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Kapitel 2

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Der Tag der Abreise kam und Sue bestieg mit Lee auf ihrem Arm und Stean die Boing 747, die sie über Frankfurt nach Tokio bringen sollte. Von dort ging es weiter nach Guam, einer Pazifikinsel vor der Küste Japans, die die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg den Japanern abspenstig gemacht hatten und nunmehr die halbe Insel als Waffen- und Fliegerstützpunkt nutzten. Dieser Teil der Insel war Sperrgebiet. Vergeblich versuchten die Guamesen aus Guam ein zweites Hawaii zu machen, was allerdings nicht so recht gelingen wollte. Die Hotelanlagen waren protzig und teuer, aber das war auch schon alles was an Hawaii erinnerte. Guam war eben keine Vulkaninsel, zwar wunderschön, aber nicht ein derartiges Juwel wie Hawaii. Vietnamveteranen hatten sich zuhauf in Guam niedergelassen und sich ein schönes Plätzchen Land gekauft, um dort ihren Lebensabend zu genießen. In den kleinen dazugehörigen Buchten schaukelten kleinere oder größere Segelboote, die zum Fischfang genutzt wurden. Südseeflair wollte und konnte sich nicht einstellen, zu dominant waren der amerikanische Standard und die Hektik, die in Guam vorherrschend waren. Zudem war die Soldatenpräsenz zu hoch, um einem Pazifiktraum frönen zu können. Stean hatte Sue und Lee im Hilton einquartiert und kam oft erst spät abends in ihr Apartment zurück. Die hiesige Fischfabrik musste auf Vordermann gebracht werden. Das beanspruchte sehr viel Zeit, aber auch Nerven. Die Guamesen waren laut Stean kein all zu fleißiges Volk. Die Leute erschienen oft gar nicht zur Arbeit und auch sonst ließ die Moral der Insulaner zu wünschen übrig.

Kasai, ein japanischer Jungunternehmer, der den Weltkonzern seines Vaters vor kurzem übernommen hatte, war ein Lichtblick. Er hatte in Amerika Wirtschaft und Jura studiert und führte nun das Familienunternehmen, das mehrere tausend Arbeiter und Angestellte zählte, zur Freude seines herrischen Vaters mit geschickter Hand. Lange Nächte verbrachte er mit Sue und Lee auf der Hotelterrasse und erzählte ihr von seiner Kindheit, seiner untertänigen Mutter und seinem despotischen Vater. „Mein Vater führte die Geschicke unserer Firma mit eiserner Faust und so wie er die Firma führte, so führte er auch mich.“ Mit Tränen in den Augen saß er da, goss sich immer wieder Champagner nach, während er sehnsüchtig über den weiten Ozean blickte. „Körperliche Züchtigung gehörte bei meinem Vater zum Kindererziehungsprogramm, weißt du? Manchmal, wenn er mich im Keller unseres Anwesens an die beschlagene Tür festband, nur um mich dort eine Nacht und einen Tag lang im Dunkeln alleine hängen zu lassen, glaubte ich in einem anderen Leben zu sein. Eines, das mich an Sklavenhandel erinnerte, verstehst du?“ Sue legte ihren Arm um seine Schultern und trotz ihres gebrochenen Englisch fühlten sie beide eine unbestimmte Zusammengehörigkeit, ein Verständnis für den anderen. Sie brauchten nicht viele Worte, um sich auf Herzensebene zu verstehen. Immer tiefer wurde ihre gegenseitige Zuneigung und Empathie, die sie einander wissen ließen, wie sehr sie einander schätzten und wie glücklich sie beide waren den anderen im eigenen Leben zu wissen. Dann gab es Nächte, in denen er Lee auf seinen Schoß nahm, ihn liebevoll in den Schlaf wiegte und davon schwärmte eine Frau wie Sue und einen Sohn wie Lee mit nach Hause zu bringen. Sie hätten ein luxuriöses Leben vor sich, mit allen Freiheiten einer europäischen Frau. Er, Kasai, würde sie beide auf Händen tragen, sie lieben, achten und ehren, und die Fehler des Vaters niemals wiederholen. Zudem würde sein Vater umkommen vor Stolz, dass sein Sohn eine Europäerin an Land ziehen konnte, was er selbst nie geschafft hatte. Sue dachte sich nichts weiter bei Kasais Schwärmereien und ließ es zu, dass sich ihre Freundschaft immer mehr vertiefte.

Das Alleinsein mit Lee machte Sue nichts aus. Ganz im Gegenteil. Sie genoss die Ruhe und die Stille um sich, wenn sie mit ihrem Sohn die weitläufigen Sandstrände aufsuchte oder abends, wenn Stean noch immer nicht zu Hause war, im weitläufigen Pool ihre Runden zu schwimmen. Sie reflektierte ihr Leben und wie sie es in Österreich verbracht hatte. Ihren Alltag mit Aaron und die Zeit, in der er nicht mehr war. Ihr größtes Glück lag in seinem Bettchen und schlief selig. Wie groß und bedingungslos die Liebe zwischen Mutter und Kind war, erfasste sie an jedem Tag, zu jeder Stunde, wann immer sie sich bewusst machte, welch ein Geschenk es war, Lee in ihrem Leben zu wissen. Mit Lee hatte ihr Leben wieder Sinn bekommen. Lee bedeutete Leben und das Leben war willkommen in Sues Gegenwart.

