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Die Mahlgänge

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Längst waren schon alle bis zu den Mahlgängen vorgedrungen und schwatzten drauflos. Sebastian bahnte sich einen Weg durch die Gruppe von großen und kleinen Zuhörern und verschaffte sich Gehör, indem er laut ausrief:

„Liebe Leute, wir sind nun in der alten Wassermühle drin. Die Balken waren verfault, die Wände nass, es wurde über Jahrzehnte hier kein Mehl gemahlen. Alles musste erneuert werden.“ Sebastian sah zum Onkel hin, der ihm zunickte. So sprang er einmal in die Luft, landete polternd wieder auf den dicken Brettern und rief:

„Das hier, wo ich stehe, ist das Mühlenbiet. Auch das musste erneuert werden, weil das alte von Holzwürmern so zerlöchert war, dass sie sich beim Fressen dauernd selbst im Wege waren.“

Das Gekicher der Zuhörer beeindruckte Sebastian nicht, und er fuhr mit lauter Stimme fort:

„Wenn das Wasser auf das oberschlächtige Wasserrad plumpst, wird dieses in Bewegung gesetzt, auch der dicke Wellbaum aus Eichenholz dreht sich dann, der durch die Wand in die Mühle hineinragt. Auf ihm sitzt hier an der Wand dieses große Stirnrad oder Kammrad — nicht Zahnrad! Der Müller will nichts von Zahnrädern hören. Wenn sich also der dicke Wellbaum dreht, muss sich auch das große Stirnrad drehen und mit ihm, unter dem Mühlenbiet, alle anderen Räder, die wir uns später anschauen.“

Sebastian bemerkte, wie das Mädchen eine Weile zugehört hatte und dann zur Seite gegangen war, um sich intensiv mit den großen Mühlsteinen zu beschäftigen.

,Was mach ich nur, dachte er, ,dass mir alle zuhören, nicht nur die Großen. Onkel Thomas fällt immer irgendwas ein, womit er die Aufmerksamkeit auf sich lenkt!’ Er sah sich in seiner Umgebung um und entdeckte den alten Knochen. Schnell hob er ihn auf, klopfte damit auf Holz, dass es dröhnte und rief:

„Schaut her, dies alles hier braucht man, um Korn zu mahlen. Das ist ein Mahlgang.“

Seine Worte unterstrich er mit großzügigen Bewegungen und benutzte dabei den Knochen als Zeigestock.

„Wie viel Mahlgänge hat also die Zschoner Mühle?“

Die Erwachsenen hatten sich schneller als die Kinder auf den Zeigestock-

Knochen eingestellt. Als erster antwortete einer der Vatis:

„Zwei.“

„Richtig“, rief Sebastian und freute sich darüber, dass alle wieder mitmachten und mitdachten.

„Was gehört nun zu solch einem Mahlgang?“

„Die Mahlsteine“, rief begeistert das Mädchen, das nur dafür Augen hatte.

„Ja, die Mahlsteine ...“, sagte Sebastian ernst. „Die von der Zschoner Mühle sind aus Sandstein und sitzen in diesem Fass hier, der Holzbütte. Der untere dreht sich niemals. Das ist der Bodenstein. Er heißt so, weil er einfach auf dem Fußboden liegt. Natürlich ist er festgekeilt. Nur der obere dreht sich ganz geschwind. Den nennt man Läuferstein. Im Übrigen ist dieser Läuferstein so ungefähr sechs Zentner schwer. Also nicht den Finger in den Mahlspalt halten!“

Sebastian sah, wie ein paar Kinder die Hände auf den Rücken hielten. Die Vorstellung von zerquetschen Fingern hatte gewirkt. „Und nun wollen wir die Namen der Mahlsteine wiederholen. Also, wie heißt der obere Mahlstein? Alle zusammen!“ rief er.

„L-ä-u-f-e-r-s-t-e-i-n!“ wiederholten seine Zuhörer im Chor. „Und der untere?“

„B-o-d-e-n-s-t-e-i-n!“

„Richtig. Jetzt wollen wir untersuchen, warum sich der Läuferstein so schnell drehen muss. Schaut her, der Bodenstein hat ein großes Loch. Da steckt ein Holzlager drin, das genau mit dem Stein abschließt. In diesem Holzlager sitzt ein dickes Eisen, das Mühlsteineisen, das aus dem Keller durch das Mühlenbiet ragt und, angetrieben vom Räderwerk, das sich ganz schnell dreht. Da der Läuferstein darauf festgemacht ist, muss er sich auch drehen. Ob er will oder nicht.“

Nach dieser langen Rede schaute sich Sebastian wieder nach dem Müller um. Dieser nickte. Also war alles in Ordnung. Er hatte keine Fehler gemacht.

Nun zeigte er auf ein kleines Eisen oben auf dem Mühlsteineisen und fuhr fort: „Das hier, dieses kleine Eisen, muss sich in der gleichen Geschwindigkeit drehen wie das große Mühlsteineisen, immer rund herum, immer rund herum. Wie wird es wohl heißen?“

„Rundendreher!“ rief der Opa in die Menge. Alle waren plötzlich still und kicherten dann.

„Da gibt es nichts zu lachen“, meinte Sebastian, „so falsch ist das gar nicht. Seht, vielleicht findet ihr jetzt den richtigen Ausdruck!“

Schnell drehte er sich mehrere Male um die eigene Achse und hob dabei die Arme.

„Ballerina“, flüsterte das kleine Mädchen.

„Quatsch!“ rief einer der Jungen, „ein Tänzer vielleicht.“

„Ja, genau“, bestätigte Sebastian, „ein Tänzer! Das ist der Tänzer, ein tüchtiger kleiner Kerl. Zwischen ihm und der Gosse hängt nämlich dieser Holzkasten hier, der von ihm gewaltig durchgerüttelt wird.“

„ ... und deshalb Rüttelkasten heißt“, ergänzte eine Mutti.

