Читать книгу MarChip und das Geheimnis um Etoile Rouge - Esther Grünig-Schöni - Страница 5

2. Kapitel

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Darüber schwebte ein Nebelschleier, der sich mehr und mehr auflöste, so wie manche Illusion, je höher die Sonne stieg. Draußen, auf der einen Seite des Strandes, fielen die beiden aneinanderhängenden, markanten Felsen auf. Gut, er wusste ja nicht, ob es nur so aussah oder sie wirklich zusammen hingen. Die beiden Brüder – Les deux Frères. War es wohl möglich, dort hinaus zu schwimmen? Wie im Leben. Etwas glitzerte im Sand.

Er bückte sich, hob es auf, ein Schmuckstück, ein Anhänger, den jemand verloren oder am Strand entsorgt hatte. Er drehte und wendete ihn. Bestimmt nichts Teures. Kitschiger Ramsch. Er war silbern und schimmerte blau. Ornamente waren gestaltet. Einerseits fein ausgearbeitet und dennoch klobig als Ganzes. An einer Stelle - nicht etwa in der Mitte - war ein roter Stein eingelassen. Mit seiner Fassung zusammen stellte es einen Stern dar. Es gab etwas wie Tentakel um alles herum, nicht symmetrisch, ineinander verschlungen. Seltsam. Vielleicht doch wertvoll? Strandgut. Am Strand wurde viel entsorgt und vielleicht war es ganz woanders ins Meer gefallen und durch die Strömungen angeschwemmt worden. Er war kein Grüner, aber Manches störte ihn. Manches wurde aus den Tiefen an die Oberfläche – ans Licht – befördert und achtlos liegen gelassen. War nicht auch er Strandgut? Aus welchen Tiefen war er aufgetaucht?

Gestrandet – am Ufer - des Lebens. Unbewusst ballte er die Fäuste. Der Anhänger drückte in der Handfläche, aber er nahm es nicht wahr. Seine Gedanken hatten ihn eingefangen. Was er mit seinem Leben sollte, hatte er bisher nicht herausgefunden und das, obwohl er bereits mehr als dreißig Jahre herum irrte. Es wurde Zeit etwas zu kapieren. Da war sie wieder, diese vermaledeite Zeit. Seine gute Laune wurde von ihr verwischt. Sie ließ ihn nicht zufrieden. Verflixt! Mist! Donnerwetter noch mal! Er bestimmte, was er wollte und was nicht - auf keinen Fall andere, keine Faktoren oder Gegenstände oder Lebensumstände oder Terminkalender, Alter oder Stand oder gleich die ganze Gesellschaft. Er stampfte ärgerlich auf, hüpfte auf und ab, rammte was ihn ärgerte mit den Füssen in den Boden hinein. Das sah bestimmt lustig aus.

Er pochte darauf selbst zu bestimmen. Wenn es nötig war ging er dagegen an, zerriss Fesseln, zerdepperte Normen, trampelte über Etikette und Üblichkeiten weg. Und was er dabei hinterließ, kümmerte ihn nicht. Ha! War er genug rücksichtslos? Ja. Er bestimmte seinen Weg. Das musste er sich deutlich sagen und den anderen gleich mit. Es war gut so – richtig.

Warum gab es immer wieder Menschen, die meinten, ihn schleifen oder umformen zu müssen, ihm ihre Ansicht und Art von Anstand beibringen zu wollen? Weil sie nichts anderes zu tun hatten. Pah! Seine war anders und blieb, wie er es bestimmte. Nichts brachte ihn davon ab. Niemand. Was sollte der Scheiss! Er pfiff auf Konventionen, auf Höflichkeit und übertriebene Form. So einer Heuchelei konnte er nichts abgewinnen.

