Читать книгу Die Falkner vom Falkenhof - Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem - Страница 9

Kapitel 7

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Der Freiherr war hinausgeeilt in den Park, sich durch die Luft die erregten Nerven beruhigen zu lassen. Das Testament des Oheims hatte ihn förmlich aus dem Gleichgewicht gebracht, so ungern er sich's eingestehen wollte, es hatte ihn urplötzlich der Notwendigkeit einer Entscheidung gegenübergestellt, über die er zwar nicht im unklaren war, die sich immerhin aber schwer geben ließ.

Was ihn hauptsächlich reizte, war, dass seine Mutter ganz einverstanden damit schien, dass er Dolores heiraten sollte, einfach des Besitzes wegen, und dann war es ihm ein entsetzlich peinliches Gefühl, dass sie auf die Eingebung des Doktors hin die Einladung, auf dem Falkenhof zu bleiben, ohne Weiteres angenommen hatte. Was waren die Pläne seines Stiefvaters dabei? Denn dass er aus reiner Bequemlichkeit bleiben wollte, konnte kein Grund sein, dazu kannte Falkner den Doktor zu genau, oder besser gesagt, er misstraute ihm zu sehr, um an die angegebenen Gründe zu glauben. Sie waren für harmlose Personen vortrefflich, konnten aber für ein so stilles Wasser, wie Ruß es in den Augen seines Stiefsohnes war, nicht genügen. Natürlich war es für ihn, der den Falkenhof heute noch verlassen wollte, nicht möglich, diesen verborgenen Motiven nachzuforschen – plante Doktor Ruß in seinem rastlos tätigen Kopfe etwas, so musste er eben dabei gelassen werden.

Nach etwa halbstündigem Umhergehen kehrte Falkner nach dem Hause zurück; er traf Ramo im Korridor und ließ sich bei Donna Dolores melden.

Sie empfing ihn in dem Turmzimmer und reichte ihm unbefangen die Hand, die er indes nicht zu sehen schien.

„Sie wünschten mich zu sprechen“, sagte er kühl.

„Ja“, erwiderte sie, auf den Sessel ihr gegenüber deutend, „aber offen gesagt, ich hatte gewünscht, das, was ich zu sagen habe, freundschaftlich und verwandtschaftlich zu besprechen. Habe ich Sie in irgendwelcher Weise gekränkt oder beleidigt, Baron Falkner? Denn sonst müsste ich doch wenigstens als Dame Anspruch an Ihre Höflichkeit machen können, wenn Sie diese auch der Verwandten verweigern!“

Falkners Blick streifte leicht das schöne, stolze Antlitz mit den blitzenden Augen ihm gegenüber – wenn sie auf der Bühne gestanden, hatte er es unausgesetzt betrachtet – hier beirrte es ihn, er wusste nicht, weshalb.

„Beleidigt, Baronin? – Nicht dass ich wüsste“, erwiderte er gleichgültig, „mich stößt nur die Primadonna in der Freiin von Falkner ab.“

Jetzt lachte sie, leise und melodisch, das alte dämonische, provozierende und doch so reizende Lachen! Dass es kein Bühnenlachen war, wusste Falkner von früher her – – –

„Es ist gut, dass man nicht in die Zukunft sehen kann“, sagte sie heiter, „sonst hätten Sie mich am Ende damals nicht aus dem Brunnen gezogen, in den ich fiel – Sie wissen, in der Nacht vorher, ehe wir den Falkenhof verließen!“

Oh, wie ihn ihr Spott reizte!

„Wollen Sie die Güte haben, zur Sache zu kommen?“, fragte er, mühsam beherrscht.

Sofort wurde sie ernst. „Gewiss, gewiss“, rief sie und setzte nicht ohne Schelmerei hinzu: „Sie haben mir diese Unterredung der Kürze wegen bewilligt! Nun wohl, Baron Falkner, ich weiß, dass Sie mir nicht freundlich gesinnt sind, und doch möchte ich eine Bitte an Sie richten, deren Erfüllung mich so glücklich machen würde –“

Sie stockte, und Falkner konnte nicht umhin zu bemerken, wie lieblich sie war mit dem niedergeschlagenen Blick, den vor Erregung sanft geröteten Wangen, auf denen die Farbe kam und ging in diesem Augenblicke, wo es ihr so schwer ward, das rechte Wort zu finden.

„Sie werden vielleicht gehört haben“, fuhr sie leiser fort, „dass ich in Brasilien große Plantagen besitze, die ich von einem Onkel erbte – leider zu spät, um meinen armen Eltern damit noch die letzte Zeit ihres Lebens zu verschönern, zu spät, um meine kurze Bühnenlaufbahn zu verhindern. Diese Besitzungen bringen viel, besonders, da sie auch ein Diamantenfeld einschließen – sie bringen mehr, als ich bei der größten Verschwendungssucht, an der ich leider nicht leide, verzehren kann.

