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Erstes Kapitel Im Gegenlicht
ОглавлениеEine Besinnung auf das Verhältnis Jesu zu seiner Botschaft, wie sie durch die neutestamentlichen Schriften dokumentiert wird, muß mit einem Blick auf die Methode einsetzen. Der zur Alleingeltung gelangten historisch-kritischen Methode gestand Albert Schweitzer zwar zu, daß es ihr gelungen sei, Jesus „vom Felsen der Kirchenlehre“ loszuketten und Leben und Bewegung in seine Gestalt zu bringen, dies jedoch mit der entscheidenden Einschränkung:
Aber er blieb nicht stehen, sondern ging an unserer Zeit vorüber und kehrte in die seinige zurück1.
Das aber bedeutet auch: Er entwand sich ihrem Zugriff und behauptete sein Eigenrecht gegenüber jedem an ihn herangetragenen Schlüssel. Damit ist ein Stichwort gefallen, das Jesus im Streitgespräch mit seinen Gegnern selbst aufgegriffen hat, wenn er ihnen vorwirft:
Ihr habt den Schlüssel zur Erkenntnis weggenommen. Ihr selbst geht nicht hinein; ihr laßt aber auch die nicht hinein, die hineingehen wollen (Lk 11,52).
Wie er mit dem Vorwurf, die Gegner bürdeten den Menschen Lasten auf, ohne auch nur einen Finger zu rühren, um diese zu erleichtern, sich selbst als den die Last aller auf sich Nehmenden bezeichnet, so hier als den leibhaftigen Schlüssel, der nach einem Wort der Apokalypse „öffnet, so daß niemand mehr zuschließen, und der schließt, so daß niemand mehr zu öffnen vermag“ (Apk 3,7). Schlüssel in dieser Doppelfunktion ist er zunächst hinsichtlich des durch ihn heraufgeführten Reiches. Wenn er in seinem Vorwurf aber vom „Schlüssel der Erkenntnis“ spricht, gilt das nicht weniger von der Heilsbotschaft, deren Erschließung er damit für sich in Anspruch nimmt. Doch wie kann ein Schlüssel eine erschließende Funktion, Erkenntnis zu vermitteln, ausüben? Nur dadurch, daß er Licht ins Dunkel wirft, also daß er leuchtet.
In diesem Zusammenhang sind die entsprechenden Aussagen der Evangelien zu sehen, zunächst die des Matthäusevangelisten, der das Wirken Jesu in Galiläa mit den Worten kommentiert: „Das Volk, das im Finstern lebte, sah ein großes Licht“ (Mt 4,16), ein Wort, das Jesu Wirken insgesamt als das einer epochalen Erleuchtung deutet. Sodann die lukanischen Sprüche vom Licht, die in der Mahnung gipfeln: „Sieh zu, daß das Licht in dir nicht verfinstert werde“ (Lk 11,35), aber auch in der Vision eines „von Lichtglanz ganz durchstrahlten und erfüllten Menschen“ (Lk 11,36). Kaum würden diese Sprüche Eingang ins Evangelium gefunden haben, wenn sie nicht als Folgen der Begegnung mit Jesus verstanden worden wären. So gesehen stehen sie dann aber im engsten Zusammenhang mit der Ernennung der Jünger zum „Licht der Welt“ (Mt 5,14), mit der Jesus eine johanneische Selbstbezeichnung beziehungsreich vorwegnimmt. Denn in dieser reißt er, zusammen mit andern Prädikaten, auch das des „Lichtes“ in einer Weise an sich, daß er als dessen letzter Sinngrund erscheint.
Schlüssel der Erkenntnis ist er somit insofern, als durch ihn das Dasein insgesamt der ihm angestammten Finsternis entrissen und in die von ihm ausgehende Klarheit geführt wird. Damit greift er auf den Prolog zurück, in dem er ausdrücklich das jeden Menschen erleuchtende Licht (Joh 1,4) genannt wird. Als solches kommt er jeder Deutung zuvor, auch jeder Interpretation der von ihm handelnden Schriften. Das sah Schweitzer, als er von der im historisch-kritischen Sinn forschenden Wissenschaft sagte, daß sie die Gestalt Jesu zwar aus dem System der Kirchenlehre herauslösen und Leben in sie bringen, ihn aber nicht festhalten konnte, so daß er sich ihrem Zugriff entwand, um in seine eigene Welt und Zeit zurückzukehren. Was er dabei verschwieg, war die Tatsache, daß sie die Fessel der Kirchenlehre mit dem Versuch vertauschte, Jesus ihrem eigenen Methodenzwang zu unterwerfen, daß sie es bei ihrem Befreiungsversuch nur zu einem Teilerfolg brachte und es schließlich hinnehmen mußte, daß sich der Gesuchte auf sich selbst zurückzog. Darin war es begründet, daß die Bilanz der mit dem Instrumentarium der historischen Kritik erarbeiteten Jesusbücher im Unterschied zu denen, die als Spätfrucht des Konzils entstanden waren, aufs ganze gesehen negativ ausfällt.