Er streckte einem Passanten, der blöde zu ihm her starrte, die Zunge heraus. Der ging eilig weiter und murmelte etwas vor sich hin. Fabien lachte ärgerlich: „Der soll denken, was er will.“

Weiter vorne sah er ein Strandcafé. Er bestellte Café und setzte sich an einen der Tische. Der Sonnenschirm flatterte im Wind. Eine Fahnenstange flatterte. Alles nicht heftig, so wie es oft war am Meer. Allerdings wackelte der Tisch. Damit hatte der Wind nichts zu tun. Krümel lagen darauf. Um ihn her roch es salzig. Er mochte den Geruch, mochte das Meer, sah einem Büschel Seetang zu, der angetrieben worden war und wurde von der Stimme aus seinen Betrachtungen gerissen: „Schöner Tag heute.“

„Wo?“

„Finden Sie nicht? Die Sonne scheint. Es ist warm.“

„Lass diese Floskeln. Das Wetter findet ohne darüber zu reden statt.“

Erst jetzt sah er den an, bei dem er bestellt hatte. Es war ungefähr in seinem Alter, ausgemergelt, mäßig mit Muskeln ausgestattet, eher dürr und schlaff. Das Gesicht konnte als hübsch bezeichnet werden. Glatt. Etwas zu weich und doch nicht ... Etwas Heimtückisches war an ihm. Wirklich bewusst betrachtete er ihn nicht. Nur kurz. Abschätzend. Das waren Dinge, die ihm auf den ersten Blick auffielen. Der Typ betrachtete ihn verwundert und grinste schließlich. Das Mürrische blieb an ihm haften. „Darauf gibst du nichts.“

Er streckte ihm das Geld hin. „Und was magst du?“ fragte der andere. Er konnte es offensichtlich nicht lassen, Fragen zu stellen. Fabien war nicht nach Konversationen.

„Nichts.“

„Weiber?“

„Bleib mir mit denen weg.“

„Jungs?“

Seine Augen wurden zu Schlitzen. „Nein. Du?“

„Nein.“

„Es kann dir egal sein, was ich mag oder nicht. Nur um zu reden? Oder um mich heraus zu fordern? Unterlass es. Dich stecke ich mit Links in die Tasche und mich interessieren keine Schwächeren.“

Saß das endlich oder ging es weiter? Der andere kniff immerhin kurz die Augen zusammen. Das war angekommen. Aber ob ihn dies abhielt, weiter zu plaudern, das war die Frage.

„Freundlich bist du nicht.“

„Nein. Ich will Café trinken und sonst nichts.“

„Ist ja gut.“

Er zog sich in den Hintergrund der Bretterbude zurück, brummte etwas von „arrogantem Schnösel“ oder ähnliches und tat geschäftig, ließ es nach einem spöttischen Blick von Fabien bleiben, setzte ich hin und drehte sich eine Zigarette. Immerhin war er beschäftigt. Viele Gäste waren am frühen Morgen nicht zu erwarten.

Fabien kehrte zu seinen Gedanken zurück. Ein Zugeständnis machte er. Im Beruf. Es gab Gesetzmäßigkeiten und er brachte durchaus Höflichkeit zustande. Alles war abgeschwächt, selbst sein freches Mundwerk. Aber im Prinzip blieb es gültig. Je älter er wurde, je mehr er erlebte, umso ausgeprägter machte es sich bemerkbar. Aber er hatte bisher nicht viel erreicht. Stimmte das? Er dachte ziemlich viel für einen, der das Denken den Pferden überlassen wollte. Er fühlte sich ruhelos. Eine Zwischenbilanz schadete nicht.

Er stand auf und ging weiter, hatte sich beruhigt. In den Augen anderer versagte er. Er stieß mit dem Fuß an ein Holzstück, blieb wieder stehen, sah hinaus.