Die Verwaltung ruht in so bewährten Händen, als sich eben finden lassen; ich bleibe in fortwährender Verbindung mit derselben und vollziehe jedes Geschäft selbst, ehe es abgeschlossen wird, durch meine Unterschrift, was bei der großen Entfernung mitunter recht langwierig ist. Unter diesen Umständen ist mir der Falkenhof eine Last, die ich je eher, je lieber“ – sie errötete bei dieser Notlüge tief –“loszuwerden trachte. Aus diesen Gründen ist es mein Wunsch, auf die Erbschaft zu verzichten, und meine Bitte geht an Sie, Baron Falkner, mir die Übertragung des Falkenhofes an den nächsten Agnaten, also an Sie, zu erleichtern, indem Sie derselben keine Schwierigkeit in den Weg legen. Bedenken Sie“, fuhr sie schneller fort, als Falkner sich mit finsterem Blick und abwehrender Bewegung halb erhob, „bedenken Sie, dass es fast unmöglich für mich ist, dem Lehen eine ihm förderliche Herrin zu sein, dass Sie die Verpflichtung haben, dasselbe Ihrer Familie zu erhalten – bitte, nehmen Sie mir diese Last ab, die mich in den wenigen Tagen, in denen ich sie besitze, schwer genug gedrückt hat!“

Sie war aufgestanden und hatte die Hände fast flehend erhoben, ihre Augen hatten dabei einen wunderbar weichen Ausdruck – sie stand wie eine Bittende vor ihm, nicht wie eine Gebende.

Jetzt erhob sich Falkner auch.

„Ich bedaure“, sagte er kalt, „Ihren Wünschen nicht Folge leisten zu können, da ich ein für alle Mal ablehne, Ihren Verzicht anzunehmen, auch wenn Sie denselben ohne mein Vorwissen ins Werk setzen wollten. Ich verlasse den Falkenhof in wenigen Stunden und werde ihn nur dann betreten, wenn meine Mutter mich sehen will, natürlich vorausgesetzt, dass sie solange hierbleibt. Wenn Doktor Ruß Ihre Einladung annahm, so ist das seine Sache – ich bin nicht in der Lage und nicht geneigt, Ihre Güte in irgendwelcher Weise in Anspruch zu nehmen, am allerwenigsten aber Ihren Verzicht zu meinen Gunsten. Ich ziehe es vor, das Lehen in der bis jetzt immer erfolgten natürlichen Weise an mich oder meine Deszendenz kommen zu lassen.“

Dolores war sehr blass geworden.

„Also nur durch meinen Tod“, sagte sie langsam.

„War das Ihr letztes Wort?“

„Das war es. Ich habe ohne alle Reserve gesprochen.“

„Ja“, nickte sie schmerzlich und setzte einfach hinzu: „Ich bitte Sie, mich entschuldigen zu wollen, dass ich jene Bitte an Sie aussprach. Ich hätte wissen sollen, dass sie zurückgewiesen werden musste.“

Falkner verbeugte sich und schritt der Tür zu. Aber auf halbem Wege kehrte er um.

„Noch eins“, sagte er schnell, geschäftsmäßig. „Noch eins, Baronin, um klar zu sehen in allen Dingen und ein weiteres, zweckloses Gerede zu vermeiden. In dem Testament meines Oheims sprach dieser den Wunsch aus, den Besitz des Falkenhofes durch eine Vermählung zwischen uns in die Hände beider daran Berechtigten zu bringen. Daran ist natürlich nicht zu denken, schon deshalb, weil Ihre Lebensstellung als Sängerin unvereinbar ist mit meinen Anschauungen, dann aber auch der Kommentare wegen, denen Ihr öffentliches und Privatleben ausgesetzt ist –“

„Was soll das heißen, Baron Falkner?“, unterbrach ihn Dolores hoch aufgerichtet mit flammenden Augen, „an meinem Leben haftet nicht so viel Makel, als im Auge Raum hat – das ist mein Stolz, den ich Sie zu respektieren bitte.“

Es war ein Moment still in dem Turmgemach, währenddem Falkners Blick die vor ihm stehende herrliche Gestalt der Herrin des Falkenhofes streifte.

„Ferner“, fuhr er scheinbar unbewegt fort, „ferner ist mir der Gedanke, nicht aus eigener Wahl mich vermählen zu müssen, so demütigend, dass –“

„Sie sprechen, Baron Falkner, als hinge das Zustandekommen dieser imaginären Testamentsheirat ganz allein von Ihnen ab“, unterbrach ihn Dolores spottend. „Ich dächte, wir endeten diese unerquickliche Unterhaltung, schon um jenes Etwas willen, was man Zartgefühl nennt. Was Ihnen das Recht gibt, mich in jedem Worte zu beleidigen, weiß ich nicht, das aber fühle ich, dass wir besser tun, einander den Pfad nicht zu kreuzen. Leben Sie wohl, Baron Falkner!“

Sie wandte sich mit einem königlichen Neigen des Hauptes ab und trat an das offene Fenster.

