Читать книгу Sie zu lieben - Eva Lejonsommar - Страница 7

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»Schau mal nach der Lasagne. Ich glaube, sie ist bald fertig. Ich versteh gar nicht, warum es immer so viel Geschirr gibt.«

»Weil ich versprochen habe abzuwaschen«, sagte Marie und prüfte die Lasagneplatte mit einer Gabel.

»Wie fühlt es sich an?«

»Bald fertig.«

Anna stellte sich ans Küchenfenster und hielt auf der Straße nach Maggans altem Opel Ausschau.

»Wo sie bloß bleiben?« sagte sie und schaute auf die Uhr.

»Sie sind bestimmt zurückgefahren, weil Siv vergessen hat, Labans Futternapf auf den Boden zu stellen. Oder das Kaninchen hat das Telefonkabel durchgebissen, und sie können nicht anrufen und sagen, daß sie die Katze nicht ins Haus bekommen haben.«

»Wenn sie die große Töle dabeihaben, verlasse ich die Wohnung nicht«, brummte Anna. »Dann könnt ihr ohne mich ausgehen. Er wird nicht noch mal was aus meinem Schrank anknabbern.«

Anna korkte den Rotwein auf und ging dann ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen.

Sie faltete die Jeans und legte sie in den Korb mit der Schmutzwäsche. Dann machte sie den Kleiderschrank auf, holte ein paar schwarze Jeans heraus und warf sie aufs Bett. Sie sah die Blusen durch und entschied, den letzen Spontankauf mit der Aufschrift »We shall overcome« auf dem Rücken einzuweihen.

Sie zog die neue Bluse an und fragte sich bei jedem Knopf, was zwischen ihr und Marie nicht mehr klappte.

Es war klar, daß die Beziehung nicht mehr so taufrisch und spannend war wie vor fünf Jahren, als die andere noch ein unerforschter Kontinent war. Jetzt war die Herausforderung nicht so sehr, sich gegenseitig zu verstehen, sondern viel mehr die eigene Persönlichkeit zu entdecken und weiterzuentwickeln. Und da war es wohl schiefgelaufen. Marie wagte sich nicht richtig in das Abenteuer. Sie war es gewohnt, daß andere die Spannung in ihrem Leben lieferten. Sie traute sich nicht, selbst die Expedition anzuführen, obwohl alles darauf hindeutete, daß es höchste Zeit war, Neuland zu betreten. Sie mochte ihre Arbeit nicht, sie war ständig müde und hatte nie Lust zu etwas, sie war oft ärgerlich und kurz angebunden, und Sex wollte sie auch nie. Sie ergriff auch keinerlei Initiativen, was das gemeinsame Leben betraf. Alles, vom Einkaufen über Putzen und Mit-dem-Geld-Auskommen, bis hin zu den Weihnachtskarten, der Urlaubsplanung und den Essenseinladungen überließ sie nur zu gerne ihr.

Anna setzte sich aufs Bett, zog die Socken aus und schleuderte sie mit Kraft Richtung Wäschekorb. Wie immer, wenn sie ärgerlich war, traf sie nicht und mußte aufstehen und sie aufheben.

Wenn sie nur an die Geige dachte, die sie Marie zum dreißigsten Geburtstag geschenkt hatte.

Maries Mutter hatte nie Geld für eine Geige gehabt, außerdem hatte sie behauptet, das Gejaule würde ihre Migräne verschlimmern. Also hatte Marie nicht das machen können, wozu sie offenbar am begabtesten war, und so konnte sie hemmungslos und jederzeit im eigenen Unglück baden.

Und da war es nur folgerichtig, daß sie die Geige nach einer Woche zerbrach und dann ein Jahr lang die Decke über den Kopf zog und sich in allem suhlte, was in ihrem Leben je kaputtgegangen war.

Warum, warum, dachte Anna und zog frische Socken an, ging es nur nicht in Maries Kopf, daß man, um dahin zu gelangen, wo man hinwollte, mit dem ersten Schritt beginnen mußte.

