Ja. Intelligenter Kerl, der zupacken kann, Ideen hat und körperlich auf Draht ist. Ideal dafür. So bist du Fabien. Und mehr. Kein einfacher Mann, aber sehr spannend, aufregend ...“

Er staunte sie an. Sie lachte. „… der keinerlei Manieren an den Tag legt und manch einen oder manch eine zur Verzweiflung treiben kann.“

„Mädchen! Was ist das denn?“

„Eine Schnellanalyse. Profi in welchem Sport?“ Auch das hatte sie registriert. Aufmerksam und wachsam.

„Supercross und Freestyle“

„Ja. Auch das passt.“

Er schüttelte seine Verwunderung ab, wollte von sich ablenken, auf die Geschichte zurückkommen. Alles andere war zu gefährlich und führte zu Komplikationen. Die wollte er vermeiden. Nicht wieder streiten. Nicht wieder verletzen und verletzt werden.

„In Carcassonne liegt der Ursprung. Ich finde diese Geschichten von den Katarern und den Templern, die alle ihren Ursprung rund um diesen Ort haben, sind zu oft durchgekaut worden. Alles mehrfach ausgelutscht, in Büchern, Filmen und weiterem. Damit lockt man keinen mehr an. Ich hoffe, du gehst nicht in diese Richtung.“

„Warum sind diese Bücher Bestseller und diese Filme der Renner, wenn es ist wie du sagst? Du weißt von den Katarern?“

„Wer nicht. Darauf wird man überall gestoßen. Interessiert mich nicht.“ Er erzählte ihr kurz, was er davon wusste.

„Also, das ist eine Glaubensgemeinschaft, die vor allem im Languedoc Fuß fasste, den Katholiken ein Dorn im Auge war, auch den anderen Obrigkeiten. Sie hatten eine grundlegend andere Denkweise, als es zu der Zeit üblich war und wurden von vielen als Rebellen angesehen. Obwohl sie nur friedlich ihr Leben und nicht dasjenige, das ihnen aufgezwungen wurde, leben wollten. Unter einigen von den Adeligen hatten sie Sympathisanten. Vor allem im Languedoc, in der Gegend rund um Carcassonne. Sie sollten ausgerottet werden. Wie die Albigenser, die Hugenotten und andere in dieser Richtung. Da gab es unter diesen Gruppen Gemeinsamkeiten und gleichzeitig oft nur kleine Abweichungen. Zum größten Teil ist das in den Kreuzzügen, die darauf abzielten, gelungen. Oder sie wurden vertrieben und fassten in anderen Ländern Fuß. Und um all dies ranken sich viele geheimnisvolle Geschichten. Aufgegriffen. Hervorgezaubert. Erfunden oder wahr. Zufrieden Frau Lehrerin? Was für eine Geschichte machst du daraus? Historischer Scheiss? Du sagst ja, das Historische darin sollte eine reale Grundlage haben.“

Er sah gleich, dass sie ihn durchschaute, als er grober wurde. Das behagte ihm nicht. Musste er drastischer werden, um sie wieder auf Abstand zu halten? Das Neutrale verflüchtigte sich zusehends wegen seiner Zweifel. Dabei war es angenehm, sich mit ihr zu unterhalten.

„Es wird eine tragisch geheimnisvolle Geschichte – naheliegend – eine Liebesgeschichte. Um der Hintergründe willen wird es in die Historie gehen. Dieser Teil muss stimmen, im Kern wahr sein. Deswegen sind gute Recherchen notwendig. Aber die Geschichte an sich spielt im Heute, nicht in der Vergangenheit.“

„Liebesgeschichte? Pah! Es wird immer schlimmer.“

„Tu nicht so verächtlich. Warum bist du so verletzt?“

„Ich bin nicht …“

„Eine Frau hat dir sehr wehgetan.“

Es war keine Frage mehr, es war eine Feststellung. Es verwirrte ihn. Das wurde ihm zu persönlich. Herauswinden brachte nichts. Das machte sie nur neugieriger. „Nein! Ja. Nein … nicht eine … mehrere. Ich habe genug von ihnen!“

„Und die letzte … das ist nicht lange her. Stimmt es?“

„Muss das sein? Lass es ruhen Marie.“

Er ärgerte sich gewaltig, dass er es zugegeben hatte. Sie musste raffiniert sein. Sie löste zu viel in ihm aus und durchschaute ihn. Er wusste, dass es so war. Das musste er unterbinden. Das wollte er unterbinden. Er inspizierte seine Hände, zupfte an etwas herum und sah sie nicht an. Er fühlte sich nicht gerne durchsichtig. Diese Frau war ihm unheimlich. Und schon hörte er von ihr: „Anstatt dich über Dinge, die offensichtlich sind unnötig zu ärgern, hilfst du mir, mehr herauszufinden? Ich denke, dein Leichenfund hat mit der Geschichte zu tun. Insofern bist du zufällig hinein geraten. Warum nicht nutzen, was an Potenzial vorhanden ist? Also dich?“ Sie lächelte. Er hustete. Potenzial. Sie machte ihn wahnsinnig.