Er verließ das Zimmer, eilte indes in seines und schloss sich ein. Das eine fühlte er deutlich, dass er den Abgrund zwischen sich und Dolores unüberbrückbar gemacht hatte. Ja, er war an Zartgefühl, Würde und innerer Hoheit von ihr überragt worden, die er so tief unter sich und seinen exklusiven Gefühlen zu stehen vermeinte, um ihr von seiner Höhe herab den Standpunkt anzuweisen, auf den er sie gestellt. Und jetzt – –

Alfred Falkner war viel zu wahrheitsliebend, um sich der Täuschung hinzugeben, dass sie gering zu schätzen war, und er sah auch ein, dass es sein Stolz, seine Bitterkeit waren, die ihn dazu hingerissen hatten, ihr Worte zu sagen, die er gern ungesprochen gemacht hätte, nicht um ihretwillen, wie er sich verächtlich sagte, sondern um seinetwillen. Jetzt war es geschehen, er hatte das Tischtuch zwischen sich und ihr zerschnitten, und wenn er sein Werk krönen wollte, musste er den Weg eines Majestätsgesuches einschlagen, um sie als unwürdig des Erbes zu erklären und als schwarzes Schaf aus dem Stammbaum der Falkners stoßen zu lassen, wie es sein Oheim tun wollte, als es schon zu spät war und der Tod ihm die Gelegenheit dazu nahm. Er errötete, wenn er daran dachte, dass der Gedanke an einen solchen Akt himmelschreiender Ungerechtigkeit die letzten Stunden des Toten befleckt hatte, dass er selbst in einem bösen Augenblick der Bitterkeit daran gedacht. Mit feinem, weiblichem Takt, und indem sie den eigenen Reichtum vorschützte, hatte sie ihm das Erbe abtreten wollen, um seine Gefühle nicht zu verletzen – und mit welcher beleidigenden Verachtung hatte er ihr vergolten.

Ist das Wort der Lipp' entflohen,

Du erreichst es nimmermehr,

Fährt die Reu' auch mit vier Pferden

Augenblicklich hinterher.

Kurz, als Alfred Falkner wenige Stunden später der Hauptstadt entgegenfuhr, zur Übernahme seiner Pflichten, da nahm er mit sich das unbehagliche Gefühl der Unzufriedenheit mit sich selbst. Einsamkeit verleitet gern zu einer Prüfung von Herz und Nieren auch gegen den Willen dessen, der diese Prüfung lieber umgehen möchte – und so musste Falkner sich denn sagen, dass sein Betragen Dolores gegenüber ein selbstgeschmiedeter Panzer war gegen die schwarzen Augen und die goldroten Haare, die er so oft antipathisch genannt, und die dennoch einen Zauber auf ihn ausübten, den er gern als unheilvoll bezeichnet hatte. Er erschrak bis in sein Innerstes hinein, als das allezeit der Wahrheit zuneigende Herz ihm diese Falte zeigte.

„Ich werde niemals diesem Zauber, dem Zauber einer Satanella unterliegen“, sagte er laut vor sich hin, als wollte er ein Gelöbnis aussprechen. Und im nämlichen Momente noch durchzuckte ihn der Gedanke: Ob sie Keppler wohl abgewiesen oder ermutigt habe?

So ist das Menschenherz – es hat alles in ihm Raum, selbst die scheinbar krassesten Gegensätze, selbst die ungleichartigsten Gefühle, dessen war Falkner sich voll bewusst, und doch musste er fast erleichtert hinzufügen: „Ich glaube nicht, dass sie ihn ermutigt, er sah allzu gebeugt aus. Armer Tor!“

Er nannte es also eine Torheit, Dolores zu lieben; doch in diesem Punkte waren große Helden von ihren Piedestalen herabgestiegen, um neben ihrer Größe ein wenig Mensch zu sein und dem Herzen sein Recht zu gönnen. Nein, Falkner fühlte, dass er heute zu keiner Ruhe gelangen konnte, und so nahm er zu dem alten Vorurteil seine Zuflucht und panzerte sein Herz damit: „Nein, es geschah ihr recht! Wie konnte sie es wagen, mir ein Geschenk anzubieten!“

Er hatte so unrecht nicht, wenn er sich überhaupt gegen seine eigenen Gedanken rüsten wollte, die alten Vorurteile dazu zu wählen, denn diese sind ein Harnisch, durch den bis jetzt noch kein Vernunftgrund siegend gedrungen ist, und so hatte er denn wenigstens den Triumph der Selbsttäuschung, mit dem er sich gegen seine eigenen unbequemen Gefühle und Gedanken wappnen konnte. –

Dolores stand, als sie Falkner die Tür hinter sich schließen hörte, starr, bleich und bewegungslos an dem Fenster des Turmgemaches. Die klare Maienluft kam herein zu ihr und umfächelte ihre blassen Wangen, spielte mit dem krausen Haar über ihrer Stirn und brachte mit sich ganze Duftwellen von den Narzissen und Veilchenbeeten drunten auf dem smaragdgrünen frischen Rasen. Sie spürte nichts davon, sie spürte nur das Weh in sich, das die Verachtung bringt, sie spürte nur den Schmerz der scharfen, bösen Worte, die sie gehört. Und als das Weh seine erste Kraft abgestumpft, da fragte sie sich nach dem Warum, das es verursacht, aber die Antwort blieb aus, und auch sie panzerte sich gegen das ihr Geschehene mit dem Panzer ihres Stolzes und ihrer Würde. Aber unter dieser Eisenhülle wollte das Weh doch nicht schlafen – es war einmal geschehen.