Marie goß sich ein Glas Wein ein und stellte es auf die Abzugshaube. Sie hatte eigentlich keine Lust auf Maggan und Siv. Es waren ursprünglich Annas Freundinnen gewesen, obwohl sie die beiden jetzt auch zu ihren Freunden zählte. Maggan war sehr unterhaltend, und auch Siv hatte ihre komischen Seiten. Aber gerade heute abend hatte Marie den Verdacht, daß es einen Hintergedanken für die Einladung gab.

Sie hatte das Formular für einen Kreditantrag auf Annas Schreibtisch gefunden, als sie einen Reiseprospekt suchte. Was sie so wütend machte, war, daß die Formulare unter einem Stapel von Papieren von der Uni lagen. Als ob sie sie nicht sehen sollte.

Marie trank einen großen Schluck Wein und steckte die Hände ins Spülwasser, daß es auf den Boden spritzte. Sie dachte, Anna sei eigentlich eine miserable Pädagogin. Eine von der Sorte, die ständig etwas übernahmen und anderer Leute Initiative abtöteten. Hoffentlich hatte sie mit ihren Schülern mehr Geduld. Sonst sollte sie aufhören, Lehrerin zu sein. Sie sollte vielleicht Geld damit verdienen, anderer Leute Leben zu verwalten, anstatt das in ihrer Freizeit zu machen. Dieser Kurs an der Uni hatte sie auch nicht runtergeschraubt. Es schien so, als ob sie sich um so mehr um andere Menschen kümmerte, je mehr sie zu tun hatte.

Anna war so verflucht kompetent in allem, was sie tat, dachte Marie und zog den Stöpsel aus dem Spülbecken. Das einzige Gebiet, auf dem Anna keine Chance zum Brillieren hatte, war die Musik. Sie konnte nicht mal einen normalen Vierertakt halten. Außerdem hatte sie einen banalen Musikgeschmack.

Marie nahm noch einen Schluck Wein und spürte, daß es sie überall am Körper juckte. Sie war schon die ganze Woche unruhig gewesen, seit dem Zusammentreffen mit Helen Källgren. Es saß wie ein Juckreiz direkt unter der Haut, und sie sehnte sich danach, sich zu bewegen, zu tanzen und sich zu betrinken.

Anna stellte die Lasagne wieder in den Ofen. Sie war froh, daß die Gäste endlich aufgetaucht waren. Sie und Marie waren den ganzen Abend kurz vor einem Krach umeinandergeschlichen. Es brodelte unter der Oberfläche, viel hätte nicht gefehlt, und es hätte sich entzündet und gebrannt.

Aber in Maggans Gegenwart legte sich die Wut. Man konnte nicht gleichzeitig wütend sein und lachen. Maggan erinnerte an einen Reporter in einer Lifesendung, der das Publikum bis zum nächsten Werbespot bei der Stange halten mußte. Und Siv folgte mit einem halben Schritt Abstand und hob auf, was Maggan übersprungen hatte, oder sortierte aus, was nicht zur Geschichte gehörte.

Sie saßen nebeneinander auf der Küchenbank. Maggan, groß und breit, mit silbergrauen Haaren, die ihr lang über den Rücken fielen. Ein Überbleibsel aus den siebziger Jahren, mit Breitcordjeans, Gesundheitsschuhen und selbstgestrickter Wolljacke.

Siv hingegen war klein und sehnig wie eine Bergbirke. Sie hatte helle, fast weiße Haare und kornblumenblaue Augen. Sie arbeitete in einer Baumschule, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Die übrige Zeit war sie unterwegs in ihren inneren Welten.

Sie waren so verschieden, dachte Anna und goß ihnen Wein ein. War das das Geheimnis? Hatten sie sich deshalb gegenseitig behalten, ohne sich selbst zu verlieren?

Anna schaute Marie aus dem Augenwinkel an. Sie stand an der Spüle und rieb Parmesan. Sie wollte Maggan und Siv nach dem Rezept fragen. Wie wurde man glücklich? Wie hielt man die Liebe am Leben?

»Ich möchte einen Toast ausbringen«, sagte Maggan und erhob ihr Glas.

»Du kannst vielleicht warten, bis alle sitzen«, wandte Siv ein.

»Laß das Reibeisen, Marie, komm und setz dich!«

Marie legte den Käse weg und spülte die Hände ab.