Sebastian lächelte.

„Na ja, so ähnlich, aber die Müller haben einen anderen Namen dafür gefunden.“ Er hob sein Bein ein wenig nach vorn an, wackelte ganz schnell mit dem Fuß hin und her und rief:

„Er nennt sich Rüttelschuh. Aus diesem Holzkasten, dem Rüttelschuh, gelangt das Getreide durch ein kleines Loch zwischen die Mühlsteine und wird zerrieben.“ Da diskutierten alle durcheinander. Einer der Vatis sagte: „Aber erst muss man das Getreide doch in die Gosse, wie du den Trichter genannt hast schütten, ehe es überhaupt in den Rüttelschuh gelangt.“ Sebastian griff sich an den Kopf: „Na klar, das ist richtig! Also noch einmal die richtige Reihenfolge der Gerätschaften eines Mahlgangs: Das Getreide rutscht aus der Gosse in den Rüttelschuh, von dort in das Loch des Läufersteins, wird zwischen den Steinen zerrieben, aus dem Mahlspalt zwischen beiden Steinen herausgeblasen und in den Keller geleitet. Punkt. Und nun wieder: Die Augen zum Müller, die Ohren gespitzt ... Schaut her, auf meine Hand. Das ist nach dem ersten Mahlgang entstanden.“

„Oh! Aber das ist ja gar kein Mehl!“ rief eine Mutti aus.

„Nein“, sagte Sebastian, „das sind achtel, viertel, halbe Körner. Die entstehen hier im ersten Mahlgang, den der Müller auch Schrotgang nennt. Danach muss das geschrotete Korn in Säcke geschaufelt werden und zum zweiten Mahlgang getragen werden. Was glaubt ihr, wie oft muss der Müller das Mahlgut hier in der Zschoner Mühle mit der altdeutschen Mühlenkonstruktion in die Gosse schütten, ehe es Mehl wird?“

Man war sich unsicher. Die meisten hatten wohl gedacht, dass das Korn nur einmal durch das Mahlwerk wandert. Keiner wollte seine Meinung äußern.

„Ja“, sagte da Sebastian, ganz stolz auf sein Wissen, „das Müllerhandwerk ist schwere Arbeit, denn sieben bis acht Mal muss der Müller das Mahlgut hier hoch schleppen. Durch die schnelle Bewegung des Läufersteins wird es zerkleinert. Es wird durch den Wind, der durch die schnelle Bewegung entsteht, durch die Furchen des Mahlsteins nach außen an den Rand getrieben, knallt an die Holzbütte und wandert im Mahlrohr in den Keller. Hier wird es gesiebt. Das grobe Mahlgut trägt der Müller wieder nach oben, malt es und so weiter, und so weiter ...“

Alle redeten wieder durcheinander und tauschten ihre Meinungen aus. Sebastian schlug mit dem Knochen gegen die Holzbütte. Da wurde es still. In diese Stille hinein fragte das kleine Mädchen:

„Ist dieser Mühlstein hier kaputt?“

,Ganz stark, die Kleine ist ja Gold wert, dachte Sebastian und ergriff sofort wieder das Wort:

„Mühlsteine können aus ganz verschiedenem Gestein gemacht sein. Die alten Bauernmühlen hier im Zschoner Grund nahmen das Gestein, das sie in der Gegend vorfanden, nämlich Sandstein. Obwohl dieser sehr hart ist, arbeiten sich die Steine ab, denn das Korn wird zwischen ihnen nicht gequetscht, sondern geschnitten. Kaputt sind sie deshalb nicht gleich. Aber wenn der Müller feststellt, dass die Mühlsteine nicht mehr richtig mahlen, hebt er sie aus der Bütte und schärft sie wieder.“

„Das kannst du deiner Großmutter erzählen“, rief einer der Jungen, „nie im Leben hat ein Müller die Kraft, den Mühlstein zu heben!“

„Natürlich hat er Hilfsmittel“, erklärte Sebastian, „zum Beispiel den Mühl-steinkran, auch Mühlsteingalgen genannt. Wie ihr jetzt wisst wiegt solch ein Stein immerhin sechs Zentner. Da muss sich der Müller zu helfen wissen. Er legt zuerst die beiden Mühlsteine frei, indem er die Gosse mit dem Rüttelschuh entfernt und danach die Holzbütte abhebt. Dann wird der obere Mühlstein aus dem Mühlsteineisen geschlagen, in den Mühlsteingalgen eingehängt, hochgezogen, gedreht und zur Seite bewegt, damit er geschärft werden kann.“

Nachdenklich betrachteten alle Zuschauer den herausgehobenen Stein.

„Und die Schärferei, wie geht die denn vor sich, maschinell?“ fragte der Opa.

Sebastian griff sich zwei hammerartige Werkzeuge, die neben den Steinen lagen, hob sie hoch und sagte:

„Das sind zwei der Helfer des Müllers, hier ist die Picke, und das ist der Kraus-hammer. Mit der Picke kann der Müller die Rillen nachschlagen und mit dem Kraushammer anschließend die Mühlsteinwangen wieder aufrauen.“

Die andächtige Stille zeigte ihm, dass alle über die schwere Arbeit nachdachten. Wie viele Schläge mit der schweren Picke musste der Müller wohl führen, ehe eine einzige Furche geschärft war? Wie viele Schläge mit dem Kraushammer waren nötig, um eine Mühlsteinwange aufzurauen?

Sebastian holte seine Zuhörer aus ihren Gedanken zurück.

„Kommt jetzt mit in den Mühlenkeller. Es gibt noch mehr zu sehen.“

Sebastian in der Mühle

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