Und hüte deine Zunge wohl,

Bald ist ein böses Wort gesagt –

Ja, das böse Wort – es ist so leicht, so schnell gesprochen, vielleicht ohne die Absicht, unheilbar zu verletzen, und doch schlägt es eine tiefe, tiefe Wunde, in der es unberechenbar wirkt, bis es das Leben vergiftet hat und die Freude am Leben getötet, und nur noch das stille grüne Kirchhofsgras Heilung bringen kann.

Dolores atmete tief auf und strich mit beiden Händen über ihre Stirn, die trocknen, brennenden Augen für einen Moment schließend und zuhaltend.

So ist der Würfel gefallen, dachte sie. Wie schnell doch alles im Leben wechselt! Und dann wandte sie sich ab, durchschritt den prächtigen Rokokosalon und trat in die Bildergalerie ein. Dort suchte ihr Blick das Bild der „bösen Freifrau“, der Heldin von Mamsell Köhlers Geistergeschichte, und wieder war sie wie vorher überrascht von ihrer eigenen Ähnlichkeit mit der Ahne, die gar nicht böse, sondern nur so todestraurig aussah und mit den schwarzen, glanzlosen Augen beredt herabblickte auf ihr Ebenbild, die letzte Freiin von Falkner.

„Ich muss Näheres über sie erfahren“, gelobte sich Dolores, seltsam angemutet durch das Porträt.

Dann schritt sie weiter, durch das kleine, jetzt zur Bücherei gemachte Gemach und betrat das schöne, luftige Schlafzimmer, vor dem sie so gewarnt worden war. In dem Vorzimmer mit den Eichenschränken hörte sie Schritte – es waren Ramo und Mamsell Köhler, die den kleinen Koffer, den sie mitgebracht, auspackten und dessen Inhalt passend in den Schränken verteilten.

„Ramo“, sagte sie, auf der Schwelle stehend, „ich habe Aufträge für dich!“

„Ja, Senora“, erwiderte der alte Diener, seiner angebeteten Herrin in das Schlafzimmer folgend; dabei wollte er die Tür schließen, aber Dolores bedeutete ihn in spanischer Sprache, dass dies nicht nötig sei.

Da haben wir's, dachte die kleine Beschließerin entrüstet, da haben wir die babylonische Sprachverwirrung auf dem Halse, sodass kein Christenmensch verstehen kann, was geredet wird. Da können die da drinnen ja den Tod von einem besprechen, ohne dass man es weiß, und von Geheimnissen erfährt man überhaupt kein Jota mehr!

Trotz dieses für sie sehr betrübenden Faktums machte sich Mamsell Köhler doch noch einiges in dem Kabinett zu schaffen, denn, man konnte ja doch noch irgendein verständliches Wort aufschnappen, wie sie sich klassisch ausdrückte.

„Ramo, du wirst heute noch mit dem Nachtzuge nach B. zurückreisen“, sagte Dolores freundlich auf spanisch. „Dort sagst du Tereza, sie soll meine Sachen packen und sich bereit machen, mit dir so bald als möglich hierher zu übersiedeln. Während sie packt, gehst du zu dem Generalintendanten und gibst dort den Brief ab, den ich dir übergeben werde. Mein Urlaub läuft morgen ab, und du musst die Konventionalstrafe zahlen, die auf meinem Kontraktbruch für den Rest der Saison steht.“

„Sehr wohl“, erwiderte Ramo, dessen schnelles, echt südliches Begriffsvermögen ihn zu dem Geschäftsführer seiner Herrin gemacht, „Senora werden also das Theater verlassen?“

„Es wäre unziemlich, während der Trauer um den Freiherrn aufzutreten“, sagte sie sinnend, „also muss ich wohl dieser Rücksicht ein Opfer bringen und der Bühne entsagen. Mein Flügel muss sehr bald hergeschafft werden, Ramo, ich bedarf seiner dringend, und vergiss nicht, den Kasten mit dem Schmuck selbst an dich zu nehmen!“

„Ich werde ihn zu mir in den Wagen nehmen, wie immer, Senora“, entgegnete der Brasilianer. „In einer halben Stunde werde ich reisefertig sein“, fügte er respektvoll sich verbeugend hinzu.

„Gut! Du magst dir dann den Brief an den Intendanten abholen!“

Ramo entfernte sich, und Dolores trat in das Kabinett, das inkrustierte Schreibpult von Ebenholz entgegenzunehmen, das Fräulein Köhler eben auspackte und bewunderte.

„Ich muss für Ramo, der in meinem Auftrage verreist, einen Brief schreiben“, sagte sie und fügte hinzu: „Da ich mich entschlossen habe, fürs Erste auf dem Falkenhof zu bleiben, so hoffe ich, dass Sie, Fräulein Tinchen, trotz des Ihnen von dem Freiherrn hinterlassenen Legates, in Ihrer alten Stellung verbleiben und dieselbe in der mir bekannten und sehr geschätzten Treue und Zuverlässigkeit weiterverwalten werden.“

Über das Gesicht der kleinen, verwitterten Person flog ein verklärender Freudenstrahl – sie hatte im geheimen ihre Entlassung gefürchtet.