»Worauf stoßen wir an?«

»Wir stoßen auf dich und Anna an. Prost auf Anna und Marie! Und viel Glück für euer neues Haus.«

»Auf dem Land wohnen ist sehr interessant, das habe ich oft gedacht, seit wir umgezogen sind«, stellte Maggan fest und wiegte sich so sehr mit dem Körper, daß der Wein im Glas rotierte.

»Woran denkst du dabei?«

»Ich denke zum Beispiel an die Nachbarin, die ich zu fragen pflege, wenn ich was nicht verstehe.«

»Oder wenn du dir etwas borgen mußt«, fügte Siv hinzu und griff nach der Salatschüssel.

»Ja, Britta hat immer eine Antwort oder einen Schraubenschlüssel für einen in Not geratenen Stockholmer. Außerdem backt sie wunderbare Mandeltörtchen.«

Siv nickte zustimmend und schob eine Tomate in den Mund.

»Ich hatte auf jeden Fall eine Menge Vorurteile gegen Leute, die auf dem Land wohnen«, fuhr Maggan fort. »Als ich neulich drüben war, um ein paar Sicherungen zu leihen, habe ich mit Britta gescherzt und gesagt, daß sie alle meine Vorurteile bestätigt habe. Und da sagte sie, das hätte ich auch. Erst war ich ein bißchen baff, aber dann fragte ich sie, ob sie meine, es hilft, wenn ich kalt dusche oder Holz hacke, wenn ich den Sog verspüre.«

»Maggan dachte an den Sog in die Großstadt«, verdeutlichte Siv mit dem Mund voll grünem Salat.

»Und woran dachte Britta?« fragte Marie und drehte zerstreut eine Haarsträhne um den Finger.

»Britta dachte an etwas ganz anderes«, sagte Maggan lachend und verdrehte die Augen. »Aber das verstand ich nicht, bis wir noch eine ganze Weile über allerlei Vorurteile geredet hatten, wie sie entstehen und verbreitet werden.«

»Manchmal bist du ausgesprochen langsam«, sagte Siv trocken.

»Aber wer kann denn schon den ganzen Tag herumlaufen und an sich selbst als lesbisch denken. Da würde man ja verrückt werden.«

»Deine Nachbarin muß ziemlich viel an dich als lesbisch gedacht haben. Hat dich das nicht geärgert?«

»Man kann auf eine Bauersfrau nicht böse sein. Auf jeden Fall nicht auf eine, die sagt, Vorurteile seien wie Wiesenhafer: Er gleicht der echten Saat, hat jedoch keinen Kern.«

Maggan wippte mit dem Glas, daß der Rotwein von Glasrand zu Glasrand sauste.

»Ist das nicht das Zeug, das man von Hand sammeln muß?« fragte Marie und schob die Lasagne zu Anna hinüber.

»Es ist sogar gesetzlich vorgeschrieben«, verkündete Anna und füllte ihren Teller. »Das habe ich meine ganze Kindheit lang im Sommer gemacht. Eine Krone pro Sack. Dann wurde das Ganze verbrannt.«

Sie dachte daran, daß sie irgendwie auch in ihrem Unterricht Wiesenhafer sammelte. Auch das war eine schreckliche Plackerei, aber das einzige, was gegen Vorurteile half.

Sie war nur so müde geworden. Bald unterstützten nur noch Barbro und ein paar vergessene Zielvorstellungen im Lehrplan ihre Art des Unterrichtens. Die Schule, so wie sie sie kannte, wurde eingerissen und von Grund auf neu gebaut. Das bedeutete eine unendliche Menge an Mehrarbeit, Verwirrung und Turbulenzen, und sie hatte oft gute Lust, einfach abzuhauen, auf alles zu pfeifen, aufs Land zu ziehen und Mohrrüben anzupflanzen.

Aber sie tat es nicht, sie blieb und stritt für das Recht der Berufszweige auf einwandfreien Unterricht, für die Anschaffung von Geschichtsbüchern, in der die Menschheit in zwei Geschlechtern vorkam, und für Zusatzunterricht in Schwedisch für Schüler mit fremden Muttersprachen.

