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Hanna am Meer

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Leonardo. Er ist das Erste, woran Hanna gleich nach dem Aufwachen denkt. Sie hat von ihm geträumt. Und vom Freundschaftsherz.

Hanna spielt mit dem halben Silberherz, das um ihren Hals hängt. Das Freundschaftsherz an der Silberkette. Das Leonardo ihr geschenkt hat, ehe sie in die Ferien ans Meer gefahren ist. Die andere Hälfte trägt Leonardo.

Darum kann sie auch nicht aufhören, an ihn zu denken. Weil er gesagt hat, dass er in sie verliebt ist. Das hat vorher noch nie jemand zu ihr gesagt.

Leonardo ist supernett. Trotzdem weiß Hanna nicht genau, ob sie auch in ihn verliebt ist. Bevor sie in die Ferien gefahren ist, war sie sich eigentlich ziemlich sicher, aber das ist sie inzwischen nicht mehr.

Hanna dreht sich im Bett um, bis sie auf dem Rücken liegt. Lauscht.

Möwenschreie, Wellenrauschen, Salzbrise.

Sie sieht aus dem Fenster.

Genau. Da liegt das Kattegatt und glitzert in der Sonne.

Herrlich!, denkt sie. Endlich am Meer. Mama, Papa und ich.

Es ist sehr ungewöhnlich, dass sie alle drei zusammen sind. Mama ist meist unterwegs, um an den unterschiedlichsten Orten der Welt zu arbeiten. Vorm Urlaub war sie z.B. in Paris. Und Papa vergisst alles um sich herum, wenn er an einem Buch schreibt.

Hanna streckt den Arm aus und kriegt die Tüte mit der Salzlakritze auf dem Nachtschränkchen zu fassen. Ein schwarzer Ferrari fährt geradewegs in ihren Mund.

Salzlakritze! So hat es angefangen. Leonardo hat ihr einen Salzlakritz-Piratentaler geschenkt. In einem Liebesbrief. Dem ersten Liebesbrief ihres Lebens.

Aber jetzt ist Leonardo weit weg. Armer Leonardo, er musste in Gröndal bleiben. Was er wohl so macht? Wahrscheinlich ist er mit Big und Isminni zusammen. Bestimmt hocken sie jeden Tag im La Perla und futtern Pizza.

Hoffentlich gibt es hier auch so gute Pizzen, denkt Hanna, und spürt einen ganz kleinen Heimwehstich. Leonardo mag Isminni. Obwohl er ihr kein Freundschaftsherz geschenkt hat. Leonardo, Leonardo ... Warum kann sie nicht aufhören, ständig an ihn zu denken?

Schluss jetzt damit! Hanna zieht ihr Tagebuch unter dem Kissen hervor. Zwischen den Seiten steckt eine interessante Broschüre. Darin steht etwas über den Bockstensmann, den man hier im Museum besichtigen kann. In einem Glaskasten. Er ist vor vielen hundert Jahren umgebracht worden.

Hanna läuft ein Schauer über den Rücken, als sie den Text liest:

Der Mann war zirka 25 Jahre alt (das geht aus einer Röntgenuntersuchung der Zähne hervor) und 1,70 bis 1,80 m groß, dabei schmächtig gebaut. Außer der komplett erhaltenen Kleidung sind auch das rote, gelockte Haar des Mannes (vermutlich durch die Humussäuren im Moor verfärbt), Haut- und Fettreste am Skelett, ein Teil der Oberlippe samt Barthaaren sowie sein Gehirn konserviert.

Igitt, wie eklig! Das muss Hanna sich unbedingt angucken. Leonardo wäre bestimmt begeistert. Verflixt, jetzt denkt sie schon wieder an ihn!

Leonardo und sie sind schon ewig Freunde. Aber wie soll Hanna wissen, ob sie in ihn verliebt ist?

Schwierige Frage.

Eine Antwort darauf kriegt man wahrscheinlich erst, wenn man erwachsen ist. Erwachsene wissen nämlich alles. Das behaupten sie jedenfalls.

Wers glaubt ...

Hanna will aber nicht warten, bis sie erwachsen ist! Sie schiebt sich zwei Salz-Ferraris in den Mund und steht auf.

Die Ferien sind lang. Wäre doch gelacht, wenn sie das nicht rauskriegen würde!

Papa schläft noch. Aber Mama sitzt auf der Veranda und trinkt ihren Morgenkaffee. Der Wind weht ihr Haar durcheinander. Und die Wellen vom Meer haben weiße Schaumkronen.

Hanna lümmelt sich neben Mama in die Hollywoodschaukel. Mama legt den Arm um sie und Hanna lehnt den Kopf an ihre Schulter. Das ist gemütlich.

»Endlich«, sagt Mama. »Endlich sind wir wieder zusammen.«

»Musst du nach den Ferien wieder zurück nach Paris?«, will Hanna wissen.

»Kann sein«, sagt Mama. »Aber daran wollen wir jetzt nicht denken. Komm, ziehen wir unsere Bikinis an. Wer als Letzter im Wasser ist, ist ein Feigling!«

Sie rennen um die Wette über die Dünen, aber sie kommen nur langsam voran, die Füße versinken tief im Sand.

Hanna ist als Erste am Wasser, bleibt aber zögernd vor dem labberigen Streifen aus verrottetem Tang stehen. Dann beißt sie die Zähne zusammen, stapft einfach darüber und wirft sich in die Wellen.

Hanna bleibt fast die Luft weg, so kalt ist das Wasser.

Mama kommt hinter ihr angeplatscht.

Kurz danach flitzen sie schon wieder nach draußen.

Papa erwartet sie auf der Veranda. »Wie wars?«, fragt er lachend.

»Saukalt«, bibbert Hanna. »Aber ich hab gewonnen.«

»Hoffentlich findest du bald eine Freundin, die mit dir schwimmen geht, damit ich mich drücken kann«, sagt Mama lachend.

»Ich brauch keine Freundin«, sagt Hanna. »Ich hab doch euch. Wir sind so selten zusammen.«

Total verknallt!

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