„Oh“, knickste sie, „wenn gnädige Baronin die Güte haben wollen, mir ferner das Leinenzeug, Silber und die Bewirtschaftung des Haushaltes anzuvertrauen – ich bleibe nur zu gern, denn ich bin auf dem Falkenhof aufgewachsen und grau geworden. Da wird das Scheiden schwer, und die Tätigkeit ist mein Leben – müßig, würde ich sterben –“

„Nun gut“, unterbrach Dolores freundlich den Redestrom, „das wäre also abgemacht, und mich freut's, dass Sie bleiben. Zum Zeichen dafür will ich Ihr Gehalt von Herrn Engels erhöhen lassen, und Sie mögen das gleiche den alten, langjährigen Dienern des Hauses mitteilen, damit sie sehen, dass auch ich das Verdienst anerkenne und bereitwillig belohne. Besondere Wünsche will ich gern hören und prüfen, ob Sie zu gewähren sind“, fügte sie hinzu und ergriff dabei ein Etui, das mit den anderen Sachen ausgepackt wurde. Als sie es öffnete, wurde die darin befindliche, geschmackvolle und schwer goldene Brosche nebst Ohrringen sichtbar. Sie reichte die Brosche der Beschließerin. „Das müssen Sie schon von mir annehmen, zum Andenken und zum Zeichen, dass ich Sie nicht vergessen hatte.“

Mamsell Köhler betrat wenige Minuten später den Korridor mit dem Gefühl, als ob sie auf Sprungfedern wandelte, so zum Hüpfen war ihr zumute.

Ei, das ist ein guter Anfang, das muss man gestehen, dachte sie vergnügt. Erhöhtes Gehalt und ein kostbares Geschenk – ich will mir den Tag im Kalender rot anstreichen, das hat man in den Zeiten des seligen Herrn nicht erlebt. Und wie freundlich und gütig sie ist – nun, sie war immer ein liebes, munteres Kind! Ja, ja! Goldenes Haar, goldener Sinn!

Die kleine, graue Beschließerin vergaß ganz, dass sie sich eine Stunde vorher selbst vor den „roten Haaren“ gewarnt hatte, vor der „von Gott Gezeichneten“. – Daran ist aber nichts Wunderbares, wenn man die also Bekehrte zu der großen, weitverbreiteten Familie der Wetterfahnen zählt, die immer hässlich knarren und kreischen, wenn man sie nicht ölt. So lange das Öl vorhält, so lange drehen sie sich selbst im konträrsten Winde sanft und geräuschlos; aber Wind trocknet das Öl bekanntlich sehr schnell, und es ist auch nicht jedermanns Sache, das Ölen, damit die Fahnen sich nach seiner Seite drehen.

Dolores hatte durch ihren Großmut einen coup diplomatique ausgeübt, dessen Tragweite ihr selbst nicht ganz bewusst war, denn sie hatte ihn ganz impulsiv ausgeführt. Sie war nicht berechnend genug, um durch Geld die Leute des Falkenhofes an sich zu ziehen – das war ihr so im Moment durch den Kopf gegangen, und im Moment hatte sie den Gedanken ausgeführt, ganz ihrer raschen, lebhaften Natur folgend und nach der Eingebung des Augenblickes handelnd.

Seid klug wie die Schlangen, dachte Doktor Ruß, als er von diesem „Gnadenerlass bei der Thronbesteigung“, wie er es nannte, erfuhr. Aber auch er, der gewandte Menschenkenner, irrte sich in Dolores' Charakter, denn er maß sie viel zu sehr nach dem eigenen Maß – bei solchen Messungen kommt man nur dann gut weg, wenn der Messende in alle Falten des menschlichen Herzens zu sehen vermag, denn da ruht immer irgendein Goldkorn, verborgen den oberflächlichen Blicken.

Dolores schrieb ihren Brief an den Generalintendanten des Hoftheaters, dem sie sich kontraktlich verpflichtet hatte, und übergab ihn dem pünktlich erscheinenden Ramo, der alsbald nach B. abreiste. Die junge Herrin des Falkenhofes aber stieg hinab und ging hinaus ins Freie. – Die Atmosphäre in ihren Zimmern war infolge des langen Geschlossenseins der Räume schwer und drückend. Dolores musste frische Luft einatmen, sonst –

Nein, ich will nicht weinen, dachte sie und trocknete eine verräterische Träne. Es ist's nicht wert. Und dass er mir wehgetan, das soll niemand erfahren, er selbst vor allem nicht – ich will auch nicht mehr daran denken!

Als ob es so leicht wäre, das einmal zugefügte Weh zu vergessen oder beiseitezulegen wie ein Kleidungsstück – – –

Dolores schritt hinaus in die Abendkühle des frischen Maitages. Aber die grüne Umgebung des Falkenhofes, nach der sie sich gesehnt und von der sie geträumt hatte, seit sie von dem Schlosse geschieden, freute sie nicht, nun sie die Herrin war über den herrlichen Fleck Erde. Träumend schritt sie dahin, indes die kreppbesetzte Schleppe ihres Trauerkleides den Kies auf den Gängen zusammenfegte, aber die Stille um sie her, das in kurzen Pulsen läutende Abendglöckchen drunten im Dorfe, der stark betäubende Duft des eben erblühenden Jasmins, machten ihr erregtes Innere nicht ruhiger.

