Читать книгу Meine Helfer aus dem Jenseits - Esthèr Samati - Страница 8
3. Meine stummen Mitbewohner
ОглавлениеMeine Mitbewohner, die Gruppe von Frauen und Kindern, waren immer noch da. Seit ca. einem Jahr hatte sich nichts daran geändert, sie waren immer noch regungslos und stumm. Ich hatte mich schon daran gewöhnt und verschwendete keinen Gedanken mehr, ob sich das mal ändern würde. Ich sah keinen Grund dafür, denn schließlich waren sie ja weit, weit vor mir schon da gewesen und wir störten uns gegenseitig in nichts.
Eines Tages, im Hochsommer, wachte ich auf und wusste, dass es ein ganz besonderer Tag werden würde. Es muss ein Wochenende gewesen sein, denn es war niemand im Büro und sonst hätte ich es auch gar nicht so durchziehen können. Es sollte der Tag des Abschieds sein, was ich aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Geringsten ahnte.
Im Laufe des Tages hatte ich das Bedürfnis zu tanzen und auf meinem Tamburin zu trommeln. Das ging den ganzen Nachmittag bis zum Abend so, mit Zwischenpausen natürlich. Fast so, als ob ich meine stummen und erstarrten Mitbewohner aus ihrem Zustand herauslocken und aufheitern sollte. Ja, das spürte ich deutlich, dass es nicht für mich war. Der Grund für diesen Akt war ein anderer und ich ging dieser Intuition nach.
Etwas in mir war sehr traurig. Ich wusste aber nicht warum, denn es gab äußerlich keinen Grund dafür.
Das sollte der Tag sein, sie sollten mich heute Nacht alle verlassen und nach Hause gehen. Anscheinend hatte sich eine Pforte geöffnet oder es war die Mondkonstellation, vielleicht die Sterne oder, oder, oder. Ich weiß es nicht. Ich hatte einfach noch zu wenig Erfahrung und niemanden, den ich um zuverlässigen Rat bitten konnte. Zu dieser Zeit kannte ich keine Menschen, die sich in solchen Dimensionen bewegten oder auskannten. Eine Online-Vernetzung war zu dieser Zeit im Gegensatz zu heute noch nicht möglich. Ein offener Umgang damit undenkbar, es war noch zu riskant. So war ich gezwungen, ohne Vorkenntnisse alle Erfahrungen selbst zu machen und zu lernen, meiner Intuition zu folgen. Das war auch dringend nötig, denn meine Intuition war über die langen Jahre verkümmert. Ich war zu stark vom Verstand geleitet, und genau das sollte sich wieder ändern. Es wurde höchste Zeit.
Es war ein sehr klarer und ungewöhnlich warmer Abend und genauso die Nacht. Alles war einfach anders. Es war eine Ruhe, ein Frieden, aber auch eine Schwere zu spüren.
Am späten Abend bekam ich nochmals die Intuition zu tanzen und auf dem Tamburin zu trommeln. Während ich ganz in meinem Element war, war plötzlich die Klarheit da und ich wusste den Grund. Dieser Tag, das Tanzen, das Trommeln, war der Weckruf. Sie sollten alle aus der Starre, aus dem Schock aufwachen. Das war der Tag der Erlösung für all die Seelen, die - wer weiß wie lange schon - in diesem Zustand feststeckten.
Es war diese Nacht, als sich das Tor für sie öffnete, damit sie endlich erlöst und die Heimreise antreten konnten. Jetzt, während ich meine Erinnerungen nochmals herhole, wie diese vielen Frauen und Kinder zusammengepfercht in ihrer Starre dastehen, kommen auf einmal noch viel mehr zusätzliche Bilder, die damals für mich nicht bewusst wahrnehmbar waren. Erklären kann ich es mir nur so, dass auch die Erinnerungen der Seelen mit ihnen erstarrt waren und ich sozusagen die ganze Zeit nur ein Standbild gesehen hatte. Nun erweiterte sich das Bild. Vor ihnen standen Soldaten und hielten sie mit Gewehren in Schach. Es scheint, dass sie damals ihr Leben dort haben lassen müssen. Dieses Bild bekomme ich jetzt erst nach so vielen Jahren. Wie ich schon zu Beginn erwähnt habe, vergessen diese alten Gemäuer nichts. Sie sind und bleiben Zeitzeugen. Der beste Putz und die schönsten Wandfarben können die Erinnerungen nicht verschwinden lassen.
