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Ketchup und schwarzer Pfeffer
ОглавлениеHanna und Fanny spazieren zur U-Bahn-Station Liljeholmen. Sie geben dem Kontrolleur an der Sperre ihre Streifenkarten. Der stempelt je drei Abschnitte ab. Dann steigen die Freundinnen in die Bahn.
Hanna ist mindestens schon zehntausendmal mit Mama und Papa U-Bahn gefahren. Aber mit Fanny zusammen ist es ganz anders. Besonders, als sie an der U-Bahn-Zentrale ankommen und auf dem Bahnsteig zwischen den vielen drängelnden Menschen stehen.
Alte Männer, die nach kaltem Zigarettenrauch stinken. Ältere Jungs mit provozierenden Blicken und aufgebrezelte Mädchen mit zotteligen Kunstpelzen. Alte Tanten. Und gestresste Mütter mit Kinderwagen und quengelnden Kleinkindern.
Hanna merkt, wie Fannys Hand nach ihrer tastet.
»Bist du auch sicher, dass wir in die richtige Richtung gehen?«, fragt Fanny.
Hanna zeigt auf die Schilder, die oben unter der Decke hängen. Sergels Torg, steht da. In die andere Richtung geht es zum Hauptbahnhof.
»Gut, dass du dich auskennst«, sagt Fanny, als sie auf der proppenvollen Rolltreppe stehen.
Hanna ist klar, dass sie hier die Verantwortung trägt. Schließlich hat sie Fanny zu diesem Ausflug überredet. Jetzt muss sie dafür sorgen, dass nichts schief geht.
Plötzlich knistert es in den Lautsprechern. Eine krächzende Stimme warnt vor Taschendieben.
Hanna fühlt schnell nach, ob der Fünfzigkronenschein noch in der Tasche steckt. Tut er.
Die Kunden bei Åhléns haben spitze Ellenbogen und Tüten voller harter Päckchen. Überall stehen Weihnachtsmänner und alles ist mit Glitzerkram behängt.
Fanny hält Hannas Hand ganz fest. Aber Angst hat sie keine mehr. Das sieht Hanna an Fannys glänzenden Augen.
Sie fangen mit der Schminkabteilung an. Nehmen all die goldschimmernden, glitzernden Fläschchen in die Hand, bis eine Verkäuferin sie fragt, ob sie was kaufen wollen. Wenn nicht, sollen sie doch bitte woanders hingehen.
»So was hätte die sich nicht getraut, wenn Papa dabei wäre«, flüstert Hanna.
»Kümmer dich einfach nicht um die Senfschnecke«, zischt Fanny so laut, dass die Verkäuferin es eigentlich nicht überhört haben kann.
Hanna kichert los.
Fanny legt ihren Arm um Hannas Schulter, holt tief Luft und sagt noch lauter: »Soll die Senfschnecke ihre blöde Schminke doch behalten. Dann gehen wir eben woanders einkaufen.«
Hanna presst die Hand vor den Mund, um nicht laut loszuprusten. Dass Fanny sich so was traut!
Die Erwachsenen wollen es einfach nicht begreifen, dass Hanna und Fanny jetzt groß sind. Dass sie eigenes Geld haben. Die Erwachsenen finden immer nur, dass sie im Weg rumstehen.
Aber die Welt ist schließlich für alle da. Jetzt sind sie an der Reihe. Und daran kann auch die Verkäuferin nichts ändern.
Sie fahren in die nächste Etage. In die Damenabteilung.
Fanny will Hüte probieren. Bei jedem neuen Teil, mit dem sie sich vor den Spiegel stellt, bricht Hanna vor Lachen fast zusammen. Am Ende kriegt sie beinahe einen Krampf im Bauch.
So viel hat Hanna in ihrem ganzen Leben noch nicht gelacht.
Prompt kommt ein Verkäufer angedackelt. »Das ist hier kein Spielplatz«, sagt er und schiebt Hanna und Fanny freundlich, aber bestimmt Richtung Rolltreppe.
Also fahren sie wieder ins Erdgeschoss runter. Auf dem Weg nach unten beichtet Fanny Hanna, dass sie ihrer Mutter was vorgeflunkert hat. Sie hat ihr nicht erzählt, wohin sie wollten, sondern dass sie bei Hanna zu Hause lernen.
Hanna lacht sich kaputt.
Das ist so ein Tag, an dem sie über alles lachen muss. An dem all das Anstrengende, was sich in ihrem Bauch zusammenklumpt, auf die eine oder andere Art rauswill.
»Papa weiß auch nichts«, presst sie zwischen ihren Lachattacken hervor.
»Mama dreht durch, wenn sie das rauskriegt«, sagt Fanny plötzlich todernst.
Da hat Hanna eine Idee.
In der Nähe des Ausgangs gibt es ein Regal mit Seifen und Flaschen in allen möglichen Farben und Formen. Sie suchen sich je eine kleine, nicht allzu teure Seife aus. Hannas Seife duftet nach Kiefernnadeln und Fannys sieht aus wie eine Zitrone. Zusammen kosten sie sechzehn Kronen.
»Das sind Geschenke«, erklärt Hanna an der Kasse.
Die Verkäuferin zeigt ihnen, wo der Tisch mit dem Weihnachtspapier und den bunten Bändern ist.