Der Wind würde sich wieder drehen, wie immer, aber wie lange würde es dauern? Der Kurs an der Uni gab ihr Kraft und Wut, um weiterzukämpfen. Aber Lust und Freude, woher nahm sie die?

Sie sah Marie auf dem Stuhl neben sich aus den Augenwinkeln an. Die Leggings, die sie letzte Woche gekauft hatte, legten sich um ihre langen Beine. Es sah gut aus. Marie konnte immer noch Sachen anziehen, die mehr hervorhoben als verbargen. Auch das Oberteil war neu. Es würde ihre nackten Schultern zeigen, wenn sie das Jackett auszog.

Sie hatte Nylonstrümpfe an. Das bedeutete Pumps und mindestens zehn Zentimeter Größenunterschied.

Anna trank einen Schluck Wein. Vielleicht ging sie nicht mit den anderen aus. Sie war eigentlich viel zu müde für das Getriebe in der Stadt. Es war immer so hysterisch. Als ob alle Frustrationen der Woche unbedingt in der Öffentlichkeit abgehandelt werden müßten.

Beim ersten sich streitenden Paar würde sie ein Taxi nehmen und nach Hause fahren. Mit oder ohne Marie. Ihre Schwelle war nicht mehr sehr hoch. Das kam vom Alter. Sie hatte einfach zu viel gesehen. Zu viel Streit, Intrigen und Betrunkenheit. Und Verrat, so gemein, daß man nur staunte.

Lesbische Frauen konnten so grausam sein. Vielleicht weil es unter ihnen keine mehr gab, die man treten konnte? Oder kam es von der psychologischen Konstellation zwischen Frauen? Oder war es bei allen Liebenden gleich? Gehörte es zu den Spielregeln der erotischen Liebe?

Anna nahm noch eine Portion Lasagne und dachte, sie müsse nach den Feiertagen abnehmen.

Sie fuhren mit dem Taxi zum Sveavägen. Anna bezahlte und ging dann zu den anderen, die sich schon angestellt hatten.

»Warum lassen sie uns nicht rein«, hörte sie Maggan schimpfen, sie war einen Kopf größer als alle anderen.

»Sie verzögern den Einlaß absichtlich, damit wir den vollen Eintritt bezahlen müssen«, antwortete ein rothaariges Mädchen in einer Lederjacke.

»Wieviel Uhr ist es?« fragte jemand.

»Fünf vor zehn«, antwortete jemand.

»Verflucht, ich kann es mir nicht leisten, siebzig Kronen nur fürs Reinkommen zu bezahlen. Ich stehe schon seit einer Viertelstunde hier. Ich mach mir gleich in die Hose.«

Ein Mädchen mit Punkfrisur und Lederrock versuchte, sich an den Türwächtern vorbeizudrängen. Sie argumentierte, bettelte, bat und beleidigte, bis sie endlich drin war.

Je näher es auf zehn zuging, desto gereizter wurde die Stimmung in der Warteschlange.

»Laßt uns rein, verdammt!«

»Wir Frauen haben nicht so viel Geld wie die Schwulen!«

Anna klappte den Mantelkragen hoch und dachte wie jedesmal in so einer Situation: Wenn jetzt ein Schüler vorbeikommt und mich hier stehen sieht.

Dann ärgerte sie sich über sich selbst.

Marie ließ die anderen am Tisch vor ihrem Bier sitzen und verschwand Richtung Diskothek. Sie spürte die Blicke, als sie am Rand der Tanzfläche stand und versuchte, so zu tun, als ob sie jemanden suche.

Es war noch früh und das Gedränge noch nicht überwältigend. Aber Blicke und Gesten waren voller Spannung.

Frauenkörper, die sich im Takt der Musik unter blinkenden Lampen bewegten. Manche steif und nur vor und zurück, als ob sie ständig an ihre Grenzen stießen. Andere nahmen die Herausforderung der Musik an, benutzten sie, um den Lebensraum zu erweitern.

Aber die meisten Frauen standen um die Tanzfläche herum oder bewegten sich genau wie Marie unruhig durchs Lokal. Manche suchten sicher nach jemandem, mit der sie verabredet waren, aber die meisten zirkulierten wie in einem ewigen Kreislauf.