Er drehte den seltsamen Anhänger, ließ ihn von einer Hand in die andere gleiten. Seine Augen sahen es anders. Darauf kam es für ihn an. Viele dachten, er nutze seine Möglichkeiten nicht richtig und mache sich mit seiner Art alles kaputt, bringe sich in Schwierigkeiten. Das mit den Schwierigkeiten stimmte. Er kriegte aufs Dach, aber er teilte auch aus. Er ging jeden Tag seinen Weg, so wie er ihn gehen musste, um sich selbst treu zu bleiben. Eines Tages wollte er nicht sagen müssen, das und das hätte ich gerne getan, aber vernünftigerweise habe ich nicht. Schade. Das passte nicht zu ihm. Er tat das, was er für richtig ansah. Er machte Gutes, machte Fehler, Blödsinn, fiel hin, stand auf, ging weiter, ging den Weg aufrecht, direkt, frech, selbst wenn der durch Mauern führte. Nichts war zu hart oder zu unüberwindlich für seinen Schädel. Das war er. Sich aufgeben war nicht drin. Es war sein Leben. Da hatte ihm keiner rein zu quatschen. Selbst bei Umwegen nicht. Manchmal lagen dicke Brocken im Weg oder er machte Schlenker. Zugegeben.

Beinhart war er nicht. Das musste er sich zugestehen. Er wäre es gerne gewesen, aber es gehörte zu ihm. Wenn er sich annehmen wollte, musste er das mitnehmen. Er war verletzlich. Wieder hatte er aufgrund einer Verletzung beschlossen, niemanden mehr an sich heran zu lassen. Nur an der rauen Oberfläche bleiben. Wenn sich jemand daran die Haut aufriss, kümmerte es ihn nicht. Wenn jemand daran zerbrach, ging er ungerührt weiter.

Er verbog sich für Niemanden. Die meisten, denen er begegnete konnten nur eine kleine Weile damit umgehen. Jeder Mensch hatte Anrecht auf seine Persönlichkeit. Wenn das mit einem anderen nicht ging, tant pis. Niemand sollte das aufgeben müssen. Wer es tat, verriet sich selbst. Was brachte das? Frust. Bitterkeit. Tränen. Unzufriedenheit. Die Welt war voll solcher Menschen. Das kam für ihn nicht in Frage.

Wie war er? Grob, wild, zäh, hart, ausdauernd. Weich? Nein! Zärtlich und romantisch? Nein! Oder … Er sollte sich nichts vorlügen. Er war allein, keiner hörte in ihn hinein oder zerlegte ihn in Einzelteile. Diese Seiten gab es. Sie ließen ihn Schlenker machen. Er war draufgängerisch, wenn auch meist nicht zu unvernünftig. Eine Art Gefühlsmensch und doch nicht. Er war kräftig genug. Seine Haare? Wie hatte das jemand benannt – wie wilder Weizen, bereit zur Ernte auf dem Feld und nicht zu bändigen. Trotzdem wollte er die nicht kürzer haben. Er war auch nicht zu bändigen. Seine Haut? Er musterte die Arme. Im Sommer gut und durchgehend gebräunt trotz seiner hellen Haare. Frauen meldeten, er fühle sich gut an. Zerknittert war er nicht. Alles straff und glatt, nicht sehr behaart. Rasiert hatte er seinen Körper nie und doch waren es nur kleine feine weiche Haare. Er tat wenig oder sogar nichts und fiel ihnen auf. Eine Weile mochten sie ihn, arrangierten sich, spielten mit ihm und … er Idiot … begann sich zu öffnen. Aber je mehr sie von ihm wussten und seinen schwierigen Charakter erlebten … früher oder später wollten sie ihn ändern. Ging das nicht, flohen sie.