Sie reihen sich in die Schlange ein. Eine nervöse Frau in braunem Pelzmantel drängelt sich vor. Hanna bricht vor Wut der Schweiß aus.
Dann fallen ihr zu allem Überfluss auch noch die Seifen aus der Hand und rollen quer über den Boden.
Fanny läuft hinterher. Danach sind sie endlich an der Reihe.
Mit zwei süßen kleinen Päckchen mit gekräuseltem Geschenkband in der Tasche treten sie auf die Drottninggatan hinaus. Sie stellen sich an den Zebrastreifen an der Klarabergsgatan und warten auf grünes Licht. Danach gehen sie die breite Treppe zu dem großen Platz hinunter.
An einer Säule stehen ein paar Drogensüchtige. Hanna hat ein bisschen Bammel vor ihnen. Sie hat gehört, dass die Kinder anpöbeln. Aber Papa hat gesagt, dass das nicht stimmt.
Hanna und Fanny machen einen kleinen Umweg zum Hamburgerimbiss, in dem Hanna und Papa manchmal was essen.
»Mann, hab ich einen Kohldampf!«, stöhnt Fanny.
Einen Hamburger können sie sich nicht leisten. Aber für zwei Portionen Pommes und eine große Fanta zum Teilen reicht es gerade. Sie setzen sich an einen freien Tisch. Und ziehen ihre Jacken aus.
Hanna mischt ihren Spezialdip aus Ketchup und schwarzem Pfeffer. Danach genießen sie schweigend ihre Pommes. Diese Mischung aus süß und salzig.
Hanna fühlt sich richtig entspannt.
Es hat schon was, so gemütlich dazusitzen, während draußen vorm Fenster die Leute vorbeihechten. Erst gestern hatte sie mit Papa gegenüber im Haus der Kultur gesessen. Was er wohl sagen würde, wenn er sie hier sähe?
Hannas Gedanken wandern weiter zu Mama.
Ob sie die Weihnachtsgeschenke dieses Jahr wohl in Berlin kauft oder ob sie wartet, bis sie wieder zu Hause ist? Vielleicht sollte Hanna ihr sicherheitshalber ihren Wunschzettel mailen.
Es ist vielleicht doch ein bisschen übertrieben, dass Hanna Mama hasst.
Natürlich hasst sie Mama nicht.
Nicht wirklich.
»Das müssen wir unbedingt noch mal machen«, sagt Fanny begeistert.
Am Tisch neben ihnen breiten sich drei Jungs mit einem voll beladenen Tablett aus.
Ihre Handys klingeln in einer Tour, und sie unterhalten sich in einer Sprache, die Hanna nicht versteht.
Fanny glotzt die drei an, als hätte sie noch nie Jungs gesehen.
Hanna tritt ihr unterm Tisch gegen das Schienbein. Aber einer der Jungs ist bereits auf die Freundinnen aufmerksam geworden.
Er grinst Hanna an und formt einen Kuss mit den Lippen. »Hi, Sweety! Hat der Kindergarten heute geschlossen?«
Hanna schießt das Blut ins Gesicht. Sie zieht blitzschnell die Jacke an, bevor er noch was Idiotisches hinterherschieben kann.
Fanny kriegt die Fanta in den falschen Hals. Sie hustet los und wird marzipanschweinchenrosa im Gesicht.
»Hey, deine Freundin mag mich«, frotzelt der andere Junge. Dann macht er die arme Fanny nach und alle drei lachen.
Hanna schnappt sich ihre Tüte mit Pommes und rauscht wütend aus dem Laden.
Fanny ist ihr dicht auf den Fersen. »Typisch Kanaken«, schimpft sie.
Hanna bleibt abrupt stehen und dreht sich zu ihr um. »So was sagt man nicht.«
Sie kann es nicht leiden, wenn man abfällig über Menschen mit anderer Hautfarbe redet. Leonardo hat auch dunkle Haut. Und ihn mag Hanna sehr. Eigentlich ist sie fast in ihn verliebt. Leonardo ist auf alle Fälle in sie verliebt. Das hat er jedenfalls gesagt. Aber er nervt nicht deswegen. Und wenn Hanna ehrlich sein soll, weiß sie nicht einmal, ob das immer noch gilt. Wo er doch in letzter Zeit so geheimnisvoll tut.
»Was soll man denn sonst sagen?«, kichert Fanny. »Hamburgerteddys? Chinaböller?«
Und dann tut sie etwas, bei dem Hanna fast das Herz stehen bleibt.
Fanny stellt sich vor das Fenster, wo die Jungs sitzen und sich über sie schlapp lachen, streckt ihnen die Zunge raus und macht Chinesenaugen.
»Spinnst du?«, ruft Hanna.
Ihr Körper kribbelt vor Entsetzen und Begeisterung, als sie wie die Bekloppten Richtung U-Bahn-Station rennen.
An der Sperre hat die Flucht ein jähes Ende. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich ganz hinten in der langen Schlange anzustellen.
Aufgeregt hüpfen sie auf der Stelle. Hoffentlich sind die Jungs nicht hinter ihnen her!
Aber es bleibt alles ruhig.
Hanna lässt sich nicht anmerken, dass sie ein bisschen enttäuscht darüber ist.
Es wäre schon lustig gewesen, wenn die Jungs versucht hätten es ihnen heimzuzahlen.
Nur aus Spaß natürlich.