Wie glücklich war ich hier als Kind, dachte sie, trotzdem damals kein Tag vergangen war, an dem der Tote, um den sie dies schwarze Kleid trug, sie nicht gescholten wegen ihres frohen Jugendmutes und sie eine „rothaarige Satansbrut“ genannt hatte, das hatte ihr damals Vergnügen gemacht und sie angespornt, nun erst recht ihre kleinen harmlosen Teufeleien auszuüben, was ihren Ruf nicht verbessert hatte, das lag auf der Hand. Aber heute musste sie sich sagen, dass die damals künstlich genährte Abneigung gegen sie auf dem Falkenhof nicht abgenommen hatte, und dass man ihr jenes Misstrauen entgegenbrachte, das man so leicht gegen Fremde, das heißt Ausländer, hegt.

Es muss doch in meiner Person liegen, dachte sie traurig, denn Alfred Falkner trat mir feindlich entgegen, ehe er wusste, wer ich war.

Aber dann musste sie der Huldigung denken, die man ihr dargebracht, so oft sie auch erschienen war, ihre wunderbare, herrliche Stimme erschallen zu lassen, und verwirrt dachte sie dem Rätsel nach, warum gerade dieser eine sie hasste und verachtete, dieser einzige, an dessen – an dessen Wohlwollen und Freundschaft ihr so viel gelegen wäre. Eine Glutwelle schoss bei diesem Gedanken in ihr bleiches Antlitz und verlieh ihm einen neuen, eigenen Reiz. Aber schnell, wie es gekommen, schwand dieses Erröten wieder.

Behüt dich Gott, es wär so schön gewesen,

Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein!

dachte sie schmerzlich.

Hier stand sie an einem Scheidewege. Rechts führte ein Weg in das Herz des Parkes, links – ja links hinter dem Gebüsch von Buchen und Syringen lag der Pavillon, den Engels sich von dem Freiherrn zum Logis ausgebeten und erhalten hatte, als er den Falkenhof betrat. Es war eigentlich ein runder Turm, mit einem unterkellerten Stockwerk und spitzem, viergiebeligem Dach – wahrscheinlich erbaut, um der damaligen Abtei als Wachturm zu dienen für den Torwärter. Jetzt lag das originelle Gebäude, das lange Zeit nur Ratten, Mäuse und deren Erzfeinde, die Eulen, bewohnten, mitten im Grünen, und die Kletterrosen und Klematis rankten lustig an den Mauern empor und hätten am liebsten die Bogenfenster ganz bedeckt, wenn Herr Engels dies geduldet hätte.

Oh, Dolores kannte den Weg zum „Türmchen“, wie es hieß, und dieses selbst sehr genau; hier hatte sie die ungetrübten Stunden ihres Lebens auf dem Falkenhof zugebracht.

Sie trat halb hinter dem Gebüsch hervor und sah hinauf zu dem Fenster, an dem sie selbst so oft gesessen – richtig, da saß wie damals Herr Engels, die kurze Pfeife im Munde und den mächtigen Bart streichend. Von Zeit zu Zeit pfiff er dem Dompfaffen vor, und das gelehrige Tier wiederholte gewissenhaft.

„Vom hoh'n Olymp herab ward uns die Freude –“

klang es deutlich zu Dolores herüber, und einem ihrer gewöhnlichen Impulse nachgehend, huschte sie dem Gesträuch entlang der offenen Tür des Türmchens zu und blitzschnell die steile, finstere Treppe hinauf.

„Fröhlich erschallet der Jubelgesang –“

tönte es drinnen, und leise öffnete sie die eisenbeschlagene Eichentür. Ein betäubendes Gekläffe tönte ihr entgegen, denn dazu hielt Knieper, der Dächsel und stetige Begleiter Engels, sich einmal für verpflichtet. Seine spezielle Freundin, die Hauskatze Ida, mit der er in schönster Eintracht lebte und damit bewies, dass man nicht wie Hund und Katze zu leben braucht, fuhr erschrocken aus ihren Träumen auf dem Sofa auf, dehnte aber bald beruhigt ihr samtschwarzes Fell auf dem gewohnten Lager und blinzelte die Eingetretene mit ihren bernsteingelben Augen wohlwollend schnurrend an. Nur Knieper setzte seine gebellten Fragen nach der Identität dieses Abendbesuches fort und wollte sich durch Dolores' lachendes:

„Wer wird denn so böse sein, bist ein gutes Hundel!“ nicht beruhigen lassen, bis Engels, die Eingetretene erkennend, mit Donnerstimme: „Will er wohl ruhig sein!“ dem Höllenlärm ein Ende setzte. Knieper zog sich knurrend zurück, indes Dolores dem Verwalter die Hände reichte.