Marie schaute in ein Paar braune Augen, die ganz nah vorbeikamen. Es war ein junges Mädchen, kaum über zwanzig. Sie drehte sich um, um zu sehen, ob Marie ihr nachschaute. Dann ging sie auf die Tanzfläche und wiegte die Hüften im Takt von Madonna.

Worüber redet man hinterher mit ihr, dachte Marie. Über die Jugendarbeitslosigkeit? Sie bewegte sich von der Diskothek weg und schaute sich weiter um. Sie kannte ziemlich viele, aber keine, die sie direkt hätte ansprechen können.

Das fehlte ihr.

Ihr fehlte eine enge Freundin, mit der sie ihre Gedanken teilen konnte. Eine, die ihr zuhörte, wenn sie ihre Unruhe und ihre Zweifel Anna betreffend formulierte, ohne verletzt zu sein oder es weiterzutragen. Lena fehlte ihr und die alte Gruppe, die sie irgendwie verloren hatte. Und ihr fehlte ... Gott, wie allein gelassen sie sich fühlte. Es brannte in der Brust, als sie die Treppe hochstieg, sie mußte die Luft anhalten, um nicht zu weinen.

Als sie in den zweiten Stock kam, ging sie zum Geländer und schaute auf das Atrium hinunter. Da unten wurde es allmählich voll. Wie so oft, wenn sie mit Anna ausging, spürte sie, daß sie alt wurde. Überall waren so viele junge Mädchen. Sie konnte auch kaum glauben, daß sie wirklich alle lesbisch waren. Man sah es ihnen nicht an, und doch küßten sie sich und flirteten, als ob sie nie etwas anderes gemacht hätten.

Anna löste sich aus der Umarmung, schob Marie weg, machte einen Schritt zurück und zog sie im nächsten Takt wieder an sich. Dann drehten sie sich rückwärts, gingen auseinander und wieder in die Umarmung.

Maries Haare flogen, ihre Wangen waren rot, Arme und Schultern nackt, und Anna dachte, daß Marie sehr schön war und bestimmt viele sie anschauten, wenn sie tanzten.

Anna fragte sich, ob Marie das wußte und ob sie es wohl genoß. Ob das sie so lüstern aussehen ließ. Als ob das Wissen, beobachtet zu werden, sie lächeln und lachen machte und sie deshalb den Kopf zurückwarf.

Anna drehte sich immer schneller, in immer heftigeren und brutaleren Bewegungen. Marie folgte, als ob sie im voraus wüßte, wie der nächste Schritt aussah. Trotz des Eingespieltseins im Tanz wurde Anna den Gedanken nicht los, daß Marie nicht ihretwegen die Jacke ausgezogen hatte, nicht ihretwegen Kleider gekauft hatte, die eng am Körper anlagen und sehr viel Haut zeigten.

Die schnelle Musik verebbte und ging in eine Schmusenummer über.

»Setzen wir uns?« gestikulierte Marie und strich sich mit der Hand über die Stirn. Sie sah fröhlich und aufgekratzt aus. Der Pony stand ab, und feuchte Strähnen klebten an Stirn und Hals. Der Brustkorb hob und senkte sich, und die Haut über der Brust glänzte vom Schweiß. Die Hand mit glitzernden Ringen ruhte auf der vorgeschobenen Hüfte, den anderen Arm hatte sie hochgestreckt, so daß der Körper sich allen Blicken frei darbot.

Für wen? dachte Anna und suchte in der Tasche nach der Garderobenmarke. Sie würde ein Taxi nach Hause nehmen. Es tat zu weh, Maries Sexualität zu sehen und zu wissen, daß nicht mehr sie es war, die sie zum Leben weckte. Sie war zu einem Tanzpartner reduziert, einem Vorwand, sich zu zeigen.

Marie legte mit fragendem Blick den Kopf auf die Seite.

Anna versuchte zu lächeln, konnte jedoch die Mundwinkel nicht bewegen und nickte deshalb Richtung Ausgang. Sie würde keine Szene machen. Noch nicht. Und ganz bestimmt nicht vor Publikum.

Sie zu lieben

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