Mist! Er war wieder bei seinem leidigen Thema angelangt. Es war noch zu frisch. In den Dingen war er doof und dachte: „Diesmal haut es hin. Du kannst dich ganz geben wie du bist. Sie versteht und … macht alles mit und …“

Und immer wieder - auch dieses Mal - wurde es zu viel und die Flucht wurde nach Endlosdiskussionen, Rumgemotze und nach vielen Vorträgen – nach Vorwürfen – angetreten. Wunden entstanden, Narben blieben. Erfahrungen, die prägten. Seit er Dany verloren hatte – zu früh – war es immer so gewesen. Er war für dauerhafte Partnerschaften nicht geschaffen. Dumme Kuh! Das war sie, diese Trine, diese … Es half ihm, sie so zu nennen. Der Anhänger könnte gut ihr gehören oder einem anderen Weib! Sie waren alle gleich.

Er drehte den Anhänger wieder um, sah beiläufig Buchstaben und Zahlen. Verflixt noch mal! Das Kapitel war abgeschlossen. Vor einer Woche hatte ihn erneut jemand von sich gestoßen. Eine Weile war es gut gewesen. Einige Szenen ließen ihn schmunzeln. Doch er hatte es kommen sehen, hatte die Zeichen, die sie ihm zunehmend lieferte, interpretiert, vorsichtig nachgeforscht, sie direkt gefragt und … Beteuerungen gehört:

„Nein, nein, beruhige dich. Es ist nicht so. Ich liebe dich. Ich lasse dich nicht allein. Es ist schön mit dir. Du kannst mich verstehen. Es ist nur eine schwierige Zeit.“

Verstand sie ihn? Er hatte es sich zu sehr gewünscht. Nun war Nathalie weg wie zuvor Monja, wie Gabrielle, wie Natasha. Sie hatte von einem Moment auf den anderen ihre Sachen gepackt. „Du bist und bleibst ein unverbesserlicher Kindskopf!“ und war aus seinem Leben verschwunden. Weg. Weil sie nicht anders konnte – nach ihrer Meinung – und es für sie am besten war. Aus! Das Kapitel war für sie abgeschlossen.

Der Anhänger hätte von ihr sein können. Sie mochte Kitsch. Altes Zeug. Wegen diesem Teil spulten die Gedanken ab. Es war eine stürmische, wilde Beziehung gewesen. Starke Frau, hatte er gedacht. Nichts da. Irrtum! Gleichklang zwischen ihnen. Trugschluss. Sie war nicht auf ihn und seine Vorlieben eingegangen, weil sie es wollte und es zu ihr passte, sondern um ihm zu gefallen, weil sie dachte, er wolle es so. Falsch. Nun war er an allem Schuld. Sie intensivierte alles zwischen ihnen bis zum Exzess, hatte nur ihm zuliebe so und so gehandelt und gefühlt. Das tat sie allen kund, die zuhörten. Seine Erwartungen? Blödsinn. Sie hatte es in ihn hinein gelegt. Er hatte keine Erwartungen gehabt, verflixt. Sie dachte und redete es in ihn hinein und vergaß ihren Part in der Geschichte. Es war unfair. Sie konnte ihn nicht glauben lassen, es sei gut für sie und dann behaupten, sie habe die ganze Zeit ihm zuliebe gelitten. Wer hatte sie dazu veranlasst oder gezwungen? Scheibenkleister! Er hatte also nur gedacht, dass es gut zwischen ihnen war. Warum hatte er es so stark gespürt? Das gefühlt, was er gefühlt hatte? Sich gegeben. Sie geliebt. Sie hätte ihm sagen sollen: „Du, ich will das nicht.“ Deutlich, klar, eindeutig. Sie hätten eine Lösung gefunden oder wären früh genug getrennte Wege gegangen. Aber nein, sie trieb es lieber weiter, bis es beide in einen Strudel riss, der ihnen wehtat. Das wäre zu vermeiden gewesen. Es war auf jeden Fall nicht richtig von ihr, was sie ihm unterstellte und was sie ihm angetan hatte. Ein Scherbenhaufen lag um ihn her. Er blutete und konnte nur verwundert den Kopf schütteln. Eine Blessur mehr, die ihm bestimmt noch Probleme bereitete. Er hatte getobt, gewütet, für sich, gegen andere, so dass er seine Arbeitsstelle in Gefahr brachte und war dann schweigsam geworden. Wut und Traurigkeit wechselten heute noch ab. Er hatte geglaubt, sie wäre jemand, der mit ihm mithalten konnte. Weg mit den Gedanken. Weg mit dem Plunder! Er warf den Anhänger mit aller Kraft, die er mobilisieren konnte ins Meer hinaus. „Komm nicht zurück! Wage es nicht.“