„Da bin ich wieder zum Dämmer-Plauderstündchen, wie vor Jahren“, sagte sie bewegt.

„Willkommen wie damals“, erwiderte Engels, indem er sie zu dem gewohnten Sitz auf dem Fenstertritt führte. „Ach, wie hat sich manches geändert – auch wir beiden! Sie sind eine große Dame, eine Berühmtheit geworden, und ich – nun, ich bin ein alter Kerl, der darauf wartet, bis der da droben ihn abruft –“

„Was, so hoffe ich, nicht bald geschehen wird, denn Sie sollen mir ja raten und helfen, den großen Besitz zu verwalten, damit wir einst als treue Haushälter befunden werden“, sagte Dolores ernst, dem Hünen die Hand reichend.

Er maß sie einen Augenblick lang.

„Ein Schuft will ich sein, wenn ich's nicht tue“, rief er, einschlagend, unnötig laut, wie immer, wenn ihn etwas rührte. Und nun ward's einen Augenblick still in dem Stübchen des alten Junggesellen. Die Pause aber benutzte Ida, die Katze, die indes mit ihrer Prüfung der Fremden fertig geworden war; geräuschlos verließ sie das Sofa und sprang mit dem eigenen Laut dieser Tiere, den sie in freundlicher Stimmung ausstoßen und der in unserer unvollkommenen Ausdrucksweise nur mit den Konsonanten „Mrr“ wiederzugeben, Dolores auf den Schoß.

Eine Liebhaberin aller Tiere, mit Ausnahme kriechender Geschöpfe von der Raupe bis zur Schlange, empfing sie das schöne, glänzende Tier mit freundlichem Streicheln; Ida rieb sich schnurrend an ihrer Hand und ließ sich dann zur Fortsetzung ihrer Ruhe auf dem gastlichen Schoß nieder, was für den mit Aufmerksamkeit zusehenden Knieper ein Zeichen war, sich der also Anerkannten schwanzwedelnd zu nähern, sich mit behaglichem Grunzen von ihr streicheln zu lassen und endlich definitiv auf der kreppbesetzten Schleppe zur Besiegelung der Freundschaft niederzulassen.

„So ist's recht“, meinte Engels strahlend, „denn das sag' ich: wen das Tier, das superkluge Naturforscher unvernünftig nennen, als seinen Freund mit dem feinsten Instinkt der Welt anerkannt, mit dem würde ich sofort auch Freundschaft schließen, der ist ein guter Mensch! Ja, ja, Fräulein Dolores, so ist's! Der Herr Doktor Ruß nennt, wenn er herkommt – was Gott sei Dank nicht oft geschieht – , meine Tiere mit den zärtlichsten Namen, hat immer Zucker und sonstige Köder, aber Knieper fletscht ihm doch die Zähne und würde ihm mit Vergnügen, wenn ich's erlaubte, die Beinkleider zerreißen, während Ida einen Buckel macht, den Schwanz sträubt und den Doktor anfaucht. Und da rede einer von Unvernunft!“

Dolores lachte, ihre Liebkosungen gerecht unter das seltene Paar verteilend. „So wär' ich denn wieder im Türmchen eingeführt“, sagte sie. „Älter bin ich geworden, nicht mehr so ausgelassen wie früher, aber unverändert sonst, darauf können Sie sich verlassen!“

„Wär' ein Glück für Sie, Fräulein Dolores“, erwiderte Engels, einen schnellen, forschenden Blick auf sein Gegenüber werfend.

„Ach“, entgegnete sie lachend, „dieses Glück scheint mir doch zweifelhaft, wenn ich daran denke, wie man damals, vor Jahren, hier über mich urteilte. Hundertmal hat man mir versichert, dass Hopfen und Malz an mir verloren sei – ich hab's damals schon selbst geglaubt. Gebessert habe ich mich natürlich nicht!“

„Nun, Fräulein Dolores“, meinte Engels, „Sie müssen die Unfreundlichkeiten, die man auf sie entlud, vielem zugute halten. Erstens der Feindschaft Ihres Vaters mit seinem Bruder, zweitens dem Misstrauen, das man Ihrer spanischen Mutter entgegenbrachte, drittens der durch Kränklichkeit gereizten Laune Ihres Onkels, und viertens dem düstern Geiste der Grämlichkeit, Unduldsamkeit und Unfreudigkeit am ganzen Dasein, der den Falkenhof so lange beherrscht, und der erst unter Ihrer Herrschaft weichen soll!“

„Geb's Gott“, rief Dolores ernst, „ich habe mit diesem Geiste nichts zu schaffen. Aber lieber, alter Engels, Sie müssen zugeben, dass alle diese Reden, diese Versicherungen, ich sei ein Satanskind, genügenden Stoff enthielten, einen jungen, unentwickelten Charakter, ein Kinderherz zu vergiften!“

„Mehr als das“, gab Engels zu. „Aber es ist nicht geschehen!“

„Gottlob, nein – es war wohl ein ganz besonders gesendeter Engel mir zur Seite, der diese Reden nicht tief in mein Gemüt dringen ließ“, sagte Dolores, „im Gegenteil, anstatt ihn zu dämpfen, spornten sie meinen Mutwillen nur an, und ich gefiel mir ganz gut in der Rolle des ewig Streiche spielenden Teufels – tempi passati!“

Wieder ward es still. Die junge Schlossherrin streichelte sinnend das schwarze, weiche Fell der Katze, und Engels paffte aus seiner kurzen Pfeife dichte Rauchwolken, durch die er Dolores aufmerksam beobachtete.

