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5. Dezember
ОглавлениеDer Schlamassel mit der Laterne
Zwei Nächte vor dem 6. Dezember rief der Nikolaus den alten Knecht Ruprecht zu sich. Der sah zwar immer ziemlich mürrisch aus, aber im Grunde war er ein herzensguter Mann. Allerdings verlor er sehr schnell die Nerven.
„Es wird Zeit“, sagte der Nikolaus. „Du kannst schon mal anfangen, Süßigkeiten zu verteilen!“
Knecht Ruprecht machte sich sofort auf den Weg. Zuerst ging es nach Tannstadt. Er summte vor sich hin, während er durch den stockdunklen, tief verschneiten Wald fuhr. An seinem Pferdeschlitten hatte er eine Laterne befestigt, und in ihrem hellen Schein war es nicht schwer, auf dem richtigen Pfad zu bleiben.
Als er an eine Wegbiegung kam, passierte es. Er nahm die Kurve zu scharf, der Schlitten neigte sich, die Laterne fiel herunter und ging aus. Knecht Ruprecht erschrak. „Brrr!“, rief er. Die Pferde wieherten und blieben stehen.
Es war so finster, dass er nicht die Hand vor Augen sehen konnte. Er brummelte etwas in seinen Bart, kletterte vom Schlitten und tastete im Schnee nach der Laterne.
Er hatte Glück und fand sie schnell. Aber als er sie wieder anzünden wollte, durchfuhr ihn ein heißer Schreck. Mit beiden Händen wühlte er in seinen Hosen- und Manteltaschen, aber er fand nur ein zerknülltes Taschentuch und einen abgebrochenen Bleistift. Die Streichhölzer hatte er zu Hause vergessen.
Knecht Ruprecht brach der Schweiß aus. Wie sollte er weiterfahren, so ganz ohne Licht? Er konnte im Dunkeln weder den Wegrand noch eine Kreuzung erkennen.
„Hallo?“, rief er verzweifelt. „Ist da jemand?“
Natürlich war da niemand mitten in der Nacht im tiefen Wald. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu warten und zu hoffen, dass irgendwann irgendwer vorbeikommen würde, der Streichhölzer bei sich hatte.
Er setzte sich auf den Schlitten und hüllte sich in eine Wolldecke. Es dauerte gar nicht lange, und lautes Schnarchen hallte durch den Wald.
Knecht Ruprecht schlief tief und fest. Als er hochfuhr, sickerte schon das erste fahle Morgenlicht durch die Bäume. Am Rande einer Wiese konnte er die Umrisse eines Forsthauses erkennen.
„Ich bin gerettet!“, dachte er.
Kurz darauf klopfte er an die Tür des kleinen Hauses. Nichts rührte sich.
„Es muss doch jemand da sein!“ Er klopfte heftiger.
Da öffnete sich ein Fensterchen neben der Haustür.
„Ein Glück!“, rief Knecht Ruprecht. „Ich brauche Streichhölzer, und zwar schnell! Ich habe noch einen langen Weg vor mir!“
„Wozu brauchst du Streichhölzer?“, fragte eine Kinderstimme.
„Meine Laterne ist ausgegangen.“
Der Spalt öffnete sich ein Stückchen weiter und eine Nasenspitze wurde sichtbar. „Ich darf keine Streichhölzer anfassen.“
„Dann hol deinen Papa oder deine Mama!“ Knecht Ruprecht spürte bereits, wie er ungeduldig wurde.
„Du bist aber nicht besonders nett“, stellte der kleine Junge fest. „Meinen Papa und meine Mama kann ich nicht holen. Die schlafen nämlich noch und ich darf sie nicht wecken.“
Knecht Ruprecht atmete zweimal tief durch. „Ich brauche die Streichhölzer wirklich sehr dringend! Tut mir Leid, wenn ich unfreundlich zu dir war.“
„Schon gut“, sagte der Junge und wollte das Fensterchen zumachen.
„Warte!“, rief Knecht Ruprecht. „Ich habe eine Idee: Lass mich doch einfach ins Haus und zeige mir, wo die Streichhölzer liegen. Ich nehme sie mir dann selbst und du brauchst sie nicht anzufassen und auch deine Eltern nicht zu wecken.“
„Ich darf aber niemanden reinlassen.“
Knecht Ruprecht merkte, wie sein Geduldsfaden gefährlich dünn wurde. „Ja, weißt du denn nicht, wer ich bin?“
Der Junge schüttelte den Kopf.
„Ich bin Knecht Ruprecht und ich komme vom Nikolaus!“, rief er mit dröhnender Stimme durch den Fensterspalt.
„Und ich bin Hans-Georg. Guten Morgen, Herr Knecht Ruprecht!“
„Hör zu, Hans-Georg“, fuhr der alte Mann fort, „wenn du mich jetzt nicht ins Haus lässt, dann bringe ich dir am Nikolaustag zur Strafe eine Rute!“
„Aber wenn ich dich hereinlasse“, wandte Hans-Georg ein, „tue ich etwas, was meine Eltern mir verboten haben, und dann bekomme ich auch nur eine Rute.“
Darauf wusste Knecht Ruprecht nichts zu sagen. Er beschloss, es noch einmal anders zu versuchen. „Und die Kinder in Tannstadt? Morgen ist Nikolaus. Überleg mal, wie traurig sie wären, wenn sie dieses Jahr keine Süßigkeiten bekämen!“
Hans-Georg dachte kurz nach. „Wozu brauchst du die Streichhölzer?“
„Weil meine Laterne ausgegangen ist. Das habe ich dir doch schon erklärt!“
„Und wozu brauchst du die Laterne?“
„Damit ich den Weg durch den Wald finden kann!“ Knecht Ruprecht war der Verzweiflung nah.
„Aber Herr Knecht Ruprecht!“, rief der kleine Hans-Georg. „Es ist doch Tag! Wozu brauchst du da eine Laterne?“
Knecht Ruprecht blickte sich um. Tatsächlich! Es war inzwischen ganz hell geworden.
Er griff sich an den Kopf. „Ich verstehe nicht, wie mir das passieren konnte! Es muss damit zusammenhängen, dass ich seit vielen, vielen Jahren immer nur nachts nach Tannstadt reise. Deshalb ist es mir wohl nicht in den Sinn gekommen, dass ich bei Tag gar keine Laterne brauche.“
„Na, dann kannst du ja weiterfahren.“
„Aber Junge!“ Knecht Ruprecht schüttelte den Kopf. „Glaubst du etwa, ich kutschiere am helllichten Tag durch Tannstadt? Dann würden mich ja alle Kinder sehen! Nein, das geht auf keinen Fall!“
„Aber ich sehe dich doch auch!“
Knecht Ruprecht stutzte. „Das – äh – ist ganz was anderes.“
„Wohin fährst du denn jetzt?“, erkundigte sich Hans-Georg.
„Versteckt im Wald liegt eine Nikolaushütte. Dort kann ich bleiben, bis es Nacht wird. Und da finde ich sicher auch Streichhölzer.“
Knecht Ruprecht kletterte auf seinen Schlitten, winkte dem Jungen zu und verschwand im Wald.
Vielleicht bildete Hans-Georg sich das nur ein, aber am Nikolaustag hatte er das Gefühl, dass diesmal besonders viele Süßigkeiten in seinem Stiefel steckten.