Er presste seine Lippen zusammen. Bei ihm gab es kein Zurück. Geschlossene Kapitel blieben es. Verflixte Stolpersteine auf seiner Suche nach dem, wohin er wollte.

Die Wut baute sich erneut in ihm auf. Das ärgerte ihn zusätzlich. Er wollte Gleichgültigkeit. Dieses Kapitel musste er für sich schließen. Er ging los, schritt immer weiter aus, wurde schneller, begann zu rennen, erhöhte das Tempo, bis er sein Lauftrainingstempo erreicht hatte, bis er das Gefühl hatte, über den Sand zu fliegen – abzuheben - den Boden nicht mehr zu berühren. Fabien hatte für sich einen Weg gefunden, dass er das Tempo lange einhalten konnte, ohne zu ermüden, ohne schwerer zu atmen. Heute reichte ihm das nicht. Er wollte mehr. Seine Technik erlaubte es ihm länger als die meisten schnell zu rennen. An seiner Ausdauer hatte er immer gearbeitet und viel von sich gefordert. Diesmal ging er über die Grenze hinaus. Egal, wenn er zusammenbrach und liegen blieb. Egal, was dabei geschah. Egal wohin es ihn brachte und egal, wenn er nicht mehr war. Das war Unsinn. Dieser Typ war er nicht.

Auf einmal stoppte ihn sein Körper. Die Kraft war weg, die Lunge schmerzte, das Herz raste. Er brach zusammen – aber er lebte. Er blieb im Sand liegen. Er spürte. Es tat verteufelt weh und das brüllte er hinaus. Die Wellen erreichten seine Füße, zogen sich zurück, kamen wieder, kitzelten ihn. Schließlich nahm er ihr Rauschen wieder wahr und kam zu Kräften. Als er soweit war, stand er auf, riss sich die Kleider vom Leib und rannte ins Wasser. Es hatte mit seinen Füssen geflirtet. Nun bekam es ihn ganz. Schließlich tauchte er, schwamm, ließ sich hinein sinken, tauchte auf, fühlte Belebung, spürte das Leben. Er sah den Himmel über sich, die Wellen, die Vögel, die hoch über ihm im Wind segelten. Er war kämpferisch und nicht einer der aufgab. Er schwamm ans Ufer, legte sich auf den Bauch in den Sand und spürte, wie die Sonne von seinem Körper Besitz nahm. Es fühlte sich sinnlich an. Fabien legte den Kopf auf seine Arme und schloss die Augen. Das Streicheln des Windes und die Wärme der Sonne. Er mochte das Gefühl, wenn seine Haut darauf reagierte, ähnlich, wie wenn Hände darüber strichen. So schlief er ein.

***

Sie war mit dem Hund eines Freundes unterwegs. Serge hatte verreisen müssen und ihn, Marie in Obhut gegeben. Der Hund war eine Sie. Lyria hieß sie. Wie kam jemand auf einen solchen Namen für einen Hund? Beim Losgehen heute Morgen war ihr etwas Seltsames passiert. Ein blonder Kerl war ihr vor die Füße gesprungen. Er war von oben gekommen und hatte eine Shownummer abgezogen. Sie hatte geglaubt, er hätte so bei ihr landen wollen, aber darum schien es ihm nicht gegangen zu sein. Ein freches Mundwerk hatte er jedoch. Trotzdem hatte sie bemerkt, dass er ihr auf unverkennbare Weise nachsah. Auf die Weise wie das viele Männer taten. Sie schmunzelte. Erst war sie wirklich erschrocken. Schließlich fand sie es originell. Das war ihr noch nie passiert.