„Keine Zeit!“ kam es unwirsch - gebrummt. Sie stand auf und setzte sich auf seinen Schoss, was augenblicklich Stürme in ihm auslöste. „Was an mir macht dir Angst oder stößt dich ab, dass du solche Abwehrmechanismen mobilisierst? Erklär es mir, furchtlos wie du sonst bist.“

„Bitte geh da runter. Mit solchen Methoden bringst du mich nicht dazu, nach deiner Pfeife zu tanzen.“

„Will ich das?“

Seine Stimme hatte einen heiseren Unterton bekommen. Sie legte die Arme um seinen Hals, zog sich näher zu ihm hin und spürte wie er darauf reagierte. Seine Haut, sein Herz, das sich beschleunigte. Der Atem, den er kurz anhielt und gewisse Körperregionen, die deutliche Signale aussandten.

„Marie! Ich will das nicht.“

„Sieh mich an. Sieh mir in die Augen. Dann wiederhole es.“

„Nein.“

„Ja. Das kannst du nicht, weil du lügst. Um jemandem so unverschämt ins Gesicht zu lügen bist du zu ehrlich. Lass es. Lass zu, was du empfindest. Ich bin bereit darauf einzugehen. Was daraus wird, weiß ich nicht. Aber es fasziniert mich, was geschieht.“ Er war anderer Ansicht – zögerlich – vorsichtig. Wie passte das zu diesem Wilden, den er darstellte. Sie lächelte. „Gut, dein Buch hast du wieder. Du weißt etwas mehr zum roten Stern. Überlege dir das Weitere. Alles. Okay? Es könnte Spaß machen und hilfreich sein. Aber ich lasse dich. Ich will nicht gemein zu dir sein. Warum ich gnädig bin, weiß ich nicht. Gute Laune? Wir lassen es dabei bewenden. Wenn ich gemein wäre, Fabien, könnte ich dich in Bedrängnis und deinen Widerstand zum Schmelzen bringen. Abstreiten ist nicht. Du bist überreif.“

Sie küsste ihn schnell auf die Nasenspitze, strubbelte ihm durch die Haare, stand auf, ging hinaus und zog die Türe leise hinter sich zu.

Irre! Er brannte innerlich. Er versuchte zu analysieren wie ihm war und wie ihm geschah. Natürlich hatte sie Recht. Er ging noch einmal duschen. Kalt. Das kühlte seine Hitze. Aber mehr half es nicht. Da er zu keinem Ergebnis fand, sah er sich die Nachrichten an. Das brachte keine Ablenkung. Er stellte wieder ab. Da wurde immer dasselbe erzählt. Die Ideen der Politiker, die Proteste der Völker, Unglück, Katastrophen, Mist. Er zog sich zu seinen Jeans ein Shirt über und ging an den Strand. Er war aufgewühlt und fand keine Ruhe. Marie! Was für eine Frau! Er spürte die Schmetterlinge, wenn er nur an sie dachte und versuchte sie mit wildem Gefuchtel zu vertreiben. „Sei kein Dummkopf! Es ist nur dein Trieb. Sonst nichts!“ Aber dieser ‚nur’ war verflixt munter geworden.

Etwa an der Stelle, wo er die Tote gefunden hatte, setzte er sich in den Sand. Etwas weiter hinten, auf einer Düne, sah hinaus und übte Analyse der Geschehnisse. Das war zwar sinnlos, aber versuchen konnte er es. Mit ihm war nichts los. Nein, er litt nicht unter Komplexen. Aber wenn er ehrlich war, kam er nicht an diesen Gedanken vorbei. Und er kam kaum noch unbeschadet an Marie vorbei.

Er ließ sich vornüber fallen und purzelte die kleine Düne hinunter, klopfte an sich herum, schüttelte seine Haare aus, ging nach vorne ans Meer und setzte sich halb in die Wellen. Es war ihm egal, dass die Jeans dabei nass wurden. Sein Leben war Wellengang. Und er surfte selten oben. Es wurde Zeit, dass er etwas daraus machte. Ohne Fähigkeiten war er nicht. Das was Marie gesagt hatte … Er konnte gut mit Menschen im Job, war gut, obwohl er sich Vieles selbst beigebracht hatte. Er hatte Sinn und einen Riecher für Musik. Und sein Sport. Daraus konnte er eine Show aufbauen. Auf Tournee gehen. Präsenz hatte er. Nur mit Frauen schien er sich nicht auszukennen. Er grinste. Wie war er denn drauf? Seine Begegnung mit Marie löste erstaunliche Gedankenwelten aus.

Er stützte sich auf seine Hände, den Oberkörper zurückgelehnt, schaute in den Himmel hinauf, spürte das Meer, roch es und lächelte. Als er zur Seite sah, glitzerte es im Sand. Er sah genauer hin. Etwas war halb vergraben, also klaubt er es heraus und hatte wieder den Anhänger in der Hand, den er gefunden und ins Meer geschleudert hatte. Hatte das Ding einen Narren an ihm gefressen, dass es zu ihm zurückkehrte. Er lachte. Die Hose klebte an seinen Beinen und seinem Hintern, als er zurückging. Egal. Die trocknete wieder.

MarChip und das Geheimnis um Etoile Rouge

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