„Man sagt, Sie seien reich beladen mit Schätzen im Falkenhofe eingezogen“, begann er nach einer Weile.

„Wer sagt es?“, fragte Dolores schnell.

„Wer? Hm – nun, Doktor Ruß“, gestand Engels. „Wenigstens flüsterte er mir zu, Sie hätten Diamanten, um damit das Bassin der großen Fontäne zuzuschütten, und Ländereien in Brasilien!“

„Das letztere ist wahr – ich bin reich in der Heimat meiner Mutter begütert“, erwiderte Dolores einfach und setzte sich verbeugend, um Engels besser ins Antlitz sehen zu können, hinzu: „Ich frage nicht nach den Kommentaren, die Doktor Ruß zu diesen Berichten gemacht hat, denn diese können nur eine Richtung haben und sind mir gleichgültig; aber Ihre Gedanken, lieber Engels, möchte ich darüber hören!“

Engels hustete und machte sich an seiner Pfeife zu schaffen.

„Was liegt Ihnen an meinen Gedanken“, sagte er ausweichend.

„Es liegt mir viel an dem Urteil eines redlichen Menschen und Freundes“, erwiderte sie ernst.

Wieder huschte sein scharfer, prüfender Blick über sie hin.

„Nun“, sagte er zögernd, „ich dachte mir halt dabei: Wenn sie selbst so reich ist und sich über kurz oder lang doch verheiratet, so wird sie den Falkenhof dem letzten Falkner übergeben, damit der alte Stamm darin neue Sprossen treibe. Den meisten kommt die Nachricht, das Lehen sei ein Kunkellehen, sehr überraschend, denn es ist das erste Mal seit Menschengedenken, dass es auf die weibliche Linie übergeht. Man hat den Baron Alfred allgemein für den Erben gehalten, und er tat es wohl auch selbst.“

„Nun, da wird die Welt wohl den Stab brechen über die habsüchtige Erbin, die nicht genug haben kann, wenn ich trotzdem auf dem Falkenhof verbleibe“, sagte Dolores ruhig. „Sie vielleicht vor allen anderen“, fügte sie hinzu, als Engels betroffen schwieg. „Nun sagen Sie mir aufrichtig, was Sie denken!“

„Ich denke, die Wege eines Frauenherzens sind unerforschlich, wie Gottes Wege“, erwiderte er rau.

„Sehen Sie, dass Sie mich nicht kennen?“, rief Dolores fast frohlockend. „Wenn also der, den ich für meinen einzigen Freund hielt um vergangener Tage willen, wenn der mich so verkennt, was habe ich da von der Welt zu erwarten? An ihr liegt mir wenig, an Ihrer Meinung aber liegt mir viel, mein guter Engels. Und so sage ich's Ihnen allein: Bei Gott und allem, was mir heilig ist, ich habe Alfred Falkner das Erbe in dem schonendsten Worten übergeben, ein für alle Mal ohne Reserve – und er hat mir's vor die Füße geworfen. Wie er's tat, das hat das Tischtuch zwischen uns zerschnitten – ich darf ihm den Falkenhof nicht zum zweiten Mal anbieten, um meiner Würde willen!“

Engels streckte Dolores seine mächtige Rechte durch den Tabakdampf entgegen. „Verzeihen Sie“, sagte er einfach, und sie legte ohne Zögern ihre Hand in die seine. „Nun seh aber einer den stolzen Herrn Alfred an ein echter Falkner!“

Auch ich bin eine echte Falkner“, entgegnete Dolores, „und wenn wir, die Zweige eines Stammes, einander nicht verstehen können, so sei es drum – er hat es so gewollt, nicht ich, dafür ist Gott mein Zeuge.“

„Gut, aber an dem stolzen Freiherrn ist es nun, den Sachverhalt etwaigen missverstehenden Gemütern beizubringen.“

„Gleichviel, mir liegt nichts daran“, sagte Dolores, und nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: „Es wird dunkel – ich muss ins Schloss zurück, sonst suchen sie mich am Ende mit Fackeln!“

Sie erhob sich und legte die schnurrende Ida sanft auf das Sofa. Dann reichte sie Engels die Hand.

„Gute Nacht denn“, sagte sie herzlich, „ich komme wieder zum Plaudern in der Dämmerstunde, wenn Sie mich mögen. Das tut wohl, wenn man den Tag mit nicht allzu heiteren Gedanken zugebracht hat, denn, lieber Freund, es gibt Dinge, die sehr schmerzen, und das, das mit Alfred Falkner hat geschmerzt!“ Sie beugte sich hinab, den wedelnden Dächsel zu streicheln, und verließ ohne ein weiteres Wort das Türmchen.

Die Falkner vom Falkenhof

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