Eine Weile saß sie in den Dünen, genoss den Morgen, spielte mit dem Hund. Sie sah jemanden vorbei rennen und wunderte sich über sein horrendes Tempo. Groß und blond war er. Von weitem sah er gut aus. War das der Blonde von der Pension? Sie hatte Mühe, Lyria davon abzuhalten, hinterher zu rennen. Nun entschloss sie sich, selbst weiter zu wandern. Der Tag war schön. Frühstücken konnte sie später oder gleich zum Mittagessen übergehen. Je nachdem wie ausgedehnt ihr Spaziergang wurde. Sie war nicht in Eile. Als sie vorne am Ufer ankam, zog sie ihre Schuhe aus und kehrte der Sonne den Rücken zu. Sie war nah beim Wasser, ließ ihre Füße durch die kleinen Wellen waten. Es kitzelte, tat gut. Der Mann war weit vorne zu sehen. Sie ließ die Hündin von der Leine, spürte die Sonne auf dem Rücken. Es ging ihr gut. Und dann sah sie, wie er zusammenbrach und liegen blieb. Doch als sie in seiner Nähe war, hatte er sich wieder aufgerappelt und schwamm im Wasser. Seine Kleider lagen am Ufer. Sie beeilte sich, weiter zu gehen. Noch ein Stück, bevor sie umkehrte. Heute war es zu schön am Strand.

***

Was war das? In seinen angenehmen Traum hinein berührte ihn etwas Kühles. Einen Augenblick setzte sich der Traum fort, dann zerplatzte er. Er erinnerte sich nicht mehr daran, als er aufwachte. Es kitzelte, erzeugte Gänsehaut. Es berührte ihn an der Seite, am Rücken, arbeitete sich zum Gesicht vor. Da wehrte er ab und spürte unter seinen Fingern Fell und eine kühle Nase, eine Zunge. „Hey! Was zum ...“ Er blinzelte, öffnete die Augen einen Spalt weit. Zu mehr reichte es noch nicht. Neugierige dunkle Hundeaugen sahen ihn freundlich und sanft an. Gut und Recht, aber … eigentlich war das nicht in seinem Sinne. Wäre der Hund eine schöne Frau … Fing das schon wieder an? Er war verdorben. Und wenn schon. Warum regte er sich dauernd über sich selbst auf. So ein Quatsch. Er war ein Kerl.

Die Augen gehörten zu einer Mischung. Er kannte sich zu wenig aus, um definieren zu können, was da alles zur Mixtur mitgewirkt hatte.

„Na du?“ Er gähnte ausgiebig. „Was tust du hier? Du raubst mir meine Träume. Zu wem gehörst du?“

„Es ist nicht gut, in der Sonne so tief zu schlafen. Sie holen sich einen Sonnenbrand oder schlimmer: einen Sonnenstich. Wenn Sie sich ihren Hintern verbrennen, ist das nicht tragisch, wenn auch schmerzhaft, aber mit Sonnenstich ist nicht zu spaßen. Lassen Sie sich ihre Träume dankbar rauben.“

Die weibliche Stimme gehörte vermutlich nicht zum Hund, trotzdem blieb er vorerst bei diesem Gesprächspartner: „Und wie heißt du, dass du glaubst, mir Vorträge halten zu müssen?“

„Lyria“, meinte die Stimme. Wenn diese Stimme doch zum Hund gehörte, war er übergeschnappt. „So heißen Hunde nicht.“ Durchgeknallt war er schon lange.