Da ich immer noch nicht die geringste Ahnung davon hatte, was mich heute noch so erwartete, wollte ich mich gerade für das Zubettgehen fertig machen, als plötzlich eine ganz klare und deutliche Stimme mich dazu aufforderte, mich jetzt von der Gruppe meiner Mitbewohner zu verabschieden und die Haustüre ganz weit zu öffnen. Die Anweisung war unmissverständlich und klar und da ich mich und sie, ohne es zu wissen, schon den ganzen Tag darauf vorbereitet hatte, stellte ich es nicht in Frage, sondern es war einfach klar. Die Zeit war gekommen - ihre Zeit. Als das alles passierte, fand ich es einfach spannend. Jetzt empfinde ich tiefstes Mitgefühl für die armen Seelen, die so lange in der Angst ihrer Todesstunde gefangen gewesen waren.
Ich folgte der Stimme - der Intuition - und ging durch die Räume und bat sie alle, sich hinaus zu begeben. Da merkte ich, dass sie nicht mehr so klar für mich zu sehen waren. Sie hatten sich bereits weiter verfeinstofflicht und waren schon in Bereitschaft.
Gleich darauf bekam ich die Order, sie müssten sich beeilen, denn das Tor wäre für diese Nacht nur kurze Zeit offen und wer es diese Nacht nicht schafft, der müsste nochmal für eine lange Zeit dableiben.
Bis dahin dachte ich, die Seelen könnten jederzeit ins Licht gehen oder den Weg nach Hause nehmen, oder wie man es auch immer nennen mag. Im Ergebnis ist es dasselbe. Nun, es schien eine besondere Pforte zu sein, die sich heute Nacht öffnete, und es war Eile geboten.
Ich verstand nun die Dringlichkeit, gab es weiter, stellte mich an die offene Tür und animierte sie telepathisch dazu, zügig aus dem Haus zu gehen. Visuell waren sie für mich nicht mehr zu erkennen. Ich konnte nur noch den warmen Luftzug spüren, der beim Vorbeischweben entstand. Bis dahin hatte ich eher Kälte gespürt, wenn ein Verstorbener in der Nähe gewesen war oder sie mich gestreift hatten. In dieser Nacht war eben alles anders. Es waren pure warme Luftströme zu spüren.
Gefühlt waren es hundert, die an mir vorbeischwebten. Jetzt frage ich mich, ob nicht das Haus oder meine Haustüre die Pforte war und es deshalb auf einmal so viele waren, die den Durchgang benutzten. Denn es war nicht nur die Gruppe, es waren gefühlt unendlich viele. Hmm, die Idee mit der Pforte - möglich wäre es schon.
Ich war so überwältigt von der Energie, die herrschte. Ich war glücklich und traurig zugleich. Eine Art Demut breitete sich in mir aus. Ich fühlte, wie es um mich herum immer leichter und leichter wurde und auch ich fühlte mich leichter in mir. Und diese unendliche Stille und Frieden.
Das Ganze hat eine halbe bis dreiviertel Stunde gedauert. Dann ließ auch der warme Luftstrom nach. Ich hörte, dass es nun vollbracht war und ich jetzt die Haustüre gut verschließen und ins Bett gehen sollte.
In dieser Nacht waren die Räume leer und einsam und es blieb so bis zu meinem endgültigen Auszug aus dem Haus.