Eines Nachts, Lee schlief tief und fest in seinem Bettchen, kam Kasai mit einem Glas Champagner bestückt, an den Poolrand, der direkt an Sues Zimmer angrenzte. Es war Vollmond und die gedämpften Lichter der Hotelanlage bildeten sanfte Lichtkegel, die Sue im Pool schwimmend wie kleine Glühwürmchen umtanzten. „Weißt du eigentlich wie schön du bist?“ Kasais Blick verriet tiefe Zärtlichkeit, während sein Timbre in der Stimme um einen Hauch tiefer wurde. „Wieso hat dich Stean noch nicht geheiratet?“ Sue stieg aus dem lauen Wasser und umhüllte sich mit einem Handtuch, das ihr Kasai reichte. Ihr dunkelblondes gelocktes Haar fiel sanft über ihre durchtrainierten Schultern. Als sie sich zu Kasai an den Poolrand gesellte, spürte sie Kasais Verlangen. „Kasai“, sagte Sue und nahm dankbar das Glas Champagner entgegen, das ihr Kasai lächelnd reichte. „Kasai, du weißt, dass ich sehr viel Zeit brauche, um mich wieder zu fangen. Es ist zu viel geschehen in meinem Leben und ich möchte keinen Mann heiraten, den ich nicht aus ganzem Herzen liebe, verstehst du das?“ Kasais Lächeln wurde breiter. „Das heißt du bist noch frei? Du kannst lernen mich zu lieben und du wirst das Leben lieben, das ich dir bieten werde, was auch immer du dir wünschst, ich werde es dir geben.“ Oh, was für Worte, was für ein wundervoller, kluger Mann dieser Kasai doch war, gerade mal dreißig Jahre jung, gebildet, gepflegt, aber vor allem liebevoll und mitfühlend, und … und das war wohl eine seiner größten Qualitäten, er nahm sich Zeit für sie und Lee. Sie waren ihm wichtig, wichtiger als alles andere, wichtiger als Geld, wichtiger als sein Vater. Und was besonders hervorstach, er liebte sie tatsächlich. „Komm mit mir nach Osaka, lerne mein Leben kennen, lerne meine Familie kennen, du weißt, Lee ist mir wie mein eigener Sohn ans Herz gewachsen, in so kurzer Zeit nur. Wir drei sind Seelenverwandte und vielleicht, ja, vielleicht ...“ Kasais Worte schwelgten in sanftem Reigen. „Vielleicht lernst du mich zu lieben. Nicht nur als deinen Freund und Vertrauten, sondern auch als deinen Geliebten, als den Vater deines Sohnes, der ein Imperium erben wird, wenn er das möchte. Was sagst du?“ Kasais Worte hallten in Sue nach. Sie fühlte seine Nähe, seine seelische Präsenz, aber sie fühlte Mitleid, kein Begehren, sie spürte Zuneigung, aber keine romantische Liebe. Sie und ihr Sohn wären ein Leben lang, wie auch bei Stean, finanziell abgesichert. Ein Leben im Reichtum zu leben kannte sie bereits. Wieder brachen Gedanken über sie herein, die sie lockten und herausforderten. Was sollte sie wählen. Sollte sie die Liebe oder die Sicherheit wählen? Beides gemeinsam schien es für sie nicht zu geben. Also musste sie sich wohl oder übel endlich entscheiden. Es war ihr wichtig, vor allem für ihren Sohn, ein behütetes und sorgenfreies Leben in Reichweite zu stellen, eines, in dem er die Chance hatte, sich selbst zu verwirklichen. Ein Leben, das sich lohnte zu leben. Sue wünschte sich für ihr Kind ein Leben ohne Gewalt, eines, das frei war von traumatischen Ereignissen. Kurzum, ein Leben voller Liebe und schöner Beziehungen. Kasai war mit Sicherheit eine große Nummer in seinem Land, mit Bestimmtheit ein sehr begehrter Junggeselle. Ein Mann, dem Sue vertrauen konnte. Jemand, der den Anspruch westlicher Frauen kannte und stillen konnte. Und Stean, ja, Stean war nie da, wie sollte sie sich jemals richtig in ihn verlieben können, wenn sie ihn nur selten zu Gesicht bekam. Kasais sanfte Berührung ließ Sue in die Gegenwart zurückschnellen. „Ich verstehe, dass du noch etwas Zeit brauchst.“ Kasai zwinkerte aufmunternd und erhob sich grinsend. Dann raufte er sein schwarzes kokett geschnittenes Haar. „Was hältst du davon morgen in See zu stechen?“ Seine Stimme klang aufgeregt. „Stean und ich haben ein Boot im Hafen. Zudem ist heute Nacht Besuch aus Mikronesien eingetrudelt. Pedro ist gekommen, um die weitere Vorgehensweise mit Stean zu besprechen, und er hat eine seiner Töchter mitgebracht. Sie ist in meinem Alter, also nur vier Jahre älter als du. Ihr könntet euch ein wenig austauschen. Frauengespräche führen.“ Er grinste über beide Ohren. „Was sagst du? Stean und auch Pedro baten mich, dich kurzerhand noch zu fragen ob du möchtest, und na ja, du würdest mal etwas Aufregendes erleben.“ Spontan sagte sie zu. Sie freute sich auf den Bootsausflug morgen. Und für Lee würde es auch ein Erlebnis werden. Zudem würde sie endlich Pedro kennenlernen, den Mann, von dem sie schon so viel Positives gehört hatte.

Als sie sich zwei Stunden später noch einmal in ihrem Bett umdrehte, musste sie lächeln. Ja, sie wollte Pedro ebenso kennenlernen, Pedro, den Makaken-Mann.

Die Ahnenfrau

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