„Ich schon.“

Er beendete das Spiel, blinzelte und hob seinen Kopf in Richtung der tatsächlichen Stimme ohne richtig hinzusehen. Wer das war interessierte ihn nicht. „Das geht dich einen Scheiss an!“

„Was für ein freundliches Kerlchen am schönen Strand.“

„Der Strand ist groß genug, so dass du woanders gescheit sein kannst. Du stehst mir in der Sonne.“

„Brauchen Sie die zur Schönheitspflege?“

„Witzig! Nimm den Hund mit dem großen Lappen und dem komischen Namen von mir weg. Ich bin gewaschen.“

„Dein Mundwerk auch?“

„Was ist damit? Passt es nicht?“

Langsam sah er deutlicher. Aus dem Schemen mit Umrissen wurde eine Gestalt. Aus den diffusen Konturen wurde eine Frau. Er machte eine abwehrende Geste, als müsse er ein Unheil vertreiben. Bloß das nicht und auch noch jung. Von Frau hatte er genug. Keinerlei Bedarf an Bekanntschaft und keine Lust, sich mit so einer auseinander zu setzen, selbst wenn es spannend war, weil sie gut zu kontern verstand und auf den ersten Blick nicht hässlich war. Er kannte sie von irgendwo her. Das Kontern war Spiel. Jagdverhalten. „Es ist eine Riesenklappe.“

„Muss es. Die brauche ich. Schönheitspflege habe ich nicht nötig. Nimm lieber den Hund weg.“

„Sie mag dich.“

„Mag sein. Ich mag Hunde, stell dir vor – und Katzen und weitere Tiere. Aber ich mag keine Frauchen, die sie nicht im Griff haben.“

„So etwas siehst du auf den ersten Blick.“

„Ja, sehe ich, spüre ich. Das ist kein Kunststück. Er schlabbert mich ab. Nimm ihn weg.“

„Sie. Es ist eine sie. Sie scheint Gefallen an dir zu finden.“

„Ich steh nicht auf Hunde. Eine Sie, klar! Dann nimm diese ‚Sie’ weg.“

„Du liegst verführerisch da. Da musst du mit Manchem rechnen, auch mit Überfällen. Legst du es nicht darauf an?“

„Nein, ich liege nur im Sand, weiter nichts. Und ich will meine Ruhe.“

Sie betrachtete ihn, spitzte ihre Lippen, schnalzte mit der Zunge, ließ ihre Augen streifen. Donnerwetter noch mal. Er spürte, dass seine Haut reagierte. Das ärgerte ihn. Musste das sein? Das war immerhin zu sehen. „Wäre da nicht deine große giftige Klappe, ein bisschen mehr Manieren und Charme …“

„Was dann? Was wird daraus?“

„Durchaus ansehnlicher. Doch ... stimmt. Es ist keine Schönheitspflege notwendig. Das wolltest du bestimmt bestätigt haben.“

„Und?“

„Mal es dir selbst aus.“

„Machst du mich an? Was bist du denn für eine?“

„Nein. Ich sage wie es ist. Darunter verstehe ich nicht Anmache. Ich sehe, dass du schnell etwas hinein interpretierst, was nicht da ist. Darin hebst du dich nicht von anderen ab.“

„Hör bloß auf!“

„Womit? Und was ich für eine bin? Du bist mir heute vor die Füße gesprungen, als ich ahnungslos an einem Haus vorbei ging.“

Ach du Schande! Daher kannte er sie. Pah, aber egal blieb es trotzdem und anbandeln war nicht. Also blieb er bei seiner Strategie der Grobheiten. Damit gelang ihm meistens die Abschreckung. Er musste es steigern. Sie war von der hartnäckigen Sorte.

„Direkt? Im ernst?“ Er musterte sie. Seine Augen wirkten ärgerlich. „Das kannst du von mir haben. Du wendest eine plumpe Masche an. Oder du spielst du die Direkte, um Interesse zu wecken.“

„Masche? Nein, so etwas habe ich nicht nötig. Außerdem - Kann ich wissen, ob dir das zusagt? Ich kenne dich nicht.“

„Lass es. Ich kenne eure Tricks.“

„Eure?“

Sie sah sich suchend nach allen Seiten um. Sein Ärger nahm zu. „Euch Weiber! Kein Bedarf, klar! Also troll dich mit deinem Hund.“

„Bist du schwul?“

„Nein, das bin ich nicht. Und wer interpretiert nun?“

„Bingo. Ein Punkt für dich. Aber mir gefällt es hier. Die Aussicht ist perfekt, genau richtig. Ich wüsste nicht, warum ich mich trollen sollte. Ich bleibe wo ich will und gehe, wann ich will.“ Sie setzte sich neben ihn in den Sand, ließ diesen durch die Finger rieseln, schmunzelte und wirkte zufrieden.

„Na gut. Wenn du meinst. Mir gefällt es hier nicht mehr.“

„Och schade. Aber deine Sache.“

Er spürte ihr Betrachten auf seiner Haut – überall. Es irritierte ihn, verwunderte ihn, ärgerte ihn in seiner Stimmung und doch nicht. Es gefiel ihm, regte ihn an. Aber er wollte es nicht. Und wenn, nur zum Spaß. Für Spaß allein war er zu haben. Nein, die wollten immer mehr, selbst wenn sie es abstritten. Bloß weg. Zu gefährlich. Sie war gefährlich mit ihren Herausforderungen und den Blicken.

Er stand auf, putzte so gut es ging den Sand von seiner Haut, drehte ihr den Rücken zu und zog sich an. Er wusste, wo ihre Augen waren. Bevor er weiter ging, wandte er sich ihr noch einmal zu und betrachtete sie ausführlicher. Dunkle lange Haare. Hellgraue Augen, schöne Haut, gute Figur. Nein! Weg hier! Er wandte sich ab und ging.

Der Hund folgte ihm ein Stück. Er kümmerte sich nicht darum, spürte noch immer irritiert ihre Blicke. Sie rief schließlich nach dem Hund und der rannte zurück. Hund schon. Er nicht. „Den kommandiere herum, nicht mich.“

Hatte sie das getan? Blödsinn. Er reagierte doof. Aber früher oder später kamen sie alle auf solche Ideen. Nicht mit ihm. Er war zu wenig entspannt, um sich zu nehmen, was sich ihm bot.

Weit vorne sah er etwas liegen. Ein bizarr geformtes, vermutlich angeschwemmtes Objekt. Heute fand er ständig etwas. Teil eines Baumes? Nein, so sah es nicht aus. „Damit du es genau weißt, geh hin. Du hast Zeit. Auf jeden Fall ist es besser, dich damit zu beschäftigen, als mit der Frau. Die Richtige ist es nie.“

Trotzdem sah er zu dem Platz zurück, wo er sie verlassen hatte. Sie ging mit dem Hund in die andere Richtung. Fabien erlaubte es sich zu grinsen. Eigentlich hatte ihm das gut gefallen. Er war echt nicht ganz dicht.

Das Objekt lag weiter weg, als er angenommen hatte. Doch umkehren und hinter ihr her? Sie wollte nicht aus seinen Gedanken verschwinden. Er war ein Idiot. Mann durch und durch. Quatsch. Nachsehen gehen.

Die Wellen rollten wie zuvor an den Strand. Der Wind war wie zuvor zu spüren. Die Sonne schien. Und doch hatte er den Eindruck, dass sich etwas veränderte. Begann er zu spinnen? Es konnte Einbildung oder aus der Veränderung der Stimmung heraus geboren sein. Etwas war anders geworden. Langsam kam er näher zum Gegenstand. Je näher er kam, desto weniger gefiel es ihm. Er ahnte, was es war und bekam es bestätigt. Der Fund war einmal ein lebendes Wesen gewesen; kein Tierkadaver - ein Mensch. Eine weibliche Leiche.

MarChip und das Geheimnis um